Pithekoussai

Pithekoussai (griechisch Πιθηκούσσαι) ist eine antike Stadt auf der Insel Ischia im Mittelmeer. Es handelt sich um eine Gründung der Griechen im westlichen Mittelmeerraum, die ein wichtiges Beispiel für die Bedeutung der griechischen Kolonisation darstellt. Diese Siedlung wurde ca. 770 v. Chr. gegründet, nach einigen Jahrzehnten von Prosperität fiel sie an der Wende des achten und des siebten Jahrhunderts in Bedeutungslosigkeit. Ob man Pithekoussai für die erste Kolonie halten kann, ist in der Forschung allerdings umstritten, da es nicht eindeutig ist, ob es sich im Fall von Pithekoussai um eine Kolonie (apoikie) oder einen Handelsstützpunkt (emporion) handelt. Unabhängig davon, wie wir Pithekoussai definieren, steht fest, dass diese Stadt eine wichtige Brücke für den Austausch zwischen dem Osten und dem Westen des Mittelmeerraumgebietes dargestellt hat.
Quellenlage
Über Pithekoussai berichten die antiken schriftlichen Quellen nur spärlich. Außer den kurzen Beschreibungen von Strabon und Livius, Autoren aus der Zeit des Kaisers Augustus, gibt es über diese Siedlung kaum Notizen. Die Aufzeichnungen dieser zwei Autoren sind erst etwa acht Jahrhunderte nach der Gründung von Pithekoussai entstanden und haben deshalb nur begrenzten historischen Wert. Die wichtigste Quelle für die Erforschung von Pithekoussai stellt, wie bei vielen anderen Gründungen der Griechen, die Archäologie dar.
Literarische Quellen
Die wichtigsten antiken schriftlichen Quellen sind folgende zwei Fragmente der Schriftsteller Strabon und Livius:
Pithecussae war einmal von Bewohnern aus Eretria und Chalkis bewohnt, die, obwohl sie dort aufgrund der Fruchtbarkeit des Bodens und dank der Goldminen zu Wohlstand gekommen waren, die Insel als Ergebnis von Streitigkeiten vernachlässigten; später wurden sie auch von der Insel durch Erdbeben vertrieben, sowie durch Ausbrüche von Feuer, Meer und heißen Wassern; (…). Daher rührt auch der Mythos, nach welchem Typhon unter dieser Insel liegt, und wenn er seinen Körper wendet, brechen Flammen und Wasser aus, und manchmal sogar kleine Inseln, die siedend heißes Wasser enthalten. [1]
Paleopolis lag nicht weit von der Stelle, wo jetzt Neapel liegt. In beiden Städten wohnte dasselbe Volk. Es stammte aus Cumae; die Cumaner führen ihren Ursprung auf das euböische Chalkis zurück. Durch die Flotte , auf der sie aus ihrer Heimat herangekommen waren, besaßen sie große Macht an der Küste des Meeres, an dem sie wohnten; sie war zuerst auf den Inseln Aenaria und Pithecussae gelandet und hatten dann gewagt, ihre Wohnsitze auf das Festland zu verlegen.[2]
Die Behauptung von Strabon, dass sich in Ischia ein fruchtbarer Boden befindet, entspricht allerdings nicht ganz den Tatsachen, weil auf Ischia der Boden auch in der Antike nur sehr wenig Humus enthielt. Über einen besonders fruchtbaren Boden, der eine Stadt wie Pithekoussai hinreichend mit Nahrungsmitteln versorgen könnte und der Stadt sogar zum Reichtum zu verhelfen würde, kann im Fall von Ischia nicht die Rede sein. Auch die Erwähnung der Goldgruben ist umstritten, da sich nirgendwo auf der Insel Gold befindet. Die Beschreibung von Erdbeben und vulkanischer Tätigkeit entspricht dagegen vollkommen der geomorphologischen Struktur von Ischia.[3]
Archäologische Quellen
Neben den Erkenntnissen aus der geographischen Lage dieser Siedlung und der geologischen Bodenbeschaffenheit der Insel Ischia sind für die Erforschung von Pithekoussai archäologische Ausgrabungen von immenser Wichtigkeit. Nur wenige antike Siedlungen sind diesbezüglich so gründlich erforscht worden. Von 1952 bis 1982 wurden bei Lacco Ameno archäologische Arbeiten unter Führung von Giorgio Buchner durchgeführt. Die Archäologen konzentrierten sich bei ihrer Arbeit auf drei Gebiete: Die Nekropolis im Tal San Montano, die Akropolis von Pithekoussai auf dem Osthang von Monte di Vico und das metallurgische Viertel im Gebiet von Mazzola auf dem Hügel von Mezzavia.
Die Nekropolis
Dabei sind die Ausgrabungen aus der Nekropolis am bedeutendsten, nicht zuletzt deshalb, weil sie bis zum Anfang der archäologischen Arbeiten praktisch intakt geblieben sind. Allerdings stellte die Nekropolis die Archäeologen vor eine schwere Aufgabe: Sie befindet sich nämlich in einer thermalen Zone, und deswegen steigt die Temperatur, je tiefer man sich unter der Erdoberfläche befindet. Bei den am tiefsten gelegenen Gräbern (die gleichzeitig die ältesten sind) in etwa 7 Meter unter der Erdoberfläche, wurde eine Temperatur bis zu 63 Grad Celcius gemessen. Insbesondere Keramik, die in diesen Gräbern gefunden wurde, hatte eine Konsistenz von Käse. Insgesamt wurde ungefähr ein Zehntel der Nekropolis gründlich untersucht und dabei etwa 1300 Gräber entdeckt. Bis heute wurden allerdings nur die Gräber 1-723 systematisch beschrieben. Die Ausgrabungen aus der Necropolis liefern eine große Menge an historisch interessantem Material.
Insgesamt wurden während der Ausgrabungen fünf unterschiedliche Typen von Gräbern festgestellt: 1. Beerdigung in Gräbern mit Beigaben 39% (194 Gräber) 2. Beerdigungen in Amphoren mit oder ohne Beigaben 27% (131 Gräber) 3. Beerdigung in Gräbern ohne Beigaben 16% (81 Gräber) 4. Feuerbestattung unter Grabhügel mit Beigaben 15% (73 Gräber) 5. Feuerbestattung unter Grabhügel ohne Beigaben 3% (14 Gräber)[4]
Die Analyse der Gräber bietet den Forschern wichtige Hinweise auf die gesellschaftliche Struktur in Pithekoussai (s.u.). Zu den bedeutendsten Entdeckungen aus der Nekropolis gehören vor allem der so genannte Nestorbecher, Darstellung eines Schiffbruches auf einer Tonscherbe lokalen Typus, Skarabäer aus Fayence ägyptischer Provenienz, Siegel aus Syrien oder Kilikien, Keramik des „Early Proto-Corinthian“ Typus und nordsyrische Aryballoi.
Die Akropolis
Auch die Ausgrabungen an der Akropolis von Pithekoussai auf Monte di Vico, die im Jahr 1965 verliefen, bieten viele neue Kenntnisse über diese Siedlung. Der Anlasspunkt für die Ausgrabungsarbeiten war die Entdeckung einer archäologischen Fundstätte bei der Konstruktion einer großen Villa auf Monte di Vico. Konkret handelt es sich um eine große Schlucht, die eine große Menge an Keramik und anderen Materialien aus dem achten Jahrhundert enthielt.[5]
Insgesamt wurden mehr als 10.000 Keramikfragmente aus der euböischen Periode entdeckt. Zu den bedeutendsten Funden gehören Kotylai von Typus Aetos 666, die nur vor 750 v. Chr. im Umlauf waren und deshalb darauf hindeuten, dass Pithekoussai schon in der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts entstanden ist.[6] Auf der Akropolis wurden auch eine große Anzahl an kleinen Resten von Eisen und den so genannten tuyères gefunden, Rohre aus Keramik, mit denen man bei der Erzeugung von Eisen Luft ins Feuer blies. Außerdem wurde auch ein Stück Eisenerz im Naturzustand gefunden, der (wie festgestellt wurde) aus der Insel Elba stammt, und zwar aus einem Gebiet, das schon seit der Antike für die Gewinnung von Eisenerz benutzt worden ist.[7]
Das metallurgische Viertel Mezzavia
In den Jahren 1969-1971 verliefen archäologische Arbeiten im Gebiet von Mazzola, die außerhalb der Vorgebirge von Mote di Vico liegt und damit eine Peripherie von Pithekoussai darstellt. Dieser mindestens 500 Meter lange suburbane Komplex beinhaltet eine Reihe von abgetrennten Komplexen, die im Laufe des ersten Viertels des siebten Jahrhunderts verlassen wurden. Davon wurden drei untersucht und nur eines davon gründlich ausgegraben. In dem untersuchten Komplex sind insgesamt vier Strukturen erkennbar, davon hat wahrscheinlich nur das Gebäude Nr. I. als Wohnung gedient. Ein gut erhaltener Tiegel im Küchenraum deutet daraufhin, dass dieser Komplex möglicherweise in Folge einer Katastrophe schnell verlassen wurde. In Anlehnung an Strabon (s.o.) ist es möglich, dass es sich um ein Erdbeben gehandelt hat. In den Resten des Gebäudes Nr.III. wurden viele kleine Stücke von Eisen und Reste von einer Schmiede gefunden. Im Gebäude Nr.IV. wurde eine andere Schmiede entdeckt und zwei glatte und harte Steinflächen, die vermutlich als Amboss gedient haben. Dank dieser Funde können wir vermuten, dass im Viertel von Mezzavia eine intensive Metallverarbeitung betrieben wurde. Eisen war dabei nicht das einzige Metall, das verarbeitet wurde: Es wurden auch Stücke von Bronze und Blei entdeckt. Außer verschieden Hinweisen auf Metallverarbeitung, wurden in Mezzavia diverse Keramikreste entdeckt: Einen sehr bedeutenden Fund stellt eine Tonscherbe dar, an der die älteste Unterschrift der griechischen Welt steht. Diese Scherbe stammt aus dem späten achten Jahrhundert.[8]
Pithekoussai allgemein
Gründung und Funktion der Siedlung
Die Erkenntnisse aus Geographie, Geologie und den archäologischen Ausgrabungen erlauben einige Hypothesen über die Gründe zur Entstehung von Pithekoussai. Ein Blick auf eine Karte des Mittelmeerraumes führt logischerweise zur Frage, warum Pithekoussai in einer so großen Distanz zu den Mutterstädten auf der Insel Euböa entstanden ist. Eine plausible Antwort bieten uns die schon erwähnten Funde von Eisen, u.a. von Eisenerz aus Elba auf der Akropolis und im metallurgischen Viertel Mezzavia. So kann vermutet werden, dass einer der wichtigsten Gründe für die Entstehung von Pithekoussai das Interesse der Euböer am Metall der Etrusker gewesen ist.
Diese These wird auch durch folgende Erkenntnisse unterstützt. Wie erwähnt, ist der Boden auf Ischia (außer für Weinanbau) für die Landwirtschaft nicht geeignet. So können wir ausschließen, dass der Grund für die Entstehung von Pithekoussai Landsuche (wie im Fall von vielen anderen Kolonien, beispielsweise Kyrene) gewesen ist. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Pithekoussai in einer sehr großen Entfernung vom griechischen Mutterland liegt. Außerdem beweisen die zahlreichen Funde von Keramik aus verschiedenen Teilen des Mittelmeeres, dass Pithekoussai ein wichtiges Handelszentrum war. Das metallurgische Viertel von Mazzola zeigt allerdings, dass Pithekoussai nicht nur ein Handels- sondern auch ein industrielles Zentrum war,[9] was durch viele weitere griechische Gründungen auf dem Weg nach dem Golf von Pithekoussai gestützt wird: „Die (…) Koloniegründungen in Korkyra (Eretria), Naxos, Zankle, Messana und Rhegion (durch Chalkis) liegen (..) nicht zufällig an wesentlichen Etapen des Seeweges vom korinthischen Golf nach Pithekoussai – einem Weg, dem Korinth mit Eroberung Korkyras, der Gründung von Syrakusai und seinen späteren Gründungen an der Adria (Leukas, Ambrakia, Anaktrion) ebenso folgte wie Megara und besonders die Gemeinden Achaias, die Kroton und Sybaris im Golf von Tarent gründeten. Sybaris dürfte nicht zufällig an der kürzesten Landverbindung zwischen dem Golf von Tarent und dem Tyrrhenischen Meer liegen – was die gefährliche Durchquerung der Straße von Messina vermied und ihm sprichwörtlichen Reichtum verschaffte (…).“ [10]
Viele wissenschaftliche Diskussionen über Pithekoussai betreffen das Thema, ob es sich im Fall dieser Siedlung um einen Handelsstützpunkt (emporion) oder um eine Kolonie (apoikia) handelt. Generell definiert man diese beiden Begriffe folgendermaßen: Währenddessen Emporia einen heterogenen Ursprung haben und durch eine gemischte Population gekennzeichnet sind, handelt es sich im Fall von Apoikien um autarke Städte, ein Produkt der griechischen Polis, mit allem Implikationen, die es mit sich bringt. Pithekoussai hatte zwar eine gemischte Population, aber keinen heterogenen Ursprung. Deswegen lässt sich die Stadt eindeutig weder als Emporion noch als Apoikia bezeichnen.
Zur Zeit der Gründung von Pithekoussai war die griechische Polis wahrscheinlich noch nicht herausgebildet. Selbst Korinth war noch um das Jahr 730 nur ein Konglomerat von Dörfern. Deswegen kann Pithekoussai nicht als eine Kolonie im vollen Wortsinn bezeichnet werden. Die Diskussion, ob es sich im Fall von Pithekoussai um eine Kolonie oder um einen Handelsstützpunkt handelt, ist bis heute nicht abgeschlossen, da es noch nicht gelungen ist, alle Spezifika der Begriffe Emporion und Apoikia klar zu definieren. Sicher steht, dass in der neueren Literatur der Begriff Emporion als Bezeichnung von Pithekoussai bevorzugt wird.[11]
Soziale Struktur
Mit Hilfe der Ausgrabungen aus der Nekropolis lassen sich bestimmte Hypothesen über die soziale Struktur der Stadt aufstellen, wie z.B. dass Erwachsene, die ohne Beigaben bestattet wurden, in der Gesellschaft einen niedrigeren Rang einnahmen, und dass es wohl in Pithekoussai mindestens zwei unterschiedliche soziale Klassen gab. Ebenfalls lässt sich vermuten, dass Kinder in der Gesellschaft ein niedrigeres Ansehen als Erwachsene hatten, da sie weniger Beigaben erhielten. Da jedoch die Bedeutung von Grabbeigaben in Pithekoussai nicht eindeutig gesichert ist, haben die obigen Vermutungen nur einen begrenzten Wert.

Pithekoussai wurde von ihren Mutterstädten vor allem aus Handelsgründen gegründet. Funde von Keramik aus Euböa in Pithekoussai bezeugen, dass es zwischen dem griechischen Mutterland und Pithekousssai auch nach der Gründung Kontakte gab. Es ist allerdings zu erwähnen, dass die Funde der Keramik aus Euböa bei weitem nicht solche Häufigkeit ausweisen wie beispielsweise Funde aus Korinth oder aus dem Orient. Außerdem stellt die lokale Produktion von Keramik fast ohne Ausnahme Imitationen protokorinthischer Keramik dar. Wie Giorgio Buchner bemerkt, hätten die Forscher ohne der schriftlichen antiken Quellen Pithekoussai wahrscheinlich als eine korinthische Kolonie bezeichnet. Die Handelsbeziehungen mit den Mutterstädten spielten zwar eine Rolle, jedoch nicht die Hauptrolle. Die Kontakte zwischen Pithekoussai und Euböa überdauern bis zum Verlassen von Pithekoussai nach dem Ende des achten Jahrhunderts. Danach scheint sich auch Euböa für den Westen allgemein nicht mehr zu interessieren, zumindest sind keine Funde aus Euböa in diesem Gebiet mehr feststellbar. Ein anderer möglicher Hinweis auf die Beziehungen zwischen Pithekoussai und ihren Mutterstädten ist die Erwähnung Strabons, dass die Eretrier von Pithekoussai aus weggezogen sind in Folge innerer Streitigkeiten (s.o.). In der Forschung wird kontrovers diskutiert, ob es sich hier um ein Echo des so genannten lelantischen Krieges, der auf Euböa möglicherweise zu diesem Zeitpunkt ausgebrochen ist, handeln könnte.[12]
Beziehungen mit den Einheimischen
Das Viertel von Mazzola und Monte di Vico wurden in der Bronzezeit offensichtlich von einem apeninischen Volk besiedelt, in der Eisenzeit scheinen die Siedlungen allerdings verlassen zu sein. Dies gilt allerdings nicht für die ganze Insel Ischia, da es sich in der Nähe von Pithekoussai ein indigener Dorf (das heutige Castiglione) befand, in dem Überreste aus der Bronze- und Einsenzeit und mykenische Keramik ausgegraben wurden. Castiglione, das sich östlich von Pithekoussai befindet, wurde zu dieser Zeit besiedelt und da diese Siedlung im Laufe des achten Jahrhunderts erhalten geblieben ist, lässt sich die These aufstellen, dass die Beziehungen zwischen Pithekoussai und Castiglione friedlich gewesen sind.[13]
Frauen in Pithekoussai
Viele Forscher stellen sich heute die Frage, welches Ursprungs die Frauen in griechischen Kolonien waren: handelte es sich um griechische Frauen, die entweder zusammen mit den ersten Kolonisatoren oder später angereist sind, oder heirateten die Griechen indigene Frauen? Diese Frage ist generell nicht einfach zu beantworten, u.a. aus dem Grund, dass Frauen ein Thema darstellen, das in den antiken Quellen nur wenig behandelt wurde. Im Fall von Pithekoussai ist es nicht anders. Die einzigen Informationen, über die wir verfügen, stammen aus den archäologischen Ausgrabungen und lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Erstens waren Frauen in Pithekoussai präsent, was eine große Zahl von Frauen- und Kindergräber bezeugt. Zweitens wurden in weiblichen Gräbern Kleiderspangen italienischen Provenienz entdeckt und aufgrund dieser Funde wurde die These aufgestellt, dass zumindest Frauen der erster Generation indigener Ursprung gewesen sind. Die Kritik dieser These liegt darin, dass uns dieser Fund nicht zwingend zu der Annahme führt, dass es sich um nichtgriechische Frauen gehandelt hat, da es vorstellbar ist, dass auch griechische Frauen die Kleiderspangen italienischer Provenienz tragen konnten, die sie beispielsweise durch den Handel erwerben konnten. Wie die aktuelle Forschung zeigt, sind Kunstprodukte nicht notwendig nur für eine Ethnie spezifisch.[14] Die These, dass die Frauen in Pithekoussai indigener Ursprung gewesen sind lässt sich also weder bestätigen noch verneinen.
Die Bedeutung von Pithekoussai
Kontakte mit dem Orient
Pithekoussai hat nicht nur Handel mit dem Orient getrieben; es gibt auch Anhaltspunkte dafür, dass hier Ausländer aus dem Orient gelebt haben. Auf einer Amphore griechischen Typus aus dem Grab 575 , die in der Necropolis entdeckt wurde, wurden beispielsweise drei semitische Inschriften gefunden, die auf die Präsenz von Ausländer in Pithekousassai hindeuten. Dieses Gefäß stammt wahrscheinlich aus dem Insel Rhodos, wo eine föinikische Minderheit gelebt hat. Von dort aus wurde sie vermutlich nach Pithekoussai exportiert und hat ursprünglich als Behälter für Öl gedient. Auf der Necropolis änderte diese Amphore allerdings ihren ursprünglichen Zweck, da in ihrem Innerem die leiblichen Überreste eines Säuglings gefunden wurden. Darüber zeugt auch die letzte von den drei semitischen Inschriften, die einen semitischen religiösen Symbol darstellt. Daraus kann man ableiten, dass die dritte Inschrift in Pithekoussai aufgekratzt wurde, und zwar von jemanden, der nicht ein Euböer war. Mindestens eines der Eltern stammte also aus dem Orient.[15]
Kontakte mit den Etruskern
Die Ausgrabungen von Pithekoussai weisen aber nicht nur zahlreiche Verbindungspunkte mit dem Orient, sondern auch mit der Welt der Etrusker in Italien auf, wie wir beispielsweise an den schon erwähnten Funden von Eisen (und insbesondere von Eisenerz aus Elba) und Kleiderspangen italienischer Provenienz beobachten konnten. In den indigenen Siedlungen von Italien wurden viele Funde festgestellt, die den Funden von Pithekoussai ähnlich sind (weil sie den gleichen Typus darstellen) oder die sogar einen identischen Muster aufweisen. In der vorhellenistischen Kyme wurden beispielsweise auf der Necropoli Becher entdeckt, die dem euböischen mittelgeometrischen Still zuzuordnen sind. Ähnliche Becher wurden auch in Capua oder Pontecagnano und was besonders bemerkenswert ist – in Pithekoussai ausgegraben. Auch Siegel des Typus Lyre-Player Groupe, die wir ebenfalls aus Pithekoussai kennen, wurden an verschiedenen Orten in Etrurien festgestellt; In Faluri wurde sogar ein Siegel gefunden, das identisch mit einem anderen in Pithekoussai gefundenen Siegel ist. In Pithekoussai selbst wurden wiederum zwei Amphoren etruskischer Provenienz entdeckt. Diese Beispiele stellen nur einen Bruchteil von Entdeckungen dar, die auf den Austausch von Waren zwischen den Etruskern und den Euböern hinweisen. Der intensive Warenaustausch zwischen den Etruskern und den Euböern und die gleichzeitige Entwicklung der Metallindustrie in etruskischen Zentren lässt David Ridgway die These aufstellen, dass die Euböer als Tausch für Eisen und andere Waren den Etruskern ihr technisches Wissen angeboten haben. Auch das Wachstum von zentralisierten Siedlungen, demografischer Wachstum, Erscheinung von sozialen Unterschieden und Erlernen der Navigation, betrachtet Ridgway als mögliche Frucht des Kontakts mit den Euböern aus Pithekoussai. Obwohl es für diese Vermutungen keine konkreten Beweise gibt, stellen sie trotzdem eine plausible Erklärung für den Aufschwung der Etrusker auf dem Feld der Technologie, Politik und Wirtschaft im achten Jahrhundert dar. Der wichtigste Argument, der für diese Annahmen spricht, ist die Tatsache, dass diese Änderungen gerade im achten Jahrhundert an Orten erschienen sind, mit denen die Euböer, die ihrerseits über alle diese Errungenschaften bereits verfügt haben, im intensiven Kontakt standen. [16]
Nestorbecher

Der berühmteste Fund von Pithekoussai stellt sicherlich der so genannte Nestorbecher dar. Es handelt sich um einen Import aus Rhodos und er wurde in einem aus dem Ende des achten Jahrhunderts stammenden reichen Grab eines ungefähr zehnjährigen Jungen entdeckt. Das was diesen Becher so interessant macht, ist eine dreizeilige Inschrift, die auf ihn aufgekratzt wurde:
Nestor besaß eine höchst trinkwürdige Schale, aber jeder, der aus der meinen trinkt, wird sogleich von Verlangen nach der schöngekrönten Aphrodite befallen werden. [17]
Die Inschrift wurde in Pithekoussai aufgekratzt[18] und es handelt sich um eine scherzhafte Anspielung auf Homers Versen aus Ilias, die ungefähr zum gleichen Zeitpunkt wie diese Inschrift entstanden ist. Für die Forscher ist dabei von Bedeutung, dass die Inschrift in einem griechischen Alphabeth chalkidischen Typus und in einem euböischen Dialekt aufgekratzt wurde. Chalkis, eines der Mutterstädte von Pithekoussai, war im achten Jahrhundert eines der wichtigsten Zentren der ionishen Adelskultur, und deswegen überrascht es nicht, dass Homers Versen gerade in einer ihrer Tochterstädte erschienen sind. Nestorbecher ist aber nicht nur wegen des Bezugs auf Homer bedeutend. Es handelt sich gleichzeitig um eines der ältesten bislang gefundenen Beispiele des griechischen Alphabets auf dem italienischen Boden überhaupt. Dieser Fund illustriert die Übertragung des Alphabets von Griechen an die Etrusker, die es ihrerseits an die Römer weiter gegeben haben. Das Alphabet der Etrusker erscheint um 700 v. Chr. und es handelt sich um den gleichen Typus, der auch in Pithekoussai und Kyme benutzt wurde. [19]
Gründung von Kyme
Die Bedeutung von Pithekoussai liegt auch darin, dass sie die Mutterstadt von Kyme ist, der nach Strabon wichtigsten Kolonie von Italien und Sizilien. Kyme wurde in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts auf der gegenüberliegenden Küste von Pithekoussai gegründet und es handelt sich um eine Kolonie im vollen Sinne des Wortes. Auf die Frage, ob Kyme von Pithekoussai aus gegründet wurde, geben die antiken Quellen eine nicht übereinstimmende Antwort: Währendessen Livius berichtet, dass die Kolonie Kyme von Chalkidiern von Pithekoussai aus gegründet wurde (s.o.), erwähnt Strabon diese Information gar nicht. Die Tatsache, dass Pithekoussai von Strabon nicht erwähnt wurde, lässt sich plausibel dadurch erklären, dass Strabons Quelle bezüglich Kyme Ephorus darstellt, ein Autor aus dem vierten Jahrhundert. Ephorus stammte aus der äolischen Kyme und deswegen lässt sich vermuten, dass er Pithekoussai nicht erwähnt hat, um seine eigene Stadt (als einen der Gründer von Kyme) besser hervorheben zu können. Kyme erlangte bald nach ihrer Gründung große Bedeutung im Mittelmeer, da sie die Funktion als Handels- und Handwerkszentrum von Pithekoussai geerbt hat. Die Bedeutung von Kyme liegt u.a. darin, dass sie sebst viele bedeutende Kolonien gegründet hat, wie zum Beispiel Neapel (um nur den wichtigsten Beispiel zu nennen. Kyme und ihre Tochterstädte hatten zahlreiche Kontakte mit den Etruskern, was zu einem technischen, politischen und kulturellen Austausch und Austausch von Waren zwischen der Welt der Griechen und der der Etrusker sehr beigetragen hat.[20]
Einzelnachweise
- ↑ Strabon, V, 5.9.
- ↑ Livius, VIII, 22.5-6
- ↑ Ridgway1984, S.47-49
- ↑ Ridgway1984, S.60-61
- ↑ Ridgway 1984, S.96-97.
- ↑ Buchner 1963, S.264-266.
- ↑ Ridgway 1984, S.104-105.
- ↑ Ridgway 1984, S.112.
- ↑ Buchner1972, S.373.
- ↑ Boardman1981, S.663
- ↑ De Iuliis 1996, S.48
- ↑ Boardman 1981, S.194
- ↑ Buchner 1972, S.364
- ↑ Sheperd 1999, S.275.
- ↑ Ridgway 1984, S.126-129
- ↑ Ridgway 1984, S.147-169
- ↑ Boardman 1981, S.197.
- ↑ Ruetter 1968, S.237
- ↑ Wachter 1987, S.15-22.
- ↑ De Iuliis 1996, S.108-110
Literatur
Quellen
- Livius, T., Römische Geschichte, Buch VII-X, hg. von Hillen H.J., Zürich 1994.
- Strabon, The Geography, Buch II, hg. Page T.E. u.a., London u.a. 1960.
Ausgrabungsbericht
- Giorgio Buchner, David Ridgway, con appendici di C.F. Russo e F. De Salvia, e contributi di J. Close-Brooks, F. R. Serra Ridgway e altri: Pithekoussai 1, La necropoli. tombe 1-723 scavate dal 1952 al 1961, Roma 1993.
Sekundärliteratur
- Boardman, J., Kolonien und Handel der Griechen. Vom späten 9. bis zum 6.Jahrhundert v.Chr., München 1981.
- Buchner, G., Dibattito, in: Centro di Studi sulla Magna Grecia dell‘Università di Napoli (Hg.): Metropoli e colonie di Magna Grecia. Atti del terzo convegno di studi sulla Magna Grecia tenuto a Taranto dal 13 al 17 ottobre 1963, Napoli 1964, S.263-274.
- Buchner, G., Pithecusa: Scavi e scoperte 1966-1971, S.363-374. In: Centro studi dell Magna Grecia dell‘Università di Napoli (Hg.), Le Genti non Grece della Magna Grecia. Atti dell‘undicesimo convegno sulla Magna Grecia, Napoli 1972.
- Buchner, G. – Ridgway, D., Pithekoussai, Bd. 1 (Testo), Roma 1993.
- Buchner, G. – Ridgway, D., Pithekoussai, Bd. 1 (Tavole), Roma 1993.
- De Iuliis, H.M., Magna Grecia.L‘Italia meridionale dalle origini leggendaria alla conquista romana, Bari 1996.
- Eder, W., Kolonisation, in: Der neue Pauly 6, Enzyklopädie der Antike, hg. v. H.Cancik u.a., Stuttgart u.a. 1996 ff, S.646-666.
- Greco, E., Archeologia della Magna Grecia, Bari 1992.
- Ridgway, D., L‘alba della Magna Grecia, 1984 Milano.
- Ridgway, D., La „Precolonizzatione“, in: Istituto per la Storia e L‘Archeologia della Magna Grecia (Hg.), Un secolo di richerche in Magna Grecia. Atti del ventottesimo convegno di studi sulla Magna Grecia, Taranto 1989, S.111-126.
- Rüter, K. – Matthiessen, K.: „Zum Nestorbecher von Pithekussai“, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 2, 1968, S. 231-255.
- Shepherd, G., Fibulae and Females: Intermarriage in the western Greek colonies and the evidence from the cemeteries, in: Tsetskhladze, G.R. (Hg.), Antient Greeks West and East, Brill u.a. 1999, S.267-300.
- Wachter, R., Altlateinische Inschriften. Sprachliche und epigraphische Untersuchungen zu den Dokumenten bis etwa 150 v.Chr, Bern u.a. 1987.