CESNUR


Das Zentrum für Studien über neue Religionen (italienisch Centro Studi sulle Nuove Religioni, CESNUR, englisch Center for Studies on New Religions) ist eine internationale Vereinigung zum Studium der neuen religiösen Bewegungen. Der Sitz ist in Turin, Präsident ist Luigi Berzano, Soziologieprofessor an der Universität Turin, Direktor ist Massimo Introvigne. Direktor für Frankreich ist Antoine Faivre.
Das Zentrum wurde 1988 von dem Juristen und Soziologen Massimo Introvigne, dem Geschichtswissenschaftler Jean-François Mayer, dem Religionswissenschaftler John Gordon Melton und der Soziologin Eileen Barker gegründet.
Aktivitäten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- CESNUR veranstaltete und veranstaltet Kolloquien an mehreren internationalen Universitäten[1] und hat eine Vielzahl von Studien veröffentlicht.[2] Die zwei Editionen der Enciclopedia delle religioni in Italia gelten in Italien allgemein als Standardnachschlagewerk zu religiösen Themen.[3]
- Die von CESNUR veranstalteten Kolloquien richten ihre Aufmerksamkeit zunehmend nicht mehr auf die neuen religiösen Bewegungen, sondern auf den religiösen Pluralismus im Allgemeinen, auf die Beziehungen zwischen Immigration, Globalisierung und Religion, und auf die verschiedenen Formen des Fundamentalismus. 2006 hat CESNUR ein Projekt zum Studium der chinesischen Immigration in Italien begonnen, auch gibt es eine regelmäßig aktualisierte Enzyklopädie der Religionen in Italien im Internet.[4]
- Wechsel in der stellvertretenden Direktion.
PierLuigi Zoccatelli (1965–2024) bekleidete über dreißig Jahre lang die Position des stellvertretenden Direktors des CESNUR (Center for Studies on New Religions).[5] Nach seinem plötzlichen Tod im Jahr 2024 wurde Márk Nemes zu seinem Nachfolger als stellvertretender Direktor ernannt.[6]
Kritik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Ansichten des CESNUR bezüglich der neuen religiösen Bewegungen wurden in Europa von Seiten der Gegner von Sekten und Psychogruppen kritisiert, während CESNUR seinerseits den Kampf gegen die Sekten als gefährlich für die Religionsfreiheit betrachtet.[7]
CESNUR antwortete auf die Vorwürfe, dass das persönliche Engagement Massimo Introvignes in der Alleanza Cattolica nichts mit der Ausrichtung der CESNUR zu tun habe und dass CESNUR von einem wissenschaftlichen Gremium geleitet werde, dessen Mitglieder die unterschiedlichsten religiösen und politischen Anschauungen hätten.[8][9]
CESNURS Informationsseiten im Internet über die Diskurse im Zusammenhang mit neuen Religionen werden von einigen Kritikern für zu „sektenfreundlich“ gehalten.[10]
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]CESNUR wurde 1988 auf einem von Massimo Introvigne, Jean-François Mayer und Ernesto Zucchini organisierten Seminar in Italien gegründet.[11][12] Introvigne ist ein italienischer Anwalt für geistiges Eigentum und Soziologiedozent, der auch als Direktor der Gruppe fungiert.[13] Introvigne ist seit 1972 Mitglied der katholisch-konservativen Organisation Alleanza Cattolica und war bis 2016 Vizepräsident dieser Gruppe.[14][15] Mayer ist ein Schweizer Historiker, der auf neue religiöse Bewegungen spezialisiert ist.[16] Er war eine Zeit lang Dozent an der Universität Freiburg und wurde 2012 vom Kanton Freiburg beauftragt, einen Bericht zur Situation der dortigen Religionsgemeinschaften zu erstellen.[17] Zucchini ist ein katholischer Priester, der 2009 Professor für Theologie an der Theologischen Fakultät der Diözese Massa Carrara-Pontremoli in Italien wurde und über die italienische Mystikerin Maria Valtorta und die Zeugen Jehovas publizierte und Vorträge hielt.[18][19]
Giuseppe Casale, ein katholischer Historiker und Erzbischof der Erzdiözese Foggia-Bovino, wurde zum ersten Präsidenten von CESNUR ernannt.[20][21] Später wurde Luigi Berzano Präsident von CESNUR.[22] In seiner Analyse der Abläufe einer der ersten CESNUR-Konferenzen schrieb der französische Soziologe Jean Séguy 1988, dass die meisten Teilnehmer Katholiken gewesen seien und die traditionelle katholische Sicht auf Phänomene wie Spiritualismus und New Age dargestellt hätten.[23]
Weitere Mitglieder des CESNUR-Vorstands sind Luigi Berzano, Gianni Ambrosio, Reender Kranenborg, Eileen Barker und J. Gordon Melton.[9][24] Berzano, der spätere Präsident von CESNUR, ist Professor für Soziologie an der Universität Turin.[22] Ambrosio ist ein italienischer Soziologe, der 2007 Bischof der katholischen Diözese Piacenza-Bobbio wurde.[25] Kranenborg ist ein niederländischer reformierter Theologe.[26] Barker ist ein Soziologin, die The Making of a Moonie: Choice or Brainwashing? (1984) schrieb und 1988 das Information Network Focus on Religious Movements (INFORM) gründete.[27] Melton ist angesehener Professor für amerikanische Religionsgeschichte an der Baylor University in Waco, Texas.[28]
1995 veröffentlichte die französische Parlamentarische Kommission für Sekten nach den Ereignissen um den Orden des Sonnentempels einen kritischen Bericht über Sekten. Es folgten ähnliche Berichte anderer Regierungen. CESNUR behauptete, diese Texte stützten sich übermäßig auf Informationen der Anti-Sekten-Bewegung und kritisierte sie öffentlich, insbesondere in einem Buch mit dem Titel Pour en finir avec les sectes.[29] Die kanadische Wissenschaftlerin Susan Jean Palmer schrieb, dass der Titel, übersetzt als „Um den Sekten ein Ende zu setzen“, eine doppelte Bedeutung habe und „absichtlich irreführend“ sei, da die Autoren nicht auf Sekten oder Kulte abzielten, sondern der staatlichen Kritik an ihnen ein Ende setzen wollten.[29] Die französischen Soziologen Jean-Louis Schlegel und Nathalie Luca rezensierten das Buch kritisch und stellten fest, dass die Autoren zwar mit ihrer Kritik an einigen Fehlern des Parlamentsberichts recht hatten, CESNUR sich jedoch mit dem Band von einer wissenschaftlichen zu einer militanten Anwaltsposition und zu einer einseitigen Verteidigung von Sekten bewegt hatte.[30][31] Laut Palmer verärgerte das Buch die französischen Behörden so sehr, dass einer seiner Mitautoren, der französische Historiker Antoine Faivre, von der Polizei vorübergehend verhaftet wurde (garde à vue). Ihm wurde vorgeworfen, vertrauliche Informationen über die von der Parlamentarischen Kommission befragten Personen preisgegeben zu haben. Er wurde jedoch nur für ein paar Stunden festgehalten und ein Richter ließ die Anklage später fallen.[32]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ https://www.cesnur.org/conferenze.htm
- ↑ https://www.cesnur.org/text_mov.htm
- ↑ Centro Studi sulle Nuove Religioni: Enciclopedia delle religioni in Italia. 2001, ISBN 978-88-01-01596-6 (italienisch, 1048 S.).
- ↑ https://www.cesnur.org/religioni_italia/default.htm
- ↑ Pierluigi Zoccatelli. Salesian Pontifical University. Archiviert vom am 22. Juli 2025; abgerufen am 22. Juli 2025 (englisch).
- ↑ CESNUR Appoints Dr. Márk Nemes as Deputy Director. In: Cesnur. 30. Juni 2025, archiviert vom am 22. Juli 2025; abgerufen am 22. Juli 2025 (englisch).
- ↑ 5.4 Internationale Aspekte im Bereich neuer religiöser und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen. 5.4.1 Vergleichbare Problemlagen in anderen Staaten. Archiviert vom am 2. April 2023; abgerufen am 21. Juni 2025 (nordsamisch).
- ↑ Alleanza Cattolica. 31. Januar 1998, archiviert vom am 27. März 2025; abgerufen am 21. Juli 2025 (italienisch).
- ↑ a b About CESNUR - Cosa è il CESNUR. In: CESNUR. Abgerufen am 21. Juli 2025 (italienisch).
- ↑ Gerald Willms: Die wunderbare Welt der Sekten: Von Paulus bis Scientology. Vandenhoeck & Ruprecht; Auflage: 1. Auflage 2012, ISBN 978-3525560136, S. 323.
- ↑ Michael Stausberg: The study of religion(s) in Western Europe III: Further developments after World War II. In: Religion. 39. Jahrgang, Nr. 3, 2009, S. 261–282, doi:10.1016/j.religion.2009.06.001 (englisch).
- ↑ TAYLOR & FRANCIS (Hrsg.): A Historical Introduction to the Study of New Religious Movements. Routledge New Religions. 1905, ISBN 978-1-138-05988-7 (englisch).
- ↑ Ross Clifford: John Warwick Montgomery's Legal Apologetic. Wipf & Stock Publishers, 2016, ISBN 978-1-4982-8233-8 (englisch, 334 S.).
- ↑ Alleanza Cattolica – Catholic Alliance – a deepening. Archiviert vom am 1. Juni 2016; abgerufen am 5. Januar 2008 (englisch).
- ↑ Michele M. Ippolito: Massimo Introvigne non è più il reggente nazionale vicario di Alleanza Cattolica In: La Fede Quotidiana, 28. April 2016. Abgerufen am 30. Oktober 2019 (italienisch).
- ↑ Jean E. Rosenfeld: Response to Mayer's "Our Terrestrial Journey is Coming to an End". In: Nova Religio. 2. Jahrgang, Nr. 2, April 1999, ISSN 1092-6690, S. 197–207, doi:10.1525/nr.1999.2.2.197 (englisch).
- ↑ La première religion: l'individualisme In: LesObservateurs.ch, 26. September 2012. Abgerufen am 13. März 2020 (schweizer Französisch).
- ↑ Rita Ricci: Alla scoperta dell'"Evangelo" di Maria Valtorta In: ZENIT, 16. Oktober 2016. Abgerufen am 13. März 2020 (englisch).
- ↑ Angelo Picariello: No alla doppia appartenenza In: Avvenire, 12. Dezember 1993. Abgerufen am 13. März 2020 (englisch).
- ↑ Giuseppe Casale. In: Arcidiocesi di Foggia-Bovino. Abgerufen am 13. März 2020 (englisch).
- ↑ Donna Flint: CESNUR Seminar on New Religious Movements. In: Religion Today. 6. Jahrgang, Nr. 1, 1990, S. 15, doi:10.1080/13537909008580638 (englisch).
- ↑ a b Diritti Umani e Libertà Religiosa: Istituzioni Europee ed Organismi Internazionali, no. 60. Governo Italiano, Presidenza del Consiglio dei Ministri, Servizio per i Rapporti con le Confessioni Religiose e le Relazioni Istituzionali, Mai 2013, S. 19, abgerufen am 13. März 2020 (italienisch).
- ↑ Jean Séguy: Review of Lo Spiritismo. In: Archives de sciences sociales des religions. 36. Jahrgang, Nr. 74, April 1991, ISSN 0335-5985, S. 258–259, JSTOR:30122503 (italienisch).
- ↑ Board. In: CESNUR. 11. September 2017 (englisch).
- ↑ L'Antonino d'oro 2009 al vescovo mons. Gianni Ambrosio. 2017, archiviert vom am 24. Februar 2020; abgerufen am 11. Mai 2025 (italienisch).
- ↑ Roberto Motta, Morton Klass, Inger Sjørslev, Werner Zips, Sergio F. Ferretti, Frank A. Salamone, Ineke Van Wetering, Andrz Droogers, Contributor-Inger Sjã¸, Contributor-Ineke: Reinventing Religions: Syncretism and Transformation in Africa and the Americas. Hrsg.: Sidney M. Greenfield, André Droogers. 270. Auflage. 2001, ISBN 0-8476-8852-6 (englisch).
- ↑ Gallagher, Eugene V.: Cult Wars' in Historical Perspective. 2016, ISBN 978-1-317-15667-3 (englisch, 188 S.).
- ↑ J. Gordon Melton. In: Baylor Institute for Studies of Religion. Archiviert vom am 22. Dezember 2017; abgerufen am 30. Oktober 2019 (amerikanisches Englisch).
- ↑ a b Susan Palmer: The New Heretics of France. Oxford University Press, 2011, ISBN 978-0-19-973521-1 (englisch).
- ↑ Jean-Louis Schlegel: Pourquoi on n'en finit pas avec les sectes. In: Esprit. 233. Jahrgang, Nr. 6, Juni 1997, S. 98–112, JSTOR:24469793 (französisch).
- ↑ Nathalie Luca: Introvigne (Massimo), Melton (J. Gordon), eds. Pour en finir avec les sectes. Le débat sur le rapport de la commission parlementaire, compte rendu. In: Archives de sciences sociales des religions. 102. Jahrgang, 1998, ISSN 0335-5985, S. 71–73, JSTOR:30129293 (französisch).
- ↑ Susan J. Palmer: France's "War on Sects": A Post-9/11 Update. In: Nova Religio. 11. Jahrgang, Nr. 3, Februar 2008, S. 104–120, doi:10.1525/nr.2008.11.3.104 (englisch).