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Wiener Moderne

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Die Wiener Moderne bezeichnet den Zeitraum von etwa 1890 bis 1910. In diesem Zeitraum entfaltete sich die Wiener Moderne – beeinflusst von Ideen aus deutschen, französischen, italienischen, skandinavischen und amerikanischen Philosophien, Literaturen, Kunstobjekten, Ausstellungen (z. B. die Pariser Weltausstellung mit dem Turm von Ingenieur Eiffel) und Architekturen – bis zur Hochblüte. Sie hatte sich als Gegenströmung zum Naturalismus gebildet und möchte der in diesem vorherrschenden Maxime des naturgetreuen Abbildens realer Umstände die ‚Kunst um der Kunst willen‘ (aus dem Frz. L'art pour l'art der 1830er Jahre) entgegensetzen. Trotz ähnlicher Entwicklungen im übrigen Europa kann Wien als ein wichtiges Zentrum der Moderne um 1900 betrachtet werden.

Signifikante Namen und Ereignisse dieser Epoche

Looshaus (Adolf Loos, 1909)
Der Kuss (Gustav Klimt, 1907–1908)
Hermann Bahr, 1904

Der Ideenimport erfolgte auch hier über direkte persönliche Beziehungen avantgardistisch engagierter Einzelner. Der Wiener Architekt Adolf Loos etwa blieb sein Leben lang beeindruckt und beeinflusst von seinem Amerikaaufenthalt von 1893 bis 1896, vor allem in Chicago und New York. Der Literaturkritiker und Autor Hermann Bahr pendelte ständig zwischen Berlin und Wien und unterlag so selbst der permanenten Wandlung durch immer neuere Ideen. Er ist zuerst Wagnerianer und Anhänger Bismarcks, danach Marxist, Naturalist, Symbolist, schließlich Expressionist und am Schluss konservativer Katholik.

In den Augen vieler Wiener Künstler war letztlich nur eines von Bedeutung, – der Individualismus, möglichst in Form des Genies, das sich keiner Regel, keiner Tradition, keiner Schule unterwirft.

Baudelaire bestimmte 1863 die Modernität als „das Vorübergehende, das Flüchtige, das Zufällige, die eine Hälfte der Kunst: ihre andere Hälfte ist das Ewige und das Unwandelbare“[1]. Hermann Bahr betont die „geniale“ Individualität des Künstlers als dessen einzige Identität. Der Geniekult ist ein zentraler Punkt der Wiener Moderne. Otto Weininger, Gustav Klimt, Adolf Loos, Karl Kraus und Arnold Schönberg glauben an das „Genie“. Auch für Sigmund Freud, Robert Musil, Ludwig Wittgenstein, Hugo von Hofmannsthal und Franz Kafka ist der Geniegedanke ein ständig präsentes Thema.

Der Architekt Otto Wagner verfasst eine Schrift mit dem Titel Moderne Architektur von 1895, in der er die Ära und Vorherrschaft des Historismus (insbes. der Bauten der Wiener Ringstraße im neugriechischen, neurömischen und neubarocken Stil) für beendet erklärt. Den Begriff „Moderne“ kennt er noch nicht, er spricht lediglich von der notwendigen Anpassung der Architektur an den technischen Fortschritt.

Sigmund Freud revolutionierte die Welt durch die Erfindung der Psychoanalyse. Er publizierte 1899 seine berühmt gewordene „Traumdeutung“. Mauthner, Wittgenstein, Kraus übten (jeder auf seine Weise) ihre Sprach – und Denkkritik als Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Der grundlegende, metaphysikkritische Philosoph für die gesamte Moderne und besonders auch für die Wiener Moderne war Friedrich Nietzsche.

Zwischen den Epochen Romantik, Moderne und Postmoderne gibt es viele nachweisbare Verwandtschaften, so auch zwischen der Wiener Moderne und der Weimarer Moderne der 1920er und 1930er Jahre. Darüber hinaus enthalten die signifikantesten Züge der Moderne ein verborgenes postmodernes Potential, auf das die Postmoderne und besonders die Wiener Postmodernen (z. B. Marianne Fritz, Franzobel, Gerhard Jaschke und Elfriede Jelinek) laufend rekurrieren und anspielen.

Die Ereignisse dieses Zeitraumes zwischen 1895 und 1910 bilden eine Art erstes Ergebnis der politischen, sozialen, technischen und kulturellen Veränderungen, die 1848 in der Revolutionszeit begonnen haben und die z. T. bis heute (in der Zeit der Postmoderne) andauern.

In der Philosophie war es besonders auch die Wissenschaftstheorie Ernst Machs und die Sprach- und Wissenschaftskritik Ludwig Wittgensteins. In den Kulturwissenschaften generell war und ist Sigmund Freuds Psychoanalyse prägend und maßgeblich (vgl. Jacques Lacan, Neue Wiener Gruppe (Lacanschule)). In den Rechtswissenschaften war Hans Kelsen prägend, der auch die österreichische Verfassung schuf. In den Künsten und der Literatur ist das Junge Wien von Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Peter Altenberg und Hermann Bahr zu nennen, sowie die Secession und die Wiener Werkstätte mit Gustav Klimt sowie der Expressionismus Oskar Kokoschkas und Egon Schieles. Die Architektur prägten Otto Wagner und Adolf Loos und die Musik Gustav Mahler und Arnold Schönberg.

In der Politik bilden sich der moderne Antisemitismus mit den mörderischen Folgen des Holocaust, der Zionismus (Theodor Herzl) und der Austromarxismus (Otto Bauer) heraus.

Literatur

  • Gotthart Wunberg (Hrsg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Reclam, Stuttgart 1981, ISBN 3-15-027742-6.
  • Carl E. Schorske: Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de siècle. 2. Auflage. Fischer, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-10-073603-6.
  • Milan Dubrovic: Veruntreute Geschichte. Die Wiener Salons und Literatencafés. Zsolnay, Wien 1985, ISBN 3-552-03705-5.
  • Jacques Le Rider, Robert Fleck (Übers.): Das Ende der Illusion. Die Wiener Moderne und die Krisen der Identität. Österr. Bundesverlag, Wien 1990, ISBN 3-215-07492-3.
  • Dagmar Lorenz: Wiener Moderne. Sammlung Metzler, Band 290, Realien zur Literatur. Metzler, Stuttgart 1995, ISBN 3-476-10290-4[2]
  • Jacques Le Rider, Eva Werth (Übers.): Kein Tag ohne Schreiben. Tagebuchliteratur der Wiener Moderne. Passagen Orte des Gedächtnisses. Passagen-Verlag, Wien 2002, ISBN 3-85165-496-X.
  • Jacques Le Rider, Christian Winterhalter (Übers.): Freud – von der Akropolis zum Sinai. Die Rückwendung zur Antike in der Wiener Moderne. Passagen Philosophie. Passagen-Verlag, Wien 2004, ISBN 3-85165-636-9.
  • Mirko Gemmel: Die Kritische Wiener Moderne. Ethik und Ästhetik. Karl Kraus, Adolf Loos, Ludwig Wittgenstein. Philosophie und andere Künste. Parerga-Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-937262-20-2. (Zugleich: Dissertation, Technische Universität Berlin, Berlin 2004). [3]
  • Helga Mitterbauer (Hrsg.), Katharina Scherke (Hrsg.): Ent-grenzte Räume. Kulturelle Transfers um 1900 und in der Gegenwart. Studien zur Moderne, Band 22. Passagen-Verlag, Wien 2005, ISBN 3-85165-640-7[4]
  • Barbara Tomandl: Die Bildung in der Gesellschaft der Wiener Moderne. Institutionen, Ideen und Zielsetzungen. Diplomarbeit. Universität Wien, Wien 2008. [5]

Einzelnachweise

  1. Claus Pias: Die Kunst des Verschwindens. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Sommer 1999, abgerufen am 8. April 2011.
  2. Inhaltsverzeichnis online (PDF).
  3. Inhaltsverzeichnis online (PDF).
  4. Inhaltsverzeichnis online (PDF).
  5. Volltext online (PDF).

Siehe auch

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