Ernst Kantorowicz
Ernst Hartwig Kantorowicz (* 3. Mai 1895 in Posen; † 9. September 1963 in Princeton, New Jersey) war ein deutscher Historiker und Mediävist.
Leben
Kantorowicz stammte aus dem heute polnischen Posen. Er wuchs in einer großbürgerlichen jüdischen Familie auf, machte 1913 sein Abitur und begann dann zunächst eine kaufmännische Lehre in Hamburg. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete sich Kantorowicz freiwillig und war seit September des Jahres bei Verdun eingesetzt. 1917 wurde er in die Türkei abkommandiert. Nach Kriegsende schloss er sich einem Freikorps in Posen und Westpreußen an (Posener Aufstand). Im Januar 1919 beteiligte er sich in Berlin an der blutigen Niederschlagung des Spartakusaufstands, im März war er gegen die Münchner Räterepublik eingesetzt. 1918/1919 studierte er ein Semester an der Berliner Universität, bevor er Anfang 1919 an die Universität München wechselte. Schon zum nächsten Wintersemester ging er dann an die Universität Heidelberg, wo er weiter Nationalökonomie und Alte Geschichte studierte.
In Heidelberg lernte er Angehörige des George-Kreises und auch den berühmten Dichter Stefan George selbst kennen. Besonders mit Woldemar Graf Uxkull-Gyllenband, mit dem er auch eine Zeitlang zusammen wohnte, war er gut befreundet.[1] 1921 promovierte Kantorowicz in Heidelberg bei Eberhard Gothein über muslimische Handwerkerverbände. Bis 1930 unterrichtete er dann als Privatdozent an der Universität Heidelberg. Gemeinsam mit George, der bei Kantorowicz wohnte, wenn er in Heidelberg war, fasste er den Plan zu einer Biographie des Stauferkaisers Friedrich II. – das, obwohl er sich während des Studiums nicht mit dem Mittelalter beschäftigt hatte. Für das Werk holte er sich Anregungen vor allem von Wilhelm Stein und dessen Buch über Raffael, das Kantorowicz zutiefst beeindruckte.[2] Im Juli 1926 hatte er das Manuskript schließlich fertig, 1927 wurde es im Georg Bondi Verlag mit dem Signet von Georges Blättern für die Kunst veröffentlicht. In der Vorbemerkung bekannte sich der Autor zum Geheimen Deutschland.[3]
Von 1930 bis 1932 war er als Honorarprofessor an der Universität in Frankfurt am Main tätig, bevor er von 1932 bis 1934 an gleicher Stelle Ordentlicher Professor wurde. Nach der „Machtergreifung“ Hitlers 1933 noch von Verfolgungen aufgrund seiner Kriegsteilnahme verschont, stellte er im Sommersemester 1933 ein Beurlaubungsgesuch, „solange die Benachteiligung der national eingestellten Juden dauere“.
1939 emigrierte Kantorowicz über England in die USA, wo er 1939 in Berkeley einen Lehrauftrag für mittelalterliche Geschichte erhielt. Dort verlangte die Universität 1949 von ihren Angehörigen den von Senator Joseph McCarthy geforderten antikommunistischen Loyalitätseid (McCarthy-Ära). Als Kantorowicz sich – „die deutschen Erfahrungen vor Augen“ – weigerte, diesen zu unterschreiben, wurde er mit 21 weiteren Fakultätsmitgliedern entlassen.
Daraufhin wurde ihm auf Veranlassung von Harold Cherniss eine Professur am renommierten, von Robert Oppenheimer geleiteten Institute for Advanced Study in Princeton (New Jersey) angeboten, wo er bis zu seinem Tod blieb.
Forschung
Kantorowicz ist vor allem durch seine beiden Hauptwerke ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Noch relativ jung und als Mediävist völlig unbekannt, machte ihn die Veröffentlichung von Kaiser Friedrich der Zweite 1927 schlagartig berühmt. Das Werk ist heute teilweise überholt, gilt aber immer noch als lesenswert. Dem Geschichtsbild des George-Kreises entsprechend, wurde Friedrich II. in dem Buch von der Darstellung der Geburt an völlig überhöht und als „End- und Erfüllungskaiser der deutschen Träume“ dargestellt. Auch aufgrund des Fehlens von Anmerkungen und Nachweisen löste die Arbeit unter Historikern eine lebhafte Diskussion aus. Kantorowicz lieferte daraufhin einige Jahre später einen Ergänzungsband mit ausführlichen Literaturhinweisen. Es blieb fünf Jahrzehnte die wichtige Biographie über den Stauferkaiser.
The King’s Two Bodies (dt. Die zwei Körper des Königs) ist eine umfangreiche „Studie zur politischen Theologie des Mittelalters“, so der Untertitel des zweiten Hauptwerkes von Kantorowicz. Er entwirft darin aus der mittelalterlichen Vorstellung eines natürlichen, also sterblichen Körpers und eines übernatürlichen, also unsterblichen Körpers des Königs die Entstehungsgeschichte des modernen Staates, der zwischen der öffentlichen Funktion und der Person, die diese ausübt, unterscheidet.
Werke (Auswahl)
- Kaiser Friedrich der Zweite. Georg Bondi, Berlin 1927 (Ergänzungsband Quellen und Nachweise, Berlin 1931)
- Das Geheime Deutschland. Vorlesung, Frankfurt 1933 (Volltext: Das Geheime Deutschland)
- Laudes regiae. A Study in Liturgical Acclamations and Medieval Ruler Worship. Berkeley/Los Angeles 1946
- The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology. Princeton 1957 (dt.: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters)
- Götter in Uniform. Studien zur Entwicklung des abendländischen Königtums, hg. von E. Grünewald/ U. Raulff, Stuttgart 1998
Literatur
- Friedrich Baethgen: Ernst Kantorowicz 3.5.1895–9.9.1963. In: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 21, 1965, S. 1–17.
- Robert L. Benson, Johannes Fried (Hrsg.): Ernst Kantorowicz. Erträge der Doppeltagung Institute for Advanced Study, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt. Steiner, Stuttgart 1997, ISBN 3-515-06959-3 (Frankfurter historische Abhandlungen 39).
- Alain Boureau: Kantorowicz. Geschichten eines Historikers. Klett-Cotta, Stuttgart 1992, ISBN 3-608-91363-7.
- Wolfgang Ernst, Cornelia Vissmann (Hrsg.): Geschichtskörper. Zur Aktualität von Ernst H. Kantorowicz. Fink, München 1997, ISBN 3-7705-3176-0.
- Horst Fuhrmann: Ernst H. Kantorowicz: der gedeutete Geschichtsdeuter, in: Überall ist Mittelalter. Von der Gegenwart einer vergangenen Zeit. C.H.Beck, München 1996; 2. Auflage 2003, ISBN 3-406-47613-9.
- Eckhart Grünewald: Ernst Kantorowicz und Stefan George. Beiträge zur Biographie des Historikers bis zum Jahre 1938 und seinem Jugendwerk „Kaiser Friedrich der Zweite“. Steiner, Wiesbaden 1982, ISBN 3-515-03669-5.
- Thomas Karlauf: Stefan George. Die Entdeckung des Charisma. Biographie. Karl Blessing, München 2007, ISBN 978-3-89667-151-6, bes. S. 547-562; S. 601-603; S. 625-627.
- Dietrich Kuhlgatz: Verehrung und Isolation. Zur Rezeptionsgeschichte der Biographie Friedrichs II. von Ernst Kantorowicz. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 43, 1995, S. 736–746.
- Ulrich Raulff: Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben. C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-59225-6, bes. S. 72-75; S. 157-169; S. 189-192; S. 258-261; S. 313-346.
- Edgar Salin: Ernst H. Kantorowicz 1895–1963. In: Historische Zeitschrift 199, 1964, S. 551–557.
- Hans Martin Schaller: Kantorowicz, Ernst. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 11, Duncker & Humblot, Berlin 1977, ISBN 3-428-00192-3, S. 126 f. (Digitalisat).
- Jerzy Strzelczyk (Hrsg.): Ernst Kantorowicz (1895–1963). Soziales Milieu und wissenschaftliche Relevanz. Vorträge des Symposiums am Institut für Geschichte der Adam-Mickiewicz-Universität Poznan, 23.–24. November 1995. Poznan 1996; 2. Auflage 2000, ISBN 83-86650-23-0.
- Roberto Delle Donne: ‘Historisches Bild’ e signoria del presente. Il ‘Federico II imperatore’ di Ernst Kantorowicz. In: Roberto Delle Donne, Andrea Zorzi (Hrsg.): Le storie e la memoria. In onore di Arnold Esch. Firenze, FUP, 2003, ISBN 88-8453-045-8, S. 295–352 (Online-Version).
Weblinks
- Literatur von und über Ernst Kantorowicz im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Zitate und ausführliche Werk- sowie Literaturauswahl auf historicum.net
- Thomas Gräfe: Ernst Hartwig Kantorowicz. Geschichtsschreibung zwischen Wissenschaft und Mythos
Anmerkungen
- ↑ Vgl. auch die Aussage von Kantorowicz, dass er mit Uxkull „seit der ersten Stunde wirklich absolut glücklich“ gewesen sei (in einem Brief an Stefan George vom 31. Oktober 1924, zitiert in: Grünewald, Ernst Kantorowicz und Stefan George, S. 42).
- ↑ Wilhelm Stein, Raffael, Georg Bondi Verlag, Berlin 1923
- ↑ Zu Georges Einfluss auf das Friedrich-Buch vgl. zusammenfassend Thomas Karlauf, Stefan George. Die Entdeckung des Charisma, Pantheon, München 2008, S. 549–553, 556–562.
Personendaten | |
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NAME | Kantorowicz, Ernst |
ALTERNATIVNAMEN | Kantorowicz, Ernst Hartwig |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher, jüdischer Historiker und Mediävist |
GEBURTSDATUM | 3. Mai 1895 |
GEBURTSORT | Posen |
STERBEDATUM | 9. September 1963 |
STERBEORT | Princeton |