Alfred Rosenberg
Alfred Rosenberg (* 12. Januar 1893 in Reval; † 16. Oktober 1946 in Nürnberg) war ein Ideologe und Politiker des Nationalsozialismus.
Herkunft und Jugend
Geboren 1893 in Reval (heute Tallinn), studierte er am Technischen Institut Riga und an der Moskauer Universität Architektur. 1917 floh er vor der Oktoberrevolution zunächst nach Paris und dann nach München. Hier bewegte er sich in den radikal antibolschewistischen Zirkeln der russischen Emigranten und trat auch bald der Thule-Gesellschaft bei, einer ultranationalistischen, okkultistischen Sekte. Im Herbst 1919 lernte Rosenberg über den völkischen Schriftsteller Dietrich Eckart, für dessen Zeitschrift Auf gut Deutsch er schrieb, Hitler kennen. Noch im Herbst 1919 trat Rosenberg der NSDAP bei.
Verschwörungstheorien und Nationalsozialismus
Bald tat er sich mit obskuren Schriften wie "Die Spur der Juden im Wandel der Zeiten" (1919) oder "Das Verbrechen der Freimaurerei. Judentum, Jesuitismus, Deutsches Christentum" (1921) hervor, in denen er die Verschwörungstheorie einer "jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung" verbreitete, die es darauf abgesehen habe "die Existenz anderer Völker zu unterminieren". Zu diesem Zweck hätten die Freimaurer den Weltkrieg, die Juden die Russische Revolution herbeigeführt.
1921 wechselte Rosenberg mit Eckart zum Völkischen Beobachter, dessen Chefredaktion ("Hauptschriftleitung") er nach dem Tod Eckarts im Februar 1923 übernahm; ab 1937 firmierte er als Herausgeber des Blattes. 1923 gab er einen Kommentar der Hetzschrift "Protokolle der Weisen von Zion" heraus, für deren Verbreitung er sich schon seit seiner Ankunft in Deutschland eingesetzt hatte. Rosenberg nahm 1923 am Marsch auf die Feldherrenhalle teil. Hitler betraute ihn während seiner Inhaftierung mit der Führung der NSDAP, einer Aufgabe, der sich Rosenberg jedoch kaum gewachsen zeigte. 1927 wurde Rosenberg von Hitler mit der Gründung eines nationalsozialistischen Kulturverbandes beauftragt. Obwohl ursprünglich wohl als Kulturverband der Partei angedacht (siehe Brenner) trat der Verband erst 1929 als vorgeblich überparteilicher Kampfbund für deutsche Kultur an die Öffentlichkeit.
Der "Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts"
1930 wurde er Reichstagsabgeordneter, unter anderem im Außenpolitischen Ausschuss, und veröffentlichte sein rassentheoretisches Buch Der Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts - gedacht als Fortsetzung von Houston Stewart Chamberlains antisemitischem Werk Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts. Darin plädierte er für eine neue „Religion des Blutes“, die das Christentum ersetzen sollte:
- „Der Mythus des römischen Stellvertreters Gottes muß hierzu ebenso überwunden werden wie der Mythus des `heiligen Buchstabens´ im Protestantismus. Im Mythus der Volksseele und Ehre liegt der neue bindende, gestaltende Mittelpunkt. Ihm zu dienen ist bindende Pflicht unseres Geschlechts.“
Trotz dieser Haltung war Rosenberg glühender Verehrer von Luther, in dem er das "wahre", nämlich antisemitische, Christentum verkörpert sah, das durch die römisch-katholische Kirche und die Jesuiten verfälscht, "verjudet" worden sei. Gegen die Behauptung, er selbst sei Heide, verwahrte sich Rosenberg jedoch:
- "Man unterschlug, dass ich den Wotanismus als eine tote Religionsform hinstellte [aber natürlich vor dem germanischem Charakter Ehrfurcht habe, der Wotan ebenso gebar wie den Faust] und dichtete verlogen und skrupellos mir an, ich wollte den `heidnischen Wotanskult´ wieder einführen."
Rosenbergs Buch erreichte zwar eine Millionenauflage und galt als – nach Mein Kampf –zweites Standardwerk der NS-Ideologie. In Wirklichkeit kam die Veröffentlichung Hitler sehr ungelegen: Bereits Ende der zwanziger Jahre war Weisung an alle Propaganda-Stellen der Partei ergangen, den in der Bevölkerung wenig populären Antisemitismus zurückzuschrauben und statt dessen mehr auf Agrar- und Außenpolitik zu setzen. Rosenbergs radikal antisemitisches und obendrein noch antichristliches Buch bot nun neue Angriffsflächen, weshalb Hitler es als völlig inoffizielle Privatarbeit abtat. Die Bezeichnung „Chefideologe“ der NSDAP, die man immer noch in der Literatur findet, ist also unzutreffend.
Misserfolge im Ämterchaos
1933 wurde Rosenberg zum Leiter des "Außenpolitischen Amtes" der NSDAP ernannt. Zugleich hatte Hitler Joachim von Ribbentrop zu seinem außenpolitischen Berater gemacht, der nun mit dem Auswärtigen Amt, Göring und Reichsbankpräsident Schacht um Mitsprache und Einfluss in der Außenpolitik rivalisierte. In diesem NS-typischen Kompetenzenwirrwarr vermochte Rosenberg weder in der Konzeptionierung noch in der praktischen Umsetzung der Außenpolitik eine Rolle zu spielen. Dementsprechend unzufrieden war Hitler. Am 28. Juli 1933 notierte Goebbels:
- "Er spricht scharf gegen Rosenberg. Weil er alles und nichts macht. V.B. ist saumäßig. Er sitzt in seinem `Außenpolitischen Amt´, wo er auch nur Murks macht."
Im Juni 1933 ernannte Hitler neben 16 weiteren NSDAP-Funktionären Rosenberg zum Reichsleiter, einen Titel, der ihn zumindest formal in die NS-Führungselite und in den gleichen Rang mit Ministern erhob. Im Januar 1934 wurde er auf Vorschlag von Robert Ley von Hitler zum "Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP" ernannt. Doch auch hier blieb sein Einfluss gering: Rosenbergs Idee einer nationalsozialistischen Universität (Hohe Schule), die als Zentrum der nationalsozialistischen ideologischen und pädagogischen Forschung gedacht war, wurde ab 1940 nur teilweise umgesetzt.
Wichtiger für weltanschauliche Schulung und Erziehung im NS-Staat blieben weiterhin das bestehende Schul- und Hochschulwesen, dann Baldur von Schirach und seine HJ, Robert Ley als Chef der DAF und des Kulturwerks Kraft durch Freude sowie nicht zuletzt Joseph Goebbels als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass Rosenberg sich auf die Organisation von Theaterbesuchern konzentrierte und dazu überging, in kindisch anmutender Weise seine Konkurrenten anzuschwärzen: Am 23. Oktober 1939 zum Beispiel beschwerte er sich so ausführlich wie folgenlos über eine bei Göring stilistisch missglückte Goebbels-Rede:
- „Auch der Hinweis darauf, dass der Zahn der Zeit auf eine Wunde kein Gras wachsen lassen würde, ist in dem Zusammenhang nicht als eine Ironie auf eine Sprachform von Churchill gemeint, sondern nur eine weitere blumenreiche Ausdrucksweise des Ministers für Volksaufklärung und Propaganda, die schlimmer ist als die seit Jahren belachten Kathederblüten zerstreuter deutscher Professoren.“
Verbrechen im Zweiten Weltkrieg
Wirklichen Einfluss auf die Politik des deutschen Reiches erlangte Rosenberg erst im Zweiten Weltkrieg. Ab Oktober 1940 leitete er den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), den Hitler per Führerbefehl zu umfangreichen Beschlagnahmungen von Kunstschätzen in den besetzten Gebieten ermächtigte. Nach dem Einmarsch in die UdSSR wurde Rosenberg 1941 zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete ernannt. Bei der Wannseekonferenz wurde er von seinem Staatssekretär Gauleiter Alfred Meyer vertreten.
Rosenberg wurde von den alliierten Truppen am Ende des Krieges in Flensburg gefangengenommen, kam vor das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal und wurde der Verschwörung, der Verbrechen gegen den Frieden, der Planung, Eröffnung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden. 1946 wurde er zum Tod verurteilt und mit neun anderen Verurteilten in Nürnberg hingerichtet.
Literatur
Die kenntnisreichsten Rosenberg-Spezialisten sind der amerikanische Historiker Herbert P. Rothfeder, der bereits 1963 seine Dissertation auf der Basis der damals in den USA lagernden Akten vorgelegt hat, sowie der Trierer Historiker Reinhard Bollmus.
- Baumgärtner, Raimund. Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg. Mainz 1977.
- Bollmus, Reinhard: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Stuttgart 1970 ISBN 3486545019
- Bollmus, Reinhard: Alfred Rosenberg. Chefideologe des Nationalsozialismus? in: Ronald Smelser und Rainer Zitelmann (Hg.). Die braune Elite. 22 biographische Skizzen. Darmstadt 1989, S. 223-235.
- Brenner, Hildegard: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg 1963
- Cecil, Robert: The Myth of the Master Race. Alfred Rosenberg and Nazi Ideology. London 1972
- Hart, F.Th.: Alfred Rosenberg. Der Mann und sein Werk. München 1934 (3. Aufl.)
- Molau, Andreas: Alfred Rosenberg. Der Ideologe des Nationalsozialismus. Eine politische Biografie. Bublies, Koblenz 1993 ISBN 3926584270
- Oepke, Albrecht: Der Mythus. Rosenbergbetrachtungen. Leipzig 1935
- Rosenberg, Alfred: Letzte Aufzeichnungen. Ideale und Idole der Nationalsozialistischen Revolution. Göttingen 1955.
- Rothfeder, Herbert P.: A Study of Alfred Rosenberg’s Organization for National Socialist Ideology. Michigan, Phil. Diss. 1963 [University Microfilms, Ann Arbor].
- Rothfeder, Herbert P.: Amt Schrifttumspflege: A Study in Literary Control, in: German Studies Review. Vol. IV, Nr. 1, Febr. 1981, S. 63-78.
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Rosenberg, Alfred |
KURZBESCHREIBUNG | Politiker des Nationalsozialismus |
GEBURTSDATUM | 12. Januar 1893 |
GEBURTSORT | Reval |
STERBEDATUM | 16. Oktober 1946 |
STERBEORT | Nürnberg |