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Antideutsche Kritik

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Antideutsche sind eine aus verschiedenen Teilen der radikalen antifaschistischen Linken hervorgegangene Strömung. Antideutsche wenden sich nach eigener Überzeugung gegen einen besonderen deutschen Nationalismus, der im Zuge der Wiedervereinigung erstarkt sei. Die Antideutschen sind innerhalb des linksradikalen Lagers Gegenstand heftiger Kontroversen.

Die antideutsche Bewegung wird im Verfassungsschutzbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz erwähnt, wobei nach dessen aktueller Einschätzung der Höhepunkt des Einflusses der antideutschen Strömung auf den traditionellen Linksextremismus inzwischen überschritten sei. [1] Beobachter schätzten 2006 laut der Deutschen Welle die Gesamtanzahl Antideutscher auf 500 bis 3000 Personen.[2]

Aufgrund teilweise verschiedener ideologischer Ausprägungen des antideutschen Spektrums kann laut Verfassungsschutzbericht 2006 nicht von „den Antideutschen“ als einem in sich geschlossenen Block gesprochen werden. Der Bericht geht davon aus, dass als Hauptbestandteil antideutschen Denkens und Minimalkonsens aller Gruppen „die bedingungslose Solidarität mit der Politik Israels und dem jüdischen Volk“ angesehen werden kann. Dies schließe die „Befürwortung aller Maßnahmen ein, die geeignet erscheinen, den Bestand des Staates Israel als einzigen Schutzraum der Holocaustüberlebenden zu sichern. Da die USA (2006) als einziger ‚ehrlicher’ Verbündeter Israels gesehen werden, wenden sich Teile der Antideutschen gegen jede Form des Antiamerikanismus.“[3]

Begriffsgeschichte

Markus Mohr und Sebastian Haunss gehen bei der Analyse der Begriffsgeschichte des Wortes „antideutsch“ auf „mehr oder minder explizit antideutsch motivierte Ideen und Gedanken“ zurück. So habe 1844 Karl Marx in seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie den „Krieg den deutschen Zuständen! Allerdings!“ gefordert. Antideutsche Ideen habe auch Sebastian Haffner in den 1930er Jahren in seinen Büchern Germany: Jekyll & Hyde und Geschichte eines Deutschen entwickelt. Robert Vansittart, 1. Baron Vansittart habe allen Deutschen eine „pathologische Aggressivität“ unterstellt und sie als „die Störenfriede der Zivilisation seit Tacitus“ bezeichnet. [4]

In der Neuen Linken taucht erstmals auf der Titelseite des linksradikalen Untergrundblattes 883 aus Berlin in der 27. Ausgabe vom 14. August 1969 die Formulierung „Anti-deutsche Agitation“ auf. Es „scheint dieser Begriff offenbar von der militant-antikommunistisch eingestellten Frontstadtbevölkerung den protestwilligen Studenten entgegen gehalten worden zu sein“, so Mohr und Haunss. [5] Auch ein in den 80er Jahren populärer Song der Hamburger Punk-Band Slime drückt antideutsche Einstellungen aus: „Deutschland muß sterben, damit wir leben können“. [6]

Der Begriff Antideutsche ist vor 1989 noch eine ziemlich diffuse Fremdbezeichnung für die innerdeutsche antipatriotische Bewegung wie auch für die Politik der Alliierten gegenüber Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Seine heutige Prägung erfuhr der Begriff erst sehr viel später, indem er als Selbstbezeichnung von einer spezifischen theoretischen Strömung innerhalb der Linken wieder aufgegriffen wurde.

Historische Entwicklung

Entstehung der antideutschen Strömung

Die heute in der radikalen Linken diskutierten Inhalte des Begriffes antideutsch sind erst zu Beginn des Jahres 1989 in einem Kreis namens Radikale Linke markant geworden. Gebildet hat sich dieser Kreis im „Umfeld von in der Grünen Partei pleite gegangenen linken Grünen, Trotzkisten, Mitgliedern des Kommunistischen Bundes, der Zeitschrift konkret und anderen linksradikalen Gruppierungen (...) Aus diesem Kreis, an dem auch Autonome der unterschiedlichsten Couleur beteiligt waren, wurde nach dem Fall der Mauer wesentlich eine Kampagne unter dem Motto ‚Nie wieder Deutschland‘ vorangetrieben.[7] Als wesentlichster organisatorischer Vorgänger der Antideutschen gilt dabei der "Kommunistische Bund".[8] Hintergrund war der Zusammenbruch des Realsozialismus Ende der 80er Jahre und die darauf folgende deutsche Wiedervereinigung. Die Befürchtung eines Wiedererstarkens des deutschen Nationalismus sahen nicht nur die Antideutschen und traditionellen Antiimperialisten in den frühen 90er Jahren durch zahlreiche Fälle von Gewalt gegen Nichtdeutsche bestätigt, so u. a. durch den Pogrom von Rostock-Lichtenhagen und den Mordanschlag auf die Solinger Familie Genç. Neben diesen Ausbrüchen xenophob und nationalistisch motivierter Gewalt in der deutschen Bevölkerung wurde auf der politischen Linken die Zunahme staatlicher Repression gegen Migranten kritisiert, so etwa die im Zuge der Neuregelung des Ayslrechtes 1993 beschlossene Abschaffung des zuvor grundgesetzlich garantierten individuellen Rechts auf Asyl und Einschränkung der Asylgewährung durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit aus CDU, CSU, FDP und SPD im Bundestag (→ Asylkompromiss).

Die sich herausbildende antideutsche Strömung konzentrierte ihre Aufmerksamkeit ursprünglich stark auf die mögliche Gefährdung Polens und Frankreichs durch deutsches Großmachtstreben. Deutschland, so wurde befürchtet, könne Polen gegenüber territoriale Ansprüche erheben und in Frankreich Volksgruppenpolitik betreiben, die auf eine Abspaltung der Bretonen, Elsässer und anderer regionaler Sprachgruppen ziele.

Während solche Befürchtungen von weiten Teilen der antiimperialistischen und autonomen Linken geteilt wurden, sorgte die Befürwortung des zweiten Golfkriegs von 1991 gegen den Irak erstmals für massive Zerwürfnisse. Eine Hauptrolle spielte hierbei die Hamburger Zeitschrift konkret, deren Herausgeber Hermann L. Gremliza sich aus Gründen der Israelsolidarität für den von der Regierung Kohl finanziell unterstützten Krieg aussprach. Noch weiter ging der antideutsche Vordenker Wolfgang Pohrt, der in Ausgabe 03/91 von Gremlizas Zeitschrift für den Verteidigungsfall Israels den Einsatz der israelischen Atombombe gegen Bagdad empfahl, autonomen Anhängern der Parole „Kein Blut für Öl“ völkisches Denken vorwarf und sie mit der Hitlerjugend oder dem Werwolf gleichsetzte.[9]

Den Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 lehnten die Antideutschen mehrheitlich ebenso ab wie der größte Teil der Linken. Die Antideutschen beurteilten ihn als Wiederholung der Konstellation des Zweiten Weltkrieges, in dem Jugoslawien Opfer deutscher Aggression geworden war. Daraus leiteten sie die Forderung nach „bedingungsloser“ Solidarität mit dem Regime von Slobodan Milošević ab, während viele andere linke und pazifistische Strömungen auch die Taten der serbischen Seite kritisierten. Dies führte zum Bruch zwischen Antideutschen und den sogenannten Antinationalen.[10]

Gleichzeitig passte die massive Kriegsbeteiligung der früheren Westalliierten nicht zu dem von den Antideutschen gezeichneten Bild. Diese erklärten das Verhalten der USA damit, diese hätten sich nicht aus freien Stücken für den Krieg entschieden, sondern seien von Deutschland in diesen hineingetrieben worden. Zu dieser Argumentation gehörte auch eine entsprechend hoch angesetzte Einschätzung der weltpolitischen Machtstellung Deutschlands. So schrieb die Jungle World, die USA seien die einzig verbliebene Macht, die in der Lage sei, „Deutschland die Stirn zu bieten“.

Nach der Al-Aqsa-Intifada

Nach Beginn der zweiten Intifada in Israel/Palästina kam es zu einer schroffen Polarisierung zwischen den eher traditionellen Linken auf der einen und den nunmehr als eigenständige Strömung erkennbaren Antideutschen auf der anderen Seite. Seitdem steht die vorbehaltlose Solidarität mit dem Staat Israel und die scharfe Kritik an antizionistischen Haltungen im Vordergrund des antideutschen Selbstverständnisses. Die Anschläge vom 11. September 2001 führten darüber hinaus zu einer vehementen Zurückweisung von einzelnen Theorie-Elementen des Antiimperialismus sowie antiamerikanischer Tendenzen innerhalb der Linken.

Während Frankreich aufgrund seines vorgeblich staatsbürgerlich und nicht völkisch definierten Nationenbegriffs ursprünglich das positive Gegenbild zu Deutschland darstellte, kühlte die antideutsche "Frankreichliebe" im Verlauf der Kriege gegen Afghanistan und Irak deutlich ab. Hauptgrund war die Haltung Frankreichs in Bezug auf den Irak und den israelisch-palästinensischen Konflikt. Von nun an wurden die USA neben Israel zum wichtigsten Bezugspunkt antideutscher Identität erhoben. Das Tragen der US-amerikanischen Nationalflagge gehört seit dieser Zeit zum Standard antideutscher Kundgebungen.

Die negative Bewertung Deutschlands wurde zudem auf das gesamte Old Europe ausgeweitet. Diese abwertend gemeinte Benennung der europäischen kriegskritischen Staaten durch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ging bald in den festen Sprachgebrauch antideutscher Publikationen über und erscheint dort stets als ein zu bekämpfendes Modell. Der US-Armee bescheinigen Antideutsche dagegen, dass ihre Kriegseinsätze in Afghanistan und dem Irak Akte „tätigen Antifaschismus’“ darstellten. Von der Redaktion der Zeitschrift Bahamas wird der amerikanische Präsident George W. Bush als „The Man of Peace“ tituliert.[11]

Die Unterstützung des Afghanistan-Kriegs und der von den USA geführten Irak-Kriege seit 1991 durch zahlreiche antideutsche Aktivisten, mehr noch aber der Vorwurf, dass die Kritik am Islamismus sich bei manchen Vertretern dieser Strömung in einem rassistischen Register abspiele, führte nach und nach zu einer Spaltung in zwei Lager, polemisch manchmal als Softcore- und als Hardcore-Antideutsche bezeichnet. Erstere sehen letztere wiederum häufig als „Postantideutsche“ an, weil sie die Kritik an den Deutschen durch angeblich rassistische Positionen gegenüber Muslimen (Antiislamismus) eingetauscht hätten. Viele Antideutsche sehen im Islam starke Tendenzen eines „Islamfaschismus“, der durch Muslime weder erkannt noch bekämpft werde. Innerhalb einiger antideutscher Gruppen wie der Redaktion Bahamas wird der Begriff Antideutsche mittlerweile abgelehnt und stattdessen als Selbstverständnis der Begriff Ideologiekritiker gepflegt.

Zunächst trug der eskalierende Streit zwischen Antideutschen und Antiimperialisten zu einer deutlichen Schwächung der autonomen Linken bei. Allerdings erhielten die Antideutschen in den letzten Jahren regen Zulauf von Seiten junger Antifa-Aktivisten, so dass sie sich bundesweit als eigene Bewegung etablieren konnten.

Theoretische Vorbilder

In ihren theoretischen Grundlagen orientieren sich die Antideutschen an der Kritischen Theorie, teilweise auch am französischen Poststrukturalismus. Als Vorbilder gelten Theoretiker wie Marx und die aufklärerischen Philosophen Kant und Hegel, wobei auch die an diesen vor allem durch Adorno und Horkheimer geleistete Kritik Beachtung gefunden hat.

Großen Einfluss auf Antideutsche hatte die Wertkritik. Diese geht davon aus, dass kapitalistische Herrschaft abstrakt sei, dass sie also nicht von konkreten Personen ausgehe, sondern vom „Wertprinzip“ der kapitalistischen Warenwirtschaft selbst. Grundsätzlich seien alle Menschen gleichermaßen dieser Herrschaft unterworfen. Deshalb gebe es innerhalb dieses Systems, anders als beim traditionellen Marxismus, weder ein auserkorenes revolutionäres Subjekt (etwa die Arbeiterklasse), in das besondere Hoffnung zu setzen wäre, noch die Möglichkeit, diese Herrschaft durch den Sturz einer bestimmten herrschenden Klasse zu überwinden. Die Aussichten für eine mittelfristige Überwindung des Kapitalismus werden tendenziell pessimistisch beurteilt und stattdessen die Notwendigkeit individuellen, kritischen Denkens in den Mittelpunkt gerückt.

Eine grundlegende Meinungsverschiedenheit zwischen den Antideutschen und der so genannten „Wertabspaltungskritik“ der Zeitschrift EXIT! besteht in der unterschiedlichen Bewertung der bürgerlichen Aufklärung. Die Antideutschen vertreten in der Traditionslinie der „Kritischen Theorie“ eine dialektische Kritik der Aufklärung gegen sich selbst, die deren angeblich emanzipatorisch-transzendente Momente gegen die Regressionstendenzen der Aufklärung verteidigen wollen.

Positionen

Vertreter der Positionen

Folgende Positionen werden zwar nicht von allen antideutschen Gruppen in gleichem Maße geteilt, haben aber durch bekanntere antideutsche Gruppen wie Bahamas oder ISF einen starken Bekanntheitsgrad erlangt und werden oft allgemein mit „antideutschen Positionen“ gleichgesetzt. Besonders radikale Vertreter der Antideutschen gruppieren sich um die Berliner Zeitschrift Bahamas und die Freiburger Initiative Sozialistisches Forum.[12] Gemäßigtere antideutsche Positionen, die aus Debatten in der antinationalen Bewegung und Teilen der undogmatischen Linken hervorgehen, orientieren sich unter anderem lose an Zeitschriften wie der Phase 2. Die Wochenzeitung Jungle World, das Internetportal Indymedia und die Monatszeitung konkret lassen neben Antideutschen auch Nicht-Antideutsche bzw. Kritiker der Antideutschen zu Wort kommen. Dies führte zu deutlicher Kritik von Antideutschen und es wurde z.B. von der Bahamas mindestens ein Abschalten von Indymedia gefordert.[13] Gelegentlich schreiben Antideutsche auch für Medien wie Die Welt.[2]

Antisemitismus, Israel und Deutschland

Antideutsche sehen das Dasein von Juden in aller Welt und insbesondere im Staat Israel von verschiedenen Seiten bedroht – sowohl durch das Fortbestehen einer Ideologie der Volksgemeinschaft in den westlichen Ländern und insbesondere in Deutschland („Postfaschismus“), als auch durch die Ignoranz der europäischen Regierungen gegenüber dem erstarkenden Antisemitismus in der EU und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Besonders der virulente Antisemitismus in vielen islamischen Ländern sei ein nicht zu unterschätzender Angriff auf das Existenzrecht Israels und Bestandteil einer „Antisemitischen Internationale“.

Der deutsche Faschismus sei dabei das ideologische Vorbild dieser „islamfaschistischen“ Bewegungen, die, in angeblicher Ähnlichkeit zu den Nationalsozialisten, von dem Gedanken einer weltweiten jüdisch-amerikanischen Verschwörung wie auch von einer völkisch-nationalen Blut-und-Boden-Ideologie geprägt seien.[14] Der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 und zahlreiche Anschläge auf Synagogen und jüdische Menschen weltweit seien Alarmzeichen für den unverändert starken antisemitischen Vernichtungswillen in allen Teilen der Welt.

Bedingungslose Solidarität mit Israel

Aus dieser Analyse folgt für Antideutsche die Forderung nach bedingungsloser Solidarität mit Israel, welches als Staat der Holocaust-Überlebenden eine notwendige Zuflucht für verfolgte Juden aller Länder bilde. Diese grundsätzliche „Israel-Solidarität“ beinhaltet bei vielen Antideutschen auch die volle Unterstützung für die konkreten politischen und militärischen Maßnahmen der jeweiligen israelischen Regierungen. Israel habe als Opfer beständiger Aggression durch palästinensische Organisationen das Recht, sich mit Maßnahmen wie Kontrollen, Sicherungsanlagen und gezielten Tötungen zu verteidigen. Ein sich in fortwährendem Bedrohungszustand befindendes Israel dafür zu kritisieren, dass es seine Selbstverteidigung aktiv, und sofern notwendig auch präventiv, betreibt, laufe darauf hinaus, seine Vernichtung in Kauf zu nehmen. Solidarität, die über Lippenbekenntnisse hinausgehen wolle, könne daher nur bedingungslos sein.

Um eine pauschale Affirmation jedweden Handelns der israelischen Politik zu vermeiden, befürworten einige prominente Vordenker der antideutschen Linken eine nähere Bestimmung der Solidarität mit Israel. So entwickelte Stephan Grigat den „zionistischen kategorischen Imperativ“ als Maßstab für die Solidarisierung, die nur solche Aktionen umfasse, die dazu beitragen, „die Möglichkeiten reagierender und präventiver Selbstverteidigung“ des Staates Israel aufrechtzuerhalten.[15]

Insbesondere an der Frage der Israelsolidarität vollzog sich der Bruch zwischen der traditionell eher pro-palästinensisch eingestellten Antiimperialisten und pro-israelischen Antideutschen. Ihre Position steht zugleich aber auch im Gegensatz zu ethnopluralistischen Strömungen innerhalb der Neuen Rechten, die aus dem postulierten „Selbstbestimmungsrecht aller Völker“ die Souveränität aller (National-)staaten ableiten, und diese auch Israel zugestehen. Die Pro-Israel-Haltung der Antideutschen muss also in doppelter Abgrenzung zu völkisch-nationalistischen Kreisen sowie der antiimperialistischen und antizionistischem Linken gesehen werden, wobei sich auch teilweise überschneidende Denkmuster konstatiert und kritisiert werden.

Friedensbewegung

Einige traditionell eher dem linken Spektrum zugeordnete, vor allem moralisch orientierte Argumentationsmuster des grundsätzlichen Antimilitarismus und Pazifismus werden von den Antideutschen abgelehnt. Sie argumentieren, die bürgerliche Gesellschaftsordnung sei ein wesentlicher Fortschritt gegenüber religiös-fundamentalistischen oder völkisch-nationalistischen Regimes. Deshalb seien die Kriege der USA gegen sogenannte „rückständige“ Regime politisch zu begrüßen. Als Beispiele werden dafür der Zweite und Dritte Golfkrieg sowie der Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan 2001 genannt.

Der Friedensbewegung wird zudem eine Doppelmoral vorgeworfen. Sie habe die Zustände der Baath-Diktatur im Irak oder die Alltäglichkeit des antizionistischen und antisemitisch motivierten Terrors in und gegen Israel (beispielsweise durch islamistische Selbstmordattentate) hingenommen, ohne brauchbare Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Friedensbewegung verwende außerdem höchst bedenkliche Symbole, Karikaturen und Feindbilder wie die des „hinterlistigen Strippenziehers“ oder des „Volksschädlings und Vampirs“, mit denen die Politik der USA und Israels kritisiert wird. Radikalere antideutsche Gruppen wie die Bielefelder Gruppierung Gruppe 8. Mai werfen der Friedensbewegung „Appeasement gegenüber dem antisemitischen Vernichtungswillen“ vor und bezeichnen das Ideal des Friedens in einem Flugblatt zum 8. Mai 2005 als „leer und verlogen“. Solange es Antisemitismus gebe, so die antideutsche Argumentation, könne es keinen Frieden geben, der letztlich die Antisemiten schütze und ihnen Handlungsmöglichkeiten gewähre.

Kapitalismus

Obwohl sich Antideutsche selbst als Gegner des Kapitalismus und meist als Kommunisten bezeichnen, kritisieren sie einige Formen des Antikapitalismus als Ausdruck eines versteckten strukturellen Antisemitismus. Damit wird insbesondere gegen die globalisierungskritische Bewegung, darunter Attac, Stellung bezogen. Die von dieser Bewegung vertretene Forderung nach einer Regulierung der Finanzmärkte (z.B. durch die Tobin-Steuer) argumentiert nach Meinung vieler Antideutscher mit einer problematischen Unterscheidung zwischen „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital, die wesentlich von den Nationalsozialisten geprägt wurde und implizit – auch dort, wo sie nicht entsprechend ausformuliert werde – auf das Stereotyp des „Geldjuden“ verweise. Ebenfalls wird die Kritik von sozialen Organisationen an sozialen Kürzungen im Zusammenhang der Agenda 2010 von Antideutschen abgelehnt und als antisemitisch und völkisch deklariert. Regional kam es teils auch zu Versuchen von Antideutschen entsprechende Proteste gegen Sozialabbau, z.B. durch das Zerstören von Plakaten, zu verhindern.[16]

Seit den späten 90ern gibt es eine Positionsverschiebung insbesondere bei der antideutschen Zeitschrift Bahamas. Es werden Sympathien für das neoliberale Gesellschaftsmodell bekundet, insbesondere wird gelobt, dass es dort (laut Sicht der Bahamas) keine Befürwortung des Gemeinnutzes vor dem Eigennutz gebe. Der deutsch-französische „rheinische Kapitalismus“ wird hingegen als, aus Bahamas-Sicht, "kollektivistisch" abgelehnt.[17]

Westliche Demokratie kontra islamische Theokratie

Die Antideutschen rücken weniger Klassenkampf und Arbeiterbewegung in den Vordergrund ihrer Programmatik, sondern wollen das internationale System und dessen Entwicklungsdynamik aus einem kritischen geschichtsphilosophischen Blickwinkel insbesondere der Kritischen Theorie betrachten. Demzufolge ist die europäische Aufklärung ein in weiten Teilen unvollendetes Projekt. Die Antideutschen gehen davon aus, dass ein Übergang zum Kommunismus nur mit und nicht gegen die real existierenden Kräfte der Aufklärung erfolgen kann. Als Kräfte der Aufklärung werden dabei alle kapitalistischen Industrienationen mit Ausnahme gerade Deutschlands gesehen. Sie lehnen den gegenwärtig von ihnen als Leitkultur innerhalb der Linken wahrgenommenen Antiimperialismus ab, er weise vielmehr ideologische Schnittmengen zu nationalsozialistischen Positionen auf (siehe auch Querfront).

Im Zusammenhang mit dem „Krieg gegen den Terrorismus“ stellen sich die Antideutschen auf den Standpunkt, dass der Marxismus durch seine Geschichtsphilosophie immer der schärfste politische Gegner der Theokratie gewesen sei und knüpfen an die Solidarität Karl Marx’ mit dem amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln an. Generell betrachten sie die gegenwärtige weltpolitsche Lage als Auseinandersetzung zwischen (westlicher) Demokratie und (islamischer) Theokratie, wobei den westlichen Staaten die unbedingte Stellungnahme auch der Linken zustehe.

Da sie das System der Nationalstaaten als eine historische Übergangsphase zwischen der Theokratie und dem Kommunismus betrachten, unterscheiden Antideutsche zwischen Nationen, die es gegen den Rückfall in die Theokratie zu verteidigen gelte und anderen, die den Fortschritt in den Kommunismus aufhalten würden. An vorderster Front der Systemauseinandersetzung zwischen Demokratie und Theokratie stehe der Staat Israel. Mit der Entscheidung zum Einmarsch in den Irak im Jahr 2003 hätten auch die USA begonnen, ihre alte Politik der Unterstützung fortschrittsfeindlicher Diktaturen aufzugegeben und die Theokratie als Hauptfeind zu erkennen. Deutschland hingegen (insbesondere unter rot-grünen Bundesregierung) beziehe sowohl ideologisch als auch praktisch eine Politik der Regimeerhaltung in antisemitischen Diktaturen wie z. B. Saudi-Arabien und dem Iran. Antideutsche kritisieren auch, dass die EU der größte internationale Geldgeber der palästinensischen Autonomiebehörde ist.

Kritik und Kontroverse

Aufgrund ihrer Positionen, die teilweise in diametralem Gegensatz zur traditionellen Linken stehen, sind die Antideutschen Gegenstand beständiger heftiger Kontroversen. Zudem sind auch innerhalb der Strömung Zerwürfnisse und Spaltungen keine Seltenheit, wobei diese i. d. R. unter häufigem Einsatz von Antisemitismusvorwürfen[18] ausgetragen werden.

Die im Folgenden referierte oder zitierte Kritik stammt überwiegend von Vertretern der radikalen Linken. Dies liegt in erster Linie daran, dass es sich bei der Kontroverse um antideutsche Positionen ganz überwiegend um eine innerlinke Auseinandersetzung handelt. Einige der genannten Autoren waren für die Entstehung einzelner antideutscher Politikkonzepte selbst prägend. Die meisten Stellungnahmen entstammen dem von Gerhard Hanloser herausgegebenen Sammelband Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken (siehe Literatur).

Kern der Kritik ist, dass man eine Wendung der Antideutschen nach rechts bzw. eine „Rückkehr in die bürgerliche Wertegemeinschaft“ unter Aufgabe aller linker Essentials feststellt.

Israel als Projektionsfläche

Scharfe Kritik an „solidarisierungswütigen Israel-Freunden“ übt der israelische Soziologe Moshe Zuckermann. In einem Beitrag Was heißt: Solidarität mit Israel? kritisiert er den ideologischen Blick auf Israel seitens der Antideutschen. Diese missbrauchten Israel als „pure Projektionsfläche für eigene Befindlichkeiten“. Ihre „bedingungslose Solidarität“ sei eine Farce, „die die reale Tragödie in eine Narrenposse verwandelt“.

Stattdessen fordert er, die israelische Gesellschaft in ihrer geschichtlichen, politischen, sozialen und gesellschaftlichen Komplexität und Heterogenität wahrzunehmen. „Ideologisch durchwirkte Abstraktionen“ seien kontraproduktiv. „Besonders unappetitlich“ seien sie, so Zuckermann über das Israel-Bild der Antideutschen, wenn sie aus Deutschland kämen und die Juden beträfen.[19]

Relativierung der Geschichte

Wolf Wetzel und Ulrich Enderwitz kritisieren die Gleichsetzung der geschichtlichen Konstellation von 1945 mit der heutigen internationalen Situation. Die Befreier von 1945 könnten heute nicht die gleichen antifaschistische Positionen geltend machen. Antideutschen wird vorgeworfen, mit dieser Relativierung der Geschichte einen „imperialistischen“ Krieg gegen den Irak einerseits zu legitimieren und andererseits Widersprüche des postfaschistischen deutschen Subjekts auf ein Ersatzobjekt zu projizieren.

Das Konzept des Islamfaschismus stößt auch bei Antirassisten auf Unmut, nicht zuletzt weil sich manche antideutsche Islamkritik inhaltlich den Positionen populistischer oder xenophober Bewegungen wie der Liste Pim Fortuyn oder des Vlaams Blok annähere. Die Redaktion der Bahamas hat der holländischen Gesellschaft vorgeworfen, den später ermordeten Pim Fortuyn aus einer multikulturellen Haltung heraus stigmatisiert zu haben, anstatt mit ihm zu diskutieren. Fortuyns „in vieler Hinsicht sehr unangenehm(e)“ Ansichten hat die Redaktion gegen Vorwürfe, faschistisch oder rassistisch zu sein, in Schutz genommen.[20] Allgemein wird am Begriff des „Islamfaschismus“ kritisiert, dass er problematisch sei, weil er zu einer unscharfen Definition des Faschismus führe. Auch wird das Fehlen von Kritik an anderen Religionen kritisiert.

Bejahung des Kapitalismus

Für Gerhard Hanloser entwickelte sich die antideutsche Bewegung aus einer „fehlgeschlagenen Selbstkritik“ von „oftmals nationalistischen und populistischen Linken“ – insbesondere der K-Gruppen – zu einem „affirmative turn“, der die „herrschenden Verhältnisse“ nicht mehr einer „radikalen Kritik“ unterziehe.[21] Er umschreibt diese Haltung mit einem ironischen Motto „Vereinzelt euch, seid stark, individualistisch und konsumistisch, damit auch ihr euch nicht zum deutschen Volksgenossen eignet“. Bahamas-Initiator Bernhard Schmid behauptet vor diesem Hintergrund einen neoliberalen Rechtsruck bei der Bahamas.[22][23]

Der Antisemitismusforscher Enderwitz sieht in aktuellen antideutschen Politikkonzepten den „unternommenen Versuch, unter dem Eindruck des weltweiten Bedrohungsszenariums Gesellschaftskritik durch die obsessive Bornierung auf Faschismus und Antisemitismus in eine Affirmation des Kapitalismus und seiner globalen, alias imperialistischen, Entfaltung umzufunktionieren“. [24]

Robert Kurz sieht die Grundlage der Bejahung der kapitalistischen Gesellschaft vor allem in der Verurteilung jeglicher sozialer Bewegungen insbesondere in Deutschland durch Abstempelung dieser Bewegungen als „Volksbewegungen“, was in antideutschen Kreisen oft als Synonym für Völkische Bewegungen gebraucht wird. Auch würden Antideutsche, so Kurz, eine unrealistische Forderung nach „vermittlungsloser Feindschaft“ zum Kapitalverhältnis vertreten. <ref>Robert Kurz: Die antideutsche Ideologie. Vom Antifaschismus zum Krisenimperialismus: Kritik des neuesten l

  1. Vgl. Verfassungsschutzbericht 2008, Vorabfassung, S. 138.
  2. a b Deutsche Welle (25. August 2006): Strange Bedfellows: Radical Leftists for Bush
  3. Verfassungsschutzbericht 2006, S. 164 ff.
  4. M. Mohr/S. Haunss: Die Autonomen und die anti-deutsche Frage oder: »Deutschland muss…«, in: Gerhard Hanloser (Hrsg.): „Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken“. Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik., S. 65
  5. M. Mohr/S. Haunss: Die Autonomen und die anti-deutsche Frage oder: »Deutschland muss…«, S. 66
  6. http://www.volksliederarchiv.de/text4507.html
  7. M. Mohr/S. Haunss: Die Autonomen und die anti-deutsche Frage oder: »Deutschland muss…«, S. 69
  8. Patrick Hagen: Die Antideutschen und die Debatte über Israel 2004, 2.1. Vorgänger und Vordenker
  9. M. Mohr/S. Haunss: Die Autonomen und die anti-deutsche Frage oder: »Deutschland muss…«, S. 71
  10. Patrick Hagen: Die Antideutschen und die Debatte über Israel 2004, 3.4. Der Kosovo-Krieg – antinational vs. antideutsch
  11. Redaktion BAHAMAS, 10. April 2003
  12. Patrick Hagen: Die Antideutschen und die Debatte über Israel 2004, Einleitung:
  13. Vgl. Indymedia (2003): "Indymedia abschalten!"
  14. Die arabischen Radioprogramme der Nazis - Jeffrey Herf: "Nazi Propaganda for the Arab World" (Buchbesprechung)
  15. Interview von Ralf Fischer mit Stephan Grigat vom Dezember 2004. Siehe auch: Stephan Grigat: "Projektion" – "Überidentifikation" – "Philozionismus". Der Vorwurf des Philosemitismus an die antideutsche Linke
  16. Vgl. Indymedia (2004): Berlin AANO zerstört Poster gegen Sozialabbau
  17. Vgl. Gerhard Hanloser: Antikollektivismus. Der neue Geist „linker“ Sozialstaatskritik
  18. Beispiel: Alfred Schobert: Linke Bellizisten auf Gespensterjagd. Militärpolitische Normalisierung mit Antisemitismus- und Antiamerikanismus-Vorwürfen. In: graswurzelrevolution 266 Februar 2002
  19. Moshe Zuckermann: Was heißt: Solidarität mit Israel? In: Gerhard Hanloser (Hrsg.): „Sie waren die Antideutschesten der deutschen Linken“. Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik.
  20. Redaktion Bahamas (12. November 2004): In memoriam Theo van Gogh
  21. Gerhard Hanloser (Hrsg.): „Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken“. Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik. Unrast, Münster 2004
  22. Bernhard Schmidt In: Gerhard Hanloser (Hrsg.): „Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken“. Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik. Unrast, Münster 2004
  23. Vgl. auch Bernhard Schmidt: Der Krieg und die Kritiker. Die Realität im Nahen Osten als Projektionsfläche für Antideutsche, Antiimperialisten, Antisemiten und andere. ISBN 978-3-89771-029-0. Unrast Verlag, Münster 2006
  24. Ulrich Enderwitz: Konsum, Terror und Gesellschaftskritik. Eine Tour d’horizon