Geschichte Anatoliens
Anatolien (Kleinasien) war eine der Wiegen einer Vielzahl von teilweise bisher nur schlecht erforschten Kulturen und Reichen des Altertums. Eine Besiedelung ist archäologisch seit mindestens 13.000 Jahren nachgewiesen (Höhlen in Karain). Der so genannte fruchtbare Halbmond, in dem der bedeutende Übergang zum Ackerbau vollzogen wurde, liegt teilweise im Gebiet der heutigen Türkei.
Zu dieser Zeit lebten in Anatolien allerdings noch keine Türken, deren Heimat war Zentralasien und Westchina. Zeitweilig herschten die ersten Turkvölker in Teilen von Anatolien mit den Dynastien der Schwarzen Hunnen, Wolgabulgaren und anderer Turkvölker wie z.B der Stamm der Saken (türkisch Sakalar) in Ağrı um 680 v. Chr.
Die endgültige Besiedlung durch Türken fand durch die Seldschuken, deren Heere im 11. Jahrhundert n. Chr. statt. Teile Anatoliens eroberten und in der Folge große Teile des Byzantinischen Reiches unterwarfen.
Urgeschichte, Antike und Frühmittelalter
Vor etwa 10.500 Jahren entstand im Südwesten der Türkei die älteste z.Z. bekannte Stadtanlage der Welt, Çatal Hüyük. Die Stadt ist ein Zeugnis einer neolithischen (wahrscheinlich matriachalen) Hochkultur.
Die Funde von Troja und Pergamon sowie der Artemis-Tempel in Ephesus (eines der Sieben Weltwunder der Antike) sind Beispiele für den archäologischen Reichtum der Region, der aber zu einem großen Teil ins europäische Ausland (besonders nach Deutschland und England) verbracht wurde.
Die Hethiter besiedelten in der Bronzezeit das Gebiet der heutigen Türkei zwischen 1900 und 1200 v. Chr. Das Reich der Hethiter wurde im Zuge der sog. ägäischen Wanderung durch diverse Seevölker (z.B. die Phryger) zerstört. Die hethitische Kultur überlebte jedoch bis um 700 v. Chr. in diversen Kleinstaaten in Ostanatolien, zum Beispiel in Milid, der heutigen türkischen Stadt Malatya. In diese Zeit fällt wahrscheinlich auch die Zerstörung der westanatolischen Stadt Troja. Nach der Zerstörung der Hethiter errichteten die Phryger unter ihrem König Midas ein Reich, das im 9. und 8. Jahrhundert v. Chr. Anatolien beherrschte.
Um 700 v. Chr. begann die hellenische Besiedlung entlang der anatolischen Agäisküste (Ionien) mit Koloniestädten wie z.B. Milet, Ephesos und Priene. Zur gleichen Zeit besiedelten noch andere Völker Anatolien. Die Kimmerier besiedelten Westanatolien, nachdem sie das Phrygerreich 700 v. Chr. zerstört hatten. Die Lydier gründeten an der ägäischen Küste ein Königreich mit der Hauptstadt Sardes. Ihr letzter König war der nach seinem großen Reichtum bekannte Krösus. Von der Mitte des 6. Jahrhunderts bis 333 v. Chr. (Schlacht bei Issos) herrschten die Perser über weite Teile Kleinasiens, bis Alexander der Große sie besiegte und das Alexanderreich errichtete. Nach dem Ende des Alexanderreiches wurde Anatolien durch diverse Völker besiedelt. Bedeutende Reiche waren Bithynien, Pontos, Kappadokien, das keltische Galatien sowie Pergamon. Im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. brachten die Römer Anatolien unter ihre Kontrolle.
Siehe auch: Ägäische Wanderung
Mittelalter
Das Byzantinische Reich
Hauptartikel: Byzantinisches Reich
Die Herrschaft des vereinten Römischen Reiches hielt bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. Danach fiel Kleinasien nach der Teilung des Römischen Reiches an Ostrom. Seit 380 Theodosius I. das Christentum zur Staatsreligion erhoben hatte, war die Stadt Mittelpunkt der Ostkirche und Sitz des einflussreichsten Patriarchen. Byzanz stand einerseits in Konkurrenz zum Weströmischen Reich, andererseits war es Ziel von Angriffen persischer, hunnischer, germanischer, gotischer, arabischer, bulgarischer und awarischer Armeen. Es hielt sich aber und erstarkte um die Jahrtausendwende. Gegen die Araber konnte Anatolien – anders als die weiter südlichen Reichsteile – erfolgreich verteidigt werden und es wurde zur neuen Kornkammer des Reiches nach dem Verlust Ägyptens.
Die ersten türkischen Stämme tauchten erst im 11. Jahrhundert n. Chr. in Anatolien auf. Die Seldschuken waren eine islamisierte türkische Dynastie aus Transoxanien im heutigen Usbekistan, die zuvor Afghanistan und Teile von Persien erobert hatten. Die Seldschuken fielen in Kleinasien ein und schlugen die byzantinische Armee in der Schlacht von Mantzikert im Jahre 1071 vernichtend. Daraufhin eroberten sie große Gebiete Ost- und Mittelanatoliens. In der Folge begann im 12. Jahrhundert der Niedergang der Herrschaft des Byzantinischen Reiches und der Aufstieg der Seldschuken. Diese hatten um 1230 ihre Hochzeit.
Die Seldschuken
Hauptartikel: Seldschuken
Die Seldschuken errichteten neben dem Sultanat Bagdad das Sultanat Rum (was „Rom“ bedeutet, nach dem oströmischen Reich; Hauptstadt war das heutige Konya), das im 12. und 13. Jahrhundert über weite Gebiete Anatoliens herrschte. Im 13. Jahrhundert überfielen die Mongolen das seldschukische Reich und plünderten 1258 Bagdad. Im Zuge dieses Machtverlustes von Rum nutzten die türkischen Stämme ihre Freiheit und verselbständigten sich weitestgehend. In ganz Anatolien, so auch an der Ostgrenze des byzantinischen Reiches, formierten sich kleine und mittelgroße türkische Fürstentümer. Die Osmanen waren eines dieser Fürstentümer, die schließlich ihre Macht soweit ausdehnten, bis sie Konstantinopel eroberten und so das byzantinische Reich zerstörten.
Danach wurde das seldschukische Reich zunehmend durch innere Streitigkeiten aber auch durch Einfälle mongolischer Krieger der Ilkhan-Dynastie, (auch sie Muslime), sowie von Kreuzfahrern bedroht. Ab 1234 geriet Kleinasien kurzzeitig unter mongolische Hoheit. Zurück blieben türkische Kleinstaaten.
Neuzeit
Gründung des Osmanischen Reiches
Hauptartikel: Osmanisches Reich

Um 1299 begründete Osman I. (*1259, †1326; (regierte 1299-1326) das nach ihm benannte Osmanische Reich und die Osmanen-Dynastie. Seine Nachfolger erkämpften in blutigen Fehden gegen die anderen türkischen Stämme die Vorherrschaft. Sie drangen 1353 bis 1402 auf den Balkan vor. Am 29. Mai 1453 eroberten sie unter Mehmed II. Fatih ("Der Eroberer") Byzanz, das zur Hauptstadt des osmanischen Reiches wurde. Sitz der Sultane wurde der neu errichtete Topkapı-Serail. Damit endete das Byzantinische Reich, das sich zuletzt nur noch auf die Stadt Konstantinopel beschränkte (Goldener Apfel).
Umgangssprachlich wurde früher im Deutschen auch das ganze Osmanische Reich als Türkei bezeichnet (entsprechend: europäische, asiatische und afrikanische Türkei).
Siehe auch: Belagerung von Konstantinopel (1453)
Aufstieg (12. Jahrhundert bis 17. Jahrhundert)
Die Expansion schritt in den folgenden fünfzig Jahren voran: Serbien (1459), Griechenland (1461), Bosnien (1463) und Albanien (1479) wurden osmanische Provinzen. Das Khanat der Krimtataren (1475) und Moldawien wurden Vasallenstaaten des Osmanischen Reichs.
Ab 1460 beanspruchten die osmanischen Herrscher den Titel Kalif (arabisch khalifa = Nachfolger (des Propheten Muhammad). 1517 erhielt Selim I. vom letzten nominellen abbasidischen Kalifen in Kairo offiziell das Kalifat übertragen und sah sich damit in der ununterbrochenen Sukzession des bedeutungslos gewordenen frühislamischen Kalifats, was später allgemein anerkannt wurde.
Das Osmanische Reich ist als feudaler Militärstaat in vielen Aspekten vergleichbar mit den sich später entwickelnden absolutistischen Staaten in Europa. Wirtschaftlich wurde es vom Lehnswesen getragen; dem Militär galt das Hauptaugenmerk des Staates. Die Vergabe von Ländereien war an die Teilnahme am Kriegsdienst gebunden, diese Pfründe (Timar) waren nicht vererblich.

Insbesondere den Janitscharen kam eine bedeutende Rolle zu. Zumeist wurden für diese Truppe Jungen aus christlichen Bevölkerungsgruppen rekrutiert. Der oberste Militärrichter hatte auch die höchste Richteramt inne.
Die zweite Säule der osmanischen Herrschaft war der Islam. Mit dem Kalifat hatten die Sultane auch die religiöse Macht inne. Die Rechtsprechung bezog sich in erster Linie auf den Islam, konnte aber durch weltliche Gesetze ergänzt werden. Religiöse Minderheiten wie die jüdische und christliche hatten eine besondere Stellung: Sie hatten - wie auch andere Gruppierungen im Staat - den Status einer Millet, das heißt einer eigenständigen Gemeinde, inne und konnten über ihre inneren Angelegenheiten relativ selbständig entscheiden. Ihre Würdenträger hatten eine privilegierte Stellung im osmanischen Staat. Aufgrund dieser relativen Toleranz ist das osmanische Reich Zufluchtsort für verfolgte Minderheiten, besonders Juden, aus Europa.
Das osmanische Reich kontrollierte über lange Zeit die wichtigen Handelsrouten zwischen Asien und Europa sowie das Schwarze Meer und Teile des Mittelmeeres. Handel und Gewerbe überließen die Osmanen aber europäischen Händlern und Mitgliedern ethnischer Minderheiten (besonders Griechen, Armenier und Juden). Ökonomisch trug sich das Reich in erster Linie durch Kriegsgewinne und Tributzahlungen aus den unterworfenen Gebieten.
Im 16. Jahrhundert drangen osmanische Truppen weit nach Asien, Afrika und auch nach Europa vor: 1514 bis 1517 besiegte Sultan Selim I. den Safawiden-Schah Ismail von Persien (1514) und eroberte Syrien, Palästina, Ägypten und Gebiete Nordafrikas (1516/17). Das Osmanische Reich wurde immer mehr zu einer Weltmacht.
Unter Sultan Süleyman I. dem Prächtigen (1520-1566) erlebte das Osmanische Reich seine Glanzzeit. In seiner Herrschaftsperiode kamen Kultur, Wissenschaft und Architektur zur Blüte, eine Vielzahl von Bauwerken zeugen auch heute noch von dieser Zeit. Zudem tat sich Süleyman als Feldherr hervor: In der Schlacht von Mohács wurde Ungarn 1526 besiegt. Wien belagerten die Osmanen 1529 vergeblich. Mesopotamien (Irak) geriet ab 1533-36 unter osmanische Herrschaft. Die Eroberung der Insel Zypern folgte 1571. Im gleichen Jahr wurden die Osmanen von den Venezianern und Spaniern in der Seeschlacht von Lepanto entscheidend geschlagen.
Im Frieden von Salona (1671) musste Venedig Kreta an die Osmanen abtreten, welche die Insel de facto bereits seit 1669 besetzt hielten.
Die ökonomische Basis des Staates bröckelte angesichts der wechselhaften Kriegsverläufe und dem luxuriösen Hofleben ab Ende des 16. Jahrhunderts. Deshalb wurden immer höhere Steuern erhoben und Ländereien verkauft und dann an Bauern zu überhöhten Zinsen weiter verpachtet. Die Folgen waren eine Landflucht, aber auch Aufstände der verelendeten Bevölkerung. Diese Neuerungen führten zu zunehmenden Widersprüchen, da die Selbstverwaltung der Dorfgemeinschaften durch die staatliche Verwaltung unterlaufen wurde.
Siehe auch:
Niedergang (18. Jahrhundert bis 20. Jahrhundert)
Die Osmanen herrschten auf dem Zenit ihrer Macht, über große Teile des Nahen Ostens, Nordafrikas, der Krim, des Kaukasus und des Balkans. Im späten 17. Jahrhundert begann der Niedergang des osmanischen Reiches, das immer weiter aus seinen europäischen Besitzungen zurückgedrängt wurde. Das ab dem 19. Jahrhundert stark zunehmende Unabhängigkeitsstreben diverser Nationen im Vielvölkerstaat des osmanischen Reiches, die Besetzung Nordafrikas durch europäische Mächte und schließlich die Niederlage im Ersten Weltkrieg bewirkten seinen endgültigen Verfall.

Die (Re-)Christianisierungsmaßnahmen der österreichischen Führung in Ungarn hatte dort zu einer Erhebung geführt und die Osmanen kamen den Ungarn 1683 zur Hilfe. Ihr zweiter Vorstoß auf Wien scheiterte. In der Folge gelangen große Teile Ungarns an Österreich. Die Venezianer eroberten 1685 bis 1687 den Peloponnes, mussten diesen aber 1717 wieder an die Osmanen abtreten.
Im russisch-türkischen Krieg (1768 bis 1774) gelang den Russen die Vernichtung der türkischen Flotte. Russland erhielt die Zusage der freien Handelsschifffahrt auf dem Schwarzen Meer sowie Schutzrechte über die orthodoxe Millet. Zudem verlor das Osmanische Reich mit dem Frieden von Küçük Kaynarca weite Teile in Europa und auf dem Balkan.
In einem neuen Krieg mit Russland verloren die Osmanen 1787 bis 1792 die Halbinsel Krim an Russland (Friede von Jassy 1792). 1812 wurden große Gebiete des Hedschas (heute: Saudi-Arabien) osmanisch. Damit gelangten auch die heiligen Stätten des Islam, (Mekka und Medina) in osmanischen Besitz. Russland eroberte 1829 die Ostküste des Schwarzen Meeres, Griechenland wurde 1830 unabhängig vom Osmanischen Reich. In den Krimkrieg 1853 - 1856, der formal um die religiösen Minderheiten geführt wurde, traten England und Frankreich auf Seiten des Osmanischen Reiches ein, um eine russische Vorherrschaft zu verhindern. Ergebnis des Krieges waren neben 500.000 Toten auf allen Seiten unter anderem eine Neuordnung der europäischen Bündnisse und die Entmilitarisierung des Schwarzen Meeres.
Neben den militärischen Niederlagen führte auch der starre Staatsapparat zum Niedergang: die aufwendige Lebensführung des Hofstaates, die Vorherrschaft des Militärs und eine feudal organisierte Ökonomie boten kaum eine Basis, um angemessen auf die sich im 18. Jahrhundert verändernde weltpolitische Situation zu reagieren. Der auf Weltherrschaft zielende Imperialismus, neue Handelsrouten und die industrielle Produktionsweise in den westeuropäischen Staaten übten einen zunehmenden Anpassungsdruck aus. Zudem nehmen europäische Mächte Einfluss auf die christlichen Millets. Die zunehmenden Unabhängigkeitsbewegungen in den Randgebieten zerschlug das Reich brutal - 100 - 200.000 Menschen wurden in diesen Aktionen in der Zeit von 1822 - 1909 ermordet.
Siehe auch: Türkisch-Griechischer Krieg
Tanzimat- innere Reformbemühungen
Selim III. bemühte sich um 1800 als erster um Reformen des Staates, wurde aber von den Janitscharen abgesetzt. Mahmud II. (1808 - 1839) konnte die Janitscharen ausschalten, und begann Reformen in der Verwaltung, der Justiz und im Bildungsbereich. Mit der darauf folgenden Tanzimat-Periode (1839 - 1879) wurden grundsätzliche Reformen versucht, die unter anderem auf eine Europäisierung zielten. Dies geschah unter anderem durch den Bau des Dolmabahçe-Serails als Regierungssitz in İstanbul nach dem Vorbild europäischer Prachtbauten (wie etwa Versailles) und mit einer Verwestlichung der Verwaltung, der Einführung eines bürgerlichen Gesetzbuches (1869), mit Ansätzen zur Umsetzung der bürgerlichen Freiheiten und - auf Druck der jungtürkischen Bewegung - durch eine Verfassung (1876), die auch ein erstes aus zwei Kammern bestehendes Parlament vorsah.

In diesem Zusammenhang wurde auch die rechtliche Gleichbehandlung nicht-muslimischer Gruppen angestrebt, um den wachsenden europäischen Einfluss zu überwinden. Zudem versuchte der Sultan, seinen Titel Kalif als Oberhaupt der Muslime einzusetzen. Nach innen zielten die Reformen aber auf eine vorsichtige Säkularisierung. Der Staat wurde weiter zentralisiert und der lebenslängliche Kriegsdienst abgeschafft. Die ökonomische Wurzel des Problems wurde aber nicht angegangen: durch weiterhin günstige Zölle wurde der einheimische Markt durch billige Industriegüter in den Ruin getrieben, die Besitzverhältnisse blieben unangetastet, so dass die Massen weiter verelendeten.
Obwohl der Friedensvertrag von Paris (1856) die Unversehrtheit des Reiches garantierte und die Aufnahme in das europäischen Staatensystem vorsah, erwies sich die Tanzimat-Periode als ein Rückschlag. 1875 war der Staat bankrott, was die Verschuldung im Ausland nach sich zog. Die Verfassung wurde 1878 wieder ausgesetzt. Auch der territoriale Zerfall ging weiter.
Auf dem Berliner Kongress verhandelten die europäischen Großmächte mit der osmanischen Regierung über die Zukunft des Reichs. In der Folge erhielten Serbien, Montenegro und Rumänien die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich 1877/1878. Bosnien wurde von Österreich besetzt; Zypern fiel an Großbritannien, Bulgarien wurde ein autonomes Fürstentum und 1908 ein unabhängiges Königreich. Im 3. Russisch-Türkischen Krieg (1877/1878) wurden die Osmanen erneut von den Russen besiegt. 1881 besetzte Frankreich Tunesien, 1882 England Ägypten.
Siehe auch: Türkenkriege, Griechisch-Türkischer Krieg
Aufstieg der Jungtürken
Angesichts der Staatsorganisation fehlte sowohl ein Bürgertum als auch die Kapitalakkumulation, die in Westeuropa Grundlage der Industrialisierung und mit der bürgerlichen Revolution auch des Staates waren.
Die nationalistische Bewegung im Osmanischen Reich rekrutierte sich in erster Linie aus dem Militär. Seit 1876 wuchs diese jungtürkische Bewegung im Untergrund. Ihr Ziel war die Etablierung eines großtürkischen Nationalstaates. Die Verschwörung der Jungtürken erzwang 1908 von Sultan Abdülhamid II. die Wiedereinführung der Verfassung und die Übertragung der Regierungsgewalt auf Vertreter der nationalistischen Bewegung.
1909 musste der Sultan nach einem misslungenen Putsch abdanken. Sein Nachfolger und das Parlament hatten kaum noch Einfluss. Aber auch die autokratische Führung, die sich alleine auf das Offizierskorps stützte, fand keine Lösungen für die anstehenden Probleme. Auch die Maßnahmen zur Industrieansiedlung (Befreiung von Pacht, Zöllen und Steuern) blieben erfolglos.
Der Staat wurde immer instabiler, noch vor dem 1. Weltkrieg verlor das Reich weitere Gebiete: 1911/1912 verlor es Tripolitanien (das heutige Libyen in Nordafrika) an Italien; 1912/1913 erlangte Albanien seine Eigenstaatlichkeit. Makedonien gelangte unter serbische beziehungsweise bulgarische Herrschaft. Dies war das Ende der osmanischen Herrschaft auf europäischem Boden. Allein İstanbul und Adrianopel, Rumelien genannt (von "Rom"), verblieben in osmanischem Besitz.
<Als Folge der nationalistischen Politik verlor die Regierung zudem den Rückhalt der Minderheiten, selbst der muslimischen. Gleichzeitig betrieb die Regierung rassistische Propaganda besonders gegen die Armenier und Griechen, die als Verräter diffamiert werden.> <Formulierung verändern>
Siehe auch: Italienisch-Türkischer Krieg, Balkankriege
20. Jahrhundert
Der Erste Weltkrieg
Hauptartikel: Erster Weltkrieg, Schlacht von Gallipoli
Im Ersten Weltkrieg kämpfte das Osmanische Reich an der Seite der Mittelmächte. Der Ausgang des ersten Weltkrieges war aus Osmanischer Sicht katastrophal. Auf der arabischen Halbinsel verlor sie Hedschas (1916) und Asir (1917) (das heutige Saudi-Arabien). 1917/1918 besetzten britische Truppen Syrien, Palästina und den Irak.
Nach der Kapitulation im Jahre 1918 schloss das Osmanische Reich am 10. August 1920 den Friedensvertrag von Sèvres mit den Alliierten ab. Der Vertrag sah eine massive Einflussnahme der Siegermächte auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Türkei vor.
Neben dem Verlust aller Gebiete außerhalb von Anatolien und Thrakien sollte das Gebiet der heutigen Türkei weitgehend zerstückelt werden. Griechenland wurden die Stadt Smyrna (türkisch İzmir) und Teile von Westanatolien zugesprochen. Die Region um Adana sollte an die Italiener gehen und der französische Besitz sollte neben Syrien auch Kilikien umfassen. In den östlichen Landesteilen der heutigen Türkei mit den Städten Kars, Ardahan und Erzurum sollte ein armenischer Staat entstehen. Südlich davon und östlich des Euphrat wurde den Kurden eine autonome Region zugesprochen. Konstantinopel und die Meerengen kammen unter englischer Kontrolle. Diese Pläne konnten allerdings nicht umgesetzt werden.
- Zone 1: Meerengen Zone (unter der Verwaltung von Großbritannien und Frankreich)
- Zone 2: Griechische Zone
- Zone 3: Italienische Zone
- Zone 4: Französische Zone
- Zone 5: Armenischer Staat
- Zone 6: Englische Zone
Siehe auch: Jungtürken, Panturkismus
Der Völkermord an den Armeniern
Hauptartikel: Völkermord an den Armeniern
Frankreich und Großbritannien hatten den Armeniern einen selbstständigen Staat in Ostanatolien versprochen. Die jungtürkische Regierung die, sich im Krieg befand, befürchtete dass die Armenier den Kriegsgegner (insbesondere Russland) unterstützen und so die Ostfront schwächen könnten. Offiziell sollten deshalb die Armenier, die seit über 2.500 Jahren in ihrem historischen Siedlungsgebiet in Ostanatolien und dem Kaukasus lebten, und seit dem 15. Jahrhundert unter türkischer Herrschaft standen, in den Süden des Reiches umgesiedelt werden.
In Wirklichkeit rief die jungtürkische Regierung unter Enver am 24. April 1915 offiziell zur Vernichtung der armenischen Bevölkerung auf. Im ganzen Reich wurden Armenier in Sammelpunkten zusammengetrieben. Anschliessend wurden die Armeinier durch bewaffnete Kräfte bewacht in die syrische Wüste getrieben. Ein Todesmarsch, bei dem Hunger und Seuchen die häufigsten Todesursachen bildeten. Nach Angaben der deutschen Botschaft zu Konstantinopel vom Oktober 1916 waren von den 2,5 Millionen Armeniern des Osmanischen Reiches etwa 1,5 Millionen gestorben. Diese Zahl ist jedoch umstritten, andere Quellen berichten von ca. 600.000 Toten.
Nach dem Völkermord und der Vertreibung der Armeniern ging in der Türkei die Zerstörung armenischer Kulturgüter weiter. Noch 1998 wurde die Kirche Surb Arakeltos in Kars in eine Moschee umgewandelt.
Die türkische Regierung bestreitet den Völkermord offiziell und versucht auf diplomatischen Wegen, andere Staaten davon abzuhalten, den Völkermord offiziell anzuerkennen. In den letzten Jahren erkannten jedoch noch weitere Staaten und Organisationen den Völkermord offiziell an, darunter Frankreich, Italien, Russland, Belgien, die UNO und die Europäische Union.
Der türkische Befreiungskrieg
Hauptartikel: Türkischer Befreiungskrieg
Gegen das Bestreben der Besatzungsmächte, die heutige Türkei aufzuteilen, formierte sich politischer und militärischer Widerstand, an dessen Spitze sich ab 1919 der jungtürkische General Mustafa Kemal setzte. Mustafa Kemal begann vom 19. Mai 1919 mit der Mobilisierung des Widerstandes. Seine nationale Bewegung gewann die Wahlen vom Dezember 1919. Nachdem am 16. März 1920 britische Truppen İstanbul besetzt hatten, verhafteten sie Mitglieder von Kemals Partei, daraufhin verlegte dieser den Tagungsort nach Ankara.
Der Befreiungskrieg begann im September 1920 mit dem Angriff auf den neugeschaffenen armenischen Staat, der bis zum Dezember besiegt wurde. Zunächst stieß er mit seinen Truppen Richtung Kaukasus vor. Er eroberte Sivas, Erzurum, Kars und Ardahan und erreichte in einem Abkommen mit der jungen Sowjetunion die Anerkennung der Ostgrenzen. Anschließend bekämpfte er die Franzosen, Italiener und Griechen. Die Franzosen mussten 1921 mit dem Unterzeichnen der Franklin-Boullon-Abkommen ihre Gebietsansprüche gegenüber der Türkei aufgeben.

Ab 1920 kam es zum Krieg zwischen Griechenland und der Türkei, als das durch den Weltkrieg und die Auflösung des Osmanischen Reiches ermutigte Griechenland versuchte, sich Konstantinopel und weite Teile Westanatoliens militärisch einzuverleiben. Der Krieg endete am 9. September 1922 mit der Kleinasiatischen Katastrophe, also der Einnahme und dem Niederbrennen des damals mehrheitlich griechisch bewohnten Smyrna (İzmir) durch die türkische Armee und der Ermordung und Vertreibung der meisten Griechen, die außer den Städten an der Westküste bis dahin auch noch an vielen Stellen der ganzen Türkei verstreute Siedlungen hatten.
Am 11. Oktober schlossen die Besatzungsmächte ohne die Beteiligung der Regierung des Sultans Mehmed VI. das Waffenstillstandsabkommen von Mudanya. Damit ging auch Konstantinopel in den türkischen Besitz zurück.
Nach dem Sieg der Türkei konnte sie am 24. Juli 1923 im Vertrag von Lausanne die Bestimmungen aus dem Vertrags von Sèvres revidieren und so den Verlust großer Teile der heutigen Türkei verhindern. Mit der Unterzeichnung des Vertrages von Lausanne wurden die bis heute gültigen Grenzen des neuen Staates völkerrechtlich anerkannt. Gleichzeitig wurde der „Bevölkerungsaustausch“ mit Griechenland in geregelte Bahnen gelenkt.
Durch den Vertrag von Montreux vom 20. Juli 1936 bekam die Türkei die volle Souveränität über die Meerengen zurück. Nach zwei Jahren wurde Hatay der Türkei angegliedert.
Die Gründung der Türkischen Republik
Nachdem alle ausländischen Kräfte aus Anatolien vertrieben wurden, rief Mustafa Kemal am 29. Oktober 1923 die Republik aus und verlegte die Hauptstadt nach Ankara. Später erhielt er den Beinamen Atatürk („Vater aller Türken“) und war der erste Präsident der Republik.
Zuvor wurde schon am 2. November 1922 die Regierung von Sultan Mehmed VI. (*1861, †1926; regierte 1918-1922) abgesetzt. Sein Nachfolger Abdülmecid II. trug nur noch den Titel eines Kalifen. Am 3. März 1924 wurde schliesslich auch Kalif Abdülmecid II. (*1868, †1944; regierte 1922-1924) abgesetzt.
Im Laufe seiner Amtszeit führte Atatürk tiefgreifende Reformen im politischen und gesellschaftlichen System durch, die die Türkei in einen modernen, säkularen, weltlichen und am Westen orientierten Staat verwandelten. Unter anderem wurde im Jahre 1922, noch vor der Ausrufung der Republik, das Sultanat abgeschafft und am 29. Oktober 1923 das Kalifat. 1924 schaffte die Türkei die religiösen Gerichte ab und 1925 wurde im Zuge einer umfassenden „Kleiderreform“ der Fez (traditionelle türkische Kopfbedeckung der Männer) und der Schleier für die Frau verboten und die Koedukation eingeführt. Im selben Jahr wurde die islamische Zeitrechnung durch den Gregorianischen Kalender ersetzt sowie das metrische System eingeführt.
In den folgenden Jahren wurden ganze Rechtssysteme aus europäischen Ländern übernommen und den türkischen Verhältnissen angepasst. 1926 wurde zunächst das Schweizer Zivilrecht und damit die Einehe und die Gleichstellung von Mann und Frau übernommen. Es folgten das deutsche Handelsrecht und das italienische Strafrecht. Die Gleichstellung der Geschlechter gelang allerdings nur teilweise. 1928 wurde die Säkularisierung ausgerufen und im gleichen Jahr die Arabische Schrift durch die Lateinische ersetzt. Im Zuge weiterer Reformen wurde in der Türkei 1930 das aktive Frauenwahlrecht eingeführt und seit 1934 dürfen sich Frauen auch selbst zur Wahl stellen (passives Frauenwahlrecht). Nur wenige der Reformen, etwa Atatürks Idee, dass in den Moscheen statt auf arabisch nur noch auf türkisch gebetet werden sollte, erwiesen sich als undurchführbar und wurden zurückgenommen.
Grundlage Atatürks Handelns war die Ideologie des Kemalismus, welcher auf sechs Prinzipien basiert:
- türkischer Nationalismus: betonte die ruhmreiche türkische Geschichte und das Recht der Türken auf einen eigenen, modernen und souveränen Staat
- Laizismus (Säkularismus): vollständige Trennung von religiösen Einrichtungen und Staatsgeschäften
- Republikanismus: Betonung der Prämisse der Volkssouveränität
- Etatismus: staatliche Lenkung der Wirtschaft mit dem Ziel der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung
- Revolutionismus: alle zur Modernisierung notwendigen Maßnahmen sollen sofort und in vollem Umfang vollzogen werden mit dem Ziel der Entwicklung einer modernen türkischen Gesellschaft
- Populismus: Idee einer Großen Nationalversammlung die alle wirtschaftlichen und sozialen Interessen vertritt
1934 beschloss das Parlament, Mustafa Kemal den Beinamen Atatürk ("Vater der Türken") zu verleihen. Er starb am 10. November 1938. Seine Reformen - auch als Erziehungsdiktatur bezeichnet - haben einen tiefgreifenden sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Wandel erreicht, die das Land bis heute prägen. Gleichwohl hatte er Elemente des Osmanischen Reiches nicht angetastet: so die autoritäre Staatsführung oder die Vorherrschaft des Militärs und der Beamtenschaft.
Nachdem am 10. November 1938 Atatürk starb, wurde sein enger Weggefährte Ismet Inönü der zweite türkische Staatspräsident. Inönü war bestrebt, die Modernisierung der Türkei fortzuführen und die außenpolitische Neutralität beizubehalten. Er war ein geschickter Diplomat und erreichte letzte territoriale Veränderungen: Hatay (Sandschak Alexandrette), seit 1920 französisches Mandatsgebiet, wurde 1938 unabhängige Republik und 1939 türkische Provinz (Hauptstadt: İskenderun).
Die Westbindung der Türkei (1940er und 1950er)
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bewahrte die Türkei zunächst ihre außenpolitische Neutralität. Sowohl Nazideutschland als auch die Alliierten versuchten, die Türkei auf ihrer Seite in den Krieg einzubeziehen. 1941 schloss die Türkei unter der Regierung von Inönü einen Friedensvertrag mit Deutschland ab.
Viele verfolgte Deutsche flohen in die Türkei und konnten teilweise relativ schnell wichtige Positionen in den Universitäten einnehmen. Am 1. August 1944 brach die Türkei die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich ab und erklärte am 23. Februar 1945 Deutschland und Japan symbolisch den Krieg, um anschließend die UN-Charta mit zu unterschreiben.
1946 wurde in der Türkei zum ersten Mal eine zweite politische Partei zugelassen. Die DP (Demokratische Partei) errang bei den Wahlen am 14. Mai 1949 die Mehrheit der Stimmen. Damit endete die seit Republikgründung herrschende Einparteienherrschaft der CHP.
Nach dem Kriegsende drängte die Sowjetunion die Türkei zu Grenzkorrekturen an der Ostgrenze und versuchte, Kontrolle über die türkischen Meerengen zu bekommen. Diese Bedrohung führte dazu, dass die Türkei ihre außenpolitische Neutralität aufgab. Sie versuchte nun ihre Bindung an die USA zu intensivieren und wollte daher in die NATO eintreten.
Nach anfänglicher Ablehnung, vor allem durch die europäischen NATO-Mitglieder, wurde die Türkei 1952, gemeinsam mit Griechenland, Mitglied in der NATO. Diese Entscheidung wurde durch die Teilnahme der Türkei auf amerikanischer Seite am Korea-Krieg von 1950 begünstigt.
Die DP unter ihrem Ministerpräsidenten Adnan Menderes führte in seiner Regierungszeit zwischen 1950 und 1960 eine stärkere wirtschaftliche Liberalisierung durch. Menderes versuchte in seiner Amtszeit von 1950 - 1960 die Industrialisierung zu forcieren. Das hatte zur Folge, dass Auslandsschulden und Inflation anstiegen.
Zudem wurde dem Islam wieder eine größere Rolle im öffentlichen Leben zugestanden. Trotz eines raschen wirtschaftlichen Wachstums nahmen die sozialen Spannungen in der Türkei nun stärker zu als zuvor. Zunehmend ging die DP dazu über, die oppositionelle CHP politisch zu unterdrücken.
Die Türkei zwischen 1960er und 1990er
Hauptartikel: Zypernkonflikt
Die politische Situation in der Türkei seit den 1960er Jahren schien relativ verwirrend, da sie von stark wechselnden Mehrheiten, Neuwahlen, Parteineugründungen beziehungsweise -umbenennungen und Drohungen des Militärs zur Machtübernahme gekennzeichnet war. Diese innere Instabilität machte die Türkei anfällig für ausländische Einflüsse, insbesondere der NATO aber auch der Weltbank und des IWF.
Gleichwohl blieben unter wechselnden Mehrheiten vier Strömungen mit vier Männern an ihrer Spitze an der Führung des Staates:
- der inzwischen sozialdemokratische Kemalismus der CHP (Republikanische Volkspartei) von Bülent Ecevit (* 1925) Ministerpräsident in den Jahren 1974 - 1975 und 1978 - 1979
- die Konservative Strömung der AP (Gerechtigkeitspartei, ehemals DP, dazwischen DYP (Partei des Rechten Weges)) unter Süleyman Demirel (*1924), Ministerpräsident 1965 - 1971, 1975 - 1977, 1979 - 1980 und 1991 - 1993; Staatspräsident seit 1993,
- die wirtschaftsliberalistische Politik von Turgut Özal (1923 - 1993). Er war 1983 bis 1989 Ministerpräsident und 1989 bis 1993 Staatspräsident.
- schließlich bleibt das Militär eine eigenständige Macht, die mit Kenan Evren (*1918) ab 1980 das Amt des Staatspräsidenten inne hat.
1960 proklamierete Adnan Menderes ein Ermächtigungsgesetz, um den wachsenden Widerstand auszuschalten. Er setzte auch den Oberbefehlshaber Cemal Gürsel ab, was diesen 1960 zum Putsch veranlasste. Das Militär wollte zudem die Staatskrise, die durch Spannungen zwischen den politischen Parteien ausgelöst wurde, beenden.
Menderes und andere Politiker wurden unter Korruptions-Vorwurf zum Tode verurteilt und am 17. September 1961 auf Imrali gehängt. Nachdem das Militär 1961 eine neue Verfassung einführte, gab es die Macht an eine Zivilregierung ab.
Die neue Verfassung beinhaltete moderne wirtschaftliche und soziale Prinzipien und Gesetze, die die Unterdrückung der Opposition verhindern sollten. Inönü wurde Ministerpräsident und regierte von 1961 - 1965. 1963 schloss die Türkei mit der damaligen EWG ein Assoziations-Abkommen ab.
Aber auch die Folgeregierung konnte die Probleme nicht in den Griff bekommen. Linke und rechte Terror-Aktivitäten nahmen zu und die Wirtschaftslage verschlechterte sich rapide. 1971 griff die Armee erneut ein und es kam zu repressiven Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung.
Die traditionelle Rivalität zwischen Griechenland und der Türkei besteht insbesondere in Gebietsstreitigkeiten (besonders in Zypern) fort und eskaliert periodisch. Einen Höhepunkt fand die Auseinandersetzung 1974, nachdem die griechischen Zyprioten im Juli versuchten, Zypern dem obristisch geführten Griechenland anzuschließen. In der Folge besetzten türkische Truppen am 20. Juli den Nordteil der Insel. Die Zypernkrise drohte immer wieder zu eskalieren, wurde aber immer wieder diplomatisch (durch NATO, EU und UNO) befriedet. In der Folgezeit kam es sowohl in der Zypernfrage als auch an anderen Punkten wie der Erdölförderung in der Ägäis immer wieder zu Spannungen zwischen den Nachbarn.
Das Militär putschte sich am 12. September 1980 zum dritten Mal an die Macht. Auslöser war die sehr instabile Phase in den 70er-Jahren, die durch wechselnde politische Koalitionen, politische und wirtschaftliche Instabilität und Terrorakte durch das extrem rechte und linke politische Spektrum geprägt war. Das Militär unter General Kenan Evren verhängte über das Land das Kriegsrecht und verbot alle politischen Parteien. Die Junta ging heftig gegen die kurdischen Autonomisten und linke Oppositionelle vor. Am 7. November 1982 wurde die von den Militärs vorgelegte neue Verfassung in einem Volksentscheid angenommen.
Nach der Stichwahl zum Parlament im November 1983 gewann die konservative Mutterlandspartei (ANAP) unter dem Wirtschaftsfachmann Turgut Özal die Wahl. Özal leitete in seiner Regierungszeit marktwirtschaftliche Reformen ein und vereinte in seiner Mutterlandspartei Technokraten, aber auch islamische Kreise. Nachdem Özal zum Staatspräsidenten gewählt wurde, wurde 1989 Yıldırım Akbulut Regierungschef. Außer in einigen kurdischen Provinzen wurde 1984 bis 1986 das Kriegsrecht sukzessive aufgehoben.
Am 15. November 1983 proklamierte der seit 1974 von türkischen Truppen besetzte Nordteil der Insel Zypern seine Eigenstaatlichkeit unter der Bezeichnung "Türkische Republik Nordzypern". Am 27. März 1987 kam es zu erneuten Spannungen mit Griechenland wegen Erdölförderungen in der Ägäis.
Die Türkei betrieb gegen über den Kurden eine Assimilierungspolitik. Aufgrund staatlicher Restriktionen konnte die kurdische Kultur nicht frei ausgelebt werden. Es durfte kein Kurdisch an den Schulen gelehrt oder auch nur zwischen den Schülern gesprochen werden und es durften auch keine Medien in Kurdisch vertrieben werden. Auch das Benutzen der kurdischen Sprache auf den Ämtern war verboten. Offiziell wurden die Kurden als „Bergtürken“ bezeichnet.
Im Jahre 1978 entstand in dieser Situation die umstrittene „Arbeiterpartei“ Kurdistans (PKK). Die PKK war eine marxistisch-leninistische Gruppe mit Abdullah Öcalan an ihrer Spitze. 1984 begann sie mit ihrem bewaffneten Kampf für ein unabhängiges Kurdistan. Bis 1999 sollten bei diesem Krieg zwischen dem türkischem Militär und den PKK-Kämpfern 30.000 Menschen ums Leben kommen.
Die 90er-Jahre waren in der Türkei wieder durch wechselnde politische Mehrheiten und ständige Neuwahlen gekennzeichnet. Nachfolger von Akbulut wurde 1991 Mesut Yılmaz. Nachdem die ANAP die Wahlen verlor, wurde 1993 Tansu Çiller mit ihrer Partei, der DYP, Regierungschefin.
Zu Beginn der 1990er Jahre blieben die alten Parteien an der Macht. 1991 wurde die DYP stärkste Kraft und Demirel Ministerpräsident. Nach Özals Tod im Mai 1993 übernahm er das Amt des Staatspräsidenten bis 2000. Ihm folgte Tansu Çiller als Partei- und Regierungschefin (bis 1996).
Özals Kronprinz Mesut Yılmaz von der ANAP und Çiller kämpften Mitte der 1990er Jahren um die Macht, wobei das Versagen des Parlamentarismus offenkundig wurde. So weigerte sich Demirel im Juni 1997 Çiller mit der Regierungsbildung zu beauftragen und machte statt dessen Yılmaz zum Ministerpräsidenten.
Mitte der 90er-Jahre stieg die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierung und den etablierten Parteien stark und alte Splitterparteien sowie neue Parteien konnten bei den Wahlen seitdem große Erfolge erlangen. So ging aus den Parlamentswahlen am 24. Dezember 1995 zum ersten Mal in der türkischen Geschichte eine islamistische Partei, die Wohlfahrtspartei (RP), als stärkste politische Kraft hervor. Da sie keine Koalitionspartner fand, erhielt die zweitstärkste Kraft, die DYP, den Auftrag die Regierung zu bilden. Die DYP ging mit der ANAP eine Koalition ein.
Die Koalition zwischen der DYP und ANAP hielt aber nicht lange, weil Mesut Yılmaz nach einem Misstrauensvotum im Juni 1996 zurücktreten musste.Daraufhin bekam die RP im Juni 1996 unter Necmettin Erbakan den Auftrag, die Regierung zu bilden. Die RP ging mit der DYP eine Koaliton ein. Mit seiner Politik geriet er in Widerspruch zu der von Kemal Atatürk begründeten laizistischen Staatsdoktrin, als deren Stützen sich vor allem die Militärs sahen. Am 30. Juni 1997 musste Neçmettin Erbakan auf Druck der Militärs zurücktreten.
Nach einer kurzen Regierungsphase (Juni 1997 - November 1998) von Mesut Yılmaz war Ecevit (zu dieser Zeit in der DSP (Demokratische Links Partei)) unter wechselnden Koalitionen zusammen mit der ANAP, der DYP und der rechtsextremen MHP (Partei der Nationalen Bewegung) bis 2002 Ministerpräsident.
Die politischen Querelen und die vor allem wirtschaftsliberalistisch orientierten Programme führten in den 1990er Jahren zu einer weiterhin hohen Inflation und Massenarbeitslosigkeit. Im August 1999 hob die Regierung Ecevit das zwischenzeitig verhängte Politikverbot gegen Erbakan auf, um die Zustimmung seiner Fraktion zu einer Verfassungsreform zu erhalten und darüber internationale Kredite über den IWF zu erlangen.
Auch das verheerende Erdbeben, das am 17. August 1999 İzmit und die Marmararegion verwüstete, legte mit İstanbul auch die größte Wirtschaftszone der Türkei lahm. Rund 20.000 Menschen starben auch in Folge der mangelhaften Einhaltung der Bauvorschriften. Vor allem die ärmsten Bevölkerungsteile leiden bis heute unter den Folgen.
Seit die Türkei am 14. April 1987 in Brüssel offiziell um Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft (EG) ersucht hatte, kamen aus Europa immer neue Forderungen, die Grundlage für eine Aufnahme sein sollten. Dabei ging es einerseits um Garantien für die Umsetzung von Menschenrechten, andererseits aber um politische und wirtschaftliche Einflussnahme.
Am 1. Januar 1996 trat die Zollunion zwischen der Türkei und der Europäischen Union (EU) in Kraft, am 6. Oktober 1999 befürwortete das Europäische Parlament prinzipiell eine Kandidatur der Türkei als Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Vor allem die deutsche Bundesregierung verzögerte aber die Gespräche. Die individuelle Freizügigkeit, die die EU der Bevölkerung ihrer Mitgliedsstaaten garantiert, blieben bislang bei den Verhandlungen ausgeklammert.
Die Türkei ist eng eingebunden in die NATO. Im Zweiten Golfkrieg 1990 stellte sich die Türkei auf die Seite der USA und ihrer Alliierten und damit gegen den Irak.
Im August 1996 beendete das Parlament den Ausnahmezustand in den Kurdenprovinzen, erteilte der Armeeführung jedoch erweiterte Vollmachten bezüglich militärischer Einsätze, Verhaftungen und Zensur in allen Provinzen des Landes. Ein Waffenstillstandsangebot der PKK lehnte die türkische Armeeführung im Januar 1997 ab; am 14. Mai 1997 drangen türkische Verbände bis zu 200 km in die Kurdengebiete im Nordirak ein. Am 16. Februar 1998 spürten Agenten des türkischen Geheimdienstes Abdullah Öcalan, Führer der kurdischen PKK, in Kenia auf und brachten ihn in die Türkei.
Nachdem der Vorsitzende gefasst wurde, erklärte die PKK einen einseitigen Waffenstillstand. Der Waffenstillstand wurde erst 2004 wieder beendet.
Am 25. November 1999 wurde das Todesurteil gegen ihn ausgesprochen. Das Urteil wurde nicht vollstreckt. Die offizielle Anwärterschaft auf die Mitgliedschaft in der EU führte zu einer zunächst einmal oberflächlichen Kurskorrektur der Menschenrechtspolitik. Ab 2001 wurden durch vielfältige Gesetzesänderungen, im Rahmen der Anpassungsbemühungen an die Europäische Union, auch die gesetzlichen Grundlagen verbessert.
21. Jahrhundert
Die Regierung Ecevit versuchte mit Privatisierungen der Staatbetriebe wie auch der Bekämpfung der Korruption die Wirtschaft zu stabilisieren. Mitte 2000 wurden bei Wirtschaftsprüfungen bei mehreren Banken aber massive Manipulationen wie Steuerhinterziehung und Veruntreuung entdeckt, was zu einem Börsencrash führte. Die eingeleitete staatliche Kontrolle der Banken konnte die Kapitalflucht aber nicht bremsen. Querelen zwischen Staats- und Ministerpräsidenten über Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption führten im Frühjahr 2001 erneut zu einer massiven Abwertung der türkischen Lira. Massenproteste und polizeiliche Repressionen dagegen waren die Folge.
Unter der Regierung Ecevit (1999-2001) begannen umfassende Reformen im Zivilrecht und stärkten die Menschen- und Freiheitsrechte (z. B. Versammlungs- und Demonstrationsrecht). Diese Reformen wurden unter der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (seit 2001) fortgesetzt. Unter anderem wurde die Todesstrafe abgeschaft, Folter verboten und die kulturellen Freiheiten der kurdischen Minderheit gestärkt. So ist der Gebrauch der kurdischen Sprache, Kurdischunterricht und kurdische Radio- und Fernsehkanäle nun erlaubt. So erteilte die Regulationsbehörde für Fernseh- und Radiosender (RTÜK) am 18. August 2004 drei Privatsendern im Südosten der Türkei, die Lizenz in kurdisch zu senden. Auch der staatliche Sender TRT 3 darf Sendungen in Arabisch, Zazaki, Kumanci, Bosnisch usw. ausstrahlen.
Trotz dieser politischen Erfolge gibt es bis heute Menschenrechtsverstöße, namentlich Folter und Beschneidung demokratischer Rechte in der Türkei.
Nach den Wahlen am 3. November 2002 folgte eine neue Regierung unter der Führung der islamisch verwurzelten AKP. Ministerpräsident wurde zunächst Abdullah Gül. Der Führer und wichtigste Mann der AKP Recep Tayyip Erdoğan durfte dieses Amt nicht übernehmen, da er 1998 wegen der "öffentlichen Äußerung islamistischer Parolen" (Zitierung eines religiösen Gedichts) verurteilt und vorbestraft worden war. Erst nach Änderung von Gesetzen (Abschaffung des Verbots der politischen Tätigkeit von in dieser Art Verurteilten) konnte er durch eine Nachwahl am 9. März 2003 in der Provinz Siirt am 11. März 2003 das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen.
Im Krieg gegen den Irak im Jahre 2003 verweigerte die Türkei den USA und ihren Verbündeten die Nutzung ihrer Militärbasen. Vorangegangen waren Bestrebungen der türkischen Armee, bei einer Invasion in den kurdischen Teil des Iraks einzumarschieren, was international auf Ablehnung gestoßen war.
Am 21. Januar 2000 unternahm die Türkei den Versuch, mit verschiedenen Abkommen ihr traditionell gespanntes Verhältnis zu Griechenland zu normalisieren. Seit 2001 gab es erstmals Fortschritte bei den von den Vereinten Nationen betriebenen Verhandlungen zur Lösung der Zypernfrage. Der UN-Plan sah eine Konföderation der beiden Teile nach dem Muster der Schweiz vor. Er sollte vor Beitritt Zyperns zum 1. Mai 2004 von beiden Seiten unterzeichnet werden. Die türkische Seite unter Denktaş zeigte sich bislang aber nicht bereit und lehnte auch ein von der UN gefordertes Referendum ab. Darauf kam es zu massiven Protesten der türkischen Zyprioten, die wohl mehrheitlich für eine Wiedervereinigung waren. Als Reaktion öffnete Denktaş überraschend die Grenze zum griechischen Teil und ermöglichte so gegenseitige Besuche, die seit gut 30 Jahren nicht möglich waren. Am 24. April 2004 scheiterte der UN-Plan bei einem Referendum im griechischen Teil der Insel vorerst.
Im November 2003 verübte eine türkische Zelle der Al-Qaida, mit dem Namen IBDA/C ("Front der Vorkämpfer für den Großen Islamischen Osten"), mehrere Bombenanschläge in Istanbul. Ziele der Anschläge, bei denen 60 Menschen starben, waren zwei Synagogen, das britische Konsulat und die Filiale der britischen HSBC-Bank.
Nachdem die damalige EG 1989 einen Antrag der Türkei auf Vollmitgliedschaft abgelehnt hatte, wurde auf dem EU-Gipfel in Luxemburg 1997 entschieden, dass die Türkei für einen Beitritt in Frage kommt. Am 11. Dezember 1999 bekam die Türkei offiziell den Beitrittskandidaten-Status zuerkannt. Auf dem Gipfel von Kopenhagen 2002 setzte die EU fest, dass im Dezember 2004 über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entschieden wird. Dazu muss die Türkei die Kopenhagener Kriterien erfüllen.
Im Februar 1994 wurde die gewählte kurdische Parlamentarierin der DEP-Partei (Leyla Zana) unter dem Vorwurf verfassungsfeindlichen Handelns inhaftiert. Mitte 2004 wurden sie und drei weitere inhaftierte DEP-Abgeordnete nach heftigem Druck der EU freigelassen.
Am 17. Dezember 2004 entschieden die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel, dass ab dem 3. Oktober 2005 mit der Türkei Verhandlungen über den EU-Beitritt aufgenommen werden. Voraussetzungen dafür sind jedoch die Fortsetzung der begonnenen Reformen, eine weitere Verbesserung der Menschenrechtssituation und insbesondere die Unterzeichung eines Abkommens über eine Zollunion mit den 10 neuen EU-Mitgliedsstaaten, darunter auch Zypern, noch vor Beginn der Verhandlungen am 3. Oktober 2005.
Im Jahre 2004 sind wieder Kämpfe angesichts Bombenanschläge auf zivile- und staatliche Einrichtungen, Politikermorde, zwischen der türkischen Regierung und der ehemaligen PKK aufgeflammt, die überwiegend von nordirakischen Kurden- und Terror-Organisationen unterstützt werden. Die PKK änderte im April 2002 ihren Namen in KADEK, im November 2003 wiederum in KONGRA-GEL.
Am 10. August 2005 traf sich Erdoğan in Ankara mit türkischen und kurdischen Intelektuellen, die ein Ende des Konfliktes von beiden Seiten - Staat und Kurden - forderten. Anschließend verkündete der Ministerpräsident am 12. August 2005 bei einem Besuch in Diyarbakir das die Probleme im Osten ein spezifisch Kurdisches Problem (Kürt Sorunu) sind und das er diesem Problem mit mehr Demokratie begegnen will. Diese Äußerung wird in türkischen Medien bereits jetzt als historisch gewertet. Zum ersten Mal in der türkischen Geschichte wurde der spezifisch kurdische Charakter des Konfliktes im Osten der Türkei anerkannt.
Unterdessen kam es im September 2005 zu Ausschreitungen als Bewohner der Stadt Bozuyuk kurdische Anhänger Abdullah Öcalans angriffen. Bei den Unruhen wurden mehr als 140 Menschen verletzt. Die Polizei versuchte die Parteien zu trennen.
Siehe auch
Literatur
- Europa und die Türken in der Renaissance, hrsg. von Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann, Tübingen : Niemeyer 2000, 451 S., ISBN 3-484-36554-4
- K. Kreiser: Kleines Türkei Lexikon. Beck, München 1992
- E. Schmitt (Hrsg.): Türkei. Politik - Ökonomie - Kultur. Mundo, Rieden 1988
- U. Steinbach: Geschichte der Türkei. Beck, München 2000
- Gazi Çağlar: Die Türkei zwischen Orient und Okzident. Eine politische Analyse ihrer Geschichte und Gegenwart. 2004, ISBN 3-89771-016-1 (Rezension Junge Welt)