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Tätervolk

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Der Ausdruck Tätervolk bezieht sich bei seiner Verwendung meist auf das deutsche Volk und auf die Verbrechen des Nationalsozialismus. Er soll die Deutschen allgemein als Täter dieser Verbrechen stigmatisieren . Die Verwendung des Wortes beruht auf der These einer Kollektivschuld, die besagt, dass ein Volk als Ganzes für die Taten eines Teils seiner Angehörigen verantwortlich gemacht werden kann. Der Begriff ist als Demagogie – bewusste, propagandistisch motivierte Irreführung der Bevölkerung – einzuordnen und wurde zum Unwort gewählt.

Verbreitung des Begriffs

Der Ausdruck "Tätervolk" verbreitete sich in den 1990er Jahren unter Neonazis, rechtsextremen Blättern und Historikern wie Ernst Nolte.

Kritiker des Begriffs warfen diesen Gruppen vor, dass sie mit dem Gebrauch des Ausdrucks versuchen würden, differenzierte Untersuchungen der von Deutschen begangenen Verbrechen während der Nazizeit abzuwehren. Solchen Forschungen unterstellten die Benutzer des Ausdrucks pauschalierende Schuldzuweisungen an alle Deutschen.

Die meisten Historiker, die die Zeit des Nationalsozialismus erforschen, haben den Ausdruck weder geprägt noch verwendet, sondern zurückgewiesen.

Hohmann 2003 - Erneute Diskussion

Erneut Aufmerksamkeit erlangte der Ausdruck "Tätervolk" durch eine umstrittene Rede des damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann am 3. Oktober 2003. Um die Unhaltbarkeit des Begriffes "Tätervolk" zu demonstrieren, argumentierte er, man könnte auch "die Juden mit einiger Berechtigung ebenso als Tätervolk bezeichnen", da viele die Oktoberrevolution mitgetragen und sich aktiv beteiligt hatten (z.B. Trotzki) und somit für deren Folgen – Massenmorde, Vertreibungen, Arbeitslager usw. – verantwortlich seien. Daraufhin formulierte er in seiner Rede aus, dass jedoch die Täter, die sich dem Bolschewismus und der Revolution, als auch dem Nationalsozialismus verschrieben hatten, ihre Religion vorher abgelegten und sich zu Feinden ihrer eigenen, der christlichen und jüdischen Religion machten. Daher seien laut Hohmann weder "die Deutschen" noch "die Juden" ein Tätervolk, allerdings könne man nun mit "vollem Recht" behaupten, dass "die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien" das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts waren.

Hohmann wurde daraufhin Antisemitismus vorgeworfen. Kritisiert wurde,

Hohmann wurde, nach zunehmendem öffentlichen Druck, aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und aus der hessischen CDU ausgeschlossen. Mehrere Strafanzeigen gegen Hohmann wegen Antisemitismus und Volksverhetzung wurden von den betreffenden Staatsanwaltschaften zurückgewiesen.

Ende 2003 wurde "Tätervolk" zum Unwort des Jahres gewählt. In der Begründung hieß es: "Das Wort Tätervolk ist schon grundsätzlich verwerflich, da es ein ganzes Volk für die Taten einer Gruppe verantwortlich macht." Werde der Begriff aber auf die Juden bezogen, dann sei er "ein aktueller Beleg für immer noch wirkenden Antisemitismus".

Hohmann begrüßte diese Begründung, da sie die in seiner Rede zum Ausdruck gebrachte Ablehnung jeglicher Kollektivschuldthese stütze. Andere dagegen kritisierten die Wahl dieses Begriffs zum "Unwort", da sie ihn nicht für sachlich grob unangemessen hielten. Die "Täter"-These sei notwendig zur Beschreibung eines Volkes, das als Ganzes Schuld auf sich geladen habe.

Exkurs: Kollektivschuld

Die Kollektivschuld aller Deutschen wurde jedoch schon in den Urteilen der Nürnberger Prozesse eindeutig zurückgewiesen. Auch die jüdischen Opferverbände und der Zentralrat der Juden in Deutschland haben immer wieder betont, dass die notwendige Erinnerung an den Holocaust keine unterschiedslose Anklage gegen alle Deutschen sei oder dazu benutzt werden dürfe.

Das schließt nicht aus, eine Mitverantwortung der vielen damaligen Wähler für Hitlers Machtergreifung und der vielen Mitwirkenden und schweigenden Mitwisser an der Ausführung des Juden- und Völkermords zu thematisieren.

Lea Rosh - "Volk der Täter"

Eine modifizierte Formulierung "Volk der Täter" kam durch die Publizistin Lea Rosh in die öffentliche Diskussion. Diese brachte damit ihrer Meinung nach eine besondere Verantwortung aller Deutschen nicht für den Holocaust, sondern für die Erinnerung an den Holocaust und an seine Ursachen zum Ausdruck. In der Debatte um das Holocaust-Mahnmal in Berlin spielte die Unterscheidung zwischen dem Gedenken der Opfernachfahren und dem der Täternachfahren eine wichtige Rolle.


Siehe auch: Kollektivhaftung, Unwort des Jahres, Historikerstreit