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Neobiota

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Dickstielige Wasserhyazinthe (Eichhornia crassipes), ein weltweit schädlicher Neopyht.
Wanderratte (Rattus norvegicus), ein weltweit schädlicher Neozoon.

Als Neobiota (von Vorlage:ELSalt2 néos „neu“ und βίος bíos „Leben“, Sing. Neobiont) bezeichnet man Arten, die durch menschlichen Transport in ein neues Gebiet eingeschleppt wurden.[1] Als Unterbegriff für eingeschleppte Pflanzen ist Neophyten (Sing. Neophyt) gebräuchlich, analog dazu existiert für Tiere der Begriff Neozoen (Sing. Neozoon). Diese drei Begriffe sind vor allem im deutschsprachigen Raum gebräuchlich, im Englischen wird nur der Begriff invasive species (invasive Art) ohne Unterscheidung zwischen Pflanzen und Tieren verwendet. Das zugehörige Teilgebiet der Biologie ist die Invasionsbiologie. Den Vorgang der Einschleppung, Etablierung und Ausbreitung im neuen Gebiet bezeichnet man als biologische Invasion.

Neobiota zeichnen sich meist durch typische Eigenschaften wie Anpassungsfähigkeit, hohe Fortpflanzungsrate und oft auch eine Assoziation mit Menschen aus. Diese Eigenschaften bestimmen im Zusammenspiel mit der Anfälligkeit des neuen Gebietes für biologische Invasoren (Invasibilität) und der Anzahl verschleppter Individuen (engl. propagule pressure) die Erfolgswahrscheinlichkeit, mit der sich nach einem Ausbreitungsereignis eine stabile Population etabliert.

Während zahlreiche Neobiota (z.B. Damwild und Douglasie) keine merklichen negativen Auswirkungen verursachen, geht von einigen etablierten Neobiota ein stark negativer Einfluss auf die Biodiversität ihres neuen Lebensraumes aus. Oft verändert sich die Zusammensetzung der Biozönose beträchtlich, zum Beispiel durch Prädation und Konkurrenz. Ebenso können sie wirtschaftlichen Schaden anrichten, zum Beispiel als Forst- und Landwirtschaftsschädlinge. Gleichzeitig treten Neobiota als Vektoren von Pathogenen in Erscheinung, welche sowohl Nutzpflanzen, Nutztiere als auch den Menschen befallen können.

Verschleppung von Arten

Ballastwasser gehört zu den wichtigsten Vektoren für aquatische Neobiota.

Hauptartikel: Biologische Invasion
Die meisten Neobiota werden unbeabsichtigt verschlepppt. Der wichtigste Vektor für Neobiota ist der Welthandel, sein stetiges Wachsen erhöht die Anzahl von neuen Neobiota beträchtlich. Invasive Arten gelten als bedeutender Teil der Globalisation. Zu den wichtigsten Vektoren gehören Frachtschiffe, wo Neobiota etwa in Kontainern oder Frachtgut versteckt eingeschleppt werden können. Auch die Luftfahrt verbreitet Neobiota weiter. Es ist auf Länderebene eine Korrelation von Wirtschaftsstärke und Anzahl von Neobiota festzustellen. In der Vergangenheit wurden Neobiota auch absichtlich ausgesetzt, z.B. als biologische Schädlingsbekämpfung oder Wild. Ebenso können Neobiota aus menschlicher Haltung entweichen und stabile Populationen etablieren.[2][3]

Eigenschaften

Nachdem gebietsfremde Lebewesen in ihrer neuen Umgebung angekommen sind, können sie aussterben, oder sich etablieren (eine sich fortpflanzende Population aufbauen). Der Erfolg beim Etablieren hängt sehr stark von den Eigenschaften des betreffenden Neobionten ab. Eine Reihe von Faktoren scheinen eine Etablierung zu begünstigen. Es wird davon ausgegangen, dass eine höhere Fortpflanzungsrate, kurze Generationsfolge und schnelles Wachstum den Erfolg eines Neobionten begünstigt (r-Strategie). Der Zusammenhang wurde in mehren Fallstudien an eingeschleppten Fischen und Landpflanzen bestätigt;[4] so kann schnell eine neue Population aufgebaut werden, und die Population kann sich eher von Bestandseinbrüchen erholen.[5] Neophyten zeichnen sich daneben oft durch eine große Anzahl von Samen, große Samen und frühe Geschlechtsreife aus. Generalisten können sich leichter in neuen Lebensräumen etablieren, da sie ein breiteres Spektrum von ökologischen Parametern tolerieren.[6] Dass lässt sich unter anderem bei eingeschleppten, generalistischen Prädatoren beobachten: Ihnen fehlt in neuen Lebensräumen nicht ihre spezielle Beute, und sie können nach Bestandseinbrüchen ihres bevorzugten Beutetiers auf andere Beute ausweichen.[5] Auch erweisen sich physiologisch an verschiedene Wasserwerte (z.B. Salinität, Temperatur) angepasste Fische als besonders invasiv.[4][7]

Die Fähigkeit zur raschen Änderung des Phänotyps in Anpassung an eine neue Umgebung bezeichnet man als phänotypische Plastizität; sie begünstigt den Erfolg einer Invasion.[8] Ein typisches Beispiel sind die mittelamerikanischen, baumbewohnenden Anolis-Echsen (Anolis): Sie können im Lauf ihrer Individualentwicklung (Ontogenese) abhängig von der Dicke der Äste ihres Lebensraums besonders lange oder kurze Hinterbeine ausbilden. Dies kam dem Bahamaanolis (Anolis sagrei) bei seinen Invasionen in Nord- und Mittelamerika zugute.[9][10] Dasselbe dürfte für die Anpassung des Verhaltens an die neue Umgebung gelten.[8] Einen empirischen Beweis für diese Hypothese lieferte die Analyse von rund 600 Invasionen von Vögeln. Dabei wurde festgestellt, das Vögel mit einem im Verhältnis zu ihrer Körpergröße großen Gehirn sich besonders wahrscheinlich etablieren. Die erhöhten kognitiven Fähigkeiten eines größeren Gehirns ermöglichen in diesem Fall eine erfolgreiche Anpassung des Verhaltens an die neue Umgebung.[11]

In den meisten Fällen ist davon auszugehen, dass ökologische Unähnlichkeit zu bereits etablierten Arten die Invasion eines Neobionten begünstigt - in solchen Fälle könnte der Neobiont noch ungenutzte Ressourcen verwenden oder auf mangelnden biotischen Widerstand (z.B. Fressfeinde) treffen.[8]

Daneben wurde für viele Neobiota eine gute Fähigkeit zur Ausbreitung, und bei Pflanzen eine besonders effektive Nutzung von Licht, Wasser und Stickstoff in Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Etablierung gestellt.[12][13]

Die Beziehung zum Menschen kann ebenfalls den Erfolg einer Invasion begünstigen. Für den Menschen unauffällige Neobiota wie z.B. nachtaktive Schlangen können Bekämpfungsmaßnahmen entgehen, und eingeschleppte Haustiere und Nutzpflanzen werden oft nicht bekämpft. Als Kommensalen der menschlichen Zivilisation lebende Neozoen finden überall Ressourcen zur Etablierung (z.B. Wanderratte, Rattus norvegicus),[5] und einige Arten können durch ihre Lebensfähigkeit in durch Menschen erzeugtem Mikroklima ansonsten klimatisch ungünstige Bedingungen tolerieren (z.B. Argentinische Ameise, Linepithema humile).[14]

Auswirkungen

Neobiota können Einfluss auf ihre neuen Lebensräume haben. Während die meisten Neobiota nur geringe Auswirkungen haben oder sich nicht etablieren, fallen eine Reihe von verschleppten Arten durch starke, negative Einflüsse auf ihren neuen Lebensraum, die lokale Wirtschaft und teilweise auch auf die Gesundheit des Menschen auf.[15]

Auf den Menschen

Die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) wurde in Südeuropa eingeschleppt und verursachte 2007 mehr als 200 Infektionen von Chikungunyafieber.[16]

Gefahr für die menschliche Gesundheit kann von Neobiota ausgehen, die Krankheiten übertragen. Eingeführte Arten können als Vektor für eine neue Zoonose dienen, oder sie können Vektor für bereits vorkommende Krankheiten werden, und so Infektionsraten erhöhen.[15] Ein Beispiel sind Moskitos, deren Ausbreitung zudem durch den globalen Klimawandel begünstigt wird. Durch das Entstehen neuer, warm-feuchter Lebensräume könnten krankheitsübertragende Moskitos in Verbindung mit menschlichem Transport ihr Verbreitungsgebiet erheblich erweitern.[17] Von Neophyten ist bekannt, dass sie Allergien auslösen, oder durch Umstrukturierung von Pflanzengemeinschaften die Wahrscheinlichkeit für Brände erhöhen.[15]

Neobiota können schädliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben; die weltweiten jährlichen Verluste durch Neobiota betragen wahrscheinlich mehrere hundert Milliarden. Auch hier treten Neobiota als Vektoren für Pathogene auf; um die durch Neopythen eingeschleppten Nutzpflanzen-Krankheiten zu bekämpfen, plante das US Department of Agriculture 2008 ein "biodefense"-Budget von 340.000.000 $ ein. In Südafrika senkten eingeschleppte Kiefern (Pinus), Eukalypten (Eucalyptus) und Akazien (Acacia) den Wassergehalt von Böden, wodurch die Landwirtschaft Schaden nahm. Die Blauzungenkrankheit, die insbesondere Schafe befällt, wurde in Europa durch verschleppte Mücken der Gattung Culicoides eingeführt.[18] Auch können Neobiota selbst Schädlinge sein, wie z.B. der Forstschädling Blaue Fichtenholzwespe (Sirex noctilio).[19] In armen Region kann dies verheerend sein: Die Tabakmottenschildlaus (Bemisia tabaci) führte in armen Regionen Mexikos das Tomatenvirus TYLCV ein; die Bauern können sich Bekämpfungsmaßnahmen wie Pestizide nicht leisten, und der Ernteverlust fällt oft nahezu total aus.[20]

Auf Ökosysteme

Braune Nachtbaumnatter (Boiga irregularis) pirscht sich an einen Rotkehlanolis (Anolis carolinensis) an.
Der Ceylon-Zimtbaum (Cinnamomum verum) ist Neophyt auf den Seychellen, und unterdrückt junge heimische Bäume. Sein dichtes Wurzelnetzwerk macht ihn in der Konkurrenz um die Nährstoffe in den nährstoffarmen Böden der Seychellen überlegen.[21]

Neobiota verändern oft die Zusammensetzung einer Biozönose signifikant, und können den Bestand von heimischen Arten vermindern. Gelegentlich verändern sie auch die physische Struktur in ihrem neuen Verbreitungsgebiet. Ökosysteme bieten auch ökonomischen Nutzen, von der Bestäubung von Kulturpflanzen bis hin zu Freizeitaktivitäten. Somit geht mit einer Störung der Ökosysteme oft ein wirtschaftlicher Schaden für den Menschen einher.[22]

Neobiota können den Bestand von einheimischen Arten stark verringern. Dabei können die von ihnen mitverschleppten Pathogene oder Parasiten den Bestand vermindern, oder aber der Neobiont ist selber ein Prädator. Insbesondere auf Inseln kann es zum Artensterben kommen, da Tiere in solchen isolierten Ökosysteme nur geringen Selektionsdruck durch Prädatoren erlebten und somit "naiv" sind.[23] Es wird geschätzt, dass bei 54% der Aussterben in historischer Zeit Neobiota eine mehr oder weniger bedeutende Rolle spielten.[24] Auf Guam bejagte die Braune Nachtbaumnatter (Boiga irregularis) 10 der 12 heimischen Vogelarten bis zu deren Aussterben. Obwohl die Vögel Guams als Beutetiere die Population nicht aufrecht erhalten können, kann die Braune Nachtbaumnatter durch eingeführte Beutetiere wie den Rotkehlanolis (Anolis carolinensis) ihren Bestand aufrecht erhalten und weiterhin Druck auf Guam's Avifauna ausüben.[25] In kontinentalen Ökosystemen kommt es jedoch meist nicht zum Artensterben, sondern nur zu Bestandsabnahmen. Eingeführte Herbivoren können Pflanzenbestände dezimieren. Überhöhter Weidegang kann weitreichende Folgen haben, in Chile etwa führten verschleppte Hasenartige (Lagomorpha) und Rinder zur Versteppung einstiger Wälder.[26]

Neobiota können auch in Konkurrenz mit heimischen Arten treten. Durch Konkurrenz wird zwar nur selten ein Aussterben verursacht, Bestandseinbrüche sind jedoch möglich.[27] Besonders auf nährstoffarmen Böden können Neophyten durch Konkurrenz um Nährstoffe heimische Pflanzen dezimieren. Über Erde hingegen herrscht eine Konkurrenz um Licht für die Photosynthese.[21] Auch bei Neozoen besteht die Möglichkeit eines Konkurrenzausschlusses: Auf San Salvador (Galápagos-Archipel) eingeführte Hausratten (Rattus rattus) verteidigen von ihnen aufgefundene Ressourcen aggressiv gegen Galápagos-Reisratten der Art Nesoryzomys swarthi, was deren Bestand negativ beeinflusst.[28]

Wird eine negative Einwirkung eines Neobionten indirekt über weitere Arten an eine heimische Art gegeben, bezeichnet man dies als indirekte Einwirkung. Ein Beispiel sind Rückgänge von Pflanzenarten, die indirekt über den Rückgäng von Bestäubern verursacht wurden. Gründe können z.B. die Konkurrenz von Neophyten um die Bestäuber sein, oder weil räuberische Neozoen die Bestände der Bestäuber stark verringern. Indirekte Einwirkungen können also über die Störung von bestehenden mutualistischen Beziehungen erfolgen. Ebenso ist dies über die Veränderung von Nahrungsnetzen möglich. Von einigen invasiven Muscheln wurde z.B. bekannt, dass sie durch übermäßige Bestandsreduktion des Phytoplanktons ganze Nahrungsnetze zum Zusammenbruch brachten.[29]

Auch können Neobiota biogeochemische Prozesse verändern, was sich negativ auf heimische Arten auswirken kann. Dies ist insbesondere von Neophyten, aber auch von Neozoen bekannt. Andere Neobiota verändern ihre Umwelt physisch (ecosystem engineers), oft mit negativen Auswirkungen auf heimische Arten. Auf Macquarie Island vor Tasmanien führt Überweidung durch Hasen zu Erdrutschen, wodurch Nistplätze von Seevögeln zerstört wurden. In Nordamerika eingeführte Regenwürmer (Lumbricidae) bewegen die Pflanzenreste und den Humus aus dem Streu in tiefe Erdschichten, wodurch heimische Plfanzen eine Knappheit an Stickstoff und Phosphor erleiden. Andererseits führten in bergigen Regionen Ecuadors eingeführte Kiefern und Eukalypten zu erosionsfesteren Böden; die heimische Vegetation wurde zuvor von Menschen abgeholzt. Eingeschleptpe ecosystem engineers erhöhen offenbar die Biodiversität eines Ökosystems, wenn sie die Heterogenität der Ressourcenverteilung erhöhen. Sie bewirken eine Abnahme der Biodiversität, wenn sie eine homogenere Ressourcenverteilung bewirken.[30]

In Folge von biologischen Invasionen kann es also zu einer Sukzession und einem stark veränderten Ökosystem kommen.[31]

Bekämpfung

Prävention

Als kostengünstigste Maßnahme zur Abwehr schädlicher Neozoen gilt Prävention - die Kosten für umfassende Prävention dürfen jedoch nicht unterschätzt werden, da Neobiota über viele verschiedene Wege in neue Ökosysteme eindringen können. Prävention erfolgt meist über Gesetze und Grenzkontrollen. Dabei muss beachtet werden, dass oft nicht die Verantwortlichen einer biologischen Invasion auch die Folgen bezahlen. Es scheint momentan jedoch unwahrscheinlich, geregelte Tarife für Verschleppungsrisiko einzuführen.[32] Die IUCN fordert in einer Richtliniensammlung dazu auf, besonderes risikoreiche Einschleppungswege ausfindig zu machen, und dann die finanziellen Mittel vorwiegend auf diese zu konzentrieren.[33]

In einer 2010 in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie wurde ein besonders starker Zusammenhang von Invasionen und der Bevölkerungsdichte und Wohlstand eines Landes festgestellt. Die anhand europäischer Länder durchgeführte Studie kommt zu dem Schluss, dass diese Variablen stark mit höherer Einschleppungsrate (z.B. Tierhandel), Eutrophierung und anthropogenen Veränderungen zusammenhängen.[34]

Da sich die Einschleppung von einem Neobiont auf lange Sicht nicht verhindern lässt, ist das frühe Aufspüren von noch jungen Populationen eine wichtige Ergänzung zur Prävention. Diese noch kleinen Populationen lassen sich kostengünstig auslöschen. Erfolgreich wird dies in Australien seit Jahrzehnten praktiziert; dort werden Orte mit besonders hohem Risiko für Invasionen von Schädlingen regelmäßig überwacht, um Invasionen von schädlichen Neophyten, Insekten und Viren frühzeitig einzudämmen. Dabei kann es auch genügen, die Population über längere Zeit unter der Schwelle des Allee-Effekts zu halten. Vorbeugende Maßnahmen sind insbesondere bei Zoonosen von großer Bedeutung.[35]

Bekämpfungsmaßnahmen

Weit kostspieliger sind Versuche, die weitere Ausbreitung eines etablierten Neobionten einzudämmen oder ihn lokal auszurotten. Hierbei wird zwischen verschiedenen Typen der Bekämpfung unterscheiden. Bei physischer Bekämpfungen werden die Neobionten z.B. mit Feuerwaffen getötet oder regelmäßig abgesammelt.[36] Da dies oft vergleichsweise kostspielig ist, könnten Volontäre neue Perspektiven eröffnen.[37] Unter chemische Bekämpfung fällt insbesondere der Einsatz von Pestiziden. Problematisch ist, dass die Gifte oft unbeabsichtigt heimische Tierarten oder den Menschen schädigen.[38] Biologische Bekämpfung beinhaltet unter anderem Einführung von natürlichen Feinden, Parasiten und Viren des Neobionten, aber auch andere Ansätze wie etwa die Sterile Insect Technology. Auch wenn biologische Bekämpfung in einigen Fällen zum Erfolg führt, so verursachen die neu eingeführten Bekämfpungsagenten oft unerwünschte Nebeneffekte.[36]

Centaurea diffusa

Es scheint auch wichtig, dass der Bekämpfungsagent neben einer hohen Wirkungsspezifität auch sehr wirksam ist; andernfalls kann er in Koexistenz mit dem Neobiont leben, und womöglich selber sehr zahlreich werden und eine Plage sein. Dies geschah, als man Fliegen der Gattung Urophora in Nordamerika aussetze, um die eingeschleppten Flockenblumen Centaurea diffusa und C. maculosa zu bekämpfen. Stattdessen wurden Urophora-Fliegen in Koexistenz mit Centaurea-Arten sehr häufig, und die Larven von Urophora wurden zur wichtigen Nahrungsquelle für die Hirschmaus (Peromyscus maniculatus). In größeren Hirschmaus-Populationen werden Hantavirus-positive Individuen sowohl relativ als auch absolut häufiger, im Endeffekt wurde also die menschliche Gesundheit gefährdet.[39]

Ebenfalls können transgene Varianten des Neobionten in die invasive Population eingebracht werden, welche auf lange Sicht zum Aussterben des Neobionten führen.[40] Ein Beispiel ist die daugtherless carp strategy ("Tochterlose Karpfen-Strategie"), die vom CSIRO an invasiven Fischen entwickelt wurde. Dabei wird ein Exemplar mit mehreren Genkopien eines Aromatase-Repressor (ein "Blocker" des Aromatase-Gens) in eine Population eingeschleust. Wenn dieser Fisch seine Gene an seine Nachkommen weitergibt, so werden daraus nur Männchen, da mit Aromatase dass zur Ausbildung weiblicher Geschlechtsmerkmale maßgebliche Enzym nicht produziert wird. Die Nachkommen geben diese Gene weiter. So verschiebt sich allmählich die Geschlechterrate zugunsten der Männchen, bis die Population ausstirbt.[41] Ein ähnliches Ziel verfolgt das Trojan sex chromosome-Vorgehen.[42] Durch Hybridisierung könnten schädliche Gene jedoch auch in Populationen anderer Tierarten gelangen.[40]

Zu den neueren Ansätzen gehört das Ökosystem-Management, welches die Invasibilität von Ökosystemen senken will. Dazu können z.B. Störungen durch menschliche Aktivitäten vermieden werden, da durch Störungen und Heterogenität ein Ökosystem invasibler wird.[43] In vielen Fällen verläuft die Ausbreitung eines Neobionten nicht an einer kontinuierlichen Front, sondern durch Satellitenpopulationen. Die Ausbreitungskorridore und möglichen Startpunkte zur Bildung von Satellitenpopulationen aufzufinden kann dabei helfen, die Ausbreitung eines Neobionten zu verhindern. Die Agakröte (Bufo marinus) verursachte starke Bestandsrückgänge bei australischen Tierarten. Sie ist jedoch an das trockene Klima in großen Teilen Australiens nicht angepasst - künstliche Wasserstellen ermöglichen ihr jedoch, Trockenzeiten zu überdauern und sich über trockene Landstriche auszubreiten. Werden solche Wasserstellen hingegen umzäunt, geht der Krötenbestand zurück - der begrenzende Faktor der Kröten (Wasser) wirkt sich zusätzlich negativ auf die Population aus.[44]

Problematik

Die Bekämpfung von Neobiota kann bei niedriger Bestandsdichte problematisch werden. Demonstriert wurde dies bei einem Experiment, bei dem eine einzelne Ratte auf einer 9,3 ha großen Insel ausgesetzt wurde - es dauerte trotz intensiven Anstrengungen mehrere Monate, bis sie getötet wurde. Es kann also aufgrund geringer Dichte bei Neobionten im frühen Etablierungsstadium oder zum Ende einer Ausrottungskampagne zu Schwierigkeiten kommen.[45] Bei der Hausziege wurde dieses Problem durch Judasziegen gelöst.[46] Ein weiterer Lösungsweg wurde in Tasmanien entwickelt, um Invasionen des Rotfuchses (Vulpes vulpes) im Frühstadium zu erkennen: Aus Kot wird DNA gewonnen, mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) amplifiziert und anschließend analysiert. Auf diese Weise können Neobiota identifiziert und auch die Geschlechterverteilung festgestellt werden.[47] Eine weitere Früherkennungsmethode anhand von DNA-Analysen wurde bei französischen Populationen des Amerikanischen Ochsenfroschs (Rana catesbeiana) entwickelt: In Gewässern gelöste DNA von Ochsenfröschen kann durch spezielle Primer bei einer PCR gezielt amplifiziert werden.[48]

Da Eindämmungskampagnen kostspielig sind und nicht immer Erfolg haben, wird in einigen Fällen deren Sinn in Frage gestellt, insbesondere wenn der Neobiont keine direkten Auswirkungen auf Wirtschaft oder menschliche Gesundheit hat. Kritiker denken, dass es in diesem Fall finanziell sinnvoller sei, die Neobiota unbehelligt zu lassen (LTL approach, Learn To Love 'Em approach).[49] Insgesamt sind nach Myers et al (2000) die oft mehrere Millionen Dollar teuren, groß angelegten Ausrottungskampagnen nur sinnvoll, wenn die Geldmittel (meist des Staates) ausreichend sind, alle nötigen und womöglich mit Nebenwirkungen behafteten Mittel genehmigt sind, die Biologie des Neobionten eine Bekämpfung auch bei niedrigen Populationsdichten möglich sind, und eine erneute Einschleppung verhindert werden kann. Ist dies nicht möglich, könnte als Alternativmaßnahme in einer teuren Initiationskampagne die Populationsdichte gesenkt werden, und anschließend mit geringen Mitteln eine geringe Populationsgröße zu halten.[50]

Härtere Kritik stellen die Bekämpfung von Neobiota aus Naturschutzgründen teilweise in Zusammenhang mit Xenophobie; die Einschleppung von Arten in neue Lebensräume sei ein natürlicher Vorgang. Eine pauschale Bekämpfung von Neobiota aus ästhetischen Gründen sei nicht vertretbar. Dem entgegnet z.B. Simberloff (2005), dass Vorhersagen zur Schädlichkeit eines Neobionten nach wie vor sehr ungenau sind. Es sei besser, Neobiota präventiv zu bekämpfen.[51] Auch können sich verschiedene Interessengruppen der Bekämpfung von Neobiota entgegenstellen. In Australien etwa erwehren sich Aborigines der Bekämpfungsmaßnahmen gegen die eingeführten Kaninchen, Wasserbüffel und Kamele, da diese nun wichtiges Wild seien.[52]

Literatur

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Belege

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