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Fauvismus

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Deckblatt des Katalogs des Salon d’Automne, Grand Palais, Paris, 1905

Fauvismus ist eine Stilrichtung in der Malerei, die durch eine zentrale Bewegung der französischen Avantgarde zu Anfang des 20. Jahrhunderts von einer heterogenen Gruppe von Malern hervorgerufen wurde. Der Fauvismus stellt die erste Bewegung der klassischen Moderne dar. Die Maler selbst lehnten die von Louis Vauxcelles im Salon d’Automne von 1905 geprägte und abschätzig gemeinte Namensgebung „Fauves“ („wilde Bestien“) ab.

Die Hauptvertreter der neuen und zunächst geschmähten Bewegung waren Henri Matisse, André Derain und Maurice de Vlaminck, der sich Raoul Dufy, Albert Marquet, Kees van Dongen, Othon Friesz und Georges Braque anschlossen.[1][2] Von einigen Kunsthistorikern werden auch Henri Manguin, Charles Camoin, Jean Puy und Louis Valtat zu den „Fauves“ gezählt, neueren Tendenzen zufolge ebenfalls Georges Rouault.[3]

Vom Post-Impressionismus angeregt strebten die „Fauves“ eine Erneuerung der gegenstandsbezogenen Malkunst an. Eines ihrer Anliegen war, die Farbgebung eines Bildes von ihrer Funktion zur Erzeugung illusionistischer Effekte zu lösen. Die malerische Aussage wird durch den Zusammenklang der farbigen Bildflächen erzielt. Typisch für die meisten Werke sind ihre leuchtenden Farben, jedoch sind die Überlegungen zur Darstellung des Raumes ebenso wesentlich.[4][1] Der Fauvismus verfügt weder über eine eigene Theorie noch über ein programmatisches Manifest. Er ist eine dem Impressionismus entgegengesetzte Bewegung, die jedoch im Impressionismus ihre Wurzeln hat. Eine neuere Tendenz ist es, den Fauvismus mit dem Expressionismus zu assoziieren. Die Hauptvertreter, Matisse und Derain, hoben später den experimentellen Charakter der Bewegung hervor.[5]

Der Fauvismus wurde 1907 vom Kubismus, zu dem einige seiner Vertreter wechselten, abgelöst. Durch die Arbeiten der „Fauves“ beeinflusst, wurde die Farbe zum individuellen Ausdrucksmerkmal des modernen Künstlers.

Begriff

Saal VII des Salon d’Automne, Grand Palais, Paris, 1905, Fotografie

Der Begriff Fauvismus leitet sich her von dem französischen Wort fauves, den wilden Bestien. Als eine kleine Gruppe von Malern 1905 im Saal VII des Salon d'Automne ihre Bilder zeigte, rief der Kunstkritiker Louis Vauxcelles, als er zwischen den Malereien eine weibliche Büste in florentinischer Art des Bildhauers Albert Marque (1872–1939) sah: „Tiens, Donatello au milieu des fauves.“ („Sieh da, Donatello unter den wilden Bestien.“)[6] Neben Henri Matisse und André Derain zeigten Albert Marquet, Henri Manguin, Othon Friesz, Jean Puy, Louis Valtat, Maurice de Vlaminck, Charles Camoin und Kees van Dongen ihre Werke.[7][6] Die Formulierung wurde berühmt durch die Aufnahme in einen Artikel in Gil Blas vom 17. Oktober, in dem Vauxcelles über das Gemälde La femme au chapeau (Frau mit Hut) von Matisse, eines der umstrittensten Bilder des Salons, schrieb, sie erleide „das Schicksal einer christlichen Jungfrau, die im Zirkus den wilden Bestien (Fauves) vorgeworfen wird.“ Im selben Artikel wiederholte er die im so bezeichneten „Cage aux fauves“ – dem Käfig der wilden Bestien – getroffene Äußerung: „Donatello chez les fauves.“[6][8]

Durch den Artikel Vauxcelles’ vom 17. Oktober wurden Maler in der Öffentlichkeit miteinander verbunden, die nie daran gedacht hatten, als eine geschlossene Gruppe aufzutreten.[6] Die Gruppierung der Maler im Saal VII des Salon d′Automne kam dadurch zustande, dass ihre Bilder von den dafür Verantwortlichen, Armand Dayot und Léonce Benedite, vereinigt worden waren.[7] Die erste Ausstellung der Maler, die von nun an als „Fauves“ bezeichnet wurden, fand vom 21. Oktober bis zum 20. November 1905 in einer kleinen Galerie in der Rue Victor-Massé 25 statt, die von Berthe Weill und ihrer Schwester geführt wurde. Die ausstellenden Maler waren Camoin, Derain, Dufy, Friesz, Manguin, Marquet, Matisse und Vlaminck.[6] Die Gruppe selbst lehnte die Namensgebung ab. Der Ausdruck wurde von den Malern für so wenig zutreffend gehalten, dass sie ihn vor 1907 nicht gebrauchten. Sie hatten nicht das Bedürfnis, sich einen Namen geben zu müssen.[9]

Die Bezeichnung Fauvismus war – wie zuvor für den Impressionismus und später den Kubismus – zufällig, kam von außen und nicht von seinen Urhebern, war der Ausdruck einer Schockwirkung auf die Zeitgenossen. Das von Vauxcelles geprägte Wort belastete das Schicksal dieser neuen Malerei und verfälschte deren Verständnis.[10] In dem Wort „Fauve“ steckte unbewusst die zu dieser Zeit noch lebendige Ideologie, die den übermäßigen Farbenreichtum verurteilte und der Zeichnung für die Bildgestaltung den Vorrang gab. Die Farbe galt noch im Sinne Ingres’ als „tierischer Teil der Kunst“.[1] Fauvismus ist eine jener Stilbezeichnungen, die weder eine geistige Situation noch einen Stil der Malerei adäquat beschreiben. Bei Vlaminck oder van Dongen sind Züge des „wilden Tieres“ zu finden, soweit es den Gegenstand oder die Technik betrifft, kaum aber bei Derain und Matisse.[5]

Charakterisierung

Die „Fauves“ sind von dem Willen beseelt mit der Vergangenheit, insbesondere dem Impressionismus und Realismus zu brechen und nicht von einem Vorbild abhängig zu werden.[9]

Drei Hauptgruppen, zu denen noch der holländische Einzelgänger van Dongen kommt, tragen zur Bildung des „Fauvismus“ bei: Die Schüler Gustave Moreaus und der Académie Carrière, Henri Matisse, Albert Marquet, Charles Camoin, Henri Manguin und Jean Puy, die Gruppe aus Chatou, André Derain und Maurice de Vlaminck, und das bekehrte Trio aus Le Havre von impressionistischer Herkunft, Othon Friesz, Raoul Dufy und Georges Braque.[10]

In dem Sujet Landschaftsmalerei wurden die grundlegenden Ziele des Fauvismus entwickelt. Im Fauvismus wird die Natur nicht als Gegenstand der Kunst betrachtet, sondern als Ort, an dem subjektive Impulse, geistige und gefühlsmäßige Spannungen des Malers wirken. Ein Charakteristikum der fauvistischen Bildräume ist die Gleichwertigkeit von Licht und Raumgestaltung durch die Farbe. Der Bildraum wird als reine Fläche ohne Modellierung und Illusion des Helldunkels behandelt.[4] An die Stelle der Raumillusion tritt ein durch Empfindungsvermögen und Phantasie gestalteter poetischer Raum. Dieser Raum drückt sich bildnerisch durch ein Zusammenspiel reiner, gleichmäßig gesättigter Farben aus. Die Farbe wird zu einem subjektiven, die Leidenschaft des Malers enthaltenen Äquivalent des Raumes.[9] Der Ausdruck (expression) des Werkes liegt in der farbigen Oberfläche, die der Beschauer als Ganzes erfasst. Die höchste Steigerung der Farbe genügt nicht, um den Fauvismus zu charakterisieren. „Das ist nur das Äußere“, so Matisse, „der Fauvismus ist dadurch entstanden, daß wir die nachahmenden Farben abgelehnt und mit den reinen weit stärkere Wirkungen – deutlichere, gleichzeitige Reaktionen – erzielt haben, abgesehen von der Leuchtkraft der Farben.“[11] Wesentlich ist ebenso, dass die Maler die Übereinstimmung zwischen Ausdruck und innerem Gehalt des Bildes durch die ordnende Komposition anstrebten, unter Berücksichtigung der Einfachheit der eingesetzten malerischen Mittel.[11]

Historische Eingliederung

Gesellschaft

Die Maler, die 1905 zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt waren, wurden kurz nach der Niederlage Frankreichs von 1870 und den Ereignissen der Pariser Kommune geboren und stammten aus meist bescheidenen Familienverhältnissen. Frankreich wurde 1894 von der Dreyfus-Affäre erschüttert und gespalten, die letzten Endes alle Ideologien in Frage stellte. Die Weltausstellung von 1900 machte deutlich, welche Kluft zwischen der europäischen Industriegesellschaft und den neu entdeckten Kulturen des Fernen Ostens, Afrikas und Ozeaniens lag. Dies verstärkte in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Kritik gegen die sich in voller Entwicklung befindliche Industriegesellschaft und die sie fördernde Wissenschaft. Es wurde überall protestiert. Werte aller Art wurden von der Krise erfasst; es fehlte an Vertrauen in die Staatsgewalt, Justiz, Armee, Kirche und in das Wirtschaftssystem. Es traten antiklerikale, antimilitaristische, antikonformistische, ja sogar anarchistische Gefühle hervor. Jedoch war der Anarchismus zwischen 1900 und 1905 keine aktive, gewalttätige Bewegung mehr, es handelte sich vielmehr um einen Kaffeehaus-Anarchismus. Die Fauves hatten sich zwar in einem gewissen Sinn den Anarchisten angenähert, so führte der Kampf gegen die anerkannte bürgerliche Kunst auch zum Kampf gegen die etablierte Ordnung, jedoch äußerte Derain bereits 1905 in einem Brief an Vlaminck: „Ich bin wieder auf einen Anarchisten gestoßen. Überall, wo ich hinkomme, habe ich einen Haufen Anarchisten um mich, die jeden Abend die Welt zerstören und sie morgens wieder zusammensetzen. Das geht mir auf die Nerven, vor allem die Idee, geglaubt zu haben, daß ich selber einer sei.“[12]

Philosophie und Literatur

Der Geist der Fauves ist vergleichbar mit den Gedanken André Gides. Gide preist den Kult des Lebens, jenen Zustand der leidenschaftlichen Begeisterung, in dem sich das Individuum entfaltet, was er 1897 in Les nourritures terrestres zum Ausdruck bringt. Die literarische Haltung Gides, der aus Unmut über den Symbolismus die Kunst des Schreibens erneuern will, entsprach der Reaktion der Fauves. So wendeten sie sich gegen die Unproduktivität der offiziellen Kunst und die Auswüchse des sich im Anekdotischen verlierenden Symbolismus in der Malerei.[12]

Im Januar und Februar 1900 erschienen in der Zeitschrift Mercure de France Artikel von Jules de Gaultier, der die antirationalistische (siehe hierzu → Rationalismus) und individualistische Grundlage der Philosophie Nietzsches sowie die in Also sprach Zarathustra im Überfluss vorhandene lyrische Begeisterung hervorhob. Ein anderer Aspekt des Nietzsche’schen Denkens war die Verteidigung des Dionysischen gegen das Christentum. Diese Haltung machte aus Nietzsche den Propheten des Méditerranéisme, einen Philosophen der Mittelmeerländer, den die Fauves bevorzugten. Die Verherrlichung des Lebens, der freudige Individualismus Nietzsches zu jener Zeit wurde als eine Reaktion gegen den Pessimismus und die Morbidität des Fin-de-siécles empfunden. Was etwa Jules de Gaultier über Also sprach Zarathustra sagt, könnte Teil eines Manifestes des Fauvismus sein[12]: „Diese ist eine Lust, ein neuer Appetit, eine neue Gabe, Farben zu sehen, Klänge zu vernehmen und Gefühle zu empfinden, die bisher weder gesehen, noch vernommen oder empfunden wurden.“[13]

Malerei

Auf die jungen Maler der Jahrhundertwende in Paris drangen mehr Einflüsse und Gegenströmungen ein, als in der ganzen Geschichte der europäischen Malerei jemals zu gleicher Zeit in einer einzigen Stadt wirksam waren.[14] Die populäre Kunst jener Zeit war eine sonderbare Mischung von akademischem „poetischem Realismus“ à la Bouguereau und solchen Fin-de-siècle Erscheinungen wie der Art Nouveau. Der offizielle Akademiestil repräsentierte die letzten Phasen von Neoklassizismus und Realismus. Im Gegensatz zu solch populärer Malerei stand ein wichtiger Teil der französischen Malkultur in den ersten Jahren des Jahrhunderts, die schon zur Tradition gewordene Avantgarde. Ihre beiden Hauptströmungen sind der Impressionismus und Neoimpressionismus, des Weiteren der Symbolismus, Cloisonismus, Synthetismus, die Künstlergruppe der Nabis und die Arbeiten van Goghs, Gauguins und Cézannes. Der zentrale Aspekt innerhalb der Avantgarde jener Tage war es, den durch den Impressionismus hervorgerufenen zerfließenden Bildeindruck zu festigen. Die Einheit der nicht-illusionistischen Bildfläche beherrschte das Wollen der Avantgarde.[15]

So waren die Arbeiten der führenden Köpfe Anhalts- und Konfrontationspunkte für die jungen Maler. In diesen Werken erkannten sie, so etwa bei van Gogh und Gauguin, dass die flächige Behandlung der Farbe in den Vordergrund trat, die dem Zerfließen impressionistischer Werke entgegengestellt wurde. Bei den Divisionisten hingegen war es die Farblogik und Farblehre Chevreuls, basierend auf der sich im Auge des Betrachters vollziehenden additiven Farbmischung, mittels derer man dem Zerfließen entgehen wollte. Signac, der Theoretiker, Fortsetzer und Proselyt der Bewegung, veröffentlichte in der Revue Blanche vom Mai bis Juli 1898 alle Kapitel seines aufsehenerregenden doktrinären Werkes: Von Eugène Delacroix zum Neoimpressionismus.[15] Der beherrschende Einfluss war damals der Cézannes, jedoch weniger im Hinblick auf die reine Farbe, sondern als ein Beispiel für die Struktur des Bildes und die Energie seiner Durchführung.

Entwicklung, Höhepunkt und Ende

Der Lehrer Gustave Moreau

Der Lehrer, von dem einige „Fauves“ später immer wieder mit Verehrung und Dankbarkeit sprachen, war Gustave Moreau. Moreau unterrichtete an der École des Beaux-Arts, verbrachte ganze Morgen im Gespräch mit seinen Schülern und führte sie immer wieder in den Louvre. André Suarès schrieb: „Er hat das Verdienst gehabt, zu verstehen, was ihm entgegengesetzt war und das ihn am heftigsten hätte abstoßen müssen. Er war der sicherste Führer, der weiseste Mentor.“[16] Roger Marx formulierte in der Revue encyclopédique vom 25. April 1896: „Alle, die ihre Individualität entwickeln wollen, haben sich um Moreau geschart.“[16] Der Ausspruch Moreaus, „Ich bin die Brücke, über die einige von ihnen gehen werden“, erlangte Berühmtheit.[17][18]

Die Schule von Chatou

André Derain, Fotografie um 1903

Man hat Chatou das Argenteuil des Fauvismus genannt, denn in diesem kleinen Vorort hatte sich die Verbindung der drei Pioniere der Bewegung, Matisse, Derain und Vlaminck, die letzteren in Chatou ansässig, vollzogen.[19]

Im Jahre 1901, während eines Besuchs der Gedächtnisausstellung für van Gogh in der Galerie Alexandre Bernheim (später Bernheim-Jeune), hatte Derain Matisse, den er zuvor beim Kopieren klassischer Werke im Louvre kennengelernt hatte, seinem Freund Vlaminck vorgestellt. Diese oft erwähnte historische Begegnung bezeichnet keineswegs genau die Geburt des Fauvismus, bildete aber eine seiner wichtigsten Keimzellen, so dass man gelegentlich auch von einer Schule von Chatou spricht.[19] So erinnerte sich Matisse: „Aufrichtig gesagt, hat die Malerei Derains und Vlamincks mich nicht erstaunt, denn sie war meinen eigenen Versuchen ähnlich.“[16]

In der Haltung Matisses und Vlamincks standen sich die beiden Pole des Fauvismus gegenüber, aus denen er einerseits seine Kraft und Geschlossenheit zog, andererseits jedoch seine heterogene Struktur behielt.[19] Matisse vertrat den Standpunkt, dass es wichtig sei, dem Instinkt entgegenzuarbeiten, während Vlaminck bemüht war, mit allen Sinnen zu malen, ohne an den Stil zu denken. Matisse jedoch übernahm das klassische Erbe und hatte nie den Einfluss anderer abgelehnt, denn die Persönlichkeit des Künstlers bestätigte sich für ihn nur durch den Kampf mit den gegensätzlichen Ideen und dem redlichen Sieg über sie.[20] Für Vlaminck hingegen war die Malerei nicht eine ästhetische Erfahrung, sondern eine Gärung der Säfte, eine „Eiterung, ein Abszeß“.[19] Er lehnte alle Einflüsse der Vorläufer ab. So bildete sich, mit Derain als Bindeglied zweier so gegensätzlicher Naturen, die grundlegende Dreiheit des Fauvismus. Im Herbst 1904 kehrte Derain, der seit 1901 Militärdienst zu leisten hatte, aus dem „Soldatenleben“ zurück, und damit wurde der Austausch zwischen Matisse und der wiederhergestellten Truppe aus Chatou, die die Farbe wie „Dynamitpatronen“ verwendete, überaus lebhaft. [21] So zeigt das Bild Restaurant de La Machine à Bougival[Bild 1] von Vlaminck seine Vorlieben für die Grundtöne Gelb, Rot und Blau.

Die Werke Derains während dieser gemeinsamen Schaffensperiode waren zum Teil noch unter dem Einfluss van Goghs und der Neo-Impressionisten entstanden. Jedoch zeigt Bords de rivière, Chatou[Bild 2] (Flussufer, Chatou) bereits die Suche nach einer Synthese der Form, mit Hilfe derer nicht die Wirklichkeit abgebildet, sondern ein Äquivalent für sie geschaffen werden soll.[22] In La Seine au Pecq (1904) deutete sich nun ein freier Stil an, der deutlich den fauvistischen Bestrebungen zugewandt ist.

Die Studien und der Einfluss von Matisse

Vue de Saint-Tropez
Henri Matisse, 1904
Öl auf Leinwand
35 × 48 cm
Musée Léon-Alègre, Bagnols-sur-Cèze

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(bitte Urheberrechte beachten)

Für die Entwicklung des Fauvismus war der Werdegang Matisse' entscheidend. Er begann ab etwa 1897, sicherlich jedoch nach dem Tode Moreaus 1898, Pissaro zu besuchen. Dieser, das moralische Gewissen und der künstlerische Führer seiner Zeit, der noch die direkte Lehre Corots empfangen, die Entwicklung Cézannes und Gauguins erlebt und die Versuche Seurats unterstützt hatte, war damals auch offen für die Anfänge von Matisse, gab ihm unvergessliche Ratschläge.[23] Matisse begann Gemälde zu schaffen, in denen sich der Beginn des Ausbruchs der Farbe äußerte und bis 1901 steigerte.[24]

Fotografie Camille Pissarro, 1900

Der Korsika-Aufenthalt (1898) deutet bereits seine ersten fauvistischen Schritte an. Matisse hatte schon die expressive Funktion der Farbe betont, jedoch in diesem Zusammenhang noch nicht ihre raumbildende Funktion ausgewiesen. Er untersuchte in den Jahren 1900 bis 1903 die Struktur der Formen, das, was er le dessin compris nennt, die Zeichnung, die das Wesen des Objekts zum Ausdruck bringt, in Verbindung mit dem dessin d’aplomb, der Zeichnung, die die Stabilität des Objektes ausdrückt.[25] Nach einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Neoimpressionismus gelangte Matisse dazu, die Farbe von der Vormundschaft der Kontur zu erlösen und den Bildraum aus Beziehungen kontrastierender Farbpläne zu konstruieren. Mit dem Bild Vue de Saint-Tropez (Sicht auf Saint-Tropez), ausgestellt 1904 im Salon d'Automne, leitete er den Fauvismus ein.[25][23] Es entspricht den zwei oder drei Werken, die Derain Ende des Jahres 1904 und Anfang des Jahres 1905 malte. So ist die frühe Reife Derains, dem jüngsten der Fauves, in jener Zeit derart auffallend, dass Picasso ihm ohne zu Zögern die Vaterschaft des Fauvismus zugesprochen hatte.

Henri Matisse im Mai 1933, Fotografie von Carl van Vechten

In seiner divisionistischen Komposition Luxe, calme et volupté[Bild 3] (1904–1905) entdeckte Matisse den Widerspruch zwischen der „linearen, skulpturhaften Plastizität“ und der „Plastizität der Farben“. Die malerische Aussage findet weniger in reinen Farben Ausdruck, als in einer lyrischen Vision der Erscheinungswelt und einer nichtillusionistischen (siehe hierzu → Illusionismus), plastischen Definition des Raumes.[25] Matisse selbst hatte dieses Stadium später streng beurteilt und wie Pissarro die Grenzen und das Sterile einer „zu formelhaften Doktrin für den Aufbau der Farben“ gesehen, die, auf einfachen „Eindrücken der Netzhaut“ beruhend, nur ihre „rein physische Ordnung“ bezwecke.[26] Paul Signac nahm die Absage Matisse’ an den Neoimpressionismus sehr persönlich.

Die im Herbstsalon von 1904 von Matisse gezeigten Arbeiten regten den zuvor impressionistisch malenden Friesz an, sich der Bewegung anzuschließen.

Als Matisse im Jahre 1905 im Salon des Indépendants Luxe, calme et volupté ausstellte, wechselte nun auch Dufy seine Richtung. Die beiden Maler aus Le Havre, Friesz und Dufy, verzichteten nunmehr gänzlich auf ihren frühen Impressionismus und folgten Matisse. Dufy äußerte hierzu: „Vor diesem Werke habe ich die Lebensberechtigung der neuen Malerei verstanden, und der impressionistische Realismus verlor seinen Reiz für mich angesichts dieses Wunders, Zeichnung und Farbe rein imaginativ zu behandeln.“[26]

Die Geburt des Fauvismus – Collioure

Bateaux de pêche à Collioure
André Derain, 1905
Öl auf Leinwand
38,2 × 46,3 cm
The Museum of Modern Art, The Philip L. Goodwin Collection, New York

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(bitte Urheberrechte beachten)

Matisse und Derain verbrachten den Sommer des Jahres 1905 gemeinsam in Collioure. Wenn Céret, nach dem Wort Salmons, das „Mekka des Kubismus“ war, so wurde der Fauvismus in Collioure geboren, und dort vollzog sich der Übergang vom Post-Impressionismus zu jener neuen Art, die im nächsten Herbstsalon Skandal erregen sollte.[27]

Sind die ersten Arbeiten in Collioure noch divisionistischen Überlegungen zugewandt, kam es nun zu einer Begegnung mit dem Werk Gauguins. In dem nahegelegenen Corneilla-de-Conflent sahen die beiden bei Daniel de Monfried, dem treuesten Freund Gauguins, die noch unbekannten Werke aus Ozeanien, in denen sie eine Bestätigung ihres Wegs zur „subjektiven Farbe“ erkannten. Die letzten Werke von Collioure zeigen von nun an den Weg zu jener Übersteigerung, die das Wesen des Fauvismus bestimmen wird. Als Übergang entstand eine neue Mischung von Divisionismus und flacher Farbe. Die Pinselschrift ist dünn und flüssig, fast aquarellartig in ihrer Leichtigkeit, so etwa in La sieste[Bild 4] von Matisse und Bateaux de pêche à Collioure von Derain.

Die divisionistische Sichtweise wurde nun gänzlich in Frage gestellt, da sie in völligem Widerspruch zu dem von Matisse und Derain entwickelten Verhältnis von Künstler und Natur stand. Da im Werk Gauguins die grundlegende Idee die flache Farbe ist, die „die Zerstreuung der Lokalfarbe im Lichte“ überwindet, indem sie dem Licht ein anderes Äquivalent überordnet, die „Übereinstimmung stark farbiger Flächen“,[27] hob Matisse hervor, „kann er nicht zu den Fauves gerechnet werden, denn ihm fehlt der Aufbau des Raumes durch die Farbe, die bei ihm Ausdruck des Gefühls ist.“[28] Zwar wird Gauguins Rolle als Vorläufer deutlich, jedoch auch die Reinigung, die seine Nachfolger erreicht hatten. So ist in den fauvistischen Werken die schon bei Gauguin stark verminderte Illusion des Raumes, der Masse und der Materie völlig aufgehoben. Damit verschwindet jede Spur der alten malerischen Farbperspektive, die warme Töne für den Vordergrund und kühle für die bläuliche Ferne verwendete, und die auch die Impressionisten zu überwinden trachteten. Ohne Kontur in strahlenden Farben nebeneinandergesetzt, bilden die Farben teppichartig die Oberfläche und lassen jene reine Harmonie entstehen, die Matisse einen „geistigen Raum“ genannt hatte.[29] Hierbei wird die Bedeutung des Lichts als ein Element der Wirklichkeit, das das Objekt modelliert, reduziert. An die Stelle des Lichtraums tritt ein aus dem Gefühl des Künstlers entstandener Farbraum und an die Stelle der deskriptiven Wiedergabe der Formen setzte der Fauve das, was Maurice Denis als „Noumen der Bilder“ bezeichnete und was man heute Zeichen nennen könnte.[30]

Nach Paris zurückgekehrt, ging Matisse an die Figur und malte in wenigen Tagen La femme au chapeau (Frau mit Hut). Es gibt nun keine Rangordnung mehr zwischen Figur und Umraum, alles ist bedeutsam und gleichwertig, wird dem Gesamtrhythmus durch eine Folge von Farbflächen eingefügt, frei nach dem Vorbild der Aquarelle Cézannes.[31]

Die Gruppe der Fauves

Les affiches à Trouville
Raoul Dufy, 1906
Öl auf Leinwand
65 × 81 cm
Musée National d'Art Moderne, Paris

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Die Gruppe der Fauves entwickelte sich aus freundschaftlichen Beziehungen. Während der „fauvistischen“ Jahre waren sie paarweise unterwegs und tauschten sich so untereinander aus: Vlaminck und Derain in Chatou, Matisse und Marquet in Paris, Marquet und Dufy in Sainte-Adresse, Trouville und Le Havre, Friesz und Braque in Antwerpen, Dufy und Friesz in Falaize und Le Havre, Matisse und Derain in Collioure, Dufy und Braque in L’Estaque.[1][32]

Was sie vor allem verband, war das leidenschaftliche Bekenntnis zur Farbe und zur Verwendung bestimmter Mittel, um sie zur Geltung zu bringen. Jeder von ihnen sagte: „Farbe“, und jeder meinte damit etwas anderes. Andererseits wiederum ist allen gemeinsam, dass sie in ihren tiefen Krisen in Cézannes Werk Hilfe suchen. Der Fauvismus verfügt aber nicht über dieselbe einheitliche Methode wie der programmatische Impressionismus oder der Neoimpressionismus.[32] Ein Vergleich der Bilder Dufys mit denen von Matisse und Derain zeigt weitere Gegensätzlichkeiten. Bei Dufy sind Form und Strich zunehmend unabhängig voneinander. Seine Werke stehen nicht nur im Gegensatz zu dem von Derain zur visuellen Verankerung seiner Farbfelder angestrebten Masseneffekt, sondern auch zu Matisse, der durch den Strich die Form bis zum äußersten spannt.[33] So ist etwa Dufys Gemälde Les affiches à Trouville (Plakate in Trouville) aus dem Jahre 1906 noch näher an dem Werk Marquets orientiert. Der „Fauvist auf Samtpfoten“ Marquet äußerte sogar später, dass seine Anwesenheit im berühmten „Käfig“ (Saal VII) von 1905 viel eher einem Zufall als malerischen Gründen zu verdanken war: die fünf Landschaften, die er dort ausstellte, waren unter dem grauem Himmel von Paris gemalt. Mehr als van Gogh und die Impressionisten war es Manet, der einen entscheidenden Einfluss auf ihn ausübte. Marquets Ansichten von Paris – etwa Le Pont Saint-Michel[Bild 5] – fügen dem Fauvismus jedoch eine ganz besondere Note hinzu.[33] Friesz war vor allem an einer koloristischen Orchestrierung interessiert – etwa in La régate à Anvers[Bild 6] (Regatta in Antwerpen) —, kehrte jedoch 1908 wieder zu einer von der Zeichnung dominierten Malerei zurück.[33] Van Dongen, der mit zwei Werken – Torso[Bild 7] und Das Hemd – im Saal VII beim dritten Herbstsalon von 1905 vertreten war, schloss sich zwar den „Fauvisten“ an, jedoch war sein Torso viel weniger fauvistisch als zum Beispiel die im gleichen Saal ausgestellte La femme au chapeau von Matisse und verdeutlicht sofort die lebenslange Gegensätzlichkeit der beiden Maler.[33]

Die Künstler Louis Valtat, Henri Manguin, Jean Puy und Charles Camoin wurden in den wenigen Jahren der fauvistischen Bewegung häufiger als in den folgenden Jahrzehnten genannt. Sie stehen am Rande des Fauvismus als Maler, die unter sich verwandter als mit den anderen Fauves erscheinen. In diesem Zusammenhang ist die Rolle Rouaults die eines völligen Außenseiters,[34][1][7] der dennoch in neuerer Literatur gelegentlich zu den Fauves gerechnet wird.[3]

Höhepunkt

Das Jahr 1906 krönte den Triumph und die Verbreitung des Fauvismus durch den Anschluss Braques und seine Wirkung auf das Ausland. Der Herbstsalon von 1906 versammelte die vollständige Gruppe der Fauves in ihrer höchsten Entfaltung, in der sich ihre wesentlichen Grundsätze zeigten.[35]

Le bonheur de vivre
Henri Matisse, 1906
Öl auf Leinwand
174 × 238 cm
The Barnes Foundation, Merion, Philadelphia

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Derains Bilder aus London, dessen Aufenthalt in der britischen Hauptstadt von Vollard angeregt wurde, der unter dem Eindruck der Arbeiten des Herbstsalons von 1905 die berühmte Reihe Monets in einem anderen Geiste erneuert sehen wollte, sind einige der geglücktesten Werke des Fauvismus.[36] Es entstanden Werke in zwei deutlich unterscheidbaren Richtungen: in breitem Pinselstrich und im Nebeneinander kolorierter Massen. Die Brücke von Charing Cross[Bild 8] ist ein Beispiel für die erste Richtung. In Die Westminsterbrücke, die Derain unter allen Londoner Bildern für den Herbstsalon 1906 ausgewählt hatte, weil sie das Ergebnis dieser Zeit zusammenfasst, vollzieht sich eine neuartige und meisterhafte Synthese von Lautrec und Gauguin.[36] Derain ist neben Matisse der führende Künstler der „Fauves“. Seine Werke erweisen sich ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung als eine Reihe von Meisterwerken, die sich den klassischen Werken des Impressionismus gleichwertig anschließen. Er besaß in der französischen Malerei der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts neben Matisse die stärkste künstlerische Intelligenz.[37]

Das Gemälde Le bonheur de vivre (auch La Joie de vivre genannt — Die Lebensfreude) von Matisse bildet, vor Picassos Gemälde Les Demoiselles d’Avignon, das erste wahrhaft monumentale Werk der Malerei des 20. Jahrhunderts. Matisse überwand hier die abendländische Alternative, die Linie und Farbe trennt, indem sie der ersteren eine intellektuelle, der Farbe eine erregende Rolle zuspricht und die Kunst als die Mimik entweder der äußeren oder der inneren Welt ansieht.[38]

Ende

Anlässlich eines dritten Aufenthaltes Braques in L’Estaque im Sommer 1908, den auch Dufy für einige Zeit teilte, verzichtete Braque auf die fauvistische Palette. Er baute in einer gedämpften Skala von Grau, Ocker und Grün seine ersten Landschaften und Stillleben aus facettenartigen Flächen auf, so in dem Bild Häuser in L’Estaque, vor denen Louis Vauxcelles zum ersten Mal das Wort Kuben aussprach.[29]

So löste sich ab 1907 die Einheit der Bewegung unter dem Vorstoß des von Picasso und Braque eingeleiteten Kubismus auf, an dessen Entstehung Matisse und Derain nicht unbeteiligt waren.[39] Dass die beiden gegensätzlichen Bewegungen, Fauvismus und Kubismus, solidarisch sind, zeigt sich in Braque, der nacheinander und ohne Vorbehalte, „fauvistisch“ und „kubistisch“ gemalt hatte.[29] Nach dem Zerfall der Bewegung — da sich auch Derain 1907 vom Fauvismus abwandte und zeitweilig mit dem Kubismus auseinandersetzte — gewann Matisse große internationale Bedeutung. Sein Einfluss wurde vor allem in Deutschland und in den nordischen Ländern wirksam. So erschien 1909 in der deutschen Zeitschrift Kunst und Künstler eine Übersetzung des ästhetischen Programms Notizen eines Malers, das bereits im Dezember 1908 in der Grand Revue veröffentlicht wurde. Diesem Aufsatz kommt für die Bewegung der „Fauves“ nachträglich eine programmatische Bedeutung zu.[40] 1929 sprach sich Matisse in seinen Gedanken und Aussprüchen über den Fauvismus aus: „Der Fauvismus erschütterte die Tyrannei des Divisionismus. Es läßt sich in einem allzu ordentlichen Haushalt, einem Haushalt von Tanten aus der Provinz, nicht leben. Also bricht man in die Wildnis auf, um sich einfachere Mittel zu schaffen, die den Geist nicht ersticken.“[41] In ähnlicher Weise äußerte sich Derain einige Jahre später: „Das große Verdienst dieser Methode war, daß sie das Bild von allen imitativen und konventionellen Kontakten befreite. Was falsch war an unserer Einstellung, war […] die Dinge von zu weit her anzugehen und zu übereilten Urteilen zu kommen. So wurde es notwendig, zu vorsichtigeren Einstellungen zurückzukehren.“[5]

Rezeption

Erste Reaktionen

Neben Vauxcelles, dessen Wort von den Fauves abschätzig gemeint war, äußerte sich auch Camille Mauclair, der Kritiker des Figaro − unter Verwendung eines Zitates von John Ruskin − negativ: „Ein Farbkübel ist über den Kopf des Publikums ausgeschüttet worden!“ Und im Journal de Rouen konnte man aus der Feder eines gewissen Nicolle lesen: „Was man uns da zeigt, hat – die verwendeten Materialien einmal ausgenommen – mit Malerei nichts zu tun: Blau, Rot, Gelb, Grün, lauter grelle Farbkleckse, die völlig zufällig aneinandergefügt wurden – primitive und naive Spielereien eines Kindes, das sich mit dem Farbkasten vergnügt, den es geschenkt bekam.“[42]

Die Aufnahme beim Publikum als „gemischt“ zu bezeichnen, ist zu wohlwollend. Viele Besucher regten sich auf, und es gab sogar Versuche, Matisse' Gemälde La femme au chapeau zu zerstören. Michel Puy, der Bruder von Jean Puy, warf den zeitgenössischen Literaten vor, dass sie die Aussage der „Fauves“ nicht zur Kenntnis genommen hätten[42]; mit Ausnahme André Gides, der in jener „Verrücktheit der Farben“ ein „Ergebnis bestimmter Theorien“ gesehen hatte. Maurice Denis hingegen äußerte sich in der Zeitschrift L’Ermitage vom 15. November eher positiv, wenn auch verblüfft, und vermutete zu Unrecht bei Matisse eine vorgefasste theoretische Haltung, erkannte jedoch dessen wesentliche Vorzüge an: „Das ist Malerei außerhalb jeder Zufälligkeit, der reine Vorgang des Malens […] Das ist wahrhaft das Suchen nach dem Absoluten.“[38] Élie Faure, der große französische Kunsthistoriker, schrieb im Vorwort des Ausstellungskatalogs: „Wir müssen die Vorurteilslosigkeit und die Bereitschaft zeigen, eine völlig neue Sprache zu verstehen.“[7]

Kunsthistorische Einordnung

Die Farbe war jahrhundertelang nur die Ergänzung der Zeichnung; Raffael, Mantegna und Dürer, wie fast alle Maler der Renaissance, bauten das Bild in erster Linie durch die Zeichnung auf und fügten alsdann die Lokalfarbe hinzu. Von Delacroix bis van Gogh, nicht zu vergessen die Impressionisten, die den Weg frei machten, und durch Cézanne, der den entscheidenden Impuls gab und die farbigen Massen einführte, kann man verfolgen, wie der Farbe immer mehr Beachtung geschenkt wurde.[17]

Eine erste expressionistische, mit symbolischen und Jugendstilelementen vermischte, Welle erschien bereits zwischen 1885 und 1900 als Reaktion gegen den Impressionismus und den objektiven Ordnungswillen Cézannes und Seurats. Ihre Vertreter waren van Gogh, Gauguin, Lautrec, Ensor, Munch und Hodler. Die innere Angst der Künstler befreite sich nicht nur durch eine Steigerung der Farbe, sondern auch durch expressive Formen und die Betonung spannungsgeladener Linien. Eine zweite expressionistische Welle, weit wuchtiger als die erste, zeigte sich so in Frankreich bereits durch die Beiträge Rouaults, im Frühwerk Picassos, im Schaffen des Fauvismus überhaupt und in Deutschland mit der Gründung der Dresdner Brücke.[43]

Der Fauvismus hatte nur eine kurze Lebensdauer, jedoch hängt der Beitrag des Fauvismus auf die europäische Malerei nicht von seiner kurzen Dauer ab. Der Fauvismus hat, zum ersten Mal in der Geschichte der abendländischen Malerei, die Farbe, vor allem die ungebrochene Farbe, in den Mittelpunkt der Gestaltung gestellt und damit die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Farbe an sich innerhalb der Malerei aufgewiesen. Die stärkste farbige Wirkung wird nicht mit den buntesten Farben, sondern mit der reichsten Vision der Farbe geschaffen. So verdeutlichen die fauvistischen Werke, dass Buntheit mit beseelter Farbigkeit nichts zu tun hat.[44]

Die Fauvisten erwarteten von der Kunst nicht die Veränderung der Gesellschaft, die sie mit ihren Ungerechtigkeiten und auch ihren schönen Seiten akzeptierten. Sie glaubten auch nicht, dass die Malerei zu zerstören sei, wie die Dadaisten es forderten, sondern sie befanden im Gegenteil, dass sie weiterentwickelt werden müsse.[45]

Position zum deutschen Expressionismus

Ernst Ludwig Kirchner, Marzella, 1909

Eine neuere Tendenz der Kunstkritik innerhalb einer generellen Standortbestimmung der europäischen Malerei zwischen 1900 und 1910 ist die, den Fauvismus und die Bewegung der Dresdner Brücke mit dem Expressionismus zu assoziieren. Es gibt auch Meinungen, die jeglichen Unterschied zwischen Fauvismus und Brücke verneinen, mit der Begründung, eine solche Unterscheidung beruhe auf nationalistischen, rassistischen Überlegungen und auf Konkurrenzdenken.[9] In den Anfängen der Brücke traten jedoch bereits Unterschiede zum Fauvismus zutage, so in der jeweiligen Auffassung von Leben und Kunst. Die von der nordischen Kunst geprägten Maler bezogen ihre Inspiration aus den alten nordischen Themen von zwanghaften Besessenheiten, unbewussten Trieben, Träumen und Alpträumen. Sie hatten auch Kierkegaard als Quelle und dessen Auffassung von Angst, in der er nicht nur eine Grundprägung des Menschen sah, sondern die für ihn auch die ganze Natur prägte. Sie waren im Bereich der Malerei beeinflusst von den Arbeiten Munchs, die ganz im Gegensatz stehen zu der Malweise Cézannes.[46]

Für die Fauves wirken die Farben auf die Netzhaut; als Söhne Newtons und Chevreuls interessierte sie das Sonnenspektrum. Für die Expressionisten dagegen sind Farben symbolisch und mythisch, wirken auf die Seele und sind zu bewerten vor dem Hintergrund von Goethes Auffassungen von der Farbenlehre und der Metaphysik.[46] So fand der deutsche Expressionismus gerade in Zeiten gesellschaftlicher Krisen und geistiger Ratlosigkeit besondere Beachtung. Im Expressionismus wirkt die Farbgebung ungezügelt und ungebändigt, der Fauvismus hingegen stand unter der Herrschaft der Farbe.

Nachwirkungen und Einflüsse

In Frankreich wurde der Fauvismus vom Kubismus abgelöst, und in Deutschland waren es beispielsweise die expressionistischen Maler, vor allem die Mitglieder des Blauen Reiters, die von den Fauves angeregt wurden. Kandinsky und Jawlensky waren im historischen Herbstsalon von 1905 reich vertreten, jedoch nicht im „Käfig der Wilden“, sondern in der von Diaghilew organisierten russischen Sektion.[47] Unter dem Einfluss Matisse’ fiel die „fauvistische Periode“ Kandinskys und Jawlenskys. In Kandinskys Arbeiten sind Perioden zu beobachten, in denen sich mit einer Verspätung bestimmte Entwicklungsphasen des Fauvismus wiederholen.[48] Matisse hatte im Winter 1908/09 in Berlin bei Cassirer ausgestellt und war zwischen 1908 und 1910 dreimal in Deutschland. Gefördert durch das Beispiel Matisse’ und des Fauvismus festigte sich der Stil der „Dresdner Brücke“.[49] So stellte das Werk von Matisse das Gegengewicht zum sich entfaltenden Kubismus dar, dessen Gegenpol er bildete.[29][50] 1908 gründete Matisse eine private Schule, die „Académie Matisse“. Dort unterrichtete er von Januar 1908 bis 1911 und hatte schließlich 100 Schüler aus dem In- und Ausland. Nachdem Matisse 1908 München besucht hatte, gründete Kandinsky die „Neue Künstlervereinigung München“ (N.K.V.M.) im Jahr 1909. Der Besuch wurde 1910 wiederholt. Die Kunst der Fauves wirkte sich auch auf die Maler der russischen Avantgarde wie Kasimir Malewitsch und Natalia Gontscharowa aus. Sie beeinflussten ebenfalls einige holländische Künstler, womöglich auch den italienischen Futuristen Umberto Boccioni. Für Maler wie Pierre Bonnard, Fernand Léger, Robert Delaunay, František Kupka und Roger de La Fresnaye wurde die Farbe zum wichtigsten bildnerischen Ausdrucksmittel.[48] Ferner wird der Fauvismus gelegentlich auch als ein Wegbereiter der abstrakten Malerei angesehen, jedoch vollzogen die Fauves den hierfür letzten Schritt, auf den Bezug zum Objekt völlig zu verzichten, nicht[9] – da auf diese Weise, wie Matisse und auch Derain[36] betonten, die Abstraktion nur imitiert werde.

Literatur

  • Jean-Paul Crespelle: Fauves und Expressionisten. (Les Fauves). Bruckmann, München 1963.
  • Jean-Paul Crespelle: Matisse und seine Freunde. Les Fauves. Hamburg 1966. (Katalog der Ausstellung 25. Mai bis 10. Juli 1966, Kunstverein Hamburg).
  • Bernard Denvir: Fauvismus und Expressionismus. (Originaltitel: Fauvism and Expressionism. übersetzt von Karlheinz Mahr), Knaur-Taschenbücher Band 447, München/Zürich 1976, ISBN 3-426-00447-X.
  • Gaston Diehl: André Derain. (Originaltitel: Derain. übersetzt von Helga Künzel), Südwest, München 1967 / Bonfini Press, 1977.
  • Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris, Editions Pierre Terrail, Paris, 1992, ISBN 2-87939-053-2.
  • Henri Matisse, Jack D. Flam (Hrsg.): Über Kunst, (übersetzt von Elisabeth Hammer-Kraft). Diogenes-Taschenbuch 21457, Zürich 1993, ISBN 3-257-21457-X.
  • Marcel Giry: Der Fauvismus — Ursprünge und Entwicklung, (Titel der Originalausgabe: Les Fauves, Orgines et Evolution, übersetzt von Gunhilt Perrin), Office du Livre, Fribourg, und Edition Georg Popp, Würzburg, 1981, ISBN 3-88155-088-7.
  • Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus. Büchergilde Gutenberg, Zürich 1961.
  • Jean Leymarie: Fauvismus, Editions d’Art, Albert Skira Verlag, Genève, 1959, aus dem Französischen von Karl Georg Hemmerich.
  • Renata Negri: Matisse und die Fauves. (Originaltitel: Matisse e i Fauves. aus dem Italienischen übersetzt von Carola Dietlmayer). In: Galerie Schuler. Schuler, München 1973, ISBN 3-7796-5008-8.
  • Heinrich Neumayer: Fauvismus. (Zeit und Farbe; Bd. 2). Verlag Rosenbaum, Wien 1956.
  • Patricia Rochard (Hrsg.): Die Explosion der Farbe. Fauvismus und Expressionismus 1905 bis 1911, [eine Ausstellung im Alten Rathaus der Stadt Ingelheim, 26. April bis 28. Juni 1998] / Internationale Tage Ingelheim. [Veranstalter Boehringer Ingelheim], Schmidt, Mainz 1998, ISBN 3-87439-459-X (Ausstellungskatalog) / ISBN 3-87439-456-5 (Buchhandelversion).
  • Kristian Sotriffer: Expressionismus und Fauvismus. Verlag Anton Schroll & Co. Wien 1971.
  • Denys Sutton: André Derain. Phaidon-Verlag, Köln 1960.

Einzelnachweise

  1. a b c d e Marcel Giry: Der Fauvismus — Ursprünge und Entwicklung, 1981, S. 6 ff. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „MG6“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  2. Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.38
  3. a b Sabine Rewald: Heilbrunn Timeline of Art History. Department of Nineteenth-Century, Modern and Contemporary Art, The Metropolitan Museum of Art, abgerufen am 9. März 2011.
  4. a b Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.111
  5. a b c Denys Sutton: André Derain, 1960, S.22 ff.
  6. a b c d e Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, 1961, S. 14 ff. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Jedlicka14“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  7. a b c d Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris, 1992, S. 13 ff.
  8. Au centre un torse d’enfant d’Albert Marque. La candeur de ce buste surprend au milieu de l’orgie des tons purs: Donatello chez les fauves.
  9. a b c d e Marcel Giry: Der Fauvismus — Ursprünge und Entwicklung, 1981, S. 8 ff.
  10. a b Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.14 ff.
  11. a b Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.114
  12. a b c Marcel Giry: Der Fauvismus — Ursprünge und Entwicklung, 1981, S. 11 ff.
  13. Jules de Gaultier, De Kant á Nietzsche, Mercure de France, Januar 1900, S.104
  14. Jack D. Flam, Einleitungstext; aus Henri Matisse – Über Kunst, 1982, S. 38 ff.
  15. a b Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.57 ff.
  16. a b c Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, 1961, S. 10 ff.
  17. a b Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.27 ff.
  18. Je suis le pont, sur lequel certains de vous passeront.
  19. a b c d Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.41 ff., S. 48 ff.
  20. Jacques Guenne: Interview mit Matisse, 1925; aus Henri Matisse – Über Kunst, Jack D. Flam (Hrsg.), 1982, S. 105
  21. Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.23
  22. Marcel Giry: Der Fauvismus — Ursprünge und Entwicklung, 1981, S. 76
  23. a b Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, 1961, S. 16 ff.
  24. Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.29 ff.
  25. a b c Marcel Giry: Der Fauvismus — Ursprünge und Entwicklung, 1981, S. 58 ff, S. 60, S. 91.
  26. a b Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.64 ff.
  27. a b Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.72 ff., S. 81
  28. Marcel Giry: Der Fauvismus — Ursprünge und Entwicklung, 1981, S. 42
  29. a b c d Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.118 ff.
  30. Marcel Giry: Der Fauvismus — Ursprünge und Entwicklung, 1981, S. 105
  31. Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.83
  32. a b Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, 1961, S. 5, S. 7
  33. a b c d Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris, 1992, S. 116, S. 145 ff., S. 162, S. 190
  34. Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, 1961, S. 161
  35. Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.108
  36. a b c Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.97 ff., S. 101 ff.
  37. Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, 1961, S. 80
  38. a b Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.87 ff.
  39. Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.25 ff.
  40. Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, 1961, S. 26
  41. Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, 1961, S. 29
  42. a b Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris, 1992, S. 14 ff.
  43. Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.121 ff.
  44. Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, 1961, S. 169 ff.
  45. Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris, 1992, S. 203
  46. a b Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris, 1992, S. 9 ff.
  47. Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.143
  48. a b Marcel Giry: Der Fauvismus — Ursprünge und Entwicklung, 1981, S. 254 ff.
  49. Jean Leymarie: Fauvismus, 1959, S.140 ff.
  50. Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus, 1961, S. 31

Abbildungen

  1. Maurice de Vlaminck: Restaurant de La Machine à Bougival, 1905, Öl auf Leinwand, 60 cm x 81 cm, Musée d’Orsay, Paris
  2. André Derain: Bords de rivière, Chatou, 1904, Öl auf Leinwand, 74 cm x 123,8 cm, Museum of Modern Art, Sammlung Mr. and Mrs. William S. Paley, New York
  3. Henri Matisse: Luxe, calme et volupté, 1904/05, Öl auf Leinwand, 86 cm x 116 cm, Musée d’Orsay, Paris
  4. Henri Matisse: La sieste, 1905, Öl auf Leinwand, 59 cm x 72 cm, Privatsammlung, Zürich
  5. Albert Marquet: Le Pont Saint-Michel, 1908, Öl auf Leinwand, 65 cm x 81 cm, Musée de Peinture et de Sculpture, Grenoble
  6. Othon Friesz: La régate à Anvers, 1906, Öl auf Leinwand
  7. Kees van Dongen: Torso, 1905, Öl auf Leinwand, 92 cm x 81 cm, Privatsammlung,
  8. André Derain: Charing Cross Bridge, 1906, Öl auf Leinwand, 80,3 cm x 108,3 cm, National Gallery of Art, Sammlung Mrs. John H. Whitney, Washington