Protokolle der Weisen von Zion
Die Protokolle der Weisen von Zion sind ein aus mehreren fiktionalen Texten zusammengestelltes antisemitisches politisches Pamphlet.
Allgemeines
Die „Protokolle“ geben vor, Geheimdokumente einer jüdischen Weltverschwörung zu sein. Tatsächlich handelt es sich aber um einen fiktionalen Text, der aus verschiedenen Quellen montiert worden ist. Auf etwa 80 Seiten, unterteilt in 24 Abschnitte, wird die angebliche Weltverschwörung ausgebreitet. Jeder Abschnitt entspricht einer Sitzung und enthält eine fiktive Rede, die ein jüdischer Führer vor der Versammlung der „Weisen von Zion“ gehalten haben soll. Demnach hätten die „Weisen von Zion“ zum Beispiel politische Ideen wie den Liberalismus oder die Demokratie „erfunden“, die Presse unterwandert, Wirtschaftskrisen, Revolutionen und Kriege angezettelt. Sogar für den Antisemitismus werden die Juden selber verantwortlich gemacht, denn der „ist für uns notwendig, um unsere Brüder aus den unteren Kreisen zusammenzuhalten“. Doch auch heute komisch wirkende Dinge werden ihnen unterstellt, etwa dass sie den U-Bahn-Bau nur finanzieren würden, um die so unterminierten Hauptstädte in die Luft sprengen zu können, falls sich ihre Regierungen gegen die jüdische Weltherrschaft wehren würden, die das Ziel all dieser Aktionen sei.
Seit ihrer ersten Verbreitung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehören sie zu den Standardwerken der meisten Antisemiten.
Vorgeschichte
Der Autor der Protokolle ist nach wie vor unbekannt. Viele Experten haben ihn bisher in den Kreisen der zaristischen Geheimpolizei Ochrana vermutet. Besonders Piotr Rachkovskii (1853-1910), Leiter der Abteilung für Auslandsfragen in Paris und sein Assistent Matvei Golovinskii (1865-1920) standen unter Verdacht, die Protokolle in Umlauf gebracht zu haben, doch ihr Anteil an deren Ausgestaltung ist umstritten.
Ein Vorläufer der Protokolle ist die satirische Schrift Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu (Dialog in der Hölle zwischen Machiavelli und Montesquieu), die der Franzose Maurice Joly 1864 herausgab. Diese Satire enthielt noch keinerlei antisemitische Züge. Sie attackierte vielmehr Napoleon III. Joly wurde für diese Schrift fünfzehn Monate inhaftiert. Joly selbst hat, wie Umberto Eco in einer Untersuchung zu den Protokollen zeigte, Anleihen bei Eugène Sue, einem französischen Autor des 19. Jahrhunderts gemacht, dessen Roman Les Mystères du Peuple eine Quelle für die Dialoge gewesen ist.
Bei der Ausformung des Mythos spielte auch ein Groschenroman des Deutschen Herrmann Goedsche, eines ehemaligen Beamten bei der preußischen Post, eine Rolle. Goedsche publizierte 1868 unter dem Pseudonym „Sir John Retcliff“ einen Sensationsroman namens Biarritz, in dem von einer Versammlung auf dem Friedhof von Prag die Rede ist, in der Vertreter der zwölf Stämme Israels einen Plan für die Eroberung der Welt besprechen.
Diese Szene taucht 1876 in einer russischen Schrift erneut auf, schildert aber die bei Goedsche noch fiktive Geschichte als Tatsachenbericht. Ein Jahr später taucht die Rede in Deutschland, Frankreich und Österreich auf.
1881 druckte die französische katholische Zeitung Le Contemporain die Geschichte etwas modifiziert ab (die zwölf Reden werden nun zu einer einzigen zusammengefasst). Die Le Contemporain gibt an, den „Bericht“ aus einem bald erscheinenden Buch des englischen Diplomaten „Sir John Readcliff“ übernommen zu haben.
Geschichte
Die wohl früheste Version der eigentlichen Protokolle wurde im August und September 1903 in der St. Petersburger Zeitung Znamia abgedruckt, doch die Version die schließlich weltweit verbreitet wurde, stammt aus der zweiten Ausgabe des Buchs von Sergej Nilus (1862-1929): Das Große im Kleinen, erschienen 1905. 1920 gibt es überall in Europa Übersetzungen der Protokolle.
In Deutschland erschienen die Übersetzungen von Ludwig Müller (alias Gottfried zur Beek) und Theodor Fritsch. Die 1919er-Übersetzung von Müller brachte es allein bis 1938 auf 22 Auflagen. Die Schriften avancierten zur Grundlage des Nationalsozialismus und zu einem Motiv für den Holocaust. Alfred Rosenberg schrieb einen ausführlichen Kommentar zu den Protokollen, Julius Streicher pries sie in seinem Stürmer an.
Die britische Übersetzung der Protokolle unter dem Titel The Jewish Peril kam Anfang 1920 auf den Markt. Die konservative Morning Post brachte die Protokolle, bezweifelte aber deren Echtheit. 1921 gelangte Philip Graves, der langjährige Korrespondent von The Times in Konstantinopel, an ein Original des Joly-Buchs und deckte Plagiat des Buchs und die Fälschung des authentischen Dokuments auf.
In den USA brachte der Industrielle Henry Ford The International Jew: The world's foremost problem heraus, das die Protokolle propagierte und in 16 Sprachen übertragen wurde. Fortan reisten die Protokolle um die Welt, nach Frankreich, Norwegen, Dänemark, Polen, Bulgarien, Italien, Griechenland und erreichten schließlich sogar Japan und China.
Auch juristische Maßnahmen gegen die Herausgeber der Protokolle zwischen 1933 und 1935 in Bern halfen nicht. In ihrem Urteil von Mai 1935 erklärten die Richter die Protokolle zwar als Plagiat und Schundliteratur und verurteilten die Herausgeber zu einer Geldstrafe, das Urteil wurde jedoch im November 1937 aus formaljuristischen Gründen kassiert.
Heutige Situation
Auch wenn die Protokolle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs länger aus dem Blickfeld verschwunden waren, hat sich der Glaube an das jüdische Welteroberungsprogramm um die ganze Welt verbreitet, insbesondere auch in den islamischen Ländern. Bis 1970 wurden mindestens neun Editionen der Protokolle in der arabischen Welt gedruckt. Heute schätzt man ihre Verbreitung auf 60 verschiedene arabische Editionen, die in den Metropolen zirkulieren und leicht zugänglich sind. In Ägypten wurde 2002 eine Fernsehserie ausgestrahlt, die auf den „Protokollen“ beruhte; 2004 folgte ein libanesischer, Hisbollah-naher Sender. Aus arabischen Ländern stammende fremdsprachige Ausgaben wurden für das Ausland gedruckt, unter anderem für Schwarzafrika, in Länder in denen israelische Entwicklungshelfer tätig waren. Sie erlebten dabei zahlreiche Bearbeitungen: ein arabischer Publizist beschrieb sie als Protokolle einer zionistischen Geheimversammlung, die 1954 in Budapest stattfand; ein anderer als Protokolle des ersten zionistischen Weltkongresses 1897 in Basel. Aufsehen erregte die Tatsache, dass die Protokolle in der ägyptischen Bibliothek Alexandria als authentisches Dokument präsentiert wurde, das im Rahmen einer Ausstellung neben anderen jüdischen Büchern wie der Tora platziert wurde. Auch die Schüler der 10. Jahrgangsstufe in den Gebieten der Palästinensischen Autonomie nehmen die Protokolle als „geheime Entscheidung des ersten zionistischen Kongresses“ im Unterricht durch. Die offizielle Website der Palästinensischen Autonomiebehörde präsentiert die Protokolle als Dokument in der Sektion „Geschichte des Zionismus“.
Die Protokolle der Weisen von Zion tauchten Mitte der Neunziger auch in Osteuropa wieder auf, wurden zuvor in Afrika und Südamerika, Pakistan, Malaysia und Japan veröffentlicht. In den USA sorgten in den siebziger Jahren die rechtsextremen Gruppierungen National States' Rights Party und die California Noontide Press für den Vertrieb. Von Vertretern der rechtsextremen Militias werden sie heute ebenso propagiert wie von den Anhängern der sektiererischen Nation of Islam.
Auch deutsche Antisemiten, wie etwa Horst Mahler, berufen sich auf die Protokolle.
Literatur
- Ben-Itto, Hadassa: „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Anatomie einer Fälschung. Berlin: Aufbau-Verlag, 1998.
- Bronner, Eric Stephen: Ein Gerücht über die Juden. Die Protokolle der Weisen von Zion und der alltägliche Antisemitismus. Berlin 1999.
- Cohn, Norman: Die Protokolle der Weisen von Zion: der Mythos der jüdischen Weltverschwörung. Baden-Baden, Zürich 1998.
- Eco, Umberto: Fiktive Protokolle, in: ders., Im Wald der Fiktionen. Sechs Streifzüge durch die Literatur, München 1994, S. 155-184. Vorabdruck unter dem Titel: Eine Fiktion, die zum Albtraum wird. Die Protokolle der Weisen von Zion und ihre Entstehung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.7.1994.
- Hagemeister, Michael: Die 'Protokolle der Weisen von Zion'. Einige Bemerkungen zur Herkunft und zur aktuellen Rezeption. Aus: Wegner, Michael (Hrsg.): Rußland und Europa. Historische und kulturelle Aspekte eines Jahrhundertproblems. Leipzig u.a. 1995. S. 195-206. Vortragsfassung online unter: http://www.martinblumentritt.de/agr269s.htm
- Pfahl-Traughber, Armin: Die Protokolle der Weisen von Zion: Der Nachweis der Fälschung und die tatsächliche Entstehungsgeschichte. In: Beiträge zum Verständnis des jüdischen Schicksals in Vergangenheit und Gegenwart, 46. Jg. (1990), H. 1, S. 22-31.
- Sammons, Jeffrey L. (Hrsg.): Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Grundlage des modernen Antisemitismus - eine Fälschung. Text und Kommentar. Zweite, unveränderte Auflage 2001. Wallstein Verlag, Göttingen 1998. ISBN 3-89244-191-x
Siehe auch
Weblinks
- http://lexikon.idgr.de/p/p_r/protokolle-der-weisen-von-zion/protokolle.php
- http://www.martinblumentritt.de/agr269s.htm - Überlegungen zur Forschungslage bzgl. der Protokolle
- http://www.fritz-bauer-institut.de/rezensionen/nl15/erb.htm - Rezension der Bücher von Ben-Itto, Cohn und Sammons.
- http://www.rosa-luxemburg-bildungswerk.de/docs/HS3-Zion.pdf - historische Analyse der Protokolle und ihrer Funktion für Antisemitismus
- Die „Protokolle der Weisen von Zion“ - Eine antisemitische Hetzschrift und die Folgen (Beitrag des CollegeRadio des Bayerischen Rundfunks)