Ewiger Jude
Der ewige Jude ist eine Figur aus der christlichen Mythologie, die sich aber in der Bibel nicht nachweisen lässt.
Die Legende
Im Zentrum verschiedener Legenden steht der Jude Ahasver (Ahasverus, Cartaphilus), der Jesus auf seinem Kreuzgang eine kurze Rast an seiner Schwelle verweigerte. Dafür wurde er verflucht, bis zum Ende der Welt in ständiger Wanderschaft zu leben und nie sterben zu können.
Der Schuhmacher Ahasverus von Jerusalem, der, als Christus auf dem Weg nach Golgatha vor seinem Haus ruhen wollte, ihn mit dem Leisten forttrieb, und zu dem Jesus sprach: "Ich werde ruhen; du aber sollst gehen,.. bis ich wiederkomme!" Seitdem wandert Ahasverus, ohne sterben zu können, ruhelos durch die Welt. Nach anderer Tradition war es der Türhüter des Pontius Pilatus, Kartaphilos, der Jesus mit Faustschlägen mißhandelte und zur Strafe dafür bis zum Jüngsten Gericht wandern muß. Alle hundert Jahre befällt den Ewigen Juden eine Krankheit, welche ihn verjüngt.
Begriffsgeschichte
Die abendländische Legende entstand im 13. Jahrh., wo sie der englische Chronist Matthäus Parisiensis zuerst erzählte, der sich seinerseits auf einen 1228 in England verweilenden armenischen Erzbischof als Gewährsmann berief. Auch Philipp Mouskes, der Verfasser einer flandrischen Reimchronik (um 1243), berichtet dieselbe. In Italien wurde der Ewige Jude nach dem Bericht des Astrologen Guido Bonatti, welcher im 15. Jahrh. lebte, 1267 zu Forli und im 14. Jahrh. nach der Mitteilung des Chronisten Tizio zu Siena gesehen. Er wird dort Buttadeus (Buttadio) genannt, ein Name, unter welchem er noch heute in Italien bekannt ist, und der von dort auch in die Bretagne drang (Boudedeo). Im 16. Jahrh. (1542) sah der Student Paulus von Eiben, späterer Bischof von Schleswig, den Helden der Sage, wie er mitteilt, in Hamburg während der Predigt barfuß der Kanzel gegenüberstehen, will dann weiter nach seinem Schicksal geforscht haben und erstattete darüber seinen Schülern einen Bericht, den einer von ihnen 1564 zum Druck beförderte. Dieser Bericht bildet den Inhalt des Volksbuches vom Ewigen Juden, das als solches in erster Ausgabe 1602 in Leiden erschien, seitdem oft aufgelegt und erweitert (erneuert in Simrocks "Deutschen Volksbüchern") sowie auch ins Lateinische, Französische und Holländische übersetzt wurde.
Von jetzt an taucht die Gestalt des Ahasver öfters auf, z. B. in den Niederlanden unter dem Namen Isaak Laquedem, in Spanien unter dem Namen Juan Espera-en-Dios ("Hoff auf Gott"); dort soll er eine schwarze Binde auf der Stirn tragen, mit welcher er ein flammendes Kreuz bedeckt, das sein Gehirn ebenso schnell, wie es wächst, wieder verzehrt. In Bern u. a. O. bewahrt man seine großen Schuhe.
Der ewige Jude in der Kunst
Dieses Motiv wurde mehrfach literarisch aufgegriffen. In nahezu jeder Region des Abendlandes und der muslimischen Welt taucht der ewige Jude in lokalen Sagen auf. In der muslimischen Welt überdecken sich diese Sagen oft mit der Figur des mystischen Propheten Al-Khidr, der ebenfalls unsterblich sein soll und wie der ewige Jude (allerdings nicht ruhelos) durch die Welt wandert. Zudem findet er als Sinnbild für das Leid des jüdischen Volkes, aber auch als antisemitische Hassfigur Verwendung.
Das alte Sagenmotiv fand erstmals 1542 durch eine Schrift von Paulus von Eitzen weitere Verbreitung. Unter anderem befassten sich Johann Wolfgang von Goethe, Ludwig Achim von Arnim, Nikolaus Lenau, Franz Werfel, Jorge Luis Borges und Stefan Heym mit der Figur des Ahasver. Ahasver galt Richard Wagner als Vorbild für seine Oper Der fliegende Holländer. Der in Friedrich Dürrenmatts Roman Der Verdacht auftauchende Jude Gulliver bezeichnet sich selbst ebenfalls als ewigen Juden.
Die Sagenperson des Ewigen Juden (die beiläufig von den Gelehrten als eine Spiegelung Wodans, als des wilden Jägers, gedeutet wird) erscheint in den poetischen Bearbeitungen der Sage vom Ahasver der ursprüngliche Gedanke mannigfach gedeutet, nach verschiedenen, oft großartigen Gesichtspunkten erweitert und mit andern Ideen und Personen verknüpft. Wir erinnern zunächst an das Fragment von Goethe (1774), der ihn zum Helden eines Epos machen wollte, an die Schilderung Schubarts in dessen bekannter Rhapsodie, an die Gedichte von August Wilhelm Schlegel ("Die Warnung"), Al. Schreiber, Ed. v. Schenk, G. Pfizer, W. Müller: N. Lenau, Zedlitz ("Die Wanderungen des Ahasverus", Fragment) u. a. , welche den Ewigen Juden zum Gegenstand haben. Eine große Behandlung findet die Sage in Mosens epischem Gedicht "Ahasver" (1838), worin der Ewige Jude in schroffen Gegensatz zum Christentum tritt. Demgegenüber tritt die Sagengestalt in einem Roman von Eug. Sue (1845) vielmehr für die "Religion der Liebe" ein, und es ist dem Ewigen Juden auch eine Ewige Jüdin beigesellt. Schon 1833 hatte Edgar Quinet ein merkwürdiges Mysterium geschrieben, "Ahasvère", das er als eine "Geschichte der Welt, Gottes in der Welt und des Zweifels in der Welt" hinstellt. In anderer Weise macht L. Köhler den Ewigen Juden im Gedicht "Der neue Ahasver" (1841) zum Propheten der Freiheit. Levin Schücking führte ihn in der Episode "Die drei Freier" seines Romans "Der Bauernfürst" (1851) vor. Nach einer Novelle von Fr. Horn dichtete Klingemann sein Trauerspiel "Ahasver" (1827), dessen Titelrolle L. Devrient mit Vorliebe spielte. Voll erhabener Gedanken ist das betreffende Gedicht von Andersen, der den Juden zum "Engel des Zweifels" und zugleich zum Vertreter des starren Jehovahglaubens macht, eine Auffassung, die auch S. Heller in seiner Dichtung "Ahasverus" (1866) und A. Herrig in seinem Drama "Jerusalem" (1874) vertreten, während Hamerlings Epos "Ahasver in Rom" (1866) den Ewigen Juden als den ewigen, d. h. qualvoll immer lebenden, strebenden Menschen hinstellt. Auch Giseke hat ein Epos veröffentlicht, "Ahasverus, der Ewige Jude" (1864), sowie Carmen Sylva eine dichterische Behandlung der Sage ("Jehova", Leipz. 1882), worin Ahasverus wieder als Typus des Zweifels geschildert wird. Vgl. Grässe, Der Tannhäuser und Ewige Jude (2. Aufl. , Dresd. 1861); Helbig, Die Sage vom Ewigen Juden, ihre poetische Wandlung etc. (Berl. 1874); Conway, The Wandering Jew (Lond. 1881) und die Schriften von Neubaur Leipz. 1884) u. P. Cassel( Berl. 1885).
Der Film
Die Nationalsozialisten verwendeten später das Thema des ewigen Juden für den nationalsozialistischen Propagandafilm Der Ewige Jude (Film).
Vorlage:Meyers
ist obsolet; heißt jetzt Vorlage:Hinweis Meyers 1888–1890