Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher

strafrechtliche Prozesse gegen die Hauptverantwortlichen für Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs
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Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wurden erstmals in der Geschichte Politiker und Militärs sowie führende Personen aus der Wirtschaft persönlich für das Planen und Führen eines Angriffskrieges und für den Massenmord an Menschen in Konzentrations- und Vernichtungslagern zur Verantwortung gezogen. Die Verhandlung fand vor dem eigens für den Prozess einberufenen Internationalen Militärgerichtshof (IMG) ("International Military Tribunal" IMT) statt und dauerte vom 15. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946. Die Folgeprozesse u.a. gegen Ärzte, Juristen, führende Personen aus der Wirtschaft fanden ebenfalls in Nürnberg statt, wegen des beginnenden Kalten Krieges wurden damit aber nur amerikanische Militärgerichte befasst.

Acht der Angeklagten in Nürnberg
vordere Reihe v.l.n.r.: Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel
dahinter: Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel

Rechtshistorisch sind die Kriegsverbrecherprozesse damit Vorläufer des 2003 eingerichteten Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag.

Vorgeschichte

Unter den Alliierten sowie allen vom Zweiten Weltkrieg betroffenen Ländern bestand Einigkeit, dass eine Vergeltung, wie sie in vergangenen Jahrhunderten nach Beendigung von Kriegen verübt wurde, ausgeschlossen bleiben sollte. Deshalb hatten sich bei den Treffen während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg (Konferenz von Teheran (1943), Konferenz von Jalta (1945) und Potsdamer Konferenz (1945) ) die drei alliierten Parteien, USA, Großbritannien und die Sowjetunion darauf geeinigt, die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Auch Frankreich erhielt einen Platz im Tribunal. Die Form dieser Rechenschaft war lange umstritten.

Auf der Moskauer Konferenz im Oktober 1943 sprach sich US-Außenminister Cordell Hull zunächst für Standgerichte gegen die Hauptkriegsverbrecher aus, die Delegation der Sowjetunion zollte Beifall. Der britische Außenminister Anthony Eden forderte dagegen einen Prozess, der alle Rechtsnormen beachte. Unter dem Stellvertretenden US-Kriegsminister John McCloy formierte sich 1944 eine eine "Law-and-Order"-Bewegung. Am 18. Januar 1945 einigten sich auf amerikanischer Seite Richter Samuel Rosenman, Henry Stimson vom Kriegsministerium und der Justizminister (er war später Richter des Internationalen Militärgerichtshofs) Francis A. Biddle auf einen ordentlichen Prozess. Auch der vormalige Prozessgegner Franklin D. Roosevelt änderte seinen Standpunkt. Winston Churchill lobte am 22. Oktober 1944 die Haltung Josef Stalins – der nach einem Meinungswandel auch einen ordentlichen Prozess wollte. Obwohl die Briten kurzzeitig wieder schwankten, ließen sie sich letztlich von den Amerikanern überzeugen. Damit war der Weg für einen regulären Prozess frei, für den eigens der Internationale Militärgerichtshofs (IMG) eingerichtet wurde. Der IMG sollte die Planung und Führung eines Angriffskriegs, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten sowie die Gräueltaten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten untersuchen und ahnden.

Das Viermächteabkommen vom 8. August 1945 das die Rechtsgrundlage des Prozesses für die Strafverfolgung der Hauptkriegsverbrecher kodifizierte und dessen Teil das Statut des Gerichtshofes ist wurde nicht nur von den USA, Großbritannien, Frankreich und der UdSSR unterzeichnet. Auch Griechenland, Dänemark, Jugoslawien, die Niederlande, die Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Äthiopien, Australien, Honduras, Norwegen, Panama, Luxemburg, Haiti, Neuseeland, Indien, Venezuela, Uruguay und Panama traten dem Abkommen bei.

Rechtsgrundlagen der Arbeit des IMG war zum einen das internationale Kriegsrecht. Hierzu gehörten u.a.:

  • die Haager Landkriegsordnung,
  • die 1907 verabschiedeten acht Seekriegskonventionen, die sich mit dem Status feindlicher Schiffe, der Umwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe, der Verlegung von Minen und der Bombadierung von Küsten befassten,
  • das Londoner U-Boot-Protokoll von 1938,
  • der Briand-Kellogg-Pakt vom 27. August 1928, mit welchem Krieg als Mittel nationaler Politik geächtet wurde (von 44 Nationen, darunter Deutschland, unterzeichnet).

Zum anderen Strafbestimmungen über Mord, Totschlag und Körperverletzung. Auf diesen Rechtsgrundlagen wird das Statut des IMG formuliert, das neben Verfahrensregeln auch eine Liste der Verbrechen der Achsenmächte enthält, die in die Zuständigkeit des Gerichtshofes fallen.


Verbrechen die unter die Zuständigkeit des IMG fallen

a) Verbrechen gegen den Frieden

Planen, Vorbereitung und Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen oder Beteiligung an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen;

b) Kriegsverbrechen

Verletzung der Kriegsgesetze oder -gebräuche. Solche Verletzungen umfassen, ohne jedoch darauf beschränkt zu sein, Mord, Misshandlungen, oder Deportationen zur Sklavenarbeit oder für irgend einen anderen Zweck, von Angehörigen der Zivilbevölkerung von oder in besetzten Gebieten, Mord oder Misshandlungen von Kriegsgefangenen oder Personen auf hoher See, Tötung von Geiseln, Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums, die mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten oder Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung.

c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist. (Auszug aus dem Statut Artikel 6, Abschnitte a - c) Diese drei Verbrechensgruppen wurden im Prozess zu den vier Anklagepunkten. Die Anklagen im Prozess umfassen also nur solche Straftatbestände die auch vor und während des Dritten Reiches galten.

Ort und Zeitdauer des Prozesses

Die Sowjetunion wollte die Prozesse in Berlin durchführen, für Nürnberg sprach jedoch, dass der Justizpalast weitgehend unbeschädigt geblieben war und ein großes Gefängnis dazugehörte. Außerdem war Nürnberg die Stadt der NSDAP-Reichsparteitage gewesen, und somit war es auch von symbolischer Bedeutung, die führenden Nationalsozialisten gerade hier abzuurteilen. Die Verhandlungen begannen am 14. November 1945. Am 30. September und am 1. Oktober 1946 wurden die Urteile verkündet.

Der Prozess

Die Anklagepunkte

Die vier Anklagepunkte lauteten (Originalformulierung):

  1. Gemeinsamer Plan oder Verschwörung (Grundlage: Artikel 6 besonders 6a des Statutes)
  2. Verbrechen gegen den Frieden (Grundlage: Artikel 6a des Statutes)
  3. Kriegsverbrechen (Grundlage: Artikel 6, besonders 6b des Statutes)
  4. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Grundlage: Artikel 6, besonders 6c des Statutes)

Unter Punkt 1 findet sich besonders eine Aufstellung der Machtergreifung und der Umgestaltung Deutschlands in eine totalitäre Diktatur und Kriegsvorbereitungen sowie der Bruch zahlreicher internationaler Verträge und Besetzungen von Nachbarländern. Punkt 2 ergänzt weitere Kriege. Unter Punkt 3 waren die Verbrechen an der Zivilbevölkerung angeklagt; die Verbrechen des Holocaust wurden unter dem vierten Anklagepunkt verhandelt. Ein Teil der Verbrechen des Holocaustes, etwa die Ermordung der deutschen Juden auf polnischem Territorium sind nicht nur ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sondern auch ein Kriegsverbrechen.

Die Ankläger

Die vier Hauptankläger waren

  1. Robert H. Jackson (USA),
  2. Roman Rudenko (UdSSR),
  3. Sir Hartley Shawcross (Großbritannien) und
  4. François de Menthon (Frankreich).

Sie bedienten sich eines umfangreichen juristischen Mitarbeiterstabs, um die Anklage vertreten und den Prozess zügig vorantreiben zu können.

Datei:Nuremberg richter.jpg
Die Nürnberger Richter von links nach rechts: John Parker, Francis Biddle, Alexander Woltschkow, Iola Nikittschenko, Geoffrey Lawrence, William Norman Birkett

Die Richter

Auf der Richterbank saßen:

  1. Francis A. Biddle und John J. Parker (USA),
  2. Iona Nikittschenko und Alexander Woltschkow (UdSSR),
  3. Sir Geoffrey Lawrence und Norman Birkett (Großbritannien) sowie
  4. Henri Donnedieu de Vabres und Robert Falco (Frankreich).

Den Vorsitz des Gerichts übernahm der für seine Umsicht bekannte Brite Lawrence, die erste Sitzung des Gerichts im Kammergerichtsgebäude in Berlin wurde von Nikitchenko eröffnet.

Die Auswahl der Angeklagten

Bei der Auswahl der Angeklagten versuchten die Ankläger, die sich in verschiedenen Bereichen weit fächernde kriminelle Energie des nationalsozialistischen Regimes abzudecken. Hierbei stellte sich zunächst das Problem, wer überhaupt in Frage kommen konnte. Adolf Hitler und Joseph Goebbels waren, ebenso wie Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich tot, Adolf Eichmann und Martin Bormann unauffindbar (letzterer stand aber bis zum Ende auf der Liste und wurde in Abwesenheit verurteilt), in mancher Hinsicht griff man notgedrungen auf Personen zurück, die nicht in vorderster Reihe gestanden hatten – und deren Namen der Nachkriegsgeneration nicht unbedingt geläufig sind. So geschehen auch im Fall des Hans Fritzsche, der in russische Gefangenschaft geraten war und stellvertretend für Joseph Goebbels als Angeklagter für die Propagandamaschinerie auf der Anklagebank saß. Mit Bedacht wählte man Personen aus, die repräsentativ für bestimmte Einrichtungen und Bereiche waren. Für die Anklagebank waren daher repräsentativ vorgesehen (dahinter jeweils der Verteidiger):

Für die nationalsozialistische Führung:

  1. Reichsmarschall Hermann Göring (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Otto Stahmer,
  2. Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Günther von Rohrscheid (bis 05.02.1946, danach Dr. Alfred Seidl),
  3. Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann (Verbleib damals unbekannt - war bereits tot) (Anklagepunkte 1,3,4) - Dr. Friedrich Bergold,
  4. Außenminister Joachim von Ribbentrop (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Fritz Sauter (bis 05.01.1946), danach Dr. Martin Horn),
  5. Reichsorganisationsleiter der NSDAP Robert Ley (Anklagepunkte 1,3,4) - beging vor Prozessbeginn Selbstmord,
  6. der ehemalige Reichskanzler Franz von Papen (als Wegbereiter Hitlers) (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Egon Kubuschok.

Für das Oberkommando der Wehrmacht (OKW):

  1. Der Chef des OKW Wilhelm Keitel (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Otto Nelte,
  2. der Chef des Wehrmachtsführungsstabes Alfred Jodl (Anklagepunkte 1 – 4) - Prof. Dr. Franz Exner und Prof. Dr. Hermann Jahrreiß.

Für die Kriegsmarine:

  1. Großadmiral Erich Raeder (Oberbefehlshaber bis 1943) (Anklagepunkte 1,2,3) - Dr. Walter Siemers,
  2. Großadmiral Karl Dönitz (Oberbefehlshaber von 1943 - 1945) (Anklagepunkte 1,2,3) - Flottenrichter Otto Kranzbühler.

Für das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) - und damit auch für die Gestapo, Kriminalpolizei und SD:

  1. Der Chef des RSHA Ernst Kaltenbrunner (Anklagepunkte 1,3,4) - Dr. Kurt Kaufmann.

Für die Kriegswirtschaft:

  1. Reichsminister für Bewaffnung und Munition Albert Speer (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Hans Flächsner,
  2. der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Robert Servatius,
  3. Reichsbankpräsident (bis 1939) Hjalmar Schacht (Anklagepunkte 1,2) - Dr. Rudolf Dix,
  4. Reichsbankpräsident (von 1939 - 1945) Walther Funk (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Fritz Sauter,
  5. Unternehmer Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (krankheitsbedingt prozessunfähig).

Für die Verbrechen in den (ehemals) besetzten Gebieten (und insbesondere in Konzentrationslagern):

  1. Der Generalgouverneur in Polen Hans Frank (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Alfred Seidl,
  2. der Reichskommissar in den Niederlanden Arthur Seyß-Inquart (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Gustav Steinbauer,
  3. Reichsminister für die besetzten Ostgebiet Alfred Rosenberg (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Alfred Thoma,
  4. der Reichsprotektor für Böhmen und Mähren (bis 1943) Konstantin von Neurath (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Otto von Lürdinghausen,
  5. der Reichsprotektor für Böhmen und Mähren (1943 - 1945) Wilhelm Frick (Anklagepunkte 1 – 4) - Dr. Otto Pannenbecker .

Für die nationalsozialistische Propagandamaschinerie:

  1. Der Herausgeber des Hetzblatts "Der Stürmer" Julius Streicher (Anklagepunkte 1,4) - Dr. Hans Marx,
  2. der Leiter der Rundfunkabteilung im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Hans Fritzsche (Anklagepunkte 1, 3,4) - Dr. Heinz Fritz,
  3. (im weitesten Sinne dazugehörend) der Reichsjugendführer Baldur von Schirach (Anklagepunkte 1,4) - Dr. Fritz Sauter.

Die institutionelle Zuordnung der einzelnen Angeklagten soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Verschränkungen in der Verantwortlichkeit für die zahlreichen Verbrechen unter dem nationalsozialistischen Regime gab. So zum Beispiel war Göring selbstverständlich mitverantwortlich für die Kriegsführung, die Befehle des Reichssicherheitshauptamtes und den Holocaust, ebenso, wie Kaltenbrunner nicht nur für die Deportationen, sondern auch für die Verbrechen in den Konzentrationslagern verantwortlich zeichnete.

Angeklagt wurden Verbrechen, nicht Meinungen. Z.B. wurde der Parteiideologe Rosenberg nicht wegen seiner Schriften sondern wegen Verbrechen verurteilt, die in seinem Auftrag verübt wurden.

Angeklagte Organisationen

Aufspüren der Angeklagten

Das Chaos des Zusammenbruchs des Dritten Reiches machte es nicht einfach, die Angeklagten zu finden. Adolf Hitler und Joseph Goebbels hatten Selbstmord begangen. Himmler beging nach der Verhaftung Selbstmord, er in war einer Kontrolle durch zu gut gefälschte Papiere aufgefallen. Heß war nach seinem Englandflug seit Jahren in britischer Gefangenschaft. Streicher, der sich als Maler getarnt hatte, geriet durch einen Zufall in Haft, weil ein amerikanischer Soldat ihn um ein Glas Milch bat und er daraufhin erkannt wurde. Schirach stellte sich - er galt als tot, Göring geriet mit 17 LKW Gepäck und seiner Familie in Haft. Papen fand sich in einer Jagdhütte, auf Frank wurde man nach einem gescheiterten Selbstmordversuch in einem Lager aufmerksam. Rosenberg wurde bei der Suche nach Himmler in einem Lazarett gefunden. Ley wurde von der kanadischen Marine aufgebracht, Bormann blieb gänzlich verschwunden.

Die Verhandlung

Die Verhandlung wurde nach dem Muster des amerikanischem Strafprozesses durchgeführt. So wurden die Angeklagten nach der Verlesung der Anklage einzeln aufgerufen zur Frage, ob sie sich schuldig oder nicht schuldig bekennen (alle bekannten sich nicht schuldig). Außerdem wurde das für das amerikanische Prozessverfahren typische Kreuzverhör praktiziert, bei welchem auch die Angeklagten in den Zeugenstand treten konnten. Dokumente und Unterlagen (belastende wie entlastende) wurden in vier Sprachen übersetzt (englisch, französisch, russisch und deutsch). Insgesamt wurden 240 Zeugen gehört, 300.000 eidesstattliche Erklärungen zusammengetragen; das Sitzungsprotokoll umfasst 16.000 Seiten.

Auch in technischer Hinsicht stellte das Verfahren vor dem IMG ein Novum in der Geschichte zu Gerichtsprozessen dar: Es wurden eine Vielzahl von Simultandolmetschern bereit gestellt, die die Fragen der Ankläger und des Gerichts sowie die Zeugenaussagen für die Angeklagten ins Deutsche übersetzten, genauso wie umgekehrt die Aussagen der Angeklagten für die übrigen Beteiligten in die jeweilige Fremdsprache übersetzt wurden.

Urteile gegen die Hauptangeklagten

Für eine Verurteilung der Angeklagten bedurfte es von vier Richterstimmen einer Mehrheit von drei Voten, die sich dafür aussprachen. Im Fall von Schacht und von von Papen führte die Patt-Situation (2 : 2) zum Freispruch, für eine milde Bestrafung des Angeklagten Fritzsche sprach sich nur der sowjetische Richter Nikitschenko aus.

Angeklagter Anklagepunkte Schuldig in Urteil
Martin Bormann 1,3,4 3,4 Todesurteil (in Abwesenheit)
Karl Dönitz 1,2,3 2,3 10 Jahre Haft
Hans Frank 1,3,4 3,4 A Todesurteil
Wilhelm Frick 1,2,3,4 2,3,4 A Todesurteil
Hans Fritzsche 1,3,4 - Freispruch
Walther Funk 1,2,3,4 2,3,4 A lebenslange Haft
Hermann Göring 1,2,3,4 1,2,3,4 A Todesurteil (tötete sich vor der Vollstreckung selbst)
Rudolf Heß 1,2,3,4 1,2 lebenslange Haft
Alfred Jodl 1,2,3,4 1,2,3,4 Todesurteil
Ernst Kaltenbrunner 1,3,4 3,4 A Todesurteil
Wilhelm Keitel 1,2,3,4 1,2,3,4 Todesurteil
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach 1,2,3,4 - Verfahrenseinstellung aus gesundheitlichen Gründen
Robert Ley 1,2,3,4 - (tötete sich vor Prozessbeginn selbst)
Konstantin von Neurath 1,2,3,4 1,2,3,4 A 15 Jahre Haft
Franz von Papen 1,2 - Freispruch
Erich Raeder 1,2,3 1,2,3 lebenslange Haft
Joachim von Ribbentrop 1,2,3,4 1,2,3,4 A Todesurteil
Alfred Rosenberg 1,2,3,4 1,2,3,4 A Todesurteil
Fritz Sauckel 1,2,3,4 3,4 Todesurteil
Horace Greely Hjalmar Schacht 1,2 - Freispruch
Baldur von Schirach 1,4 4 A 20 Jahre Haft
Arthur Seyß-Inquart 1,2,3,4 2,3,4 A Todesurteil
Albert Speer 1,2,3,4 3,4 20 Jahre Haft
Julius Streicher 1,4 4 A Todesurteil

(1)  Verschwörung, (2) Verbrechen gegen den Frieden, (3) Kriegsverbrechen, (4) Verbrechen gegen die Menschlichkeit; A = antijüdische Taten(!) der Angeklagten spielte bei der Urteilsbegründung eine Rolle

Mit Ausnahme von Speer und Kaltenbrunner reichten alle anderen Verurteilten Gnadengesuche beim alliierten Kontrollrat ein. Diese wurden jedoch abschlägig beschieden. Die elf Todesurteile wurden am 16. Oktober 1946 in der Sporthalle des Nürnberger Gefängnisses vollstreckt.

Hinsichtlich der mitangeklagten Organisationen waren laut Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs als nicht verbrecherisch einzustufen

  • die Reichsregierung,
  • das Oberkommando und der Generalstab der Wehrmacht
  • die SA und
  • die Reiter-SS.

Öffentlichkeit

Von Anfang an war das Verfaren vor dem IMG ein öffentliches. Etwa 250 Zeitungs- und Rundfunk-Berichterstatter aus aller Welt berichteten vom Prozess, führende politische Persönlichkeiten aus Deutschland wurden eingeladen, damit sie Eindrücke vom Inhalt und Verlauf des Prozesses gewinnen konnten. Nach Abschluss des Prozesses wurden die vollständigen Protokolle in authentischer Textfassung veröffentlicht, die auch die Statute und einige Dokumente enthält.

Sonstiges

Der Ort des Prozesses ist heute im Rahmen von Führungen am Wochenende zu besichtigen: Justizpalast, Schwurgerichtssaal 600, Fürther Str. 110.

Die Folgeprozesse

Gegen Ende des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher wurden die Spannungen zwischen den USA und der Sowjet-Union größer: der Kalte Krieg begann. Die weiteren Verfahren wurden deswegen allein von den Amerikanern durchgeführt.

Prozessprotokolle, Dokumente

  • Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 1945 - 1. Oktober 1946. Amtlicher Text Verhandlungsniederschriften. Nürnberg 1947; Fotomechanischer Nachdruck: Frechen 2001, Bände 1-23. ISBN 3898361217 (Auch: Fotomechanischer Nachdruck: München/Zürich 1984, Bände 1-18.)

Literatur

  • Wolfgang Benz (Hrsg.): Legenden, Lügen, Vorurteile. München
  • Martin Gilbert: "Nürnberger Tagebuch" Frankfurt
  • Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden.
  • Alfred Seidl, Der Fall Rudolf Hess 1941 - 1987. Dokumentation des Verteidigers, München 1997
  • Steffen Radlmaier (Hrsg.): Der Nürnberger Lernprozess - Von Kriegsverbrechern und Starreportern, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3821845031
  • Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943-1952. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3596135893.

Siehe auch: