Friedrich Nietzsche
Friedrich Wilhelm Nietzsche (* 15. Oktober 1844 in Röcken bei Lützen; † 25. August 1900 in Weimar) war ein einflussreicher deutscher Philosoph und klassischer Philologe.

Leben
Jugend (1844–1869)
Friedrich Nietzsche kam am 15. Oktober 1844 als Sohn des lutherischen Pfarrers Carl Ludwig Nietzsche (1813–1849) und Franziska Nietzsche, geb. Oehler (1826–1897), im sächsischen Röcken zur Welt. Den Namen gab ihm der Vater zur Ehrbezeugung gegen den preußischen König Friedrich Wilhelm IV., der am selben Tag Geburtstag hatte. Die Schwester Elisabeth wurde 1846 geboren. Nachdem der Vater 1849 und der jüngere Bruder Ludwig Joseph nicht einmal zweijährig 1850 gestorben war, zog die Familie nach Naumburg an der Saale. Von 1858 bis 1864 war Nietzsche Gymnasiast in Schulpforta, wo seine besondere Begabung im musischen und sprachlichen Bereich auffiel. Hier lernte er als bleibende Freunde Paul Deussen und Carl von Gersdorff kennen.
1864 begann er ein Studium der Theologie und der klassischen Philologie in Bonn. Das Theologiestudium brach er bereits nach einem Semester ab; stattdessen begeisterte er sich für die Philologie bei Friedrich Ritschl, dem er 1865 nach Leipzig folgte. Ein Studienfreund war Erwin Rohde.
In Basel (1869–1879)
Auf Ritschls Betreiben wurde er noch vor seiner Promotion und Habilitation zum außerordentlichen Professor für klassische Philologie an die Universität Basel berufen, wo er ab 1869 lehrte. Dort begann auch die bis in die Umnachtung andauernde Freundschaft zu seinem Kollegen Franz Overbeck, einem atheistischen Theologieprofessor. Ein weiterer von Nietzsche sehr geschätzter Kollege in Basel war Jacob Burckhardt.
Bereits im Jahre 1868 hatte Nietzsche in Leipzig Richard Wagner sowie dessen spätere Frau Cosima kennen gelernt. Seit Beginn seiner Zeit in Basel war er häufig Gast im Haus des „Meisters“ in Tribschen bei Luzern. Im Umkreis Wagners lernte er auch Malwida von Meysenbug und Hans Guido von Bülow kennen.
1872 veröffentlichte er sein erstes größeres Werk: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Das Werk, das genaue philologische Methode durch philosophische Spekulation über den Ursprung der Tragödie ersetzte, wurde von seinen altphilologischen Kollegen - auch Ritschl - zumeist nicht verstanden, abgelehnt und totgeschwiegen. In der Philologie zunehmend isoliert, wandte er sich nun verstärkt der Philosophie zu. Auch seine vier Unzeitgemäßen Betrachtungen (1873–1876) fanden nicht die Resonanz, die er sich erhofft hatte. Inzwischen hatte er Paul Rée kennen gelernt, dessen Einfluss Nietzsche vom Kulturpessimismus seiner ersten Schriften abbrachte. Auch die Beziehung zu Wagner schlug von begeisterter Anhängerschaft ab 1876 in tiefe Ablehnung und schließlich Gegnerschaft um.
Seit der Kindheit auftretende Krankheiten und Schmerzen nahmen zu, immer wieder musste er sich von seiner Lehrtätigkeit beurlauben lassen. Anfälle mit heftigen Kopf- und Augenschmerzen und ständigem Erbrechen zwangen ihn 1879, um frühzeitige Pensionierung zu ersuchen, die ihm gewährt wurde.
Freier Philosoph (1879–1888)
Getrieben von seinen Krankheiten reiste er nun viel und lebte bis 1889 als freier Autor an verschiedenen Orten, im Sommer meist in Sils-Maria, im Winter vorwiegend in Italien (Genua, Rapallo, Turin) und auch in Nizza. In dieser Zeit entstanden seine wichtigsten Werke. Sein früherer Schüler Peter Gast wurde dabei zu einer Art Privatsekretär; er sollte später allerdings eine zwielichtige Rolle in der Verfälschung des Nachlasses (siehe Wirkung) spielen. 1882 lernte Nietzsche nach Vermittlung von Malwida von Meysenbug und Paul Rée in Rom die junge Lou von Salomé kennen. Im Sommer 1882 philosophierten die beiden gemeinsam in langen Gesprächen. Nietzsche sah sie allerdings bei aller Wertschätzung weniger als gleichwertige Partnerin denn als begabte Schülerin an. Er verliebte sich in sie und bat den gemeinsamen Freund Rée, bei ihr um ihre Hand anzuhalten, was Salomé aber ablehnte. Unter anderem aufgrund von Intrigen seiner Schwester Elisabeth zerbrach die Beziehung zu Rée und Salomé im Winter 1882/1883; Nietzsche flüchtete nach Rapallo, wo er in nur zehn Tagen den ersten Teil von Also sprach Zarathustra verfasste. Weitere Bekanntschaften Nietzsches in den 1880er Jahren waren Meta von Salis und Carl Spitteler.
Erst ab 1886 wuchs seine Bekanntheit langsam. Er wechselte Briefe mit Hippolyte Taine, dann auch mit August Strindberg und Georg Brandes, der Anfang 1888 in Kopenhagen die ersten Vorträge über Nietzsches Philosophie hielt.
Im selben Jahr schrieb Nietzsche fünf Bücher. Ab Herbst 1888 trugen seine Schriften und Briefe zunehmend Anzeichen von Größenwahn. Im Januar 1889 erlitt er in Turin einen geistigen Zusammenbruch. Als Ursache wurde progressive Paralyse als Folge von Syphilis vermutet; diese Diagnose bleibt allerdings zweifelhaft und ist bis heute umstritten.
In geistiger Umnachtung (1889–1900)
Die letzten elf Jahre seines Lebens verbrachte Nietzsche in geistiger Umnachtung zunächst in einer Irrenanstalt in Jena, dann bei seiner Mutter in Naumburg. Ein Heilungsversuch des Julius Langbehn, der Kontakt zur Mutter aufnahm, scheiterte. Die Schwester Elisabeth kehrte 1893 aus Paraguay zurück und übernahm nach und nach sämtliche Kontrolle über Nietzsche und die Herausgabe seiner Werke.
Nach dem Tod der Mutter 1897 lebte Nietzsche in der Villa Silberblick in Weimar, wo er von seiner Schwester gepflegt und wie ein Schaustück ausgestellt wurde. Er überstand mehrere Schlaganfälle, bevor er am 25. August 1900 an den Folgen einer Lungenentzündung starb.
Im Pfarrhaus seines Geburtsorts Röcken befindet sich heute eine Nietzsche-Gedenkstätte. Ebenfalls zu besichtigen sind die Gräber der Familie.
Nietzsches Denken
Nietzsche begann als Philologe, begriff sich selbst aber zunehmend als Philosoph oder, besser gesagt, als freier Denker. Viele seiner Werke enthalten auch psychologische Thesen.
Nietzsches Denken und Werk wird oft grob in folgende Zeiträume eingeteilt:
- Die Wagnerianisch-Schopenhauerische Zeit (1872–1876), die vor allem im Zeichen dieser beiden Männer steht und romantizistische Einflüsse zeigt. Sie umfaßt die Werke:
- Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik
- Unzeitgemäße Betrachtungen (I–IV).
- Die Zeit (1876–1882), die oft missverständlich „positivistisch“ genannt wird. Sie beginnt mit dem Bruch mit Wagner und ist stark wissenschaftlich-kritisch geprägt. Sie umfasst:
- Menschliches, Allzumenschliches (mit zwei Fortsetzungen)
- Morgenröte
- Die fröhliche Wissenschaft.
- Das Hauptwerk Also Sprach Zarathustra (1883–1885), in dem die wichtigsten Lehren in symbolisch-dichterischer und fast schon sprichwörtlich wuchtiger Sprache formuliert werden.
- Die späten Werke (1886–1888), in denen die bisherigen Lehren weiter ausgeführt und zunehmend in polemische Schärfe gebracht werden. Hierzu zählen:
- Jenseits von Gut und Böse
- Zur Genealogie der Moral
- Der Fall Wagner
- Götzen-Dämmerung
- Der Antichrist.
Zu beachten ist, dass diese Aufteilung nur grob ist und es Überschneidungen und Brüche gibt; so fügte Nietzsche etwa den Zweitauflagen der Geburt der Tragödie und der Fröhlichen Wissenschaft von 1887 ein kritisches Vorwort bzw. ein fünftes Buch hinzu. Interessant ist auch die zu Lebzeiten unveröffentlichte Schrift Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne von 1872, in der Nietzsche viele seiner späteren Gedanken vorwegnimmt.

Nietzsches Denken ist vielfach verschieden interpretiert worden, und es ist kaum möglich, es umfassend wiederzugeben, weswegen auch anerkannte Interpreten vor allem zur eigenen Lektüre raten.
Die folgenden Schlaglichter sollen kurz die wichtigsten Gebiete des Denken Nietzsches illustrieren:
- Moral
- Eines der wichtigsten Objekte von Nietzsches Kritik spätestens seit Menschliches, Allzumenschliches (1877–1879) war die Moral überhaupt und die christliche Moral im besonderen. Nietzsche warf der bisherigen Philosophie und Wissenschaft vor, herrschende Moralvorstellungen unkritisch übernommen zu haben; wahrhaftig freies und aufgeklärtes Denken habe sich dagegen, wie der Titel eines Buchs sagt, Jenseits von Gut und Böse (1886) zu stellen. Er selbst führte diese Kritik exzessiv aus und legte dabei ein besonderes Augenmerk auf die Herkunft und Entstehung moralischer Denkweisen, etwa in Zur Geneaologie der Moral (1887). Wichtige Begriffe seiner Moralkritik sind:
- Herren- und Sklavenmoral: Herrenmoral ist die Haltung der Herrschenden, die zu sich selbst und ihrem Leben Ja sagen können, während sie die anderen als „schlecht“ (schlicht) abschätzen, allerdings ohne Hass. Sklavenmoral ist die Haltung der „Elenden, Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen, Leidenden, Entbehrenden, Kranken, Hässlichen“ (Genealogie I Kapitel 7), die sich für „gut“ halten, weil sie das Gegenüber – nämlich genau die Herrschenden, Glücklichen, Ja-Sagenden – als „böse“ bewerten. Die christliche Moral ist für Nietzsche das Paradebeispiel für eine Sklavenmoral.
- Ressentiment: Dies ist das Grundempfinden der Sklavenmoral. Aus verborgenem Hass (letztlich auf die Realität und das Leben selbst) schaffen sich die „Missratenen“ eine imaginäre Welt (zum Beispiel das christliche Jenseits), in der sie selbst die Herrschenden sind und ihren Hass auf die „Vornehmen“ ausleben können.
- Mitleid und Mitfreude: Schopenhauer hatte das Mitleid ins Zentrum seiner Ethik gestellt, weil es das beste Mittel zur (vom Pessimisten Schopenhauer gewünschten) Verneinung des Lebens sei. Nietzsche übernimmt diese These, dreht sie aber nach seinem Bruch mit der Schopenhauerschen Philosophie um: Weil nach Nietzsche das Leben zu bejahen ist, ist das Mitleid als Mittel zur Verneinung gefährlich. Es vermehre nämlich das Leiden in der Welt und stehe dem schöpferischen Willen, der immer auch vernichten muss, entgegen. Mitfreude oder generell Lebensbejahung (amor fati) sei der höhere und wichtigere Wert.
- Gott ist tot
- Mit diesem Schlagwort meint Nietzsche, wie er selbst sagt, dass „der christliche Gott unglaubwürdig geworden ist“. Die Menschen würden bald einsehen müssen, dass niemand mehr da ist, zu dessen Werten man aufschauen könnte und müsste. Man ist für die Werte, die man vertritt, selbst verantwortlich. Dies wird oft als Prophezeiung der Heraufkunft des Nihilismus gesehen: durch die Kritik der bestehenden Moral, wie Nietzsche selbst sie betreibt, wird die Moral als hohl und unglaubwürdig erwiesen und bricht schließlich zusammen. Das Paradoxe ist, dass die wissenschaftlichen Methoden, mit denen die herrschende Moral zu Fall gebracht wird, ursprünglich selbst aus dieser Moral entstammen. Nietzsche nennt das in der Vorrede der Morgenröte (1881) die „Selbstaufhebung der Moral“.
In Also sprach Zarathustra beschreibt Nietzsche den Tod Gottes wie folgt: „Gott ist tot; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.“ (aus: Also sprach Zarathustra, Zweiter Teil, Von den Mitleidigen) - Ewige Wiederkehr
- Nietzsches zuerst in Die fröhliche Wissenschaft (1882) auftretender „tiefster Gedanke“ und das „größte Schwergewicht“ ist die Vorstellung, dass alles Geschehende schon unendlich oft geschehen ist und unendlich oft wiederkehren wird. Mit diesem Gedanken grenzt Nietzsche sich von der Vorstellung, dass Geschichte auf einen Endzustand zuläuft, und den großen Weltreligionen, insbesondere dem Christentum, Judentum, Islam und der Ideologie des Marxismus, ab.
In den veröffentlichten Werken scheint dieser Gedanke recht unklar zu sein; in seinen nachgelassenen Aufzeichnungen versuchte Nietzsche diese von ihm selbst intuitiv gewonnene Vorstellung tatsächlich physikalisch zu beweisen, was ihm, wie allgemein angenommen wird, nicht gelang. Für die heutige Rezeption und eventuell auch für Nietzsche selbst stehen aber die Folgen dieses Gedankens im Vordergrund: Nämlich die Forderung, das Leben zu lieben und zu bejahen, es so zu leben, dass man jeden Augenblick noch unendlich oft durchleben will. „Doch alle Lust will Ewigkeit – will tiefe, tiefe Ewigkeit“ lautet dementsprechend ein zentraler Satz im Zarathustra. - Übermensch
- Nietzsche lehnt das Verständnis des Menschen als „Krone der Schöpfung“ und damit das humanistische Ideal, das den Menschen über das Tierreich erhebt, ab. Auch an einen Fortschritt in der Geschichte der Menschheit – oder in der Welt überhaupt – glaubt er nicht. Für Nietzsche ist folglich das Ziel der Menschheit nicht an ihrem (zeitlichen) Ende zu finden, sondern in ihren immer wieder auftretenden höchsten Individuen, den Übermenschen. Die Gattung Mensch sieht Nietzsche als einen Versuch; er fordert „Schaffende“, die „hart“ und mitleidlos mit anderen und sich selbst sind, um aus der Menschheit und sich selbst noch ein wertvolles Kunstwerk zu schaffen.
Neben seinen philosophischen Betrachtungen veröffentlichte Nietzsche auch immer wieder Gedichte, in denen seine philosophischen Gedanken bald heiter, bald dunkel und schwermütig ausgedrückt werden.
Einflüsse
Nietzsche war, vor allem in den frühen Schriften, stark von Arthur Schopenhauer und dessen Konzept vom „Willen“ beeinflusst. Eine andere wesentliche Inspiration war die Musik Wagners. Die Schriften Richard Wagner in Bayreuth (4. Unzeitgemäße Betrachtung) und vor allem die Geburt der Tragödie (letztere ohne Wagner explizit zu erwähnen) feiern dessen Musikdrama als Überwindung des Nihilismus ebenso wie eines platten Rationalismus. Diese Verehrung schlug spätestens 1879 nach Wagners Hinwendung zum Christentum (in Parsifal) in erbitterte Gegnerschaft um; Wagners Musik wurde zum „Nervengift“ erklärt, er selbst als „Schauspieler“ verspottet. Einige Nietzsche-Forscher vermuten einen großen Einfluss von Max Stirners Werk Der Einzige und sein Eigentum auf Nietzsche. Weitere von Nietzsche rezipierte Quellen sind die französischen Moralisten wie La Rochefoucauld und Montaigne, Macchiavellis Werk Der Fürst sowie die griechischen Philosophen und Schriftsteller, etwa Heraklit und Thukydides. Auch Tolstoi und Dostojewski machten großen Eindruck auf ihn. Durch seine Herkunft aus einem Pfarrhaus und sein Studium war Nietzsche zudem mit theologischen Konzepten und philologischen Methoden vertraut. Schließlich lässt sich sein umfassendes Interesse an Wissenschaften von der Physik bis zur Nationalökonomie belegen.
Wirkung
Frühe Rezeption
Erst nach Beginn seiner geistigen Umnachtung begannen sich Nietzsches Zeitgenossen für den bis dahin praktisch unbekannten Denker zu interessieren. Als erster Entdecker Nietzsches gilt Georg Brandes, der im Frühjahr 1888 an der Universität Kopenhagen eine Vortragsreihe über ihn hielt und noch bis zu Nietzsches Zusammenbruch in brieflichem Kontakt mit ihm blieb.
Die nach dem geistigen Zusammenbruch Nietzsches rasch anwachsende Rezeption wurde bald durch Elisabeth Förster-Nietzsche und das von ihr 1894 in Naumburg gegründete (ab 1897 in Weimar befindliche) Nietzsche-Archiv bestimmt. Sie verfügte über die Gesamtausgabe, schrieb eine „offizielle“ Biographie mit Deutung des Werks und gab das angebliche „Hauptwerk“ Der Wille zur Macht (siehe unten) sowie Briefwechsel heraus. Insbesondere in letzteren konnten später Fälschungen, Auslassungen und Hinzufügungen nachgewiesen werden.
Im Umkreis dieser ersten Nietzsche-Rezeption sind etwa Harry Graf Kessler, Rudolf Steiner und Julius Langbehn zu finden. Sie und Elisabeth lasen aus Nietzsches Werk vor allem einen kulturpessimistischen Ansatz. Das Werk erhielt auch eine deutschnationale, teilweise antisemitische Stoßrichtung, so dass im Ersten Weltkrieg Soldaten vom deutschen Staat mit einer Zarathustra-Ausgabe ins Feld geschickt wurden.
Ausnahmen aus dieser Richtung waren ein 1894 erschienenes Buch von Lou Andreas-Salomé, das vom „Archiv“ heftig attackiert wurde, sowie kürzere Darstellungen Franz Overbecks, den Elisabeth ebenfalls öffentlich anfeindete.
Vielfältige Wirkung
Dennoch war schon die erste Nietzsche-Rezeption vielfältig. Von der poetischen Sprache in Also sprach Zarathustra waren von Anfang an Künstler beeindruckt. Bewunderer Nietzsches waren Hans Olde und Henry van de Velde; in der Literatur übte er einen großen Einfluss u.a. auf Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, Heinrich Mann, Thomas Mann, Hermann Hesse, Gottfried Benn und Gabriele D'Annunzio aus. Insbesondere galt Nietzsche als Wegbereiter der Expressionisten.
Darüber hinaus wirkten Teile der Philosophie Nietzsches auf viele Geistes- und Sozialwissenschaftler, so z. B. in der Philosophie auf Martin Heidegger, Karl Jaspers, Karl Löwith und Theodor Lessing, in der Soziologie auf Ferdinand Tönnies und Max Weber, in der Tiefenpsychologie (Psychoanalyse) auf Sigmund Freud und Carl Gustav Jung.
Nationalsozialismus
vergleiche hierzu: Vordenker des Nationalsozialismus - Sonderfall Nietzsche
Der deutsche Nationalsozialismus und der italienische Faschismus bezogen sich selektiv auf Bruchstücke aus Nietzsches Gedankengut. Besonders Benito Mussolini war von Nietzsches Werk begeistert und wurde in seiner Lesart aus dem Nietzsche-Archiv bestärkt. Die Rezeption im Nationalsozialismus ist in erster Linie auf Nietzsches Schwester zurückzuführen, die zusammen mit von ihr beauftragten Mitarbeitern den Nachlass verfälschte. Auch Peter Gast – der als einziger Nietzsches Handschrift entziffern konnte – ließ sich zumindest längere Zeit dafür missbrauchen, während Franz Overbeck jede Zusammenarbeit mit dem neugegründeten „Nietzsche-Archiv“ ablehnte. Insbesondere wurde aus teilweise gefälschten, zerstückelten und willkürlich zusammengesetzten nachgelassenen Fragmenten ein angeblich nachgelassenes Hauptwerk Der Wille zur Macht kompiliert, welches später auch in der Propaganda des Nationalsozialismus eine Rolle spielte. Elisabeth Förster-Nietzsche, die mit dem von Nietzsche verachteten Antisemiten Bernhard Förster verheiratet war, versuchte damit, seine Philosophie im deutschnationalen und antisemitischen Sinn umzudeuten. Ihre Willkür im Umgang mit seinen Nachlassfragmenten war schon vor Hitlers Machtergreifung von Zeitgenossen (etwa Kurt Tucholsky), dann auch wissenschaftlich (etwa von Erich Podach) kritisiert worden.
Allerdings lassen sich in Nietzsches Denken neben gefährlich mehrdeutigen Schlagwörtern („Übermensch“, „Wille zur Macht“, „Herrenmoral“, „blonde Bestie“) durchaus Anknüpfungspunkte zu nationalsozialistischen Ideen finden. Nietzsche war entschieden antidemokratisch, anti-egalitär und hielt wenig von weiblicher Emanzipation. In der Genealogie der Moral finden sich Gedanken zum Judentum, die durchaus in Einklang mit Vorstellungen des modernen Antisemitismus zu bringen sind. Er glorifizierte Stärke und Krieg. Dass diese von ihm allerdings auch geistig-metaphorisch gemeint waren, wurde im Dritten Reich unterschlagen. Vor allem in Nietzsches späteren Werken ist auch eine radikale Ablehnung von Nationalismus und Antisemitismus erkennbar; letzteres war einer der Gründe für seinen Bruch mit Wagner. Er selbst gab seine preußische Staatsbürgerschaft am 7. März 1869 ab und war fortan staatenlos, Nationalismus kann Nietzsche also kaum vorgeworfen werden. Nietzsche glaubte nicht an Unterschiede zwischen den Völkern, sondern an unterschiedlich wertvolle Individuen innerhalb jedes Volkes
Nach 1945
Nach 1945 galt Nietzsche wegen seiner Verwendung im Nationalsozialismus als Nazi-Philosoph. Dazu trug auch ein zweibändiges Werk Martin Heideggers bei, der selbst wegen seines Engagements für den NS-Staat belastet war. In den Staaten des Ostblocks wurde Nietzsche überhaupt nicht rezipiert.
Um 1950 wurde im Rahmen einer neuen Ausgabe von Karl Schlechta zum ersten Mal die verfälschende Tätigkeit des Nietzsche-Archivs einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Schlechta war der erste, der das Werk und den Nachlass nach anerkannten literaturwissenschaftlichen Methoden herausgab.
In den 1960ern wuchs mit dem Existenzialismus besonders in Frankreich und Italien das Interesse. Georges Bataille und Albert Camus zogen nun offen wichtige Anregungen aus Nietzsches Denken. Im englischen Sprachraum popularisierte Walter Kaufmann Nietzsches Denken; in Deutschland wurde er weiterhin zurückhaltend aufgenommen.
Der italienische Philosoph Giorgio Colli und sein Schüler, der Germanist Mazzino Montinari, entschlossen sich nach Durchsicht sämtlicher Materialien 1962, statt einer geplanten italienischen Übersetzung eine vollständig neue, Kritische Gesamtausgabe (KGW) herauszugeben. Seit 1967 erscheint diese auch auf Deutsch. In den 1970er wurden zudem die jährlich erscheinenden Nietzsche-Studien gegründet. Der Basler Professor Curt Paul Janz gab 1975 zum ersten Mal den musikalischen Nachlass heraus und veröffentlichte 1979 eine dreibändige Biographie, die viele Materialien zum Leben Nietzsches zum ersten Mal publizierte. Colli, Montinari und ihre Nachfolger begannen zudem mit der kritischen Ausgabe der Briefe (KGB).
In die 1970er fällt auch eine Welle der Nietzsche-Interpretationen in der neueren französischen Philosophie. Nietzsche diente dem Post-Strukturalismus und der Dekonstruktion als Inspirationsquelle. Intellektuelle wie sowie Michel Foucault, Gilles Deleuze, Jacques Derrida und Felix Guattari nahmen sein Werk auf und interpretierten es neu.
Seit 1980
Mit dem Erscheinen der 15-bändigen Kritische Studienausgabe (KSA) im Jahr 1980, die textidentisch mit der KGW sämtliche philosophischen Werke und Nachlass ab 1869 umfasst, liegt zum ersten Mal eine vollständige unverfälschte Ausgabe Nietzsches vor. Die KSA gilt heute als Standardausgabe; Jugendschriften, Philologica und ein erweiterter Apparat sind in der KGW zu finden. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten gibt es auch digitalisierte Ausgaben von Werk, Briefen und Nachlass (vergleiche auch Weblinks).
Die seither erfolgte Nietzsche-Forschung versucht durch eine genaue Texterschließung zu einer nüchternen Rezeption Nietzsches zu kommen. Die früheren, oft sehr unterschiedlichen und widersprüchlichen Nietzsche-Interpretationen bei den genannten Personen werden als zweifelhaft abgelehnt. Besondere Beachtung findet seitdem Nietzsches Vorwegnahme von sprach- und philosophiekritischen Ansätzen des 20. Jahrhunderts, seine Kritik am Wahrheitsbegriff und sein Perspektivismus. In allerjüngster Zeit ist auch seine Christentums- und Religionskritk wieder stärker herausgestellt worden, auch eine vorsichtige Rezeption von Nietzsches Moralkritik (Immoralismus) findet statt.
Nietzsche wird auch immer wieder als Vorläufer der Postmoderne genannt. Damit einhergehend finden sich teilweise entstellte und verkürzte Aspekte aus Nietzsches Werk in der populären Kultur; wie vielen Denkern werden ihm zudem Zitate zugeschrieben, die nicht von ihm stammen. Aus der Nietzsche-Forschung gibt es Kritik an dieser „Verharmlosung“ Nietzsches.
Zitate
- Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? (Die fröhliche Wissenschaft, Aph. 125)
- [M]an muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. (Also sprach Zarathustra, Zarathustra's Vorrede)
- Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde. (Also sprach Zarathustra, Zarathustra's Vorrede)
- Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht! (Also sprach Zarathustra, Erster Teil)
- Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein. (Jenseits von Gut und Böse, Aphorismus 146)
- [M]ein Ehrgeiz ist, in zehn Sätzen zu sagen, was jeder andre in einem Buche sagt – was jeder andre in einem Buche nicht sagt... (Götzen-Dämmerung, Streifzüge eines Unzeitgemässen, Aph. 51)
- Jedes Wort ist ein Vorurteil. (Der Wanderer und sein Schatten, Aph. 55)
Von Nietzsche stammt auch ein gut zur Wikipedia passendes Zitat:
- Besser schreiben aber heißt zugleich auch besser denken; immer Mitteilenswerteres erfinden und es wirklich mitteilen können; übersetzbar werden für die Sprachen der Nachbarn; zugänglich sich dem Verständnisse jener Ausländer machen, welche unsere Sprache lernen; dahin wirken, dass alles Gute Gemeingut werde und den Freien alles frei stehe (Der Wanderer und sein Schatten, Aph. 87)
Werke
Eingeklammerte Jahreszahlen geben das Jahr der Entstehung, mit Kommata abgetrennte das Jahr der Erstveröffentlichung an.
Philologisches
- Zur Geschichte der Theognideischen Spruchsammlung, 1867
- De Laertii Diogenis fontibus, 1868/69
- Analecta Laertiana, 1870
- Das florentinische Tractat über Homer und Hesiod, 1870
Philosophisches und Autobiographisches
- Fatum und Geschichte (1862)
- Willensfreiheit und Fatum (1862)
- Mein Leben (1864)
- Homer und die klassische Philologie, 1869
- Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern, 1872:
- Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, 1872 KSA 1
- Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn
- Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen
- Unzeitgemässe Betrachtungen, 1876 KSA 1
- Menschliches, Allzumenschliches - Ein Buch für freie Geister (mit zwei Fortsetzungen), 1878–1880 KSA 2
- Morgenröte - Gedanken über die moralischen Vorurteile, 1881 KSA 3
- Die fröhliche Wissenschaft ("la gaya scienza"), 1882 KSA 3
- Also sprach Zarathustra - Ein Buch für Alle und Keinen, 1883-1885 KSA 4
- Jenseits von Gut und Böse - Vorspiel einer Philosophie der Zukunft, 1886 KSA 5
- Zur Genealogie der Moral - Eine Streitschrift, 1887 KSA 5
- Der Fall Wagner - Ein Musikanten-Problem, 1888 KSA 6
- Dionysos-Dithyramben, 1889
- Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert, 1889 KSA 6
- Der Antichrist - Fluch auf das Christentum, 1895 KSA 6
- Nietzsche contra Wagner, 1895 KSA 6
- Ecce Homo - Wie man wird, was man ist, 1908 KSA 6 (Versuch einer Autobiografie; der Titel spielt auf Pontius Pilatus' Äußerung beim Zusammentreffen mit Jesus von Nazareth an)
- Der Wille zur Macht – Versuch einer Umwertung aller Werte, 1901/1906/1911 (eine von Elisabeth Förster-Nietzsche erstellte, selektive Ansammlung von Notizen aus verschiedenen Notizbüchern, die von Nietzsche selbst nicht zur Veröffentlichung vorgesehen waren); vgl. Nachlassbände der KSA: 7 (1869–1874), 8 (1875–1879), 9 (1880–1882), 10 (1882–1884), 11 (1884–1885), 12 (1885–1887), 13 (1887–1889)
Ausgaben
- Werke. Kritische Gesamtausgabe Sigle: KGW, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin und New York 1967ff.
- Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden Sigle: KSA, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München und New York 1980. ISBN 3-423-59044-0
- Briefe. Kritische Gesamtausgabe Sigle: KGB, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin und New York 1975ff.
- Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe Sigle: KSB, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München und New York 1986. ISBN 3-423-59063-7
- Die Geburt der Tragödie. Schriften zu Literatur und Philosophie der Griechen. Herausgegeben von Manfred Landfester. Frankfurt/Main: Insel 1994 (Umfassend kommentierte Einzelausgabe)
Literatur
- Carbone, Mirella und Joachim Jung (Hg.). (2000). Friedrich Nietzsche. Langsame Curen. Ansichten zur Kunst der Gesundheit. Freiburg - Basel - Wien. ISBN 3-451-04849-3
- Danto, Arthur C. (1998). Nietzsche als Philosoph. München: Fink. ISBN 3-770-53230-9
- Benders, Raymond J. und Oettermann, Stephan. Friedrich Nietzsche: Chronik in Bildern und Texten. München: dtv.. ISBN 3-423-30771-4
- Deleuze, Gilles (1976). Nietzsche und die Philosophie. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt/eva. ISBN 3-434-46183-3
- Flake, Otto (1946). Nietzsche: Rückblick auf eine Philosophie. Baden-Baden: Keppler.
- Frenzel, Ivo (1966). Friedrich Nietzsche mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten . Hamburg.
- Huchzermeyer, Wilfried: Der Übermensch – bei Friedrich Nietzsche und Sri Aurobindo. Hinder und Deelmann, ISBN 3-87348-123-5
- Janz, Curt Paul (1981). Friedrich Nietzsche (3 Bde.). München.
- Kaufmann, Walter (1982). Nietzsche: Philosoph – Psychologe – Antichrist. Darmstadt.
- Nehamas, Alexander (1996). Nietzsche: Leben als Literatur. Göttingen: Steidl.
- Ottmann, Henning (Hg.). (2000). Nietzsche-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar. ISBN 3-476-01330-8
- Andreas-Salomé, Lou (1894). Nietzsche in seinen Werken. Frankfurt am Main: Insel. ISBN 3-458-34292-3
- Schmidt, Hermann-Josef. Nietzsche absconditus oder Spurenlesen bei Nietzsche. Aschaffenburg : Alibri. ISBN 3-932710-00-2; In insgesamt drei Bänden.
- Safranski, Rüdiger (2000). Nietzsche: Biographie seines Denkens. München. ISBN 3-446-19938-1
- Tanner, Michael (1999). Nietzsche (A. Bollinger, Übers.). Freiburg: Herder. (Orig. ersch. 1994) ISBN 3-451-04740-3
- Tönnies, Ferdinand: Der Nietzsche-Kultus. In: "Tönnies-Forum", Jg. 14, 2005, H. 1/2, S. 5-71 [1897], ISSN 0942-0843
- Türcke, Christoph: Der tolle Mensch. Nietzsche und der Wahnsinn der Vernunft. Frankfurt/Main: Fischer Tb 1989, ISBN 3-924245-89-4
- Vollmann, Rolf: Blicke voll dunklen Leids, in: Süddeutsche Zeitung 15./16.10.1994
- Irvin D. Yalom: Und Nietzsche weinte (2003) ISBN 3-492-04559-6; Fiktiver Roman, der die historischen Zusammenhänge plausibel vor Augen führt.
Weblinks
Vorlage:Wikisource2 Vorlage:Commons2
Texte
Linksammlungen, Bibliographie und Untersuchungen
- HyperNietzsche umfassende Nietzsche-Seite mit Erschließung der Notizbücher, großer Sammlung frei verfügbarer Essays und kommentierter Linksammlung (verschiedene Sprachen)
- Weimarer Nietzsche-Bibliographie
- Nietzsche Online (Uni Saarbrücken)
- Nietzsches initiale Krise eine nicht unumstrittene Untersuchung zur Stirner-Rezeption bei Nietzsche
Sonstiges
- Nietzsche-Haus in Sils-Maria
- http://www.friedrichnietzsche.de
- http://www.f-nietzsche.de
- Nietzsche-Gesellschaft
Personendaten | |
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NAME | Nietzsche, Friedrich Wilhelm |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Philosoph |
GEBURTSDATUM | 15. Oktober 1844 |
GEBURTSORT | Röcken |
STERBEDATUM | 25. August 1900 |
STERBEORT | Weimar |