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Markuskirche (Stuttgart)

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Die Markuskirche

Die Markuskirche ist eine evangelische Kirche im Stadtbezirk Süd der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart. Das Bauwerk ist beim Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg als Baudenkmal eingetragen. Sie steht an der Filderstraße, Ecke Römerstraße, im Lehen. Sie wird von der Evangelischen Kirchengemeinde Markus-Haigst, die zum Kirchenkreis Stuttgart der Evangelischen Landeskirche in Württemberg gehört, als Gemeindekirche genutzt. An das Kirchengelände grenzt der Fangelsbachfriedhof.

Baumeister
Heinrich Dolmetsch

Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung Stuttgarts stark anwuchs und die Stadt mit den umliegenden Dörfern zusammenzuwachsen begann, wurde die Markusgemeinde aus Teilen der Leonhards-, Paulus- und der Heslacher Gemeinde gegründet. Sie verfügte zunächst nur über eine Behelfskirche beim Friedhof an der Heusteigstraße. Mit der Planung der neuen Kirche wurde der württembergische Kirchenarchitekt Heinrich Dolmetsch beauftragt. Der Grundstein wurde am 8. Juli 1906 gelegt. Am 29. März 1908 wurde die nach dem Evangelisten Markus benannte Kirche in Anwesenheit von König Wilhelm II. eingeweiht. Als eines der ersten in Stahlbeton ausgeführten Gotteshäuser ist die Markuskirche von hoher Bedeutung für den Sakralbau des 20. Jahrhunderts. Sie blieb im Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschädigt. Von 1976 bis 1978 erfolgte eine umfangreiche Restaurierung.

Markuskirche Stuttgart, Portal

Die Kirche ist im Jugendstil errichtet, was bei Sakralbauten in Deutschland als Ausnahmeerscheinung gelten kann. Es handelt sich um eine dreischiffige Hallenkirche in verputztem Mauerwerk, wobei die vergleichsweise niedrigen Seitenschiffe eher wie Nebenräume auftreten, so dass insgesamt der Charakter einer Saalkirche mit einheitlichem Schiff besteht. Der seitlich angestellte Turm (48,5 m hoch) ist einer der weltweit ersten in Stahlbeton ausgeführten Kirchtürme, aber auch das Kirchenschiff ist aus diesem Baumaterial. Da der Beton vollständig verputzt wurde, ist dies bei bloßer Betrachtung nicht erkennbar. Die Eisenbeton-Tonne der Mittelschiff-Decke überspannt bei 46,75 Meter Länge, 14,7 Meter Breite und 13,35 Meter Höhe den Hauptraum, die Kreuzgewölbe von Chor und Seitenschiffen sind ebenfalls in Eisenbeton ausgefgührt. „Außergewöhnlich war […] die Verwendung des Eisenbetons für die weitgespannte Tragkonstruktion des Gebäudes und das Gerüst des Turms. Eisenbeton war in Deutschland zuvor fast nur für Unterkonstruktionen verwendet worden. Nach der Münchner Rupertuskirche (1900), die auf früheren französischen Vorläufern fußt, wurde Eisenbeton erst durch Theodor Fischer in dessen Ulmer Garnisonskirche und zeitgleich in der Markuskirche wieder aufgegriffen.“[1]

Eine spätbarocke Formensprache hat die geschweifte Haube des Turmes, der vom quadratischen Grundriss ins Achteck und schließlich ins Rund übergeht. Überwiegend am Außenbau finden sich romanische Elemente, zum Beispiel die Säulen am Hauptportal, die Rundbogenfenster, die Friese. Über dem westlichen Langhausgiebel erscheint ein goldener Löwe als Symbol des Evangelisten Markus.

Der Innenraum ist – von den untergeordneten Seitenschiffen abgesehen – ein einheitlicher Saal, der von einem Tonnengewölbe mit Kassetten überspannt ist. Im Inneren kann man wiederum die Säulen als romanisch betrachten, während das kassettierte Tonnengewölbe eine Verbindung zur Renaissance herstellt. Zwischen den Arkaden und den großen Rundfenstern des Obergadens sind Relieffriese mit Szenen aus dem Markusevangelium eingefügt.

Der Jugendstileinfluss ist in erster Linie in der Ausstattung und Ornamentierung vorhanden, angefangen bei dem Christuskopf über dem Hauptportal und den Schmuckformen der Portaleinfassungen, weiter dann durch die Türbeschläge, das farbige Glas der Türfüllungen, die teilweise noch vorhandenen ursprünglichen Lampen, die Treppengeländer, und die Möbel in der Sakristei. Von der Innenausstattung sind die Kanzelintarsien von Rudolf Yelin d. Ä. und der Altarschmuck in kunstgewerblichem Leder mit Holzintarsien beachtenswert. Der Prospekt der Orgel ist der einzige in Stein gefertigte nördlich der Alpen. Die Position der Orgel und der Sängerempore hinter dem Altar ist außergewöhnlich.

Friedrich von Keller entwarf die acht Wandrelief-Szenen aus dem Markus-Evangelium, je vier an der Süd- wie auch Nordwand zwischen den Obergaden und den Arkaden. Sie wurden bis 1908 in U-förmiger Anordnung von vorne links (Taufe Jesu) über hinten links/rechts nach vorne rechts (Kreuzaufrichtung) ausgeführt von den Bildhauern Bausch, Gäckle, Gimmi, Lindenberger und Rheineck, bewusst ohne Farbgebung um der ruhigeren Wirkung willen.

Rudolf Yelin d. Ä. entwarf die Relief-Holzintarsien an der Kanzel mit ihrer sinnbildlichen Beziehung auf das dort gesprochene Wort: der Sämann, der den Samen ausstreut, der Gärtner, der nach der Frucht fragt, und der Schnitter, der die Garben einsammelt. Die Kanzel ist bis ins einzelne wie ein Musikinstrument geplant worden. Der Schalldeckel und die Brüstung sollen durch ihre Kegelstumpfformen den auf sie treffenden Schall bündeln, die hohle hölzerne Rückwand ist als Resonanzkörper konzipiert. Auch der seitliche Standort für die Kanzel am linken Chorbogen ist aus akustischen Gründen günstig.

Heinrich Dolmetschs kunsthandwerkliche Spezialität und Novität waren seit 1895 die von ihm selbst entworfenen und ausschließlich vom Stuttgarter Lederwarenfabrikant Albert Feucht kunstvoll gefertigten Leder-Altarantependien (siehe auch Backnang Stiftskirche 1895, Urach Amanduskirche 1901 und Metterzimmern 1906) oder Paravents/Füllungen (Murrhardt 1896, Uhlbach 1895).[2]

Die Nische mit dem Taufstein bildet ein optisches Gleichgewicht zur Kanzel. Der obere Abschluss der Nische wird durch die Darstellung der Taube, eine Relief-Intarsie, geziert. Der Taufstein selbst ist mit symbolischen Wassertieren und der Inschrift „Lasset die Kindlein zu mir kommen“ geschmückt. Der kupferne Deckel von Adolf Gauger ist mit Ornamenten versehen und trägt die Figur Johannes des Täufers.

Das den Altarraum beherrschende Steinkreuz hat der Bildhauer Hermann Lang geschaffen. Darüber hinaus gibt es an Kapitellen und Friesen noch reichhaltige Bauplastik.

Glasgemälde: Die Innenansichten von 1913[3] belegen, dass die Markuskirche von Anfang an mit ornamentalen Glasgemälden ausgestattet war. Sie waren während des Zweiten Weltkriegs wohl nicht ausgebaut und fielen daher den Kriegseinwirkungen zum Opfer. Der im Münchner Architekturmuseum archivierte Dolmetsch-Nachlass enthält seine Entwürfe, deren Verwirklichung mit den vorgenannten Fotografien übereinstimmen. Als Glaskünstler kommt der Stuttgart Kunstmaler Kurt Gläsche (1874–1956) infrage, mit dem Heinrich Dolmetsch und sein Sohn und Büro-Nachfolger Theodor gerade bei Jugendstil-Gestaltungen in diesen Jahren häufig zusammengearbeitet haben.[4]

Wolf-Dieter Kohler schuf 1958 recht starkfarbige Glasgemälde: für die drei Emporenfenster (Engelsgestalten der Offenbarung) und für die 19 Schiff-Fenster (zur Filderstraße von links nach rechts: 1. Gruppe Schöpfungsansichten und Sündenfall, 2. Gruppe Noah, 3. Gruppe Abraham; zum Friedhof von rechts nach links: 4. Einzelfenster Engel, 5. Gruppe Mose, 6. Gruppe David, 7. Gruppe Elia). Die Fenster wurden 1958 eingesetzt und auch bei der grundlegenden Renovierung vor 1978 belassen, obwohl sie zur farblich sehr dezenten Ästhetik des Kirche in starkem Kontrast stehen.

Orgel der Markuskirche
Orgel der Markuskirche

Das Instrument wurde 1908 von der Orgelbaufirma E. F. Walcker & Cie. erbaut. 1935 wurde die Orgel durch Walcker im Sinne des Neobarock erweitert und umdisponiert. 1955 wurde das Instrument erneut erweitert; das im Mittelfeld des Prospektes ursprünglich sichtbare Fenster wurde durch eine 16′-Pfeifenreihe verdeckt. 1969 wurde das Instrument durch die Orgelbaufirma Steinmeyer umgestaltet, und von Kegelladen auf elektropneumatischer Schleifladen umgestellt. Das Orgelwerk umfasst heute 60 Register (1908 waren es 53) auf drei Manualwerken und Pedal. Die Spiel- und Registertrakturen sind elektropneumatisch.[5]

I Hauptwerk C–g3
1. Principal 16'
2. Quintade 16'
3. Principal 08'
4. Spitzpfeife 08'
5. Grobgedeckt 08'
6. Quintflöte 0513'
7. Octave 04'
8. Rohrflöte 04'
9. Nasat 0223'
10. Octave 02'
11. Feldflöte 02'
12. Mixtur V-VI 02'
13. Kleinmixtur III 0 023'
14. Kornett II 0223'
15. Fagott 16'
16. Trompete 08'
Tremulant
II Positiv C–g3
17. Harfenprincipal 08'
18. Flöte 08'
19. Quintade 08'
20. Principal 04'
21. Blockflöte 04'
22. Octave 02'
23. Koppelflöte 02'
24. Terz 0135'
25. Quinte 0113'
26. Octävlein 01'
27. Scharff V 01'
28. Krummhorn 08'
29. Hautbois 04'
Tremulant
III Schwellwerk C–g3
30. Bordun 16'
31. Principal 08'
32. Rohrgedeckt 08'
33. Salicional 08'
34. Octave 04'
35. Nachthorn 04'
36. Geigenschwebung 04'
37. Spitzflöte 02'
38. Sifflöte 01'
39. Sesquialter II 0223'
40. Schreipfeife III
41. Mixtur VI 0113'
42. Quintzimbel III 014'
43. Dulzian 16'
44. Oboe 08'
45. Vox humana 08'
46. Schalmey 04'
Tremulant
Pedalwerk C–f1
47. Principalbass 16'
48. Subbass 16'
49. Gedecktbass (= Nr. 30) 0 16‘
50. Quintbass 1023'
51. Octavbass 08'
52. Gemshorn 08'
53. Waldflöte 04'
54. Holzflöte 02'
55. Hintersatz VI 0513'
56. Choralbass III 04'
57. Bombarde 32'
58. Posaune 16'
59. Dulzian (= Nr. 43) 16‘
60. Trompete 08'
61. Klarine 04'
62. Singend Kornett 02'
Tremulant
  • Koppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P (auch als Superoktavkoppel); II/II,
  • Spielhilfen: Setzeranlage, Tutti, Crescendowalze, Koppeln einzeln aus der Walze, Zungeneinzelabsteller

Stuttgarter Schuldbekenntnis

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Zu historischer Bedeutung gelangte die Markuskirche durch das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945. Es wurde durch eine Predigt Niemöllers in der Markuskirche mit vorbereitet. Daran erinnerte sich der Leiter der ökumenischen Delegation Willem Adolf Visser ’t Hooft in seiner Autobiographie:

„Als wir in dem großenteils zerstörten Stuttgart ankamen, hörten wir, daß am Abend in der Markuskirche ein besonderer Gottesdienst stattfinden würde, bei dem Bischof Wurm, Pastor Niemöller und Bischof Dibelius sprechen sollten. Niemöller predigte über Jeremia 14, 7–11: „Ach Herr, unsere Missetaten haben es ja verdient; aber hilf doch um deines Namens willen!“ Es war eine machtvolle Predigt. Niemöller sagte, es genüge nicht, den Nazis die Schuld zu geben, auch die Kirche müsse ihre Schuld bekennen.“

Willem Adolf Visser ’t Hooft

Als Frucht dieses Abendgottesdienstes entstand das Stuttgarter Schuldbekenntnis. Es wurde am Vormittag des 19. Oktober 1945 vor den Vertretern der Ökumene abgelegt und ihnen – wahrscheinlich im Haus Eugenstraße 22, das damals der Stiftskirchengemeinde zur Verfügung stand – übergeben. In der Markuskirche ist eine Gedenktafel mit seinem vollen Wortlaut angebracht. Die Behauptung, das Schuldbekenntnis sei dort vor der Gemeinde übergeben worden, ist eine Legende. Weitere Informationen, insbesondere auch zur Rezeption und heutigen theologischen und historischen Einschätzung enthält kirchen-online.com.

Fangelsbachfriedhof

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Grab von Gustav Siegle

Der Fangelsbachfriedhof wurde als Ersatz für den geschlossenen Leonhardsfriedhof und den noch genutzten Lazarettfriedhof im Jahr 1823 angelegt. Er gehört zu den bedeutendsten historischen Friedhöfen Stuttgarts. Persönlichkeiten wie der Baumeister Nikolaus von Thouret, der Fabrikant Gustav Siegle, der Direktor des Königlichen Naturalien-Kabinetts Oscar Fraas sowie Carl von Schiller, der Sohn Friedrich Schillers, liegen hier begraben. In der parkähnlichen Anlage sind klassizistische Engel und prunkvolle Gräber wohlhabender Bürger erhalten.

  • Willem A. Visser ’t Hooft: Die Welt war meine Gemeinde. Autobiographie. 2. Auflage. Piper, München u. a. 1974, ISBN 3-492-01973-0.
  • Norbert Bongartz: „Neuer Stil“ und Jugendstil. Zur Restaurierung der evangelischen Markuskirche in Stuttgart. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 7. Jg. 1978, Heft 1, S. 1–7 ([1], abgerufen am 5. April 2019).
  • Manfred Müller [Red.]: 75 Jahre Ev. Markuskirche Stuttgart. Hg. Kirchengemeinderat der Markusgemeinde, Stuttgart 1983.
  • Kunstführer: Evangelische Markuskirche Stuttgart. Hg. Evangelische Markusgemeinde Stuttgart, o. J. [ca. 1992].
  • Eva-Maria Seng: Der evangelische Kirchenbau im 19. Jahrhundert. Die Eisenacher Bewegung und der Architekt Christian Friedrich von Leins. Tübinger Studien zur Archäologie und Kunstgeschichte Band 15, Dissertation von 1992, veröffentlicht Tübingen 1995, Bilderseite 47 Abb. 132 f.
  • Ellen Pietrus: Die Kirchenneubauten von Heinrich Dolmetsch – Ein Architekt im Königreich Württemberg. In: Reutlinger Geschichtsblätter, Neue Folge Nr. 40, Jg. 2001, hg. Stadtarchiv Reutlingen und Reutlinger Geschichtsverein, 2001, S. 125–228.
  • Ellen Pietrus: Kirchenausstattungen von Heinrich Dolmetsch: vom Umgang mit Raumfassungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. 5, 2005, ISSN 0342-0027, S. 88–99.
  • Ellen Pietrus: Die Markuskirche in Stuttgart. Deutscher Kunstverlag, München u. a. 2007, ISBN 978-3-422-02035-1 (DKV-Edition).
  • Norbert Bongartz: Vom edlen Wettbewerb der Konfessionen beim Kirchenbau in Stuttgart – Zur Baugeschichte der Matthäuskirche. Benefiz-Vortrag zur Förderung ihrer Innenrenovierung am 13.7.2010, Stuttgart 2010.
  • Hermann Ehmer: Werdende Großstadt – wachsende Kirche. Die kirchliche Entwicklung Stuttgarts zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte, 113. Jg. Stuttgart 2013, S. 227–274.
Commons: Markuskirche – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Norbert Bongartz: Die „Denkmalkirche“ im Zeichen des Ringens um einen neuen protestantischen Kirchenbaustil. In: Markuskirche Stuttgart 1908/1978 – Festschrift; hg. Kirchengemeinderat der Markusgemeinde Stuttgart, Stuttgart 1978.
  2. Ellen Pietrus: Heinrich Dolmetsch. Die Kirchenrestaurierungen des württembergischen Baumeisters. Stuttgart 2008, S. 150–152.
  3. G. Gerok: Die Markuskirche in Stuttgart. In: Christliches Kunstblatt, 51. Jg., Heft 2, Stuttgart 1909, S. 33–36, im gesamten Heft 10 Abbildungen.
  4. vergleiche: Glasmalerei Gläsche: Firmenprospekt mit Referenzen. Stuttgart o. J. [1913].
  5. Informationen zur Orgel

Koordinaten: 48° 45′ 52,6″ N, 9° 10′ 27,1″ O