Die „Judensau“ ist ein häufiges Bild-Motiv der antijudaistischen christlichen Kunst des Mittelalters, das seit dem frühen 13. Jahrhundert vor allem in Deutschland belegt ist. Es ist als bildhafte Spottdarstellung auf Steinreliefs und Skulpturen an mindestens 30 Kirchen und anderen Gebäuden Europas bis heute zu sehen. Daneben begegnet es seit dem 15. Jahrhundert als Karikatur in Flug- und Hetzschriften und anderen Medien.
Die Nationalsozialisten verwendeten den Begriff „Judensau“ oder „Saujude“ als Hetzparole zur Beschimpfung, Demütigung und Bedrohung von Menschen jüdischer Herkunft. Wer den Ausdruck heute gegenüber Menschen benutzt oder öffentlich über sie äußert, macht sich nach deutschem Strafrecht wegen Beleidigung gemäß § 185 Strafgesetzbuch strafbar.
Das Motiv
Das Bild einer „Judensau“ bringt Juden und Schweine in enge Verbindung: Es zeigt Menschen, die - etwa mit damaligem „Judenhut“ oder gelbem Ring – als Juden gekennzeichnet sind. Diese saugen wie Ferkel an den Zitzen einer Sau oder sitzen auf einem Schwein, mit dem Gesicht dem Hinterteil zugewandt, aus dessen After Urin spritzt usw.. Die Darstellungen appellieren an Gefühle wie Obszönität, Ekel, Scham und Hass. Sie waren im Mittelalter eine populäre, von Kirchen und Behörden bewusst propagierte öffentliche Verunglimpfung jüdischer Menschen und des Judentums als Ganzes.
Das Motiv soll Juden in besonders quälender Form verletzen, demütigen und aus der menschlichen Gemeinschaft ausgrenzen:
- Die Tora (3. Mose 11) untersagt Juden den Genuss bestimmter Tierarten, darunter des Schweins (v. 7). Schweinefleisch und Schweinemilch gelten Juden als unreine (nicht koschere) Nahrung.
- Intimität zwischen Mensch und Tier (Sodomie) gilt in der Bibel als besonders schwere Perversion und todeswürdiges religiöses Vergehen (Ex. 22, 18).
Dem Betrachter des Judensau-Motivs wurde also suggeriert, dass Juden besonders sündige, abstoßende, verkehrte und ausschweifende Dinge tun und mit Schweinen artverwandt seien. Damit wurde jedes nähere Kennenlernen der jüdischen Religion verhindert und eine gesellschaftliche Distanz zur jüdischen Minderheit zementiert. Darum kann man in diesem Motiv einen Vorläufer des späteren Rasse-Antisemitismus sehen.
Verbreitung des Motivs und öffentlicher Umgang damit
Vielerorts sind Judensau-Skulpturen oder -Bilder noch vorhanden, meist an Kirchengebäuden. Darunter sind (alphabetisch geordnet):
- Aerschot in Belgien (Notre Dame),
- Bamberger Dom,
- Basler Münster,
- Bayreuther Stadtkirche,
- Brandenburger Dom (älteste Darstellung aus dem frühen 13. Jahrhundert im Domkreuzgang),
- Cadolzburg bei Fürth (Burgtor),
- Colmarer Münster St. Martin,
- Eberswalde,
- Erfurter Dom,
- Gnesener Kathedrale,
- Heilsbronner Klosterkirche,
- Kölner Dom und Köln St. Severin (Chorgestühl),
- Lemgoer St. Marienkirche,
- Magdeburger Dom,
- Kathedrale von Metz,
- St. Sebald (Nürnberg),
- Regensburger Dom,
- Remagen (Torbogen),
- Spalt (Chorherrenstiftskirche),
- Straßburger Münster,
- Theilenberg in Mittelfranken (Kirchturm),
- Dom Uppsala (Schweden),
- Wiener Neustadt (ehemals Hauptplatz Nr. 16, heute im Museum),
- Bad Wimpfen (Stiftskirche St. Peter),
- Wittenberger Stadtkirche,
- Xantener Dom,
- Nikolaikirche Zerbst.
Ob solche Darstellungen heute entfernt werden oder als Zeitzeugnisse an ihrem Ort bleiben sollten, ist umstritten. In einigen Städten wurde das Judensau-Motiv entfernt, so z. B. 1945 von der Stadtapotheke in Kelheim, wahrscheinlich auf Weisung eines Offiziers der US-Armee. Während Denkmalpfleger und Historiker argumentieren, auch heute außerordentlich anstößige Motive müssten in ihrem damaligen architektonischen Kontext dokumentiert bleiben, sehen Kritiker in ihrer Beibehaltung eine mangelnde Sensibilität gegenüber dem Antisemitismus.
Von kirchlicher Seite liegt dazu eine Synodalerklärung der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg vom 24. April 1990 vor: „Sofern die Kunstwerke an ihrer Stelle verbleiben, sollte der Betrachter durch Hinweise […] auf Schuld und Betroffenheit der Kirche aufmerksam gemacht und zu neuer Sicht angeleitet werden.“
Anlass dieser Erklärung war das Judensau-Relief an der Wittenberger Stadtkirche - dem Predigtort Martin Luthers und Ursprung der Reformation. Das dortige Bild trägt den Titel „Schem Hamphoras“ (hebräisch „der unverstellte Name“), bringt also den Namen Gottes mit einem für gläubige Juden unreinen Tier in Verbindung. Es bedeutet damit für sie eine ungeheuerliche Blasphemie. Diesen Titel trug auch eine antisemitische Schmähschrift des späten Luther (1546, Weimarer Ausgabe Bd. 53, S. 600ff Originaldruck von Luthers "Schem Hamphoras", Volltext). Luther bezog die Judensau auf den Talmud und verhöhnte damit die rabbinische Schriftexegese und den jüdischen Glauben insgesamt als übelste schmutzige Lächerlichkeit:
- „Hinter der Saw stehet ein Rabin, der hebt der Saw das rechte Bein empor, und mit seiner lincken hand zeucht er den pirtzel uber sich, bückt und kuckt mit grossem vleis der Saw unter dem pirtzel in den Thalmud hinein, als wolt er etwas scharffes und sonderlichs lesen und ersehen.“
Seit 1988 ist eine Mahntafel unterhalb des Reliefs in den Boden eingelassen. In ihrem Text weist die evangelische Kirchengemeinde auf die historischen Folgen dieses Judenhasses hin: den Holocaust.
In Bayreuth brachte 2005 die evangelische Kirche eine Tafel mit der Inschrift an: „Unkenntlich geworden ist das steinerne Zeugnis des Judenhasses an diesem Pfeiler. Für immer vergangen sei alle Feindseligkeit gegen das Judentum“.
Dieser Umgang stößt jedoch bei einigen Kämpfern gegen den Antisemitismus auf Widerspruch. Sie finden die weiter vorhandenen Darstellungen unerträglich und fordern ihre Entfernung. So fand im Jahr 2002 in Köln eine Protestaktion statt, bei der der Aktionskünstler Wolfram Kastner das Judensau-Motiv im Dom als „Modellfall für die Produktion von Gewaltbildern in unseren Köpfen“ (Marten Marquardt) thematisierte. Auch in Regensburg griff Kastner 2005 die Verantwortlichen an, als diese eine Hinweistafel zur stark verwitterten Skulptur im Dom vorstellten. Diese war ein Kompromiss zwischen der Diözese Regensburg, dem Kultusministerium und dem Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinde in Bayern.
Herkunft und Wandel des Motivs
Der genaue Ursprung des Motivs ist ungeklärt. Doch schon in der Antike wurden Juden im Kontext von Verfolgungen und Pogromen gezwungen, Schweinefleisch zu essen, das ihnen ein „Gräuel“ war (2. Makkabäer 7, 1f). Die Beschimpfung von Juden als „Sau“ oder „Schwein“ begann wohl in Spanien im 7. Jahrhundert: Dort galten konvertierte – neugetaufte – Juden als marranos (Schweine) und wurden häufig trotz ihrer Taufe als Ketzer behandelt. Der Religionsübertritt wurde als „Schweinerei“ gesehen, da man Juden keinen Glaubenswandel zutraute, sondern darin eine Verstellung sah.
In mehreren Schüben wandelte sich das Judenbild der christlichen Umwelt im Verlauf des Mittelalters: Während Juden in der Karolingerzeit noch weitgehend toleriert, respektiert und geschützt waren, wurden sie im Hochmittelalter bis zum Beginn der Neuzeit immer mehr ausgegrenzt, dämonisiert und verfolgt. Nachdem sie seit dem 9. Jahrhundert aus vielen Berufen verdrängt worden waren, verschärfte das IV. Laterankonzil 1215 die Isolierung der jüdischen Minderheit: Muslime und Juden mussten Erkennungszeichen (spitze Hüte, gelbe Kreise oder Ringe) tragen, letzteren wurden Ghettos zugewiesen. Nach Ausschreitungen im Zuge der Kreuzzüge seit Ende des 11. Jahrhunderts erreichte der mittelalterliche Judenhass im Zusammenhang mit der Pest 1349 seinen vorläufigen Höhepunkt.
Das Judensau-Motiv steht im Zusammenhang mit anderen antijudaistischen Motiven wie dem Ritualmord oder der Hostienschändung, erscheint allerdings im Gegensatz zu diesen fast nur in deutschsprachigen Gebieten. Hinzu kamen Spottbilder, auf denen etwa als Juden gekennzeichnete Menschen von Teufeln oder Dämonen ergriffen oder bedrängt werden (z.B. am Straßburger Münster). In Frankreich begegnet nicht das Bild des Schweins, sondern das des Skorpions. Er symbolisiert die Verbindung von Juden und Teufel.
Seit der Erfindung des Buchdrucks finden sich Judensau-Spottbilder vermehrt in Handschriften und Büchern, besonders in der Reformationszeit. Auch auf so genannten Judenspottmedaillen des 16. Jahrhunderts war das Motiv zu finden. Im 17. und 18. Jahrhundert findet man Abbildungen von mittelalterlichen Judensau-Darstellungen in der gelehrten Literatur.
Im Mittelalter verband man neutestamentliche und heidnische Motive zu legendhaften Erzählungen, die Juden herabsetzen und verteufeln sollten. So wurde etwa die Schweineherde, in die Jesus nach Mk. 5, 1–20 eine Legion von Dämonen fahren ließ, auf die Juden bezogen. Eine andere Geschichte erzählte von einer jüdischen Frau mit ihren Kindern, die zur Strafe für ihren Spott über Jesus von diesem in eine Schweinefamilie verwandelt wurden. So erklärte man das jüdische Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch dann als Abwehr gegen einen angeblichen Kannibalismus. Zugleich aber traute man Juden genau diesen zu. Bei Rechtsstreitigkeiten mit Christen zwang man sie, so der Sachsenspiegel, ihren Eid vor Gericht barfuß auf der blutigen Haut einer Muttersau abzuleisten, die vierzehn Tage zuvor geferkelt hatte.
Besonders deutlich lässt sich die zunehmende Dämonisierung der Juden im Wandel bildlicher Darstellungen in oder an Gebäuden nachvollziehen. Skulpturen an Kirchen des frühen und hohen Mittelalters symbolisieren den Aufstieg des Christentums zur herrschenden Weltanschauung, indem sie die siegreiche "Ecclesia" (Kirche) der unterlegenen „Synagoge“ gegenüberstellen. Am Straßburger Münster zum Beispiel wird letztere noch als formvollendete, edle und auch in der Trauer über ihre Niederlage hoheitsvolle Frauenfigur dargestellt (Entstehungszeit 1230).
Am Chorgestühl des Erfurter Doms wird der Konflikt der Religionen als Turnier visualisiert (Anfang des 15. Jahrhunderts). Während die Kirche auf einem Pferd reitet, sitzt die Synagoge auf einem Schwein.
Die „Judensau“ an der Stadtkirche in Wittenberg (Entstehungszeit um 1440) stellt ein betont perverses, verhöhnendes Bild dar, das Abscheu und Ekel erregen soll. „Der Jude“ erscheint nun als widerwärtige Kreatur, die nur aus einer unbegreiflichen Laune der Natur heraus ein menschliches Antlitz trägt. Dies zeigt anschaulich, dass sich gegen Ende des Mittelalters der ursprünglich religiöse Gegensatz von Kirche und Synagoge zu einer totalen, alle Lebensbereiche umfassenden Verachtung der Juden verdichtet hat.
Besonders obszön gestaltet war auch die bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts am Alten Brückenturm in Frankfurt am Main sichtbare Judensau, die eine Pogromstimmung schürte (Schouwink, S. 88). Ein Mann in Judentracht ritt auf einer Kot fressenden Sau, ein anderer saugte an einer Zitze, ein dritter trank den Urin. Die Bildunterschrift lautete: „Sauff du die Milch friß du den dreck das ist doch euer bestes geschleck“. Die Darstellung vom Ende des 15. Jahrhunderts verknüpfte das Judensau-Motiv mit dem angeblichen Ritualmord an Simon von Trient und wurde auf Holzschnitten und Kupferstichen verbreitet.
Die Ursachen dieses Antijudaismus waren komplex: Religiöse, machtpolitische, ökonomische und sozialpsychologische Motive spielten dabei eine Rolle.
Das Motiv in der Zeit des Nationalsozialismus
Die Nazis aktivierten die im Mittelalter in der Volksfrömmigkeit verankerten antijudaistischen Stereotypen gezielt für die ideologische Vorbereitung des Holocaust. Dabei konnten sie auf die ungebrochene Kontinuität des Antisemitismus in der Neuzeit zurückgreifen: Schon lange vor ihrer Machtergreifung benutzten auch nationalistische Rechte in Deutschland den Ausdruck. Die Worte „Judensau“ und „Saujude“ waren ein verbaler Judenstern, der Menschen jüdischer oder vermeintlich jüdischer Herkunft geißelte, brandmarkte und gesellschaftlich ächtete.
So kursierte seit etwa 1920 ein deutschnationales Stammtisch-Lied, das gegen den damaligen Außenminister der Weimarer Republik hetzte: „Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverfluchte Judensau!“ 1922 wurde diese Aufforderung in die Tat umgesetzt. Im „Stürmer“ und im Kontext der systematischen Judenverfolgung vom Boykott jüdischer Geschäfte (1. April 1933) an tauchte das Motiv dann immer wieder auf. Juden, die sexueller Kontakte mit Deutschen beschuldigt wurden, hängte man Schilder mit der Aufschrift „Judensau“ um den Hals, bevor man sie ermordete.
Wegen dieser historischen Erfahrungen gehören „Judensau“ und „Saujude“ im heutigen deutschen Strafrecht zu den eindeutigen Beleidigungen. Zu hören sind sie gelegentlich dennoch, etwa auf Fußballplätzen gegen jüdische oder israelische Sportler oder Schiedsrichter (ähnlich wie "Türkensau"). Die kollektive Schmähung ("Alle Juden sind Schweine/Säue") käme dem Tatbestand einer Volksverhetzung nahe.
Siehe auch
Literatur
- Isaiah Shachar: The Judensau: A Medieval Anti-Jewish Motif and its History. London, Warburg Institute, 1974 ISBN 0854810498 (nicht eingesehen)
- Thomas Bruinier: Die 'Judensau'. Zu einem Symbol des Judenhasses und seiner Geschichte, in: Forum Religion 4/1995, S. 4-15
- Petra Schöner: Judenbilder im deutschen Einblattdruck der Renaissance. Ein Beitrag zur Imagologie, Baden-Baden, Verlag Valentin Koerner 2002, ISBN 3873204428
- Wilfried Schouwink: Der wilde Eber in Gottes Weinberg. Zur Darstellung des Schweins in Literatur und Kunst des Mittelalters, Thorbecke, Sigmaringen 1985, S.75-88 ISBN 3799540164
- Heinz Schreckenberg: Die Juden in der Kunst Europas. Ein historischer Bildatlas, Vandenhoek und Ruprecht, Göttingen 2002, darin: "Das 'Judensau'-Motiv", S. 343-349 ISBN 3525633629
Weblinks und Einzelnachweise
- Oliver Gußmann: Hintergrundinformation zur Wittenberger Judensau
- Aufsatz von Gußmann mit genaueren Angaben
- Zum Steinrelief an der Wittenberger Stadtkirche mit Bild
- Marten Marquardt über die Kölner Judensau (siehe Zitat)
- Judensau in Wiener Neustadt mit Bild
- Frankfurter Judensau mit Bild
- Erfurter Relief mit Bild
- Mehrere Bildbeispiele
Aktuelle Berichterstattung 2004/2005