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Judentum

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(Weitergeleitet von יהדות)
Der Davidstern (hebräisch magen david „Schild Davids“) ist eines der Symbole des Judentums.

Als Judentum (hebräisch יַהֲדוּת jahadut, griechisch ἰουδαϊσμός ioudaismos) oder Judenheit wird die Gesamtheit der Juden als Jüdisches Volk, Jüdische Religion und Jüdische Kultur bezeichnet.

Das jüdische Volk entstand ab ~1200 v. Chr. und entwickelte den JHWH-Monotheismus, aus dem später die weiteren abrahamitischen Religionen Christentum und Islam hervorgingen. Die jüdische Eingottlehre wird auch als ethischer Monotheismus bezeichnet.[1]

Nach dem Verlust des Jerusalemer Tempels (70) entstand in der Spätantike das Rabbinische Judentum. Seit der frühneuzeitlichen Haskala (der jüdischen Aufklärung) bestehen als Hauptströmungen ein Orthodoxes Judentum und ein Konservatives Judentum, seit dem 19. Jahrhundert kam ein Liberales Judentum dazu.

Ihre gemeinsame Grundlage ist die schriftliche Tora[2] („Weisung“), der erste und wichtigste Teil der hebräischen Bibel (Tanach). Die rabbinische Literatur legt die Tora vor allem mit Mischna und Talmud aus.

Begriff

Das deutsche Wort „Judentum“ geht auf das griechische Substantiv Ioudaismos zurück. Es ist abgeleitet vom Wort Ioudaioi für die Personengruppe, das das hebräische Original Jehudi übersetzt. So nannten sich zunächst die Angehörigen des Stammes Juda, dann die des ehemaligen Königreichs Juda. Im Perserreich (ab ~539 v. Chr.) umfasste Jehudi tendenziell alle exilierten Nachfahren der Israeliten und die Bewohner der persischen Provinz Jehud, behielt also seine ethnische und territoriale Bedeutung.[3]

Das Nomen Ioudaismos erschien erstmals in den Makkabäerbüchern (2 Makk 2,21 EU; 8,1 EU; 14,38 EU; 4 Makk 4,26 EU) als Antonym zu Hellenismos. Es drückte die Ablehnung griechischer kultureller Normen seitens der Makkabäer und ihrer Anhänger in Judäa aus.[4] Das zugehörige Verb ioudaizein bezeichnete ein Verhalten, das Judäer dazu bringen sollte, sich von griechischen Praktiken abzuwenden und zu ihren eigenen Praktiken zurückzukehren, nämlich den damals in Judäa gültigen Torageboten und dem Jerusalemer Tempelkult.[5] Der Makkabäeraufstand (ab 168 v. Chr.) richtete sich sowohl gegen die von hellenisierten Judäern übernommenen kulturellen Normen als auch gegen den Versuch des Seleukidenherrschers Antiochus IV., den Judäern den Zeus-Kult aufzuzwingen und das Befolgen wesentlicher Toragebote zu verbieten. Mit der Wortschöpfung Ioudaismos stellten die Makkabäer ihren Glauben an den einzigen Gott JHWH und die Tora jenen Herrschern gegenüber, die damals ihr Volk und dessen Religionsausübung in Judäa bedrohten. In dieser Selbstbezeichnung waren also ethnische, kultische, rechtliche und politische Aspekte untrennbar verbunden.[6]

Der urchristliche Missionar Paulus von Tarsus erinnerte seine Adressaten mit dem Wort Ioudaismos (Gal 1,13f. EU) an seine Treue zu den „väterlichen Überlieferungen“: Gemeint ist die Tora-Auslegung der Pharisäer, in der er ausgebildet worden und für die er vor seiner Berufung zum Völkerapostel Jesu Christi besonders eingetreten war. Die Stelle wurde früher oft als Abkehr des Paulus vom Judentum fehlgedeutet; dagegen sprach er hier präsentisch von „meinem Volk“.[7] In Gal 2,14 EU lehnte Paulus als ioudaizein ab, Heidenchristen zum Einhalten jüdischer Speisegebote zu zwingen. Der Kontext lässt nicht erkennen, dass der kritisierte Simon Petrus dies getan hatte.[8]

Die Ignatiusbriefe (~100) verwenden Ioudaismos erstmals als negativen Gegenbegriff zu Christianismos („Christentum“). Die Gegenüberstellung spiegelte die vollzogene Trennung der Christen vom Judentum. Als christliche Fremdbezeichnung war das Wort „Judaismus“ fortan stets abwertend konnotiert (Antijudaismus).[9] Ab dem 3. Jahrhundert bezeichnete es in christlichen Texten ein von den Realitäten im Raum Israel abstrahiertes, dem Christentum gegenübergestelltes Gesamtkonzept und Glaubenssystem. Das englische Wort „Judaism“ und das deutsche Wort „Judentum“ folgen dieser Konstruktion, die ein einheitliches Religionsmodell unterstellt.[5]

Der neuzeitliche Begriff einer „Religion“ war in der Antike unbekannt. Die als Ioudaismos bezeichnete Lebensweise war nicht auf religiöse Aspekte im heutigen Sinn begrenzt, sondern umfasste alle Verhaltensweisen, die Judäer zu Judäern bzw. Juden zu Juden machten. Darum meinte Shaye J. D. Cohen, das griechische Wort sei auf Englisch eher mit “Judaeaness” oder „Jewishness“ („Jüdischkeit“) zu übersetzen.[10]

Geschichte

Das Judentum entstand ab ~1200 v. Chr. im Bergland Samarien als Stämmebund namens „Israel“ und bildete bis etwa 900 v. Chr. zwei Kleinstaaten mit einer Königsdynastie, das Nordreich Israel mit Samaria und das Südreich Juda mit Jerusalem als Hauptstadt. Nach Israels Eroberung durch das Großreich Assyrien (720 v. Chr.) und Judas durch Babylonien (586 v. Chr.) entfaltete das Judentum im babylonischen Exil seinen exklusiven JHWH-Monotheismus und verankerte diesen mit dem Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels als gemeinsame Religion der Juden in Israel und der Diaspora.

Auf den Hellenismus (seit 332 v. Chr.) reagierten Teile der jüdischen Oberschicht mit Anpassung. In Alexandria entstand ein hellenistisches Judentum. Aus dem Widerstand der Makkabäer entstand der teilautonome Staat Judäa der Hasmonäer (ab 141 v. Chr.). Das Römische Reich machte ihn 63 v. Chr. zum Vasallenstaat und wandelte ihn 6 n. Chr. in eine römische Provinz um. Die Widerstandsbewegung der Zeloten gegen die römische Besatzungsmacht scheiterte mit verheerenden Niederlagen: Der Jüdische Krieg (66–70) endete mit der Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels, der Bar-Kochba-Aufstand (132–136) mit der Vertreibung großer Teile der Juden aus der Region, ihrer Versklavung oder Zerstreuung.

In den Lehrzentren Javne und Tiberias sowie einigen babylonischen Diasporagemeinden entwickelten Pharisäer und Tannaiten aus der in Halacha, Mischna und Talmud verschrifteten Toraauslegung bis etwa 500 das rabbinische Judentum. Bis zum Mittelalter bildeten sich in großen Teilen Europas jüdische Gemeinden, die ab dem Hochmittelalter immer wieder starken Verfolgungswellen unter dem herrschenden Christentum ausgesetzt waren. Durch die erzwungenen Fluchtbewegungen verbreitete sich das Judentum auch im Bereich des Islam, in Nordafrika und Osteuropa.

Unter dem Druck des Antisemitismus, der die in einigen Nationalstaaten begonnene jüdische Emanzipation revidieren und Juden aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgrenzen wollte, entstand im 19. Jahrhundert die jüdische Nationalbewegung des Zionismus. Dieser wurde im Judentum erst durch den Holocaust (1941–1945) an rund sechs von damals 17 Millionen Juden mehrheitsfähig.

1948 gründeten Zionisten im Anschluss an den UN-Teilungsplan für Palästina von 1947 den Staat Israel, der sich seitdem gegen mehrere Angriffskriege arabischer Nachbarstaaten und zahlreiche Terroranschläge verschiedener Gruppen behaupten musste.

Jüdische Religion

Eine Torarolle

Die jüdische religiöse Tradition ist eine monotheistische Religion, deren Gott auch als der Gott Jisraels bezeichnet wird. Dieser Gott wird im orthodoxen Verständnis als Schöpfer des Universums angesehen, der noch aktiv in der Welt handelt (Theismus). Einige wenige jüdische Philosophen des Mittelalters (Gersonides, Abraham ibn Daud), beeinflusst durch die Kabbala und Neu-Aristotelismus, und der Neuzeit, Harold Kushner (insbesondere nach dem Holocaust) tendieren allerdings zu einer eher distanzierten Positionierung dieses Gottes (Deismus), der sich von seiner Schöpfung entfernt habe.

Die jüdische Religion basiert auf den religiösen Überlieferungen der Juden. Diese Überlieferungen teilen sich auf in eine schriftliche Lehre, die in der Tora niedergelegt ist (schriftliche Tora), und eine mündliche Lehre, auch: mündliche Tora, die im Talmud diskutiert wird. Dieser ist historisch gesehen in Mischna und Gemara aufgeteilt. Auf beiden beruht die Halacha, das jüdische Gesetz. Die Halacha beruht aber auch auf rabbinischen Gesetzgebungen und Responsen, die im Laufe der Zeit gefällt wurden. Im Laufe der Jahrhunderte wurden zahlreiche Versuche unternommen, die Halacha zusammenzufassen; eines der bekanntesten Beispiele dafür ist der Schulchan Aruch.

Glaube

Der Begriff Jüdischer Glaube bezieht sich auf die religiösen Traditionen des Judentums in der jüngsten Geschichte, in der biblischen und vorbiblischen Zeit und in der Vielfalt seiner Strömungen. Das diese religiösen Traditionen tragende, bewahrende und lehrende Judentum der Gegenwart wird rabbinisch genannt. Häufig wird im Sinne dieses Begriffs von den jüdischen Glaubensprinzipien gesprochen, die im angelsächsischen Raum Jewish principles of faith genannt werden. Diese sind jedoch im Unterschied zum Christentum nicht allgemeingültig definiert und somit nicht dogmatisch. Der Glaube an die Existenz Gottes ist im Judentum nicht dogmatisch, im Gegensatz zum Beispiel zum islamischen Glaubensbekenntnis, der Schahāda. Das Judentum kennt keinen Katechismus.

Glaubensprinzipien

In der Geschichte des Judentums entstand eine Reihe grundlegender Glaubensprinzipien, deren Einhaltung von Juden mehr oder weniger erwartet wird, um in Einklang mit der jüdischen religiösen Gemeinschaft und ihrem Glauben zu sein, deren genaue Anzahl jedoch nicht feststeht und immer noch diskutiert wird. Die Strenge und der Umfang dieser Forderungen variieren unter den verschiedenen jüdischen Gemeinden. Siehe Strömungen des Judentums, insbesondere Orthodoxes Judentum, Liberales Judentum und Rekonstruktionismus. Rabbiner Josef Albo zählt im Sefer ha-Ikkarim drei Glaubensprinzipien.

Maimonides hat sowohl in halachischen wie in religionsphilosophischen Werken einige Grundprinzipien des jüdischen Glaubens formuliert, darunter der Glaube an Gott als höchste und erste Ursache und Schöpfer von Allem, an Gottes Einheit und Unkörperlichkeit.[11] Diese Kodifikation wurde breit rezipiert. Ähnliche Hervorhebungen treffen andere Autoren der jüdischen Scholastik vor und nach Maimonides.

Es wird darauf verwiesen, dass ein ganzes, gerade gewordenes Volk Zeuge Gottes bei der Schneidung des Bundes am Berg Sinai war (im Christentum: etwa ein Dutzend Apostel, im Islam nur Mohammed, auch bei den Mormonen nur ein Mensch, deren Begründer).

Im Gegensatz zum Christentum und zum Islam hat das Judentum bis auf eine kurze Ausnahme in der antiken Geschichte auf Missionierung Andersgläubiger verzichtet. Das Judentum betrachtet es nicht als eine Sünde oder zum Beispiel als Ausschlusskriterium für die Empfängnis des Heils durch Gott (siehe: Auferstehung), wenn Nicht-Juden und andere Völker ihre abweichenden Religionen bzw. Glaubensvorstellungen pflegen. Das Judentum ist der Ansicht, dass auch Angehörige anderer Religionen Anteil am Leben nach dem Tode haben können, wenn sie ein ethisches Leben geführt haben. Siehe hierzu Noachidische Gebote.

Die Beschneidung an Jungen ist ein elementares Gebot des Judentums und konstitutives Merkmal der jüdischen Identität.[12]

Religiöse Führung

Jüdische Gemeinden werden geistlich und rechtlich von einem Rabbiner geleitet. Sephardische Juden sowie die Karäer bezeichnen ihren geistlichen Leiter auch als Chacham (Weiser). Bei jemenitischen Juden ist der Begriff Mori (mein Lehrer) gebräuchlich. Die Gottesdienste werden im Allgemeinen von einem Kantor (Chasan) oder allgemeiner gesagt von einem Vorbeter geleitet; zu ihrer Durchführung wird ein Quorum bzw. (hebräisch) Minjan, das heißt, die Versammlung von zehn religiös volljährigen jüdischen Personen (in der Orthodoxie nur Männer), benötigt. Die allgemeine, weltliche Leitung einer jüdischen Gemeinde hingegen liegt bei einem von den Gemeindemitgliedern zu wählenden Gemeindevorstand.

Strömungen

In der Gegenwart gibt es verschiedene Strömungen innerhalb des religiösen Judentums. Die Gruppierungen unterscheiden sich nicht in erster Linie, aber auch in Hinblick auf Gottesvorstellungen und Glauben. Es werden orthodoxe und nicht-orthodoxe jüdische Strömungen unterschieden. In einem weiteren Sinn können die nicht-orthodoxen Strömungen auch als progressiv, reformiert oder liberal (wobei hier liberal nicht vom politischen Liberalismus abgeleitet ist) bezeichnet werden. Eine Mittelstellung zwischen Orthodoxie und dem liberalen Judentum nimmt das im 19. Jahrhundert sich formierende konservative Judentum ein.

Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen orthodoxem Judentum und den nicht-orthodoxen Strömungen ist das Verständnis der Offenbarung am Berg Sinai, wobei die Orthodoxie vom buchstäblichen Sinn der von Moses empfangenen Tora als unbedingt gültiger Weisung ausgeht. Das nicht-orthodoxe Judentum versteht diese Offenbarung nicht als absolut, sondern als einen fortdauernden Prozess des Dialoges Gottes mit seinem Volk, in der Zeit und in den Kulturen. Im Kontext dieser historisch-kritischen Auslegung der Offenbarung entstanden alle nicht-orthodoxen Strömungen des Judentums. Da sie alle die Entwicklung betonen, gehören sie zum progressiven Judentum im weitesten Sinne. Im engeren Sinne gehören zum progressiven Judentum alle Gruppen des Reform-Judentums, die sich im Verband Weltunion für progressives Judentum zusammengeschlossen haben.

Alle religiösen jüdischen Strömungen der Gegenwart haben ihren Ausgang in den Impulsen der Geistesgeschichte vor allem Deutschlands und Europas ab Ende des 18. Jahrhunderts. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich der Schwerpunkt der wissenschaftlichen und theologischen Entwicklung des Judentums in die USA verlagert. Aus Deutschland sind die Beiträge zur Entwicklung jüdischen Denkens und Geistesleben nach der Schoah unbedeutend. Langsam entwickelt sich dieses aber zunehmend unter der Zuwanderung jüdischer Menschen aus der ehemaligen UdSSR, aus der Diaspora Osteuropas und Asiens. In Israel identifizieren sich die meiste jüdischen Israelis mit einer von vier Gruppen, den Haredi (ultraorthodoxen), den Religiösen (Orthodoxen, „Dati“), den Masorti (“Traditionellen”) und den Hiloni („Säkularen“).[13]

Wichtigste religiöse Strömungen des Judentums
Strömung Anteil
in Israel in DE
Orthodoxes Judentum 17 %
 
 
 
2,5 %
 
 
 
Liberales Judentum (auch Reformjudentum oder progressives Judentum)
Konservatives Judentum
Rekonstruktionismus < 1 %
Traditionalisten (Masortim) (vor allem in Israel).[14] 25 %
Religiöse Zionisten
Jewish Renewal
Humanistisches Judentum (Jüdischer Säkularismus)

Unter Einfluss einiger Freikirchen entstand in den USA die Gruppe der so genannten messianischen Juden (Eigenbezeichnung) oder modernen Judenchristen, die sich zum Christentum bekennt. Meist sind dies konvertierte Juden evangelikaler Prägung, die an ihrer jüdischen Identität festhalten sowie ein paar jüdische Traditionen pflegen und hauptsächlich in den USA zu finden sind. „Messianisches“ Judentum ist nach dem Verständnis aller anderen Strömungen des Judentums (orthodox, konservativ, liberal, reformiert) im religiösen Sinn kein Judentum, da seine Interpretation der Tradition christlich ist. Hier unterscheiden sich Selbstwahrnehmung und Außenwahrnehmung.

Aktueller Kontext

Das Judentum ist seit Jahrtausenden häufig religiösen, ideologischen und politischen Anfeindungen und dabei Pogromen und Verfolgungen ausgesetzt. Einmalig in der Geschichte ist dagegen die Schoah, der Versuch der planmäßigen und quasi-industriellen Ausrottung der „jüdischen Rasse“ durch das nationalsozialistische Deutschland.

1934 wurden 17 Millionen jüdische Menschen auf der Welt gezählt. Sechs Millionen Menschen, die zuvor von Nationalsozialisten als „Juden“ eingestuft worden waren, fielen dem Holocaust zum Opfer. Dies beschleunigte nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs die Umsetzung der zionistischen Bestrebungen und führte 1948 zur Gründung und internationalen Anerkennung des Staates Israel als jüdische Heimstätte.

Der heutige Staat Israel ist eine säkulare Demokratie nach westlichem Vorbild, seine Innenpolitik ist jedoch in einigen Bereichen weiterhin stark religiös geprägt. So ist eine bürgerliche Heirat in Israel nach wie vor nicht möglich, da das Familienrecht den jeweiligen Religionsgruppen unterstellt ist. Dies kann zum Beispiel bei einer Scheidung zu Problemen für Frauen führen, wenn sich der Ehemann weigert, der Frau den Scheidebrief (Get) zu überreichen. Gegen einen Ehemann, der eine Scheidung dauerhaft grundlos verhindert, kann zwar vom Rabbinatsgericht eine Erzwingungshaft angeordnet werden, doch ohne einen Get bleibt nach traditionellem jüdischen Recht die von ihrem Mann getrennte Frau „gebunden“ und kann nicht erneut heiraten.

Aufgrund der besonderen Geschichte und Tradition des Judentums ist das Verständnis einer jüdischen Identität ausgeprägt, die sich auf ein gemeinsames Schicksal bezieht und nicht notwendigerweise religiös begründet wird. Viele Juden betrachten sich gleichzeitig zum Beispiel als Briten oder US-Amerikaner, bis 1933 auch als patriotische Deutsche, die im Ersten Weltkrieg kämpften.

Aufteilung in ethnische Gruppen

Die Juden als ethnisch-religiöse Gruppe lassen sich in verschiedene ethnische Untergruppen unterteilen, die sich hinsichtlich Kultur, Sprache und Geschichte unterscheiden.

Ethnische Hauptuntergruppen

Kleinere ethnische Untergruppen

Neben den genannten großen Gruppen gibt es verschiedene kleinere Gruppen, die meistens zu den Mizrachim gezählt werden:

Gruppen, deren Stellung umstrittenen ist

Historische Gruppierungen

Fast alle Juden der Neuzeit folgen dem in Mischna und Talmud enthaltenen mündlich überlieferten Gesetz; sie werden als Rabbinisches Judentum bezeichnet. Innerhalb des rabbinischen Judentums gibt es verschiedene Richtungen, wie das Orthodoxe oder das Reformjudentum.

  • Die kleine Gruppe der Karäer stellt eine Abspaltung von der Mehrheit der Juden dar. Sie lehnt die in Mischna und Talmud enthaltenen Lehren ab.
  • Die Samaritaner haben als heilige Schriften eine Version der Tora, die Memar Markah sowie eine eigene Liturgie, Gesetze und Auslegungsschriften. Ein Großteil des Tanach (jüdische Bibel) gilt ihnen nicht als inspiriert. Im Gegensatz zum Judentum hat der Psalter der Samariter 155 Psalmen; Judentum und Christenheit kennen nur 150. Die Autorität von Mischna und Talmud lehnen sie ebenfalls ab. Es gibt nur noch wenige Anhänger der samaritischen Religion.

Kultur

Die jüdische Kultur steht in starker Wechselwirkung zu den Kulturen, in denen die jeweilige jüdische Gemeinschaft ihr kulturelles Leben entfaltet, so dass sie kaum isoliert betrachtet werden kann. Dabei spielt die Religion eine unterschiedlich große Rolle.

Durch die Spaltung des Europäischen Judentums in die Aschkenasim und Sephardim haben sich hier zwei auch durch die Sprache unterschiedene Kulturräume entwickelt.

Sprachen

Hebräisch ist die Sprache der ältesten jüdischen Schriften und war Umgangssprache der Juden in der antiken Periode ihrer Unabhängigkeit. Es wurde als Umgangssprache nach Jahrhunderten vom Aramäischen verdrängt, blieb aber bis in unsere Tage hinein Gottesdienstsprache, zum Teil auch Gelehrtensprache. Das Aramäische ist eine dem Hebräischen sehr ähnliche Sprache, die das schriftliche Hebräisch späterer jüdischer Schriftwerke beeinflusst hat. Einige Passagen in den Schriften des Tanach wurden schon auf Aramäisch verfasst, so wechselt beispielsweise das Buch Daniel vom Hebräischen ins Aramäische. Jesus und seine jüdischen Landsleute sprachen aramäisch. Die Bibel der äthiopischen Juden ist auf Altäthiopisch verfasst.

In der Diaspora nahmen die Juden die Sprachen der Länder an, in denen sie lebten (siehe Jüdische Sprachen). In einigen Fällen haben die jüdischen Gemeinschaften diese Sprachen aufgrund der historischen und kulturellen Umstände teils zu eigenständigen Ethnolekten, teils zu selbständigen Sprachen weiterentwickelt; Beispiele sind:

Im Alltag sprechen Juden heute in ihrer großen Mehrheit die Sprache des Landes, in dem sie leben, in Afrika auch die Sprache der jeweiligen Volkszugehörigkeit.

Das Ivrit, welches heute in Israel gesprochen wird, stellt eine gelungene Wiederbelebung des antiken Hebräisch dar, das um einen modernen Wortschatz erweitert wurde und in der Grammatik einige Anpassungen erfuhr. Es entwickelt sich heute im lebendigen Gebrauch weiter wie andere Sprachen auch.

Literatur

Einführungen

Allgemein

Reformjudentum

Religionen

  • Peter Schäfer: Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums, Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums. Mohr Siebeck, Tübingen 2010, ISBN 3-16-150256-6.
  • Monika, Udo Tworuschka: Religionen der Welt. Grundlagen, Entwicklung und Bedeutung in der Gegenwart. Orbis, München 1996, ISBN 3-572-00805-0.

Geschichte

Biografien

  • Julius Carlebach, Michael Brocke (Hrsg.): Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und grosspolnischen Ländern 1781–1871 (Biographisches Handbuch der Rabbiner 1). Bearbeitet von Carsten Wilke. K.G. Saur, München 2006, ISBN 3-598-24870-9.
  • Julius Carlebach, Michael Brocke (Hrsg.): Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871–1945 (Biographisches Handbuch der Rabbiner 2). Bearbeitet von Katrin Nele Jansen, Jörg H. Fehrs, Valentina Wiedner. K.G. Saur, München 2006, ISBN 3-598-24874-1.[15]
  • Salomon Wininger: Große Jüdische National-Biographie. 1925–1936.

Nachschlagewerke

  • Michael Berenbaum, Fred Skolnik (Hrsg.): Encyclopaedia Judaica (22 Bände). 2. Auflage. Macmillan Reference USA, Detroit 2007, ISBN 978-0-02-865928-2.
  • Johann Maier: Judentum von A bis Z. Glauben, Geschichte, Kultur. Herder, Freiburg im Breisgau 2001, ISBN 3-451-05169-9.
  • Jewish Encyclopedia (seit 1901)
  • Jewish Virtual Library (seit 1998)
  • Andreas B. Kilcher (Hrsg.): Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. Jüdische Autorinnen und Autoren deutscher Sprache von der Aufklärung bis zur Gegenwart. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, ISBN 978-3-476-02457-2.
  • Andreas Kilcher, Otfried Fraisse (Hrsg.): Metzler Lexikon jüdischer Philosophen. Metzler, Stuttgart / Weimar 2003, ISBN 978-3-476-01707-9.
  • Charles Cutter: Judaica Reference Sources: A Selective, Annotated Bibliographic Guide. 3rd Revised and Expanded Edition 2004, Libraries Unlimited, ISBN 1-59158-133-8.

Sonstige Literatur

Zeitschriften

  • Das Internetarchiv compactmemory stellt mehr als 80 jüdische Periodika des 18., 19. und 20. Jahrhunderts zur Verfügung.
  • Jüdische Allgemeine, seit 1946. Die Zeitung steht in der Tradition der 1837 gegründeten Allgemeinen Zeitung des Judenthums.
  • Der Aufbau. (Neue, europäische Ausgabe seit 1999) [1] Hrsg. Jüdische Medien AG, Zürich. Alle älteren Ausgaben sind über die Suchmaschine als Text lesbar.
  • Tachles ist eine jüdische Wochenzeitung in der Schweiz (seit 2001)
  • Jewish Voice from Germany Eine deutsch-jüdische Zeitung in Englisch
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  • Judentum.online. Deutschsprachiges Portal zum Thema Judentum aus jüdisch-orthodoxer Perspektive, mit vielen Rabbinern als Autoren. Tora online lesen, aktuelle Kommentare zum jüdischen Leben, jüdisches Gesetz.

Einzelnachweise

  1. Louis Jacobs: Judaism. In: Michael Berenbaum, Fred Skolnik (Hrsg.): Encyclopaedia Judaica, Band 11, 2. Auflage, Macmillan, Detroit / USA 2007, S. 511–520
  2. Norman Solomon: Torah from Heaven. The Reconstruction of Faith. Littman Library of Jewish Civilization, Oxford 2012, ISBN 978-1-906764-13-5, S. 19–31
  3. Shaye J. D. Cohen: The Beginnings of Jewishness: Boundaries, Varieties, Uncertainties. University of California Press, Berkeley 1999, ISBN 0-520-21141-3, S. 69ff. und 82f.
  4. Dieter Sänger: Ἰουδαϊσμός – ἰουδαΐζειν – ἰουδαϊκῶς: Sprachliche und semantische Überlegungen im Blick auf Gal 1,13 f. und 2,14. In: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft, Band 108, Nr. 1, De Gruyter, Berlin 2017, ISSN 1613-009X, S. 150–185
  5. a b Steve Mason: Jews, Judaeans, Judaizing, Judaism: Problems of Categorization in Ancient History. In: Journal for the study of Judaism in the Persian, Hellenistic and Roman period 38 / Nr. 4–5. Brill, Leiden 2007, S. 457–512, hier besonders S. 511
  6. Gershom Scholem: Judaismus. In: Arthur A. Cohen, Gershom Scholem (Hrsg.): Contemporary Jewish Religious Thought: Original Essays on Critical Concepts, Movements, and Beliefs. Scribner, New York 1987, S. 505–508
  7. Axel Wiemer: Der Galaterbrief im Religionsunterricht: Die Theologie des Paulus in ihrer Zeit und im Dialog mit Jugendlichen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, ISBN 978-3-7887-3148-9, S. 38 und Fn. 104
  8. Axel Wiemer: Der Galaterbrief im Religionsunterricht, Göttingen 2017, S. 52 und Fn. 147
  9. Klaus Wengst: Wie das Christentum entstand. Eine Geschichte mit Brüchen im 1. und 2. Jahrhundert. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2021, ISBN 978-3-579-07176-3, S. 327–331, hier S. 329
  10. Shaye J. D. Cohen: The Beginnings of Jewishness: Boundaries, Varieties, Uncertainties. University of California Press, Berkeley 1999, ISBN 0-520-21141-3, S. 105
  11. Vgl. zum Beispiel die ersten der 13 Iqqarim, Mischnakommentar zu Sanhedrin, X; den Anfang des Sefer ha-Mitzvoth; Mishneh Torah, 1. Buch Sefer ham-Madda.
  12. Erklärung von Dr. Dieter Graumann zur Strafanzeige gegen einen Mohel. Zentralrat der Juden in Deutschland, 22. August 2012, abgerufen am 6. Januar 2020.
  13. Travis Mitchell: Israel’s Religiously Divided Society. In: Pew Research Center's Religion & Public Life Project. 8. März 2016, abgerufen am 4. Februar 2023 (amerikanisches Englisch).
  14. Charles Liebman, Yaacov Yadgar: Beyond the Religious-Secular Dichotomy: Masortim in Israel. In: Religion or Ethnicity? Jewish Identities in Evolution. Zvi Gitelman, abgerufen am 4. Februar 2023.
  15. Vgl. Nathanael Riemer: M. Brocke u. a. (Hrsg.): Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871–1945. In: H-Soz-Kult. 17. März 2010, abgerufen am 6. Januar 2020. Rezension zu Michael Brocke, Julius Carlebach (Hrsg.): Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871–1945 (= Biographisches Handbuch der Rabbiner. Band 2). Saur, München 2009, ISBN 978-3-598-24874-0.
  16. Christiane Goldenstedt: Rezension: Dorothea Bohnekamp, Penser les identiés juives dans l’espace germanique. In: Francia-recensio. Deutsches Historisches Institut in Paris, 2016, abgerufen am 21. September 2022.