Tiberius

Tiberius Caesar Augustus (vor der Adoption durch Augustus: Tiberius Claudius Nero * 16. November 42 v. Chr. in Rom; † 16. März 37 n. Chr. am Kap Misenum; ) war römischer Kaiser von 14 bis 37 n. Chr. Nach seinem Stiefvater Augustus war Tiberius der zweite Kaiser des römischen Reiches und wird wie dieser zur julisch-claudischen Dynastie gezählt. Seine Regierungszeit war eine der längsten Alleinherrschaften eines römischen Kaisers.
Tiberius konnte besonders vor seinem Herrschaftsantritt bedeutende militärische Erfolge erzielen. Seine militärischen Aktivitäten in Pannonien, Illyricum, Raetien und Germanien legten die nördliche Grenze des römischen Imperiums fest. Die Verschwörung des ehrgeizigen und intriganten Seian, Hinrichtungen dissidenter römischer Aristokraten und Tiberius' Rückzug aus der Hauptstadt verursachten das negative Werturteil der späteren Historiographen. Gegen Ende seines Lebens wurde der Interessenskonflikt zwischen dem in seiner politischen Funktion reduzierten Senat und dem nun institutionalisierten Amt des Kaisers erstmals deutlich.
Leben bis zum Herrschaftsantritt
Herkunft und Jugend
Tiberius entstammte dem Geschlecht der Claudier: Sein Vater war Tiberius Claudius Nero, Prätor 42 v. Chr., seine Mutter Livia Drusilla war ebenfalls Claudierin, deren Familienzweig allerdings durch Adoption in das plebejische Geschlecht der Livier übergegangen war. Im Jahre 41 v. Chr. flohen seine Eltern mit ihm nach Sizilien und Griechenland, um den Proskriptionen zu entgehen, nachdem sein Vater sich als überzeugter Republikaner und Anhänger der Caesarmörder gegen Octavian gestellt hatte. Octavian (der spätere Kaiser Augustus) erzwang im Jahr 38 v. Chr. Livias Scheidung vom älteren Tiberius Claudius Nero, um Livia heiraten zu können, wodurch der vierjährige Tiberius am 17. Januar 38 v. Chr. sein Stiefsohn wurde. Der junge Tiberius wurde von nun an im Haus Octavians erzogen und erhielt eine standesgemäße Bildung in römischer und griechischer Kultur. Drei Monate später brachte Livia Tiberius’ Bruder Drusus zur Welt, dessen Vater Tiberius Claudius Nero war. Drusus wurde von Octavian gegenüber seinem älteren Bruder bevorzugt. Tiberius wurde vermutlich 20 oder 19 v. Chr. mit Vipsania Agrippina verheiratet, der Tochter von Octavians engem Vertrauten und Feldherrn Agrippa. Mit ihr hatte er seit 14 v. Chr. den einzigen Sohn Tiberius Drusus Iulius Caesar.
Bereits in jungen Jahren wurde Tiberius in das politische Leben eingeführt. Im Jahre 33 v. Chr. hielt er als Neunjähriger die Leichenrede bei der Bestattung seines Vaters, was ihn im öffentlichen Leben der römischen Aristokratie positionierte. Am 13. bis 15. August 29 v. Chr. nahm er am Triumphzug Octavians für den Sieg bei Actium teil. 23 v. Chr. wurde ihm als Quaestor mit dem Zuständigkeitsbereich der Getreideversorgung das erste politische Amt und damit der Senatorenstatus übertragen, weit vor dem hierfür vorgeschriebenen Mindestalter.
Heerführer unter Augustus
Tiberius war ein erfolgreicher Heerführer unter der Herrschaft des Augustus. Bereits in den Jahren 26 bis 24 v. Chr. nahm er als tribunus militum an Kämpfen in Spanien teil. Im Jahre 20 v. Chr. führte er einen Feldzug gegen Armenien an, durch den er Tigranes II. auf den armenischen Thron brachte. 20 v. Chr. gewann er durch Diplomatie die römischen Feldzeichen zurück, die Marcus Licinius Crassus, Lucius Decidius Saxa und Marcus Antonius an die Parther verloren hatten. Im Jahr 16 v. Chr. war er Prätor und zusammen mit Augustus in Gallien, um die Neuordnung der Provinz vorzubereiten.
Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Drusus brachte Tiberius in den Jahren 15 bis 13 v. Chr. Rätien und das im Norden befindliche Vindelicien unter römische Herrschaft. Von 12 bis 9 v. Chr. leitete er die Eroberung Pannoniens und reiste schließlich 9 v. Chr. zu seinem sterbenden Bruder Drusus nach Germanien, um den Toten nach Rom zu überführen. Nach dem Tod des Drusus übernahm Tiberius für die folgenden beiden Jahre den Oberbefehl in Germanien. Um den Druck auf den Mittelrhein zu vermindern, siedelte er etwa 40.000 Sugambrer und Sueben in das linksrheinische Gebiet um.

Als der Augustusenkel und potenzielle Nachfolger Gaius Caesar starb, übernahm Tiberius 4 n. Chr. erneut den Oberbefehl und zog im folgenden Jahr von Gallien aus bis ins Rheinmündungsgebiet. In seinem Gefolge befand sich der Historiker Velleius Paterculus, der die Position eines praefectus equitum (etwa "Kavallerieobrist") innehatte. Tiberius drang bis zur Weser vor, wo er in einem der Lippe-Kastelle ein Winterlager errichtete; dies war das erste Mal, dass eine große römische Armee in Germanien überwinterte. Im Frühjahr des Jahres 5 n. Chr. besiegte er zusammen mit der römischen Flotte die Langobarden an der Unterelbe. Er zog daraufhin weiter elbaufwärts und gelangte an der mittleren Elbe zu den Semnonen und schließlich zu den Hermunduren, wo er ein Lager aufschlug und germanische Gesandte empfing. Der Feldzugteilnehmer Velleius Paterculus beschrieb die Situation zu diesem Zeitpunkt folgendermaßen: Nichts blieb mehr in Germanien, das hätte besiegt werden können, außer dem Stamm der Markomannen.[1]
Im Jahre 6 begann unter dem Oberbefehl des Tiberius die Aufrüstung gegen Marbod, den König der Markomannen. Es wurden insgesamt zwölf Legionen mit Hilfstruppen aufgestellt, was die Hälfte des gesamten Militärpotentials der Römer zu der Zeit darstellte.[2] Kurz nach Beginn des Feldzugs im Frühjahr des Jahres 6 brach Tiberius ihn wieder ab, als er die Nachricht vom pannonischen Aufstand erhielt. Allerdings schloss Tiberius noch einen Freundschaftsvertrag mit Marbod, um sich vollkommen auf die schwere Aufgabe in Pannonien zu konzentrieren.
Von 6 bis 9 n. Chr. warf er mit größten Anstrengungen, unter Aufbietung einer Armee von 15 Legionen, den Pannonischen Aufstand in Pannonien und Illyrien nieder. Kurz nachdem Tiberius in Pannonien gesiegt hatte, erhielt Augustus die Nachricht, dass Varus in Germanien mit drei Legionen und ebenso vielen Reiterabteilungen sowie sechs Kohorten gefallen war.[3] Dieser Verlust war eine der größten Niederlagen, die das Römische Reich je erlitten hatte; ernsthafte Expansionsbestrebungen nach Germanien wurden in den kommenden Jahrhunderten nicht mehr unternommen. In Rom herrschte drei Tage Staatstrauer, und Tiberius, der eben erst siegreich heimgekehrt war, verzichtete auf einen Triumph.[4]
Durch den Tod und die schmachvolle Niederlage des Varus rückte Tiberius wieder als Kommandeur in Germanien nach. Im ersten Jahr seines Kommandos 10 n. Chr. sah er davon ab, den Rhein zu überqueren.[5] Laut Sueton handelte Tiberius mit äußerster Vorsicht und Zurückhaltung und nur in Absprache mit seinem Beraterkreis,[6] wodurch angedeutet sein mag, dass Tiberius bereits anfänglich nicht eine Rückeroberung des Raumes zwischen Elbe und Rhein plante, sondern sich auf Strafexpeditionen beschränken wollte.[7] Bezüglich militärischer Erfolge in der Folgezeit sind die Quellendarstellungen widersprüchlich. Velleius Paterculus, der allgemein die Leistungen des Tiberius verherrlicht, berichtet, dass Tiberius den Rhein überschritt und erfolgreich bis tief in das Landesinnere vordrang, um germanische Siedlungen zu brandschatzen und Felder zu verwüsten.[8] Nach Cassius Dio kam es zu keinen nennenswerten militärischen Auseinandersetzungen.[9] Archäologische Untersuchungen haben keine Spuren von Militärwegen oder Anzeichen von Holzkohleschichten nachweisen können, die man bei einem großflächigen Abbrennen von Siedlungen erwarten würde.[10]
Anfang 13 n. Chr. kehrte Tiberius nach Rom zurück und hielt den verschobenen Triumph für die Niederschlagung des Pannonischen Aufstands ab.
Nachfolgeproblematik
12 v. Chr. musste Tiberius sich auf Anordnung seines Stiefvaters von seiner ersten Frau Vipsania Agrippina, der Tochter des Feldherrn Marcus Vipsanius Agrippa, scheiden lassen und Iulia, die Tochter des Augustus (und deshalb auch seine eigene Stiefschwester) heiraten. Diese Verbindung sollte die Einheit des regierenden Hauses stärken. Ihre unterschiedlichen Charaktere (sie lebenslustig, er eher ernst mit einer gewissen Neigung zur Düsternis) trugen dazu bei, dass diese Ehe nicht glücklich war. 6 v. Chr. erhielt Tiberius die tribunicia potestas auf fünf Jahre; somit konnte er als Nachfolger des Princeps gelten, da er außerdem der Schwiegersohn des Augustus war. Die schnell zerrüttete Ehe und die auffällige Förderung der von Augustus adoptierten Söhne Gaius und Lucius Caesar brachten Tiberius jedoch dazu, seine Laufbahn zu unterbrechen und sich für sieben Jahre in ein zuerst freiwilliges Exil nach Rhodos zurückzuziehen. Tiberius selbst habe später erklärt, dass er sich zurückgezogen habe, um den Caesares nicht im Weg stehen zu wollen.[11] Tiberius fühlte sich wohl wegen der Beliebtheit des Gaius Caesar und dessen Bevorzugung in seiner Persönlichkeit verletzt. Während Tiberius’ Aufenthalt auf Rhodos schickte Augustus 2 v. Chr. seine Tochter Iulia wegen unsittlichen Lebenswandels und politischer Intrigen in die Verbannung. Tiberius setzte sich zwar in mehreren Briefen vergeblich für seine Gattin ein, wurde aber von Augustus gezwungen, sich von ihr scheiden zu lassen. Im Jahr 2 n. Chr. bewilligte Augustus die Rückkehr des Tiberius nach Rom, gestand ihm aber keine politische Funktion zu.
Erst der Tod der designierten Nachfolger des Augustus, seiner Enkelkinder und Adoptivsöhne Gaius und Lucius Caesar, machte Tiberius zum einzig möglichen Nachfolger des Augustus. Mit der Adoption durch Augustus am 26. Juni 4 n. Chr. wurde Tiberius (mit dem Namen Tiberius Iulius Caesar) in das Geschlecht der Julier aufgenommen. Die nachfolgenden Kaiser bis hin zu Nero gehörten in unterschiedlichen Graden beiden Familien an und waren so Mitglieder einer Doppeldynastie. Neben Tiberius adoptierte Augustus Agrippa Postumus, der allerdings später in die Verbannung geschickt wurde. Tiberius selbst musste Germanicus, den Sohn seines Bruders Drusus, adoptieren. Außerdem erhielt er die beiden zur Nachfolge in der Herrschaft notwendigen Amtsgewalten, das imperium proconsulare und die tribunicia potestas.
13 n. Chr. – also ein Jahr vor dem Tod des Augustus – wurden diese Amtsgewalten auf weitere zehn Jahre verlängert. Als Augustus am 19. August 14 starb, hatte Tiberius, bis auf die Ausweitung des imperium auf Rom und Italien, alle Rechte inne, auf denen der Prinzipat beruhte.
Der Prinzipat des Tiberius
Regierungsantritt
Nach dem Tod des Augustus war der zu dieser Zeit 55 Jahre alte Tiberius aufgrund der Amtsgewalt der tribunicia potestas praktisch zum Nachfolger designiert. Er ließ den Senat einberufen und die Leichenfeier und Divinisierung für Augustus beschließen. In dieser Senatssitzung wurde das private Testament des Augustus eröffnet. Tiberius und Livia waren als Haupterben eingesetzt, wobei Tiberius zwei Drittel und Livia ein Drittel der Erbschaft erhielten. Durch das Testament wurde Livia adoptiert und zur Iulia Augusta erhoben. Sie, die bereits unter Augustus öffentlich als Teilhaberin am Prinzipat aufgetreten war und so auch dargestellt wurde, konnte somit in ihrer neuen Stellung als Kaiserinmutter von Beginn an höchsten Einfluss ausüben. Dieses Konkurrenzverhältnis von Mutter und Sohn sollte zu den späteren Spannungen in der Kaiserfamilie beitragen.
Trotz der mit dem Testament eindeutig verbundenen Aussage des Augustus zu Gunsten des neuen Kaisers wartete Tiberius demonstrativ das ausdrückliche Ersuchen des Senats ab, die Kaiserwürde anzunehmen. Auch in späteren Jahren äußerte Tiberius häufig Rücktrittsgedanken. Diese zögernde Haltung (cunctatio Tiberii) kann damit erklärt werden, dass Tiberius allgemein als zurückhaltender Mensch galt; wahrscheinlicher ist jedoch, dass er bewusst den Rückhalt und die verbindliche Festlegung des Senats auf seine Person suchte, um als ehemals umstrittener Nachfolgekandidat positionell gestärkt zu werden. Diese zögernde Haltung spiegelt sich in der Übertragung der an Augustus verliehenen Ehrenbeinamen: Tiberius ließ sich zwar mit dem Namen Augustus ehren, lehnte aber den Titel pater patriae ab. Erst ab dem 10. März 15 war er pontifex maximus.
Unmittelbar zu Beginn der Herrschaft des Tiberius wurde Agrippa Postumus ermordet, wobei eine Verwicklung des Tiberius in den Mord ungeklärt bleibt. Tiberius bestritt das Verbrechen. Auch wenn Tacitus eine Mitschuld des Tiberius nahelegt (Primum facinus novi principatus fuit Postumi Agrippae caedes; „Die erste Tat der neuen Herrschaft war die Ermordung des Agrippa Postumus“.[12]), wurde bereits in der Antike darüber spekuliert, ob Tiberius für die Ermordung verantwortlich war, ob Augustus angeordnet hatte, Agrippa Postumus nach seinem Tod liquidieren zu lassen, oder ob Livia die Herrschaft für ihren Sohn sichern wollte.[13]
Außenpolitik
Marserfeldzug 14 n. Chr.

Unmittelbar nach dem Herrschaftsantritt des Tiberius kam es zu einer Meuterei der in Germanien stationierten Legionen mit dem Ziel, Germanicus zum neuen Princeps zu akklamieren.[14] Die Legio XIV Gemina verweigerte den Treueid, und in einem Sommerlager schlossen sich die zusammengezogenen vier Legionen des niedergermanischen Heeres dem Beispiel an. Gründe für den Aufstand der Soldaten waren die Härte des Dienstes, die Länge der Dienstzeit und der geringe Sold.[15] Diese Missstände gingen auf die Politik des verstorbenen Augustus und dessen strenge Reaktionen auf den Pannonischen Aufstand und die Varusniederlage zurück. Germanicus weigerte sich, den Forderungen nachzukommen, und blieb Tiberius loyal. Er machte im Namen des Princeps den Soldaten zahlreiche Zugeständnisse und beendete dadurch die Meuterei. Auch initiierte er einen Feldzug gegen die Marser im Herbst des Jahres 14, um einerseits ein mögliches Wiederaufleben der Meuterei zu verhindern und anderseits die Marser für ihre Beteiligung an der Varusniederlage zu bestrafen. In diesem Feldzug erlitten die Römer fast keine Verluste.
Tiberius reagierte ambivalent[16], da er zwar den Sieg über die Marser als Erfolg betrachtete, jedoch das eigenmächtige Vorgehen des Germanicus ablehnte, zumal dessen neu gewonnener Ruhm die Position des Tiberius im Heer schwächte. Außerdem hatte Germanicus seine Versprechungen über beschleunigte Dienstentlassung und die zahlreichen Geldgeschenke an die Soldaten ohne Rücksprache mit Tiberius gegeben. Objektiv gesehen war es Germanicus durch sein Handeln indes gelungen, das Heer zu disziplinieren.
Der „Verzicht auf Germanien“
Unter Augustus und zu Beginn der Herrschaft des Tiberius wollte Rom die clades Variana korrigieren, zumindest aber die aufrührerischen Germanenstämme formell unterwerfen und die Deserteure bestrafen, allein schon zur Abschreckung künftiger Aufrührer. Dies gelang aber nicht. Die Katastrophe des Varus (im Jahre 13 v. Chr. mit Tiberius zusammen Konsul) und die von Germanicus im Jahre 14 vorgefundene Situation (Militärrevolten) ließen Tiberius von der Grenzverschiebung in Richtung Weser und Elbe endgültig Abstand nehmen. Der nüchterne und illusionslose Germanienkenner Tiberius ging im Gegensatz zu Germanicus zu einer defensiven Grenzpolitik über, die die Germanen ihrem inneren Streit überließ und sich auf die Behauptung eines der Grenze vorgelagerten Gebietes beschränkte. Tiberius erkannte, dass Rom die Arminius-Koalition allein schon aufgrund der logistischen Gegebenheiten mit überschaubaren Mitteln nicht besiegen konnte. Die römischen Truppen konnten sich nicht aus dem Lande ernähren und die Landkriegführung war durch die weiten Wege und Transporte bei den kurzen Feldzugszeiten nahezu unüberwindbaren Schwierigkeiten und Gefährdungen ausgesetzt.
Tiberius gebot den zum Teil verlustreichen Unternehmungen des Germanicus im Jahr 15 und 16 Einhalt und übertrug ihm die Ordnung der politischen Verhältnisse im Osten, bei der Kappadokien zur Provinz wurde. Germanicus erhielt dafür ein spezielles imperium, welches zwar über dem aller anderen Prokonsuln stand, aber unter dem des Tiberius. Er berief sich bei der Abberufung des Germanicus auf den Rat des Augustus, das von Tacitus überlieferte consilium coercendi intra terminos ("Rat, innerhalb der Grenzen Strafgewalt auszuüben").[17] Die Historizität des consilium coercendi wird allerdings in der modernen Forschung zunehmend angezweifelt,[18] unter anderem weil die offizielle Darstellung des Augustus gegenüber dem Senat in den Res Gestae Divi Augusti einen derart weiten Entscheidungsspielraum des Kaisers auszuschließen scheint. Auch ist unsicher, ob mit intra terminos die West- oder doch die Ostgrenze im Reich gemeint sei und ob es sich um die Elbgrenze oder die Rheingrenze handelte.
Tiberius bewilligte dem Germanicus einen aufwändigen Triumph über die Germanen, den dieser am 26. Mai 17 in Rom abhielt. Tiberius wollte einerseits Germanicus eine feierliche Anerkennung seiner Gesamtleistungen zuteil werden lassen und anderersteits den faktischen Abbruch der Offensive als außenpolitischen Erfolg darstellen. Paradoxerweise hat gerade die Katastrophe der Varusschlacht die Beständigkeit der römischen Grenze am Rhein erwiesen, um deretwillen die Besetzung Germaniens begonnen worden war. Durch die Abberufung des Germanicus (16 n. Chr.) setzte sich die neue außenpolitische Linie des Tiberius durch, die in der Tabula Siarensis (19 n. Chr.) ihren Niederschlag finden sollte: Befriedung Galliens, Vergeltung für die Varusniederlage, Rückgewinnung der Feldzeichen, jedoch nicht mehr die Eroberung des rechtsrheinischen Germanien. Diese Politik fand mit dem Tod des Tiberius (37 n. Chr.) ihr Ende, sein Nachfolger Caligula unternahm wieder (erfolglose) Expeditionen in das germanische Kerngebiet.
Weitere Aspekte der Außenpolitik
Neben dem im Jahre 17 annektierten Kappadokien wurde Kommagene zur römischen Provinz. In Armenien, das seit Pompeius dem römischen Einflussbereich unterlag, wurde ein neuer König eingesetzt. Statthalter wurden weit über die übliche einjährige Amtszeit hinaus auf ihren jeweiligen Posten belassen, so war beispielsweise L. Aelius Lamia neun Jahre lang Statthalter von Syrien.
Die Römer hatten Glück, dass die anderen Fronten während dieser Zeit ruhig blieben. Denn das römische Heer war nicht groß genug, um auf Dauer acht Legionen an der Germanenfront bereit zu halten. Die Beschaffung der Lebensmittel und die steuerlichen Belastungen sorgten in Gallien für Unruhe, die schließlich zum Aufstand des Häduers Sacrovir und des Treverer Iulius Florus im Jahre 21 führten. Außerdem sorgte Tacfarinas seit dem Jahr 17 für Unruhe in Africa und wurde erst im Jahre 25 geschlagen. In den Jahren 22 bis 25 wurden rebellische thrakische Stämme mit Erfolg bekämpft.
Orientreise und Tod des Germanicus
Nach seinem Triumph reiste Germanicus in offiziellem Auftrag in den Osten des Reiches. Über Griechenland und Kleinasien gelangte er nach Syrien, von dort nach Ägypten, zum großen Missfallen des Tiberius, da es keinem Senator erlaubt war, die für die Getreideversorgung Roms wichtige Provinz zu besuchen. Nach der Rückkehr nach Syrien erkrankte Germanicus in Antiochia und starb dort im Jahr 19.
Aufgrund eines Konkurrenzverhältnisses zu Germanicus wurde der Statthalter von Syria, Gnaeus Calpurnius Piso, beschuldigt, Germanicus vergiftet zu haben. Giftmordanklagen waren im kaiserzeitlichen Rom häufig und wegen der eingeschränkten Untersuchungsmethoden letztlich nicht nachweisbar. Die früher nur literarisch bekannten Einzelheiten des Prozesses sind seit einigen Jahren durch einen Inschriftenfund bestätigt und ergänzt worden.[19] Die in Spanien gefundene Inschrift enthält einen Senatsbeschluss im Anschluss an den Piso-Prozess. Kopien des Senatsbeschlusses wurden in allen Legionslagern des Reiches aufgestellt. Der Giftmordvorwurf ist im Senatsbeschluss angedeutet; der offizielle Vorwurf gegen Piso, der sich noch vor dem Urteil das Leben nahm, war allerdings bewaffneter Aufruhr.
Innenpolitik
Tiberius bemühte sich zu Beginn seiner Regierung um Legitimation und ein gutes Verhältnis zum Senat. Er übertrug diesem das Wahlrecht von Amtsträgern, das zuvor nominell von der stadtrömischen Bürgerschaft ausgeübt wurde, unter Augustus aber praktisch ein Privileg des Kaisers geworden war.[20] Auch nutzte er den Senatsausschuss nicht mehr, mit dem Augustus vorher anstelle des gesamten Gremiums verhandelt hatte. Der Versuch, dem Senat größere Entscheidungsmöglichkeiten einzuräumen, scheiterte jedoch am Ungleichgewicht der Macht und am Kampf der verschiedenen Gruppen um Einfluss, vor allem in der Frage der Nachfolge des Tiberius.

Tiberius setzte den konservativen Kurs des Augustus in der Religionspolitik fort. Magier und Astrologen ließ er im Jahr 16 aus Italien ausweisen, obwohl er selbst als deren Anhänger galt und bei Entscheidungen häufig den Rat des Astrologen Thrasyllos einholte, der ihm seine Rückkehr von Rhodos vorausgesagt hatte. Im Jahr 19 ging Tiberius scharf gegen den Isiskult und das Judentum vor, nachdem es zu Unruhen und Störungen der öffentlichen Ordnung gekommen war. 4.000 jüdische Freigelassene wurden nach Sardinien gebracht, um dort gegen sardische Räuber militärisch eingesetzt zu werden. Die restlichen Juden wurden gezwungen, ihrem Glauben abzuschwören oder Italien zu verlassen. Jedoch gelang es Tiberius langfristig nicht, den jüdischen Glauben in Rom und Italien zu unterbinden.
Unter Tiberius nahmen die unter Augustus noch seltenen Anklagen wegen Majestätsbeleidigung merklich zu. Durch die von Augustus eingeführte lex Iulia de maiestate konnten Schmähungen der Person des Princeps, nicht nur die Bedrohung seines Lebens, bestraft werden. In den Jahren 14–20 wandte Tiberius sich zunächst entschieden gegen die Verfolgung solcher Delikte. Die ersten Prozesse wurden vermutlich maßgeblich vom Senat initiiert, dem ein Teil des Gerichtswesens institutionell unterlag, und von Tiberius unterstützt. Seit dem Jahr 24 wurden die Majestätsprozesse häufiger als zuvor angewandt, obwohl Tiberius das Majestätsgesetz nicht verschärfte. Es gab insgesamt etwa 60 Majestätsprozesse;[21] die Anzahl nahm auch deshalb so sprunghaft zu, da der Begriff der laesa maiestas so unscharf definiert war, dass schon das Mitführen einer Kaisermünze auf dem Abtritt oder im Bordell Gegenstand einer Anklage werden konnte. Wahrscheinlich handelte es sich dabei aber nur um einen selektiv erwähnten Anklagepunkt in einer größeren Liste von Vergehen. Besonders dissidente literarische Anspielungen konnten strengstens bestraft werden. So war der Historiker Cremutius Cordus gezwungen, sich das Leben zu nehmen, da man ihm vorwarf, die Caesarmörder Brutus und Cassius die „letzten Römer“ genannt zu haben.
Tacitus beschreibt die Majestätsprozesse als willkürliches Handeln eines Tyrannen, und diese Deutung ist vor allem in der älteren Forschung weitgehend übernommen worden.[22] Die neuere Forschung dagegen hat sie zunehmend relativiert, da die Darstellung des Tacitus einseitig die institutionelle Verantwortung des Princeps betont und mit Rücksicht auf sein senatorisches Publikum das interne Ränkespiel senatorischer Familien herunterspielt. Es bildete sich erstmals das Phänomen senatorischen Denunziantentums heraus, das die Beziehung von Kaiser und Senat bis zum Ende des 1. Jahrhunderts erheblich belasten sollte. Die erst von Augustus geschaffene Stellung des Princeps war noch nicht so weit institutionell verfestigt, dass Tiberius eine repressive Politik ganz ohne Zustimmung zumindest eines Teils des Senates hätte durchsetzen können. Erst mit der später geübten Unterwürfigkeit des Senats wurden die autoritären Gewaltherrschaften des Caligula, Nero oder Domitian ermöglicht.[23]
Verwaltungspolitik
Tiberius war in der Verwaltung des Reiches erfolgreich. Er setzte den von Augustus am Ende seiner Herrschaft eingeschlagenen konservativen, auf die Bewahrung des Bestehenden ausgerichteten Kurs fort. Tiberius berief sich ebenso wie Augustus auf die Herschertugenden virtus, clementia, iustitia und pietas ("Exzellenz", "Milde", "Gerechtigkeit" und "Ehrerbietung"). Jedoch war die offizielle Propaganda in Inschriften und auf Münzen zusätzlich durch Schlagwörter wie salus und moderatio ("Wohlergehen" und "Zurückhaltung") geprägt, die als Leitbilder seiner Regierung moderne Verwaltungsziele wie eine ausgewogene, dezentrale Wirtschaftspolitik widerspiegeln. Die Verwaltungspolitik des Tiberius war durch ein rigoroses Sparprogramm geprägt, das jedes größere Bauprojekt verhinderte. Einige wenige Ausnahmen davon waren Tempel, die zur Demonstration der pietas dienten, sowie der Bau von Straßen für militärische Zwecke in Nordafrika, Spanien, Gallien, Dalmatien und Moesien.
Tiberius’ Sparsamkeit und seine Abkehr vom Luxus zeigten sich im Senatsbeschluss des Jahres 16 gegen Kleidungsluxus, der das Tragen von durchsichtigen Seidengewändern verbot, und einem Gesetz aus dem Jahre 22, das sich gegen den Tafelluxus richtete. Tiberius gab kein Geld für Spiele zur Steigerung seiner Popularität aus. Allerdings zeigte er sich bei großen Nöten so spendabel wie kaum ein Politiker vor ihm. Bei den Großbränden in der Stadt Rom in den Jahren 27 und 36 und bei einer Tiberüberschwemmung, die ebenfalls im Jahre 36 stattfand, sowie bei Getreideteuerungen spendete Tiberius Millionen von Sesterzen. Seine Großzügigkeit bekamen auch die Provinzen in großen Nöten zu spüren; als ein Erdbeben 17 n. Chr. zwölf asiatische Städte vernichtete, darunter Sardes, spendete er zehn Millionen Sesterzen und gewährte einen fünfjährigen Steuererlass. Diese Fürsorge des Tiberius wurde in der Münzprägung civitatibus Asiae restitutis ("für den Wiederaufbau der Städte Asiens") proklamiert. Durch die rigorose Sparsamkeit des Tiberius konnte er seinem späteren Nachfolger Caligula 2,7 Milliarden Sesterzen in der Staatskasse hinterlassen, die dieser durch Verschwendung schnell aufbrauchte.
Tiberius und Seian
Durch den Tod des Germanicus im Jahre 19 ergab sich die Frage der Nachfolge. Das Verhältnis zwischen Tiberius und Agrippina war gespannt, da sie die Tochter der ungeliebten Iulia war und sie als Augustusenkelin ihren Söhnen die Nachfolge sichern wollte. In dieser Zeit begann der Einfluss des Prätorianerpräfekten Lucius Aelius Seianus zu steigen. Er war Kommandant der Prätorianergarde, die er als persönliche Machtbasis aufbaute, indem er sie in einem einzigen Lager, den Castra praetoria, auf dem Viminal außerhalb Roms zusammenzog. Tacitus zufolge vertraute Tiberius Seian blind, nachdem dieser sich beim Einsturz einer Höhle schützend über Tiberius geworfen hatte.[24] Das Seian-Bild bei Tacitus ist allerdings äußerst negativ und steht damit im Gegensatz zu der positiven Charakterisierung Seians bei Velleius Paterculus.
Seian plante, durch systematische Ausschaltung der natürlichen Erben des Tiberius und Einheirat in dessen Familie seine eigene Nachfolge durchzusetzen. Er verführte Livilla, die Frau von Tiberius’ Sohn Drusus, zum Ehebruch. Im Jahre 23 starb der Thronfolger Drusus an einer Krankheit, wie man ursprünglich annahm. Erst im Jahre 31 sagte Apicata, Seians verstoßene Ehefrau, aus, dass Seian Drusus vergiften ließ, indem er sich den Lieblingseunuchen des Drusus, Eudamus, sexuell hörig machte und mit der Verabreichung des Giftes beauftragte, wie einige zeitgenössische Autoren berichteten.[25] Vermutlich wurde Apicata bei dieser Aussage stark unter Druck gesetzt, da sie nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Kinder fürchten musste.
Seian versuchte im Jahr 25 vergeblich, Livilla zu heiraten, wodurch er Mitglied der kaiserlichen Familie geworden wäre. Tiberius hatte die Heirat mit Rücksicht auf Vorbehalte in der Kaiserfamilie abgelehnt, die eine Verschwägerung mit dem aus dem Ritterstand stammenden Seian als unstandesgemäß empfand.

Wohl als Reaktion auf die vereitelten Heiratspläne stellte Seian Tiberius in öffentlichen Reden die Vorteile des ländlichen Lebens außerhalb der Hauptstadt vor Augen. Dem Princeps war die Anwesenheit in Rom mit ihren Intrigen und Streitereien zwischen seinen Familienangehörigen zuwider, vor allem die problematischen Beziehungen zu seiner Mutter Livia und zu Agrippina, der Witwe des Germanicus. Seian hatte ein entschiedenes Interesse am Rückzug des Kaisers, da er dadurch - praktisch in Stellvertreterfunktion - die Übernahme der Macht vorbereiten konnte.
Tiberius zog sich im Jahr 26 tatsächlich auf die Insel Capri zurück, wo noch heute Reste seiner Villen erhalten sind. Seian brachte seinen Ansprüche offen zum Ausdruck, indem er seinen Geburtstag zum Festtag erklären und Statuen zu seinen Ehren aufstellen ließ. Dadurch wurde der Kult um seine Person dem des Kaisers gleichgestellt. Seian intrigierte gegen Agrippina, durchaus in Übereinstimmung mit den Interessen des Tiberius. Agrippina wurde unter dem Vorwurf einer Verschwörung im Jahre 29 zusammen mit ihrem Sohn Nero auf die Insel Pandataria verbannt, wo sie in den Tod gedrängt wurden. Ihr zweiter Sohn Drusus Caesar verhungerte ein Jahr später im Kerker.
Als Seian schließlich plante, Gaius, den späteren Kaiser Caligula, zu beseitigen, um sich als einzigen Nachfolger zu positionieren, wurden seine Pläne von Antonia Minor an Tiberius verraten. Als Reaktion ließ Tiberius ihn 31 zusammen mit seinen Kindern durch Strangulierung hinrichten. Seians Leichnam wurde auf die Gemonischen Treppen geworfen, dort vom Mob zerstückelt und anschließend an einem Haken zum Tiber geschleift, da nach antiker Jenseitsvorstellung dem im Meer treibenden Toten der Zugang zur Unterwelt verwehrt war. In den Jahren 31–37 wurden zahlreiche Senatoren und Ritter unter dem Verdacht, die Pläne Seians unterstützt zu haben, hingerichtet oder in den Selbstmord gezwungen.
Seians Nachfolger als Prätorianerpräfekt wurde Naevius Sutorius Macro. Durch das Negativbeispiel des Seian gewarnt, beteiligte sich Tiberius nun wieder aktiver am politischen Leben der Hauptstadt: Im Jahr 33 griff Tiberius von Capri aus in die Finanzkrise in Rom ein, die durch Geldknappheit und illegale Zinserhöhung der Geldverleiher ausgelöst wurde. Außerdem wurde durch die restriktive Geldpolitik des Tiberius das Geld auf den Märkten knapp. Die Zinsen stiegen und die Geldverleiher gaben immer weniger Kredite aus. Da der Senat die Finanzkrise nicht bewältigen konnte, stellte Tiberius den Geldwechslern 100 Millionen Sesterzen zur Vergabe von zinslosen Krediten auf drei Jahre zur Verfügung, mit der Bedingung, dass der Schuldner dem Staat Sicherheiten an Grundstücken von doppeltem Wert hinterlassen musste. Durch die Maßnahmen des Tiberius konnte die Finanzkrise behoben werden. Energisch griff Tiberius in den Jahren 35/36 in die parthischen Thronwirren ein und brachte Tiridates III. auf den armenischen Thron.
Letzte Jahre auf Capri
Die antiken Historiographen (Cassius Dio, Sueton und Tacitus) beschreiben den Kaiser in seinen letzten Lebensjahren als unansehnlichen, durch Hautgeschwüre entstellten Lustgreis, der sich auf Capri seinen pädophilen und sadistischen Neigungen hingab und die Öffentlichkeit scheute. Besonders der Kaiserbiograph Sueton ist in dieser Charakterisierung sehr ausführlich, bediente allerdings damit die Erwartungshaltung seines senatorischen Publikums im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. So soll Tiberius eine Knabengruppe, die sich auf Unterwasser-Fellatio in den kaiserlichen Thermalbecken spezialisiert habe, liebevoll seine „Fischlein“ genannt haben. Angeblich diente auch der spätere Kaiser Vitellius als „Fischlein“ des Tiberius.[26] Die moderne Forschung löst sich von diesen tendenziell stereotypen Überlieferungsformen, die sich dadurch begründen lassen, dass zum Ende der Regierungszeit des Tiberius erstmalig die politische Ohnmacht und Selbstzerfleischung des Senats vor Augen traten. Sie äußerten sich in den andauernden Majestätsprozessen und der mangelnden Einflussnahme auf Entscheidungen im fernen Capri. Nach antikem Verständnis wurde die allgemeine politische Richtung eines Kaisers mit dessen charakterlichen Anlagen und Privatinteressen in engen Zusammenhang gebracht.[27]
Als Tiberius am 16. März 37 in Misenum (in der Nähe von Neapel) starb, hatte er sich nicht nur beim Senat unbeliebt gemacht, sondern auch bei der stadtrömischen Bürgerschaft, die seinen Leichnam wie den eines gemeinen Verbrechers in den Tiber werfen (Tiberium in Tiberim[28]) oder im Theater von Atella anrösten wollte. Die Anfeindungen in der Bevölkerung resultierten aus der in den letzten Regierungsjahren stark zunehmenden Bestrafungspolitik, als deren Folge jährlich mehrere Hundert Bürger der Hauptstadt hingerichtet und die Leichname zur Abschreckung auf den Gemonischen Treppen ausgestellt worden waren. In der offiziellen Darstellung wurde diese Politik mit der sachlichen Notwendigkeit von Verbrechensbekämpfung und mit der Eindämmung unsittlichen Verhaltens begründet.
Nachfolger
Es ist nicht überliefert, dass Tiberius Germanicus’ Sohn Gaius (Caligula) eindeutig zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, vielmehr sei der Princeps in der Nachfolgeregelung unschlüssig gewesen. Einen Nachfolger außerhalb seiner Familie zu suchen, wagte Tiberius nicht, um das mit der Autorität des Augustus verbundene dynastische Prinzip nicht zu verletzen.[29] Es blieben daher nur Gaius und Tiberius Gemellus, die jungen Enkel des Tiberius, als Kandidaten übrig. Tiberius konnte die Herrschaft nicht zu gleichen Teilen vermachen. Noch im Jahr 31 holte er den jungen Caligula zu seinem Alterssitz auf Capri. Dort gelang es dem Tiberius-Enkel, das Vertrauen des Kaisers zu gewinnen. Sueton gibt an, dass dieses Vertrauensverhältnis auf dem gemeinsamen Interesse an Folterungen und sexuellen Ausschweifungen beruht habe. Tiberius soll zu Gaius gesagt haben, nachdem er dessen verdorbenen Charakter kennengelernt habe: „Du wirst diesen [Gemellus] ermorden, dich ein anderer“[30]. Möglicherweise wurde sogar Tiberius selbst von Caligula umgebracht, wobei die Quellenaussagen nicht eindeutig sind und bei Todesfällen von Herrschern unbestätigte Gerüchte an der Tagesordnung waren.[31] Tiberius’ Asche wurde im Augustusmausoleum beigesetzt. Eine Divinisierung erfolgte zunächst nicht, allerdings wird Tiberius in der Lex de imperio Vespasiani des Jahres 69 zu den vergöttlichten Caesaren gezählt. Der vollständige Name des Tiberius zum Zeitpunkt seines Todes war Tiberius Caesar Divi Augusti filius Augustus, Pontifex maximus, Tribunicia potestate XXXVIII, Imperator VIII, Consul V.
Tiberius im Neuen Testament
In der Bibel wird Tiberius’ Name nur einmal im Lukasevangelium (Lk 3,1–2 EU) erwähnt, im Rahmen des sogenannten lukanischen Datums, das auf das Jahr 28 hinweist:
- Es war im 15. Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa [...] Hohepriester waren Hannas und Kajafas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.
Während Tiberius’ Regierungszeit wirkte Jesus Christus. In seinen Predigten und Gleichnissen gibt es mehrfach Bezüge zu Caesar (bzw. dem Kaiser in einigen Übersetzungen), ohne namentlich auf Tiberius einzugehen.
Die Stadt Tiberias an der Westküste des See Genezareth erhielt ihren Namen vom oben genannten Tetrarchen Herodes Antipas zu Ehren des Kaisers.
Da das Kreuzesgeschehen in die Regierungszeit des Tiberius fällt, wird Tiberius in literarischen oder belletristischen Werken und Monumentalfilmen mit neutestamentlichen Bezügen wie etwa Ben Hur beiläufig dargestellt.
Literatur
- Manfred Baar: Das Bild des Kaisers Tiberius bei Tacitus, Sueton und Cassius Dio. Teubner, Stuttgart 1990, ISBN 3-519-07456-7 (Beiträge zur Altertumskunde, Bd. 7).
- Glanville Downey: Tiberiana. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 2. Berlin/New York 1975, S. 95–130.
- Claudia Kuntze: Zur Darstellung des Kaisers Tiberius und seiner Zeit bei Velleius Paterculus. Lang, Frankfurt/Main 1985, ISBN 3-8204-7489-7 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Bd. 247).
- Barbara Levick: Tiberius the Politician. Routledge, London 1976.
- Gregorio Marañón: Tiberius : Geschichte eines Ressentiments. München 1952.
- Mehran A. Nickbakht: Tiberius’ Adoption durch Augustus: rei publicae causa? In: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 1 (1998), S. 112–116 (PDF).
- Paul Schrömbges: Tiberius und die Res Publica Romana. Untersuchungen zur Institutionalisierung des frühen römischen Principats. Habelt, Bonn 1986, ISBN 3-7749-2207-1.
- Robin Seager: Tiberius. 2. Aufl. Blackwell, Oxford 2005, ISBN 1405115297.
- Ronald Syme: History or Biography. The Case of Tiberius Caesar. In: Historia 23 (1974), S. 481–496.
- Zwi Yavetz: Tiberius. Der traurige Kaiser. dtv, München 2002, ISBN 3-423-30833-8.
Weblinks
- Garrett G. Fagan: Kurzbiografie (englisch) bei De Imperatoribus Romanis (mit Literaturangaben)
- Tiberius. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL).
- Vorlage:PND
Anmerkungen
- ↑ Velleius 2,108,1.
- ↑ Tac. ann. 2,46,2.
- ↑ Vell. 2,117,1.
- ↑ Suet. Tib. 17,2.
- ↑ Dio 56,24,6.
- ↑ Sueton, Tiberius 18,1.
- ↑ So Ralf Günter Jahn, Der Römisch-Germanische Krieg (9–16 n. Chr.), Dissertation Bonn 2001, S. 195.
- ↑ Velleius 2,120,2.
- ↑ Dio 56,25,2.
- ↑ Siehe Peter S. Wells, Die Schlacht im Teutoburger Wald (2006), S. 205f. Ähnlich auch: Reinhard Wolters, Römische Eroberung und Herrschaftsorganisation, S. 228f.
- ↑ Sueton, Tiberius 11,5.
- ↑ Tac. ann. 1,6.
- ↑ Sueton, Tiberius 22.
- ↑ Tac.ann. 1,31,3.
- ↑ Tac. ann. 1,17; 1,26; 1,31,4.
- ↑ Ralf Günter Jahn, Der Römisch-Germanische Krieg (9–16 n. Chr.), Dissertation Bonn 2001, S.210.
- ↑ Tac. ann. I 11.
- ↑ Dietmar Kienast, Augustus, S. 373f. Zur Grenzproblematik: Karl Christ, Zur augusteischen Germanienpolitik, in: Chiron 7 (1977), 149-205, S. 198ff, vermutet, es sei der Rhein. An den Orient denkt wiederum Dieter Timpe, Der Triumph des Germanicus. Untersuchungen zu den Feldzügen der Jahre 14-16 n. Chr. in Germanien, Bonn 1968.
- ↑ Herausgegeben von Werner Eck, Antonio Caballos, Fernando Fernández: Das Senatus consultum de Cn. Pisone patre. Beck, München 1996 (Vestigia, Bd. 48), ISBN 3-406-41400-1.
- ↑ Tac., Ann. 1,15,1.
- ↑ Ausführlich C. Zäch: Die Majestätsprozesse unter Tiberius in der Darstellung des Tacitus. Diss. Zürich 1971.
- ↑ Grundlegende Studie von Jochen Bleicken: Senatsgericht und Kaisergericht (Abh. d. Akad. d. Wiss. Göttingen, phil.-histor.Kl.3, Nr.53) 1962, der die institutionellen Verflechtungen herausarbeitet und dabei die Rolle des Tiberius noch relativ negativ beurteilt.
- ↑ Vgl. dazu S.H. Rutledge: Imperial Inquisitions. Prosecutors and Informants from Tiberius to Domitian (London, New York 2001); Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, S. 188f.
- ↑ Tac. ann. 4,23-25.
- ↑ Tac. 4,8; 4,10.
- ↑ Suet. Tib. 43–44; Suet. Vit. 3.
- ↑ Vgl. etwa Tac. ann. 6,4.
- ↑ Suet. Tib. 75. Zu Formen politischer Partizipation der stadtrömischen Bürgerschaft siehe J. Sünskes Thompson, Demonstrative Legitimation der Kaiserherrschaft im Epochenvergleich. Stuttgart 1993.
- ↑ Tac. ann. 6,43,3.
- ↑ Tac. ann. 6,46,9
- ↑ Sueton berichtet in Suet. Cal. 12,2, dass Caligula Tiberius mit einem Kissen erstickt habe, während Tacitus angibt, dass Tiberius bei Fieberanfällen die Nahrung entzogen worden sein soll (Tac. ann. 6,50,1).
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Personendaten | |
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NAME | Tiberius |
ALTERNATIVNAMEN | Tiberius Claudius Nero |
KURZBESCHREIBUNG | römischer Kaiser von 14 bis 37 |
GEBURTSDATUM | 16. November 42 v. Chr. |
GEBURTSORT | Rom |
STERBEDATUM | 16. März 37 |
STERBEORT | Misenum |