Die Burgkirche in Ingelheim im Landkreis Mainz-Bingen, Rheinland-Pfalz, ehemals St. Wigbert genannt ist eine spätgotische Wehrkirche. Die Kirche diente im Mittelalter der Ober-Ingelheimer Bevölkerung zum Schutz vor Angriffen, die es allerdings nie gab. Den Adeligen von Ingelheim diente sie lange Zeit als Grablege. Die Ingelheimer Gerichte benutzten den Turm der Kirche als Archiv. Heute ist sie Ingelheims Wahrzeichen und steht unter Denkmalschutz.
Lage und Umgebung
Die Burgkirche befindet sich am östlichen Ortsrand, an einem Hang, der zum Mainzer Berg ansteigt und der höchste Punkt von Ober-Ingelheim ist. Umgeben ist sie von einer mit einem Zwinger verstärkten Wehrmauer. Der Zwinger umspannt heute nur noch die südliche Kirchenseite. Ursprünglich war die Kirche aus dem Ortskern nur durch den westlichen Torbogen zu erreichen. Mit dem östlichen Torbogen, der von der Kirche zum heutigen Rotweinfestplatz und in die Weinberge führt, wurde die Wehrmauer erst später durchbrochen. Zu erreichen ist sie vom Ortskern Ober-Ingelheims mit dem PKW und zu Fuß über die Straße An der Burgkirche.
Geschichte
Im 7. Jahrhundert wurde an der Stelle der heutigen Kirche eine Kapelle errichtet. Sie war Teil eines fränkischen Friedhofs. Im 12. Jahrhundert folgte ein romanischer einschiffiger Neubau, von dem nur noch der Turm zu sehen ist. Mit dem gestiegenen Einfluss des Ober-Ingelheimer Adels wurde die Kirche Anfang bis Mitte des 15. Jahrhunderts spätgotisch ausgebaut, um Platz für die Grabmäler zu schaffen. Das romanische Gebäude wurde größtenteils überbaut, so dass heute noch die alte romanische Kirche unter dem heutigen Mauerwerk vorhanden ist. Auf den Urkunden zum Ausbau der Kirche sind der damalige Pfarrer Craff und die Baumeister Dilman Dinckel und Michel Berdir vermerkt, Werkmeister war Johann von (Ober) Diebach. [1]
Der Name Burgkirche wird erst seit 1939 verwendet. Ursprünglich war sie dem Heiligen St. Wigbert geweiht, dem Schutzpatron eines Klosters in Bad Hersfeld. Auch während der Reformation besaß das Mainzer Domkapitel weiterhin die Patronatsrechte. Auch die evangelischen Pfarrer wurden vom Mainzer Domkapitel vereidigt. Ab 1690 wurde die Kirche von Katholiken und Protestanten simultan benutzt, bis sie 1705 endgültig den Reformierten zugesprochen wurde. Von da an wurde sie schlicht Evangelische Kirche genannt. Das Turmerdgeschoss diente als Archiv für die Ingelheimer Gerichte im Ingelheimer Grund. Dort wurden Akten, Urkunden, Gerichtsprotokolle und Haderbücher gelagert. Auch fanden dort die Urkunden über die Privilegien der Ober-Ingelheimer Bevölkerung Platz. Im Dreißigjährigen Krieg benutzten spanische, französische und kaiserliche Truppen die Kirche als Quartier.
„Zu oberst liegt ein altes, durchaus verfallenes, weitläufiges Schloß, in dessen Bezirk eine noch gebrauchte, aber schlecht erhaltene Kirche. Zur Revolutionszeit meißelte man die Wappen von den Rittergräbern. Uralte Glasscheiben brechen nach und nach selbst zusammen. Die Kirche ist protestantisch. Ein wunderbarer Gebrauch war zu bemerken. Auf den Häuptern der steinernen Ritterkolossen sah man bunte, leichte Kronen von Draht, Papier und Band, turmartig zusammengeflochten. Dergleichen standen auch auf Gesimsen, große beschriebene Papierherzen daran gehängt. Wir erfuhren, daß es zum Andenken verstorbener unverheirateter Personen geschehe. Diese Totengedächtnisse waren der einzige Schmuck des Gebäudes.“
Er beschrieb den Zustand der Kirche nach den Napoleonischen Kriegen, die auch vor der Ingelheimer Kirche nicht haltmachten. Die meisten der stolzen Grabmäler der Adeligen von Ingelheim wurden geschändet und die Figuren geraubt. Auch wurden die Wappen der Ingelheimer Adeligen abgeschlagen, da sie als Sinnbild der feudalen Macht galten. 1830 fand in der Kirche ein Staatsakt statt. Am 27. April sowie am 28 April wurde hier die entgegennahme des Huldigungseids vom damaligen Großherzog von Hessen, Ludwig II. durch einen Huldigungskommisar veranstaltet. Anwesend waren alle öffentlichen Beamten des damaligen Kantons.[3]
Den Zweiten Weltkrieg überstand die Kirche mit geringen Schäden; das Mariafenster war sicherheitshalber ausgebaut worden, die drei anderen Chorfenster gingen bei Bombeneinschlägen in unmittelbarer Nachbarschaft verloren. Der heutige gute Zustand der Kirche ist den Renovierungen in den Jahren 1950 bis 1960 sowie den von 1998 bis 2006 zu verdanken, bei letzeren wurden auch die aus dem 15. Jahrhundert stammenden Chorgewölbemalereien rekonstruiert. Außerdem erhielt die Kirche innen und außen wieder ihre ursprünglichen Farben aus dem 15. Jahrhundert.
Baubeschreibung
Dass schon von weitem die verschiedenen Erweiterungen zu erkennen sind, liegt hauptsächlich an den verschiedenen Dachhöhen. Das höchste Dach trägt der Chor, der Mittelbau das kleinste. Das westliche Langhaus hat wieder ein etwas größeres Dach. Die Kirche ist größtenteils mit weißen Kalkputz versehen auch Sandsteinelemente sind zu sehen. Die Lisenen und der Rundbogenfries sowie der Teile des Zinnenkranzes des Turmes sind in gelblichen Ocker gehalten. Die Dächer der Kirche sind mit Schief gedeckt, wie es bei vielen Kirchen üblich ist.
Turm
Der dreistöckige romanische Turm stammt aus dem 12. Jahrhundert. Er war ursprünglich Schiffsflankenturm des romanischen Vorgängerbaus. Er besteht aus fünf Geschossen, ist 4×6,35 m breit und verziert mit Rundbogenfries, Ecklisenen und Schallarkaden. Er wird von einem wehrhaften Zinnenkranz und einem Erkertürmchen gekrönt, die im 15. Jahrhundert aufgesetzt wurden. Die Turmdächer sind im gotischen Stil ausgeführt. Die Höhe bis zum Zinnenkranz beträgt 28 m, die Höhe des großen Turmhelms 14 m. Gekrönt wird der Turmhelm durch ein Kreuz mit einem goldenen Wetterhahn.[4] Im Mittelalter war der Turm nur mit einer Leiter zu besteigen heute ist eine Treppe vorhanden.
Kirchenschiff
Die dreischiffige Kirche ist ein nicht einheitlicher spätgotischer Sekralbau in exponierter Lage, dessen gesamte länge 42,44 m[5] beträgt, im Innern sind es um die 40 m, die breite fällt in 17,75 m aus. 1435 folgte das Mittelschiff, das im Turmbereich ursprünglich Oberlichtfenster hatte und später mit einem Satteldach überzogen wurde. Das westliche Langhaus mit seinem Westwerk mit einer höhe von 10,55 m und seinen zwei charakteristischen Spitztürmen wurde 1462 fertig gestellt. Erwähnenswert ist auch das fehlende Westportal, der Haupteingang befindet sich an der nördlichen Seite des Mittelschiffs. Das wehrhafte Erscheinungsbild des Westwerkes entspringt einer damaligen Baumode.
Chor
1404 wurde der Chor fertig gestellt, der den kleineren Vorgängerbau ersetzte und heute eine Breite von acht Metern aufweist. Die Dachbalken des Vorgängerbaus sind noch unter dem oberen Dach des neuen Chores vorhanden, da der Bau aus Kostengründen einfach über dem alten errichtet wurde und heute eine Höhe von zwölf Metern hat. Über dem Altar befinden sich drei Maßwerkfenster, ein weiteres ist in die südliche Chorwand eingelassen.
Nördlich des Chors steht die schon vor dem Ausbau vorhandene Kapelle; südlich wurde im 19. Jahrhundert die Sakristei, ursprünglich als Nikolaus Kapelle, angebaut.
Ausstattung
Von der Ausstattung ging vieles in den Napoleonischen Kriegen verloren, wie das Gestühl und mehrere Figuren. Dank aufwendiger Restaurierungen ist aber auch vieles erhalten geblieben. Besonders hervorzuheben sind die Epitaphien des Ober-Ingelheimer Adels und das Mariafenster.
Innenausstattung
Das Innere der Kirche wurde erst im Jahre 1521 vollendet. Im Chor mit seinen großen Maßwerkfenstern befindet sich das Marienfenster mit dem Motiv der Anbetung der Könige. Es ist das einzige vorhandene Original aus dem Mittelalter.[6] Auch viele vorreformatorische Elemente sind noch vorhanden. Bei der Innenrenovierung 2006 erhielt die Kirche einen einheitlichen roten Sandsteinfußboden. Dominiert wird der Innenraum von den spätgotischen Rippen und Säulen in gelblichem Ocker, Im Chorbereich sind die Gewölberippen in Oxidrot gehalten. Auch dort ist die uneinheitliche Bauweise zu erkennen. Die zwei westlichen Säulen sind auf jeweils drei Narrenköpfe abgestützt. Das Mittelschiff besitzt Kreuzgewölbe, der westliche Bereich Netzgewölbe. Abgeschlossen werden sie allesamt durch prachtvolle Schlusssteine.
Im Mittelschiff ist auf den Schlusssteinen das Kreuz der Adeligen von Ingelheim, im nördlichen Schiff sind die heilige Katharina mit Rad, der Reichsadler von Ingelheim und die heilige Veronika mit Schweißtuch dargestellt. Im südlichen Schiff sind Kreuz und segnende Hand, Christuskopf mit Kreuznimbus, eine Rose sowie eine Mondsichel mit herausschauendem Gesicht auf die Schlusssteine gemalt. Über der Orgelempore sind noch der Winkelhaken des Ritters Wilhelm von Ockenheim und ein einfaches Kreuz im Schild zu sehen.
Bei der Innenrestaurierung 2006 wurden die Pflanzornamente an den Gewölben im Mittelschiff und die prachtvollen Rosettbemalungen des Chores aus dem 15. Jahrhundert wiederhergestellt.
Nicht mehr erhalten sind die sechs Altäre (Liebfrauen-, Johannes-, Nikolaus-, Katharinen-, Peter und Paul- und Heiligkreuzaltar), das Gestühl sowie die gothische Kanzel aus vorreformatischer Zeit.
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Chorgewölbe der Burgkirche
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Schlussstein mit Wappen des Ober-Ingelheimer Adels
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Narrenkopf stützen an den westlichen Säulen
Marienfenster
Das Marienfenster stammt aus dem Jahre 1406[7] und ist das einzige im Original aus dem Mittelalter erhaltene Chorfenster. Zu sehen sind zuoberst Maria als Himmelskönigin mit Gottvater und Jesus als Pantokrator sowie ein Königspaar. Links davon steht Petrus und rechts der ehemalige Kirchenpatron St. Wigbert. Zuunterst befindet sich Maria mit dem Jesuskind, vor ihnen knien die Heiligen Drei Könige. Links sind Joseph, ein Ochse und ein Esel, im Hintergrund ist ein Himmelstor zu sehen. Gekrönt wird das Fenster durch eine Rosette mit Christuskopf.
Epitaphien
Mit dem gewachsenen Wohlstand des Ober-Ingelheimer Adels stieg auch das Repräsentationsbedürfnis, was sich in Grabmäler ausdrückte und sich auch auf den Ausbau der Kirche auswirkte. Heute sind nur noch die Epitaphien erhalten sie wurden restauriert und in der Kirche aufgestellt. Vorhanden sind Philipp von Ingelheim († 1431) ein Ritter der in der Schlacht von Bulgnéville 1431 gefallen ist, Hans von Ingelheim († 1480) unter anderem ein Ingelheimer Schöffe und Burgherr zu Klopp bei Bingen, Wilhelm von Ockenheim († 1465) ein Ingelheimer Mitschöffe und Schultheiß, Meygen Werberg von Lindenfels († 1442)die Tochter von Henne Werberg, dem engsten Vertrauten König Ludwigs III sowie ein Epitaph der Familie Villanova (Friedrich von Villanova, Martin Ferdinand, Ammelina Elisabeth) sie fielen 1666 der Pest in Ober-Ingelheim zum Opfer.
Orgel
Die erste Orgel stammte aus dem Jahre 1467 und wurde von einem Oppenheimer Orgelbauer gebaut[8]. Sie kostete damals 220 Gulden.
Die heutige baroke Orgel auf einer Empore am Ende des westlichen Langhauses, stammt aus dem Jahr 1755 und wurde von den Gebrüdern Stumm gebaut. Sie wurde 1913 erweitert und erhielt dabei ein elektrisches Gebläse. Die Firma Emanuel Kemper ersetzte im Jahr 1963 das Pfeifenwerk hinter dem historischen Gehäuse von Stumm. Die heutige Disposition lautet:[9]
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- Koppeln: I/II, I/P, II/P
- Spielhilfen: Walze, 2 freie Kombinationen
Glocken
Das heutige Geläut ertönt in den Tönen b°-des'-es'.
Die erste Glocke wurde im Jahr 1384 gegossen; sie zersprang am 16. Januar 1916 beim Läuten. Zwei neue Stahlglocken mit den Tönen b und des ersetzten sie 1921. Gegossen wurden sie von einem Bochumer Verein. Die große Glocke besitzt zum Gedenken an die Gefallenen im Ersten Weltkrieg folgende Inschrift: Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder. Wer den Bruder nicht liebt, der bleibt im Tode. Auf der kleineren Glocke ist zu lesen: Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
Die dritte Glocke mit dem Durchmesser von 1,30 m stammt noch aus dem Jahre 1733. Ihre Inschrift lautet: Kommet lasset uns auf den Berg des Herren gehen zum Hause des Gottes Jacob, das er uns lehre seine Wege und wir wandlen auff seinen Steigen. Essaian am 2. Vers3. Zusätzlich ist sie mit dem Ingelheimer Reichsadler geschmückt.[10]
Friedhof
Auf dem Friedhof nördlich der Burgkirche befinden sich viele Grabmäler bedeutender Persönlichkeiten:
- Personen des Ober-Ingelheimer Adels
- Martin Mohr, ehemaliger Präsident des hessischen Landtages und Mitglied des Paulskirchenparlaments
Auf diesem Friedhof stand einst eine zweistöckige Totenkapelle (St. Michael) mit zwei Altären und einem Beinhaus. Sie wurde erstmals 1390 Urkundlich erwähnt. Sie ist nicht mehr erhalten.
Heutige Nutzung
In der Burgkirche feiert die evangelische, ca. 2200 Mitglieder zählende Gemeinde ihre Gottesdienste.[11] Die Gemeinde ist Teil der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau. Alle zwei Monate findet in der Kirche das Burgkirchengespräch mit gesellschaftlichen Themen statt; daran nahm auch schon der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck[12] teil. Die Kirche kann im Sommer montags bis samstags von 15:00 bis 18:00 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 12:00 bis 18:00 Uhr, im Winter an Samstagen von 14:00 bis 16:00 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 11:30 bis 16:00 Uhr besichtigt werden.
Literatur
- Philipp Krämer: Die Burgkirche zu Ober-Ingelheim, herausgegeben von Pfarrer Dekan Seyerle 1960
- Ursula Peschloff: Ober-Ingelheim. Evangelische Burgkirche.
- Förderverein zur Erhaltung der Burgkirche zu Ingelheim: Das Marienfenster der Burgkirche zu Ingelheim.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Philipp Krämer: Die Burgkirche zu Ingelheim S. 10
- ↑ Historischer Verein Ingelheim über die Burgkirche mit Goethe Zitat.
- ↑ Philipp Krämer: Die Burgkirche zu Ingelheim S. 21
- ↑ Philipp Krämer: Die Burgkirche zu Ingelheim S. 32
- ↑ Philipp Krämer: Die Burgkirche zu Ingelheim S. 29
- ↑ Philipp Krämer: Die Burgkirche zu Ingelheim S.31
- ↑ Führer durch die Burgkirche zu Ober-Ingelheim S. 4
- ↑ Führer durch die Burgkirche zu Ober-Ingelheim S. 7
- ↑ Disposition der Orgel, gesehen 29. Oktober 2010.
- ↑ Philipp Krämer: Die Burgkirche zu Ingelheim S. 33
- ↑ Zahlen zur Burgkirchengemeinde
- ↑ Kurt Beck beim Burgkirchengespräch
Koordinaten: 49° 57′ 48,7″ N, 8° 3′ 48,9″ O