KZ Engerhafe

nationalsozialistisches Konzentrationslager in Ostfriesland (Oktober–Dezember 1944)
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Das Konzentrationslager (KZ) Engerhafe nördlich von Aurich war das einzige Konzentrationslager in Ostfriesland. Es wurde am 21. Oktober 1944 als Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme im Zusammenhang mit dem Bau des sogenannten Friesenwalls errichtet. Der Friesenwall war eine projektierte, aber nur teilweise vollendete Wehranlage an der deutschen Nordseeküste, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs erstellt werden sollte. Das KZ Engerhafe war hierbei für die Errichtung von Panzergräben rund um die Stadt Aurich zuständig. Kurz vor der Fertigstellung der "Rundumverteidigung Aurichs" erfolgte am 22. Dezember 1944 die Auflösung des Lagers. Innerhalb der zwei Monate des Bestehens starben 188 Häftlinge.

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Mahnmal auf dem Friedhof von Engerhafe

Geografische Lage

 
Geografische Lage KZ Engerhafe

Das Areal, auf dem 1942 zunächst das Arbeitslager und später das KZ Engerhafe errichtet wurde, liegt unmittelbar an der Kirche des Ortes Engerhafe in Ostfriesland. Ca. 3km vom eigentlichen Lager entfernt befindet sich mit Georgsheil der Ort, an dem sich die Bahnlinien nach Norden, Aurich und Emden kreuzen. Über den Bahnhof von Georgsheil wurden die Gefangenen nach Georgsheil verbracht und täglich zu ihren Arbeitsplätzen in Aurich transportiert. Das Lager hatte weder Trink- noch Waschwasser und verfügte über keinerlei Kanalisation. Trotz der widrigen Wetterbedingungen im ostfriesischen Spätherbst waren die Baracken nicht beheizt. Die Wahl des Standorts Engerhafe für das zu errichtende Außenlager erfolgte aufgrund der zentralen Lage zwischen Aurich, Emden und Norden, des bereits vorhandenem Lagerareals der Organistaion Todt sowie der guten, ebenfalls bereits vorhandenen Transportwege.

Vorgeschichte

Am 16. März 1942 beschlagnahmte die Organisation Todt Pfarrgarten und Pfarrhaus der damals vakanten Kirchengemeinde in Engerhafe und errichtete hier Baracken für Zwangsarbeiter, welche für den Bau von Luftschutzbunkern in der Stadt Emden zuständig waren. Dieses Arbeitslager war nicht eingezäunt und nicht bewacht. Einwohner von Engerhafe konnten an Filmvorführungen im Aufenthaltsraum teilnehmen.

Am 28. August 1944 befahl Adolf Hitler, die gesamte Nordseeküste mit mehreren Verteidigungslinien und Riegelstellungen, dem sogenannten "Friesenwall", zu befestigen.

Um die militärische Bauführung kümmerte sich zunächst das Marine-Oberkommando Nordsee in Wilhelmshaven zusammen mit dem Generalkommando X in Hamburg, die technische Bauleitung übernahmen die Wehrmacht und die Organisation Todt mit 50 Firmen. Am 18. September 1944 richtete das Oberkommando der Wehrmacht dann den "Führungsstab Nordseeküste" mit Sitz in Hamburg ein. Für die unmittelbare Bauleitung wurde der 'Admiral Deutsche Bucht' mit Sitz in Wilhelmshaven eingesetzt. Das Konzentrationslager Neuengamme stellte die Arbeitskräfte und errichtete zu ihrer Unterbringung sieben Außenlager; eines davon ist das KZ Engerhafe.

KZ Engerhafe

 
"KZ und Kirche", 2000 auf Grundlage von Augenzeugenberichten entstandene Kohlezeichnung von Herbert Müller

Am 21. Oktober 1944 erfolgte die Umwandlung des Barackenlagers in ein Nebenlager des Konzentrationslagers Neuengamme. Für das Außenlager des KZ musste weiteres Land beschlagnahmt werden, nämlich Kirchenland nördlich der Pastorei, der Spielplatz der Engerhafer Volksschule sowie ein Streifen Privatland westlich des Dodentwenter Weges. Die ersten 400 Insassen wurden Mitte Oktober mit der Bahn nach Engerhafe transportiert. Der Transfer aus dem Konzentrationslager Neuengamme dauerte zwischen 20 und 30 Stunden. Dieses Vorrauskommando musste zunächst das Barackenlager in ein KZ umwandeln, indem es Sicherungsanlagen für das Lager errichtetete, so unter anderem Stacheldrahtzäune und Wachtürme. Daraufhin erbauten die Insassen zwei weitere Baracken und die Baracken zur Tarnung mit steilen Dächern versehen, damit sie aus der Luft aussahen wie landwirtschaftliche Gebäude. Nach Fertigstellung wurde das Lager dann mit etwa 2000 bis 2200 Häftlingen belegt. Diese trafen auf dem Bahnhof Georgsheil – drei Kilometer von Engerhafe entfernt – in Viehwaggons ein und kamen aus ganz Europa. Die größte Gruppe stammte aus den Niederlanden. Sie waren als Widerstandskämpfer, Geiseln oder Zwangsarbeiter verhaftet worden. Die unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Häftlinge untergebracht waren, forderten schon bald erste Todesopfer. Am 4. November wurden die ersten vier Insassen beerdigt. Die Kirchenchronik vom 6. November 1944 vermerkt dazu: "Das Barackenlager im Pfarrgarten ist seit einiger Zeit in ein Gefangenenlager verwandelt und sehr stark belegt worden. Es sind Todesfälle eingetreten, bis zum heutigen Tag zehn." [1].

Ursprünglich war Engerhafe als provisorisches Sommerlager für 400 Menschen angelegt worden. Nach der Umwandlung in ein KZ-Außenlager hausten hier jedoch 2000 bis 2200 Häftlinge in drei 50 Meter langen und acht bis zehn Meter breiten ungeheizten Baracken, in denen lediglich die Betten Platz hatten. Jeweils drei Schlafgelegenheiten standen übereinander, und in jedem Bett schliefen zwei oder gar drei Männer auf Strohsäcken. Das Lager hatte weder Trink- noch Waschwasser und verfügte über keinerlei Kanalisation. Trotz der widrigen Wetterbedingungen im ostfriesischen Spätherbst waren die Baracken nicht beheizt. Der Tagesablauf der Insassen sah in etwa so aus:

Morgens um 4 Uhr weckten SS-Aufseher die Gefangenen, danach bekamen sie ein Stück Brot, etwas Marmelade und je 20 Gramm Margarine und Wurst zum Frühstück. Es folgte der Zählappell. Anschließend marschierte der größte Teil der Insassen in Fünferreihen eingehakt zum Bahnhof von Georgsheil, von wo aus sie im offenen Güterwagen nach Aurich fuhren. Nach dieser kurzen Ruhepause folgte ein weiterer langer Marsch durch Aurich hindurch zur Arbeitsstelle. Dort leisteten die geschwächten Männer Schwerstarbeit: Mit Schaufeln gruben sie bis zu zweieinhalb Meter tiefe Erdlöcher in den zähen Lehmboden, wobei sie oft stundenlang bis zu den Knien im Wasser standen. Spät abends ging es dann zurück und die Insassen erhielten ein Abendessen, das meist aus einer Wassersuppe mit Kohl und ein paar Pellkartoffeln bestand.

Die Hauptaufgabe der Gefangenen war die Errichtung eines Panzergrabens rund um die Stadt Aurich im Zusammenhang mit dem Bau des sogenannten Friesenwalls. Am 15. Dezember 1944 begann der Rücktransport von 500 Schwerstkranken nach Neuengamme. Mit der Überstellung der restlichen Häftlinge nach Neuengamme am 22. Dezember 1944 wurde das Lager wieder aufgelöst. Zehn Tage später galt die "Rundumverteidigung Aurichs" als vollendet. 188 Menschen sind in der Zeit von Oktober bis Dezember 1944 im KZ Engerhafe zu Tode gekommen.

Reaktion der Bevölkerung

Es darf als gesichert gelten, dass viele Menschen von der Existenz des Lagers wussten. Schließlich wurden die Insassen auf ihrem Weg zu den Arbeitsplätzen in Aurich durch die Stadt getrieben. Das Ostfriesland Magazin berichtet davon, dass die Bürger den Zug der Gefangenen - der sogenannten "Gelbkreuzler" - ängstlich aus der Distanz beobachteten und es vorzogen, in ihre Häuser zu gehen, da sie den Anblick nicht ertragen konnten. Doch es gibt auch Berichte darüber, dass Dorfbewohner den Gefangenen gelegentlich etwas Essen zusteckten. Eine besondere Erwähnung verdient hierbei der Müller der Vosbergmühle in Aurich. An dieser Mühle entstand ein Auffanglager für die Arbeitsunfähigen und völlig entkräfteten Zwangsarbeiter des KZ Engerhafe. Dem Müller gelang es, den Gefangenen Nahrung zuzustecken, ohne die Aufmerksamkeit der Aufseher zu erregen. Elke Suhr berichtet weiterhin von Schulkindern, welche den Häftlingen durch den Lagerzaun, der an den Schulhof angrenzte, Pausenbrote zusteckten [2].

Nach 1945

 
"Schädelportrait Nr. 155", Kohlezeichnung von Herbert Müller

Der ehemalige Lagerleiter, ein SS-Mann aus der Tschechoslowakei, wurde von der Auricher Staatsanwaltschaft vor Gericht gestellt, allerdings nie verurteilt. 1952 wurden die Leichen im Auftrag des französischen Suchdienstes exhumiert und identifiziert. Hilfreich war hierbei das Friedhofs-Lagerbuch der Kirchengemeinde Engerhafe, welches den Namen, das Geburtsdatum und die Nationalität der auf dem Engerhafer Kirchhof bestatteten KZ-Häftlinge fein säuberlich ausführt. Unter den 188 Toten, die in Engerhafe beerdigt worden waren, befanden sich: 68 Polen, 47 Holländer, 21 Letten, 17 Franzosen, neun Russen, acht Litauer, fünf Deutsche, vier Esten, drei Belgier, drei Italiener sowie je ein Däne, Spanier und Tscheche. Die Franzosen und ein Teil der Niederländer wurden nach der Identifizierung in ihre Heimat überführt, die übrigen identifizierten Niederländer kamen 1954 zum Heeger-Friedhof in Osnabrück und wurden 1955 auf den Stoffeler-Friedhof in Düsseldorf umgebettet. Die verbliebenen Toten sind wieder auf dem Engerhafer Friedhof beerdigt worden.

Vom Lager selbst existieren nur noch spärliche Überreste von den mit Erde verfüllten Mauern der Latrinengrube. Wann die anderen Gebäude abgetragen wurden, ist nicht mehr zu ermitteln.

Gedenkstätte

Kurz nach Kriegsende richtet die "Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus" eine Gedenkstätte ein, die sie mit einer niedrigen Hecke umgab. Ein flacher Gedenkstein an der Nordseite vor dem Glockenturm erhielt damals die Aufschrift: "Hier ruhen ?.?.?. Opfer des Faschismus". "R.I.P." ("Ruhe in Frieden").

 
Mahnmal mit den Namen der 188 Opfer des Lagers

1989 wurden drei weitere Gedenksteine errichtet. Auf den beiden äußeren Gedenksteinen sind die Namen der 188 Opfer des Lagers verewigt. Der mittlere Gedenkstein trägt die Inschrift: "Während der Monate Oktober bis Dezember befand sich in unserem Dorf das K. Z. ENGERHAFE KOMMANDO AURICH-NEUENGAMME. In diesem Lager wurden bis zu 2000 Menschen gefangen gehalten, die beim Bau von Befestigungsanlagen um Aurich eingesetzt waren. Von Ihnen starben 188 aufgrund der unmenschlichen Lebensbedingungen. Sie wurden in einem Massengrab auf dem Friedhof begraben. Der französische Suchdienst -Dêlêgation Générale pour l'Allemagne et l'Autriche - Comité de Coordination de Recherche et d' Exhumation, Göttingen- ließ die Leichen im Jahr 1952 exhumieren und in Einzelsärgen bestatten. Einige der Toten wurden in ihre Heimatländer überführt oder auf andere Friedhöfe umgebettet. Sie waren unsere Brüder".

2003 begann die Gemeinde Südbrookmerland, den letzten verbliebenen Rest des Lagers, den Grundriss Latrinengrube, wieder sichtbar zu machen und in die Gedenkstätte zu integrieren. Derzeitige Planungen sehen vor, eine Erinnerungsstätte für das KZ in Form eines Geschichtshauses einzurichten.

Der Maler Herbert Müller hat sich seit 1989 in seiner Kunst mit diesem Lager beschäftigt. Es entstanden Reihen von Gemälden und Zeichnungen, welche die Situation aus dem Jahre 1944 mit künstlerischen Mitteln rekonstruieren, die Situation der gefangenen Menschen darstellen und Dokumente, die Totenzettel und den Grabungsbericht der allierten Kommission über die Funde aus den Massengräbern einarbeiten. Grundlagen für die Arbeit waren sind Erzählungen von Zeitzeugen, ehemaligen Häftlingen aus Engerhafe und Aurich, der Bericht von Martin Wilken, Dokumentationsmaterial der allierten Kommission von 1952 und zeichnerische Studien vor Ort.

Siehe auch

Zitatquellen

  1. ver.di Jugend Ostfriesland/Wilhelmshaven: Der verdrängte Herbst von Engerhafe, 01.09.2004
  2. Elke Suhr, "Das Konzentrationslager im Pfarrgarten. Ein Panzergraben-Kommando für den Friesenwall, Aurich-Engerhafe 1944", Oldenburg 1984

Literatur

  • Martin Wilken, "Das Konzentrationslager Engerhafe. Kommando Aurich-Neuengamme"
  • Elke Suhr, "Das Konzentrationslager im Pfarrgarten. Ein Panzergraben-Kommando für den Friesenwall, Aurich-Engerhafe 1944", Oldenburg 1984.
  • Manfred Staschen, Die Arbeits- und Gefangenenlager um Aurich und das KZ-Außenlager in Engerhafe.
  • Martin Wilcken "Barackenlager im Pfarrgarten", in: Heimatkunde und Heimatgeschichte, Beilage zu den Ostfriesischen Nachrichten, 4/1982
  • Ostfriesland Magazin (Ausgabe 11/1994)