Franziska zu Reventlow
Fanny zu Reventlow (Nom de Plume "F. Gräfin zu Reventlow"; auch bekannt als "Franziska zu Reventlow") (* 1871 in Husum; † 1918 in Muralto/Schweiz) war eine deutsche Schriftstellerin.
Biographie
Als fünftes von sechs Kindern des preußischen Landrats Ludwig Graf zu [Reventlow[Reventlow (Name)]] und dessen Frau Emilie, geb. Gräfin zu [Rantzau[Rantzau (Name)]], im Schloß zu Husum geboren. Nach der Pensionierung des Vaters zog die Familie 1889 nach Lübeck. Reventlow beschrieb in ihrem autobiographischen Roman Ellen Olestjerne (1903) die strenge Erziehung zur 'höheren Tochter' und zum jungen 'Fräulein' durch die Familie und das Altenburger Magdalenenstift (wo sie 1887 nach nur einem Schuljahr wegen wiederholtem Fehlverhalten relegiert wurde). 1890 trotzte sie ihren Eltern den Besuch eines Lehrerinnenseminars ab, das sie 1892 mit der "Befähigung für den Unterricht an höheren und mittleren Mädchenschulen" abschloss. Eine berufsvorbereitende Ausbildung war für eine adlige junge Frau in dieser Zeit äußerst ungewöhnlich. Durch ihren Freundeskreis, den sogenannten Ibsen-Club, wurde sie früh bekannt mit der modernen gesellschaftskritischen Literatur und den Schriften Nietzsches. Als ihre Eltern 1892 den heimlichen Liebesbriefwechsel mit einem Lübecker Freund entdeckten, wurde sie zur 'Besserung' bei einer Pfarrersfamilie auf dem Land untergebracht. Von dort floh sie wenige Zeit später, mit dem Erreichen ihrer Volljährigkeit, in einer Nacht- und Nebenlaktion zu Bekannten nach Wandsbek und überwarf sich dadurch für immer mit ihrer Familie. In Wandsbek lernte sie den Hamburger Gerichtsassessor Walter Lübke kennen, der ihr im Sommer 1893 einen Aufenthalt in München als Malstudentin finanzierte und den sie 1894 heiratete.
Die Ehe war für Reventlow jedoch nur ein Sprungbrett in die Freiheit. Als Reventlow sich 1895 erneut nach München begab, um ihr Malstudium dort fortzusetzen, zerbrach die Ehe (Trennung 1895, Scheidung 1897), und Reventlow führte ein eigenständiges, wenn auch von dauernder finanzieller Not (dem Thema ihres Romans Der Geldkomplex) und von Krankheit und mehreren Fehlgeburten gekennzeichnetes Bohème-Leben in München-Schwabing. 1897 wurde ihr Sohn Rolf Reventlow geboren; den Namen des Vaters verschwieg sie zeitlebens. Ihren Unterhalt verdiente sie zum Teil mit Übersetzungen für den Albert Langen Verlag und mit kleineren schriftstellerischen Arbeiten für Zeitschriften und Tageszeitungen (u.a. Die Gesellschaft, Simplizissimus, Neue Deutsche Rundschau, Frankfurter Zeitung, Münchener Neueste Nachrichten). Außerdem hatte sie nach kurzem Schauspielunterricht bei Otto Falckenberg 1898 ein kurzes Engagement am Theater am Gärtnertor (heutiges Staatstheater am Gärtnerplatz) und schlug sich im übrigen mit Gelegenheitsjobs als Milchverkäuferin, Versicherungsagentin, Glasmalerin, Messehostesse usw. durch. Nicht wenige 'Einkünfte' verdankte sie schließlich, wie in der Bohème üblich, der Schnorrerei und den 'Spenden' ihrer männlichen Bekanntschaften. Ihre Erfahrungen mit der Münchner Künstlerszene, v.a. mit dem 'Kosmiker'-Kreis um Stefan George, Ludwig Klages und Alfred Schuler, denen sie ihres unehelichen Kindes und ihrer erotischen Freizügigkeit wegen als "heidnische Madonna" und "Wiedergeburt der antiken Hetäre" galt, hat sie in ihrem humoristischen Schlüsselroman Herrn Dames Aufzeichnungen verarbeitet. Sie pflegte außerdem Umgang mit Erich Mühsam, Rainer Maria Rilke und anderen Gestalten der 'Münchner Moderne'. Mit ihrem Sohn Rolf unternahm sie viele Reisen, u.a. nach Italien (1903, 1906), Korfu (1906) und Samos (1900 mit Albrecht Hentschel). Ab 1909 lebte sie in Muralto am Lago Maggiore, wo ihre 'Schwabinger Romane' entstanden. 1911 ging sie eine Scheinehe mit dem Freiherrn von Rechenberg-Linten ein, dessen Erbe von einer standesgemäßen Ehe abhing, verlor das daraus erworbene Vermögen von 20 000 Mark jedoch schon 1914 durch einen Bankkrach. 1918 starb sie nach einer Operation in einer Klinik in Locarno.
Charakterisierung und Wirkungsgeschichte
Während Fanny zu Reventlows eigentliche künstlerische Ambitionen in der Malerei zu keinem der Nachwelt bekannten Oeuvre geführt haben, hat sie durch ihre schriftstellerischen 'Nebentätigkeiten' ein einzigartiges Beispiel humoristisch-satirischer Literatur um 1900 und ein wertvolles kulturgeschichtliches Zeugnis der Schwabinger Bohème hinterlassen. Ihre Romane und Novellen werden bis heute verlegt und gelesen.
Das anhaltende Interesse verdankt sich allerdings nicht nur ihrem literarischen Werk, sondern zum großen Teil auch ihrer Person und Biographie, speziell ihren diversen Liebesbeziehungen (u.a. zu Ludwig Klages, Karl Wolfskehl und Alfred Frieß, dem vermutlichen Vorbild für den 'Belami' ihrer "Amouresken" Von Paul zu Pedro). Als "Schwabinger Gräfin" ging sie in die Geschichte der 'Münchner Moderne' ein. Berühmt wurde ihre Wohngemeinschaft mit Bohdan von Suchocki und Franz Hessel im "Eckhaus" in der Kaulbachstraße 63 (das Haus steht heute nicht mehr) 1903-1906. Die Voraussetzung für die kontinuierliche Wirkungsgeschichte der "Schwabinger Gräfin" hatte die verdienstvolle Editionstätigkeit ihrer Schwiegertochter Else Reventlow geschaffen. Diese veröffentlichte 1925 eine einbändige Werkausgabe, die - in gekürzter, anonymisierter und literarisierter Form - auch die Tagebücher Fanny zu Reventlows enthielt. In zwar revidierter, aber noch immer nicht originalgetreuer Fassung wurden diese 1971 wiederaufgelegt und 2004 in die fünfbändige Werkausgabe aufgenommen. Auf Else Reventlow und die auf sie aufbauenden Publikationen geht auch der heute meist gebräuchliche, leider aber falsche Name "Franziska zu Reventlow" zurück.
In den 1970er/1980er Jahren wurde Reventlow wegen ihres unkonventionellen Lebens zu einer Ikone der "sexuellen Revolution" und Frauenemanzipation stilisiert. Reventlow selbst hat sich eher distanziert bis zynisch über die zeitgenössische Frauenbewegung geäußert, wenngleich sie freundschaftliche Beziehungen zu einigen ihrer Vertreterinnen (u.a. zu Anita Augspurg) unterhielt. Erst in jüngerer Zeit erwacht im Zuge einer kulturwissenschaftlichen Erforschung der Literarischen Moderne und der Bohème-Gesellschaften in München und Berlin auch wieder ein verstärktes Interesse an Reventlows literarischen Werken.
Werke
Veröffentlichungen zu Lebzeiten:
- Skizzen in den Husumer Nachrichten, 1993/94
- (zusammen mit O. E. Thossan:) Klosterjungen. Humoresken, 2 Erzählungen 1897
- Das Männerphantom der Frau (in Oskar Panizzas Züricher Diskußionen), 1898
- Was Frauen ziemt (unter dem Titel "Viragines oder Hetären?" in Oskar Panizzas Züricher Diskußionen), 1897
- Ellen Olestjerne, Roman 1903
- (zusammen mit Franz Hessel:) Schwabinger Beobachter (anonymes Pamphlet auf die 'Kosmiker', hektographiert und heimlich in die Briefkästen gesteckt), 1904
- Von Paul zu Pedro. Amouresken, 1912
- Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil, 1913
- Der Geldkomplex, Roman 1916
- Das Logierhaus zur Schwankenden Weltkugel und andere Novellen, 1917
Posthume Veröffentlichungen:
- Gesammelte Werke in einem Bande, hrsg. und eingel. von Else Reventlow, 1925 (enthält die Tagebücher 1897-1910 und das Romanfragment Der Selbstmordverein)
- Tagebücher 1895-1910, hrsg. von Else Reventlow, 1971
- Briefe 1890-1917, hrsg. von Else Reventlow, mit einem Nachwort von Wolfdietrich Rasch, 1975
- Autobiographisches, hrsg. von Else Reventlow, mit einem Nachwort von Wolfdietrich Rasch, 1980
- Der Selbstmordverein. Zwei kleine Romane und drei Aufsätze, hrsg. von Ursula Püschel, 1991
- Sämtliche Werke, Tagebücher und Briefe in fünf Bänden, hrsg. von Michael M. Schardt, 2004
- "Wir üben uns jetzt wie die Esel schreien ..." Briefwechsel mit Bohdan von Suchocki 1903-1909, hrsg. von Irene Weiser, Detlef Seydel und Jürgen Gutsch, 2004
Der Nachlass Reventlows liegt im Literaturarchiv "Monacensia" in München.