Evolutionäre Entwicklungsbiologie
Die evolutionäre Entwicklungsbiologie oder kurz Evo-Devo (abgeleitet vom englischen Begriff evolutionary developmental biology) ist eine Forschungsrichtung der Biologie, die untersucht, wie sich Vorgänge der Individualentwicklung von Lebewesen, besonders Prozesse während der Embryonalentwicklung, auf ihre Evolution auswirken.
Die evolutionäre Entwicklungsbiologie entstand in den 1990er Jahren und versucht, die genetischen und epigenetischen Erkenntnisse der Entwicklungsbiologie in einem evolutionären Kontext zu betrachten. Sie bedient sich embryologischer und molekularbiologischer Labormethoden, um aufzuzeigen welches die Faktoren und Steuerungsmechanismen für die Ausbildung und den evolutiven Wandel von Geweben, Organen und morphologischer Strukturen sind und versucht das Auftreten solcher Veränderungen im Verlauf der Stammesgeschichte der Organismen nachzuvollziehen. Auch das System der Entwicklung selbst und seine Evolution bis heute sind Forschungsgegenstand der evolutionären Entwicklungsbiologie.
Die Bedeutung der Entwicklung für die Evolution
Bei der Befruchtung ist die phänotypische Form nicht gegeben; sie wird durch das Genom (DNA) nicht „mitgeliefert“. Der Embryo muss seine Form erst finden und schaffen. Weil eine Gestaltbarkeit und eine begrenzte Offenheit in der Embryonalphase vorliegt und weil jede Veränderung des Phänotyps nur über die Veränderung der embryonalen Entwicklung erfolgen kann und diese ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten besitzt, ist für die Vertreter der evolutionären Entwicklungsbiologie die Entwicklung der zentrale Schlüssel für das kausale Verständnis der organismischen Evolution (Müller).
Aus Sicht von Vertretern dieser Forschungsrichtung kann die embryonale Entwicklung selbstregulierend spontane Variationen und Innovation hervorbringen. Die Selektion wirkt auf diese Variationsformen und wählt die fittesten Individuen unter ihnen aus. Morphologische Form und komplexe Strukturen (Körperbaupläne) entstehen also nicht primär durch natürliche Selektion als extern bestimmendem Faktor, sondern durch systemimmanente, spontane, sich selbst regulierende Umbauten des Organismus während der embryonalen Entwicklung.[1][2][3] Vor allem die Theorie der erleichterten Variation beschreibt die Mechanismen hierfür (s. Kap.5).
Geschichte der Erforschung evolutionärer Änderung der Ontogenese
Darwin und 19. Jahrhundert
Dass die Embryonalentwicklung Relevanz für die Evolution hat, war bereits Charles Darwin bewusst.[4] Er hat das wiederholt erwähnt. Er konnte jedoch nicht die Entwicklungsprozesse genauer untersuchen, so wie das heute möglich ist. Zur Zeit Darwins, aber auch zur Zeit der Entstehung der Synthetischen Evolutionstheorie waren weder der genaue Mechanismus der Vererbung, noch Gene und DNA bekannt. Man konzentrierte sich daher auf die natürliche Selektion als den primären Evolutionsfaktor.
Aus dem 19. Jahrhundert sind neben Darwin Embryologen zu nennen, die auch evolutionäre Gesichtspunkte behandeln:
- Karl Ernst von Baer. Er stellt bei Wirbeltieren fest, dass Embryonen verschiedener Arten um so schwieriger zu unterscheiden sind, je früher sie angetroffen werden (Baer-Regel)
- Fritz Müller. Er kombinierte in seinem Buch Für Darwin 1864 natürliche Selektion und Embryologie und demonstrierte an Entwicklungsphasen von Krebstieren, dass ihre Stammesgeschichte nicht erklärt werden könne ohne Darwins Theorie. Seine Studien, wie die von Baer´s inspirierten
- Ernst Haeckel. Auf ihn geht die heute nicht mehr anerkannte biogenetische Grundregel zurück, die in Anlehnung an von Baer besagt, dass es Parallelen zwischen Ontogenese und Phylogenese gibt, die man kausal so erklären kann, dass die Ontogenese die Phylogenese rekapituliert. Während der embryonalen Entwicklung könne man demnach die Ausbildung von Merkmalen beobachten, die die Art in ihrer Stammesgeschichte im Erwachsenen-Stadium schon früher gezeigt habe.
- Wilhelm Roux Schüler von Haeckel, ahnte bereits, dass kein fertiger Bauplan vererbt wird, sondern dass „den einzelnen Zellen ein gewisser Spielraum bleibt, innerhalb dessen sich das Geschehen gegenseitig selbst reguliert“ (1881).
Synthetische Evolutionstheorie seit 1930
Der Synthetischen Evolutionstheorie vorausgegangen ist der Brite William Bateson, einer der Wiederentdecker der mendelschen Regeln und Begründer der Genetik. Bateson wehrte jegliche Gedanken ab, Embryologie könne nichts zum Verständnis der Mechanismen der Evolution beitragen[5].
Auch während des Entstehens der Synthetischen Evolutionstheorie in den 1930er und 1940er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es Vertreter die versuchten, die Entwicklung stärker zu thematisieren (Richard Goldschmidt, Conrad Hal Waddington, Ivan Ivanowitsch Schmalhausen [1884–1963]). Die Synthetischen Evolutionstheorie war jedoch mit dem dominierenden Fundament der Populationsgenetik (Ronald A. Fisher, Sewall Wright und J.B.S. Haldane) trotz der Mithilfe anderer Disziplinen, (u.a. Zoologie, Systematik: Ernst Mayr) stark auf statistisch-deskriptives Denken ausgerichtet (Populationsgenetik), so dass Prinzipien der Individualentwicklung nicht akzeptiert wurden. Von Thomas Hunt Morgan, einem der frühen Architekten der Synthetischen Evolutionstheorie und selbst Embryologe, stammt die Aussage (1932), die Genetik sei der einzige wissenschaftlich gültige Ansatz für das Studium der Evolution[6]. Die einschränkende Sicht der herrschenden Evolutionstheorie galt vor allem für die Ideen, die das Potenzial hatten zu erklären, wie Umwelteinflüsse auf den entstehenden Organismus und seine evolutionäre Änderung Einfluss nehmen könnten, weil das dem neodarwinistischen Dogma widersprach, wonach kein Informationsfluss möglich ist, der von außen auf die DNA wirkt und sie vererbbar verändert (Weismann-Barriere bzw. Zentrales Dogma der Molekularbiologie). Nur vor diesem Hintergrund kann verstanden werden, dass ein Forscher wie Conrad Hal Waddington, der 1942 eine Umweltinduzierung von Entwicklungsveränderungen und die Kanalisierung von Entwicklungsprozessen theoretisch beschrieb, und der als ein wichtiger Vorläufer der evolutionären Entwicklungsbiologie gilt, von der Seite der Synthetischen Evolutionstheorie nicht beachtet wurde. Waddingtons Thesen kamen erst in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer Renaissance.[7] [8]
Die Synthetische Evolutionstheorie, das Standardmodell der heutigen, auf Darwin zurückgehenden Evolutionstheorie, sieht das Schema aus zufälliger Variation, natürlicher Selektion und Adaption der Population als ausreichend an, um die Entstehung komplexer organismischer Form zu erklären und damit als ausreichend, um die klassische Frage Darwins zu beantworten, wie Arten entstehen[9].
Die Synthetische Theorie, namentlich ihre Architekten der 1930-50er Jahre, bedient sich dabei im Vergleich zu Darwin zum Teil sehr restriktiver Einschränkungen. Forscher wie Mary Jane West-Eberhard, Marc Kirschner/John C. Gerhart, Gerd B. Müller und andere sind nunmehr bestrebt, diese Einschränkungen zu überwinden[10][11]
- die Annahmen des Gradualismus (kleinste Änderungen, die sich zu größeren summieren) [12]
- die Annahme der nicht vererbbaren Beeinflussbarkeit des Genoms bzw. der Keimzellen durch die Umwelt (Weismann-Barriere). Mit dieser Annahme soll nicht ausgeschlossen werden, dass die Umwelt die DNA zerstören kann, wie das etwa bei radioaktiver Strahlung der Fall ist, sondern dass Umweltfaktoren nachhaltig auf die Vererbung einwirken und Evolution induzieren können.
- die Annahme der deterministischen-Genotyp-Phänotyp-Beziehung, wonach Gene und phänotypische Merkmale jeweils in einem festen Verhältnis zueinander stehen und der Genotyp den Phänotyp definiert. Diese Annahmen gelten heute aus Sicht von Vertretern der evolutionären Entwicklungsbiologie als weitgehend überholt.[13][14]
Constraints und Heterochronie

Seit den achtziger Jahren mehrten sich die Stimmen, die für eine stärkere Beachtung der Entwicklung für die Evolution plädieren (S. J. Gould u.a.): Man forschte an Einschränkungen, die das Spektrum der evolutionären Änderungen begrenzen (Constraints) und beschäftigte sich auch mit zeitlichen Verschiebungen der modularen Komponenten im Entwicklungsablauf (Heterochronie, s.Abb.1). Hier ist der Brite Gavin de Beer zu nennen. Er publizierte 1954, dass das Änderungen im Timing von Ereignissen während der Entwicklung zu neuen evolutionären Merkmalen führen kann, etwa zu längeren oder kürzeren Beinen oder zur Ausbildung oder Nichtausbildung eines Schwanzes[5].
1980er Jahre - Entdeckung der Master-Kontrollgene und Erforschung von Genregulationen
Gilbert beruft sich auf drei wichtige Publikationen, die 1977 erschienen und somit dieses Jahr als Konzeptionsjahr für Evo-Devo gelten lassen[15]. Das sind von Stephen J. Gould Ontogeny and Phylogeny, von Francois Jacob Evolution by Thinkering sowie eine technische Arbeit von A.Maxam/W.Gilbert zu DNA-Sequenzierung. 1982/83 entdeckte man wichtige Master-Kontrollgene[16], die an der Regulierung grundlegender Körperbaupläne beteiligt sind, darunter die Hox-Gene, die für die Spezifikation der Anterior-Posterior-Körperachse hauptverantwortlich sind, ferner die Pax6-Gene für Photorezeptoren und Augenentwicklung sowie Mkx2.5-Gene, die an der Herz-Formation beteiligt sind. Zur großen Überraschung stellte sich heraus: „Die Gruppe der Hox-Gene kommt in abgewandelter Form in bisher allen untersuchten vielzelligen Tieren vor.“[17] Sie sind homolog. Sie müssen daher über einen sehr großen Zeitraum in der Evolution konserviert worden sein; Paul Layer spricht von rund einer Milliarde Jahre.[18] Die Entdeckung der Hox-Gene und ihrer Homologie für die Tierarten zählt zu den herausragenden Entdeckungen der modernen Biologie der letzten Jahrzehnte. Sie gilt als Beleg für das Vorhandensein von Evolution und die gemeinsame Abstammung der Arten (s.hierzu auch Homöobox).
In der Folge entstand mit der immer einfacheren, schnelleren und kostengünstigeren Sequenzierung von Genomen und der vergleichenden Genetik verbesserter Einblick in die Genregulationsprozesse während der Entwicklung. Das hatte zur Folge, dass sich diese Prozesse zu einem der stärksten Forschungsfelder von Evo-Devo entwickelten [19].
Die neue systemische Sicht auf die Entwicklung
Einige Forscher, unter ihnen Gerd B. Müller, Marc Kirschner/John C. Gerhart, Massimo Pigliucci, Mary Jane West-Eberhard, gehen heute über die Analyse der Genregulationen hinaus und erweitern ihr Untersuchungsobjekt. Sie betrachten das gesamte System Entwicklung als einen komplexen genetisch/epigenetisch evolvierten Apparat, der mit der Umwelt als integriertes, multikausales, nicht-linear reagierendes, offenes System interagiert. Kausale Erklärungen für die Entstehung und Variation organismischer Form werden von diesen Forschern nicht ausschließlich auf der Gen-/Genregulationsebene gesucht sondern auch bzw. primär auf den epigenetischen Ebenen von Zellen, Zellaggregaten, Zellinformation, Organen, Organismus, Umwelt. Abb.5 soll das verdeutlichen. Epigenetik wird von Evo-Devo nicht in dem Sinne verstanden wie in Epigenetik. Evo-Devo spricht nicht Prozesse wie DNA-Methylierung an, sondern epigenetische regulatorische, aufeinander abgestimmte Prozesse der Zellen und des gesamten Entwicklungsapparates, wie sie von Kirschner/Gerhard als erleichterte Variation beschrieben werden.
Eco-Evo-Devo
Die Betrachtung der Umwelt erweitert die Disziplin maßgeblich. Man spricht auch von Eco-Evo-Devo[20]. Leigh van Valen definierte 1973 Evolution als "die Kontrolle der Entwicklung durch die Umwelt". In dieses Feld fallen Überlegungen zur phänotypischen Plastizität oder Entwicklungsplastizität, das ist die Fähigkeit des Organismus, in Abhängigkeit von wechselnden Umwelteinwirkungen unterschiedliche Phänotype herauszubilden. Zu nennen sind hier neben dem schon zitierten C. H. Waddington West-Eberhards Buch Development Plastizity and Evolution (2003) und Gilbert/Epels interdisziplinäres Buch Ecological Development Biology (2009). Die Einbeziehung der Umwelt und damit die Interaktionsfähigkeit der Evolution mit der Umwelt auf dem Weg über die Entwicklung wird zu einem wachsenden Forschungsthema (s. Kap.3 Die Evo-Devo-Forschungsthemen). Erstmals können in diesem erweiterten Zusammenhang kausale Evolutionsmechanismen erklärt werden.
2000 bis heute - Evo-Devo liefert neue Evolutionstfaktoren
Gilbert nennt das Jahr 2000 als das Geburtsjahr von Evo-Devo als Wissenschaftsdisziplin[21]. In diesem Jahr gründete die Society for Integrative and Comparative Biology ihre Sektion für Evolutionäre Entwicklungsbiologie.
Gemäß der Synthetischen Theorie ist Evolution definiert als Veränderung der Allelfrequenz (Genfrequenz) in Populationen, worunter „Populationen erwachsener Individuen“ verstanden wurden.[22] Damit wird jedoch nicht erklärt, wie Variation entsteht. Wurde die embryonale Entwicklung von den Hauptvertretern der Synthetischen Theorie wie bereits erwähnt als nicht relevant für die Evolution angesehen, steht sie heute im Fokus der kausalen Evolutionsforschung. Während die gängige Theorie auf das survival of the fittest fokussiert ist, versucht die evolutionäre Entwicklungsbiologie das arrival of the fittest zu erklären, also die Frage: Wie wird man zum Fittesten? [23] Evo-Devo erweitert also den Forschungshorizont der Evolutionstheorie um neue Fragen und neuen Erklärungen. Die von Evo-Devo neu beschriebenen epigenetischen Mechanismen der zellularen Selbstorganisation und der Reaktionsfähigkeiten der Entwicklung sind u.a.:
- Kanalisierung (Kap. 2, 3, 6 und 8.1)
- Heterochronie (Kap. 3)
- konservierte Kernprozesse in Zellen, die adaptiv kombiniert werden können (Kap. 5):
- schwache regulatorische Kopplungen bei Zell-Zell-Kommunikation (Kap. 5)
- explorative Prozesse / Verhalten (Kap. 5)
- Kompartimentierung (Kap. 5)
- Reaktionsfähigkeit der Entwicklung auf initiierende Umweltstressoren (Kap. 3-6 und 8)
- nicht-lineare Reaktionsfähigkeit der Entwicklung mit diskontinuierlichem, phänotypischem Output (Kap. 4, 6 und 8).
Solche Mechanismen stellen für die Evo-Devo-Forschung neben den bisherigen Faktoren Mutation, Selektion, Rekombination und Drift selbständige Evolutionsfaktoren dar, die es erlauben, die Entstehung von Variation und Innovation zusätzlich zur Synthetischen Theorie besser und plausibler zu erklären.
Die Evo-Devo-Forschungsthemen
Die Evolutionäre Entwicklungsbiologie betrachtet das gesamte System der embryonalen Entwicklung selbst als ein evolviertes System und sieht es in einem komplexen systemischen Zusammenhang mit der Umwelt. Müller teilt das Forschungsgebiet in folgende drei Themenblöcke ein,[24] von deren Einzelfragen manche erst am Beginn wissenschaftlicher Bearbeitung stehen (s. Abb.2):
Zunächst als erster Block die Evo-Devo-Fragen, die sich von der Evolution auf die Entwicklung richten:

1. Der erste Themenkreis beschäftigt sich damit, wie Entwicklung bei rezenten Arten in der Evolution entstehen konnte. Was wir heute in höher entwickelten Arten in der Embryonalphase sehen und analysieren, dieser in seinem Zusammenspiel mit der Außenwelt noch nicht ganz verstandene Prozess, war nicht immer in diesem (wie Müller es nennt) routinierten, fein justierten Wechselspiel vorhanden. Es muss einen langen Evolutionsprozess bis heute gegeben haben. Ausgehend von ersten Metazoen sind erst viel später die selektive Fixierung und genetische Routinierung in den robusten Formen der Entwicklung und in den zuverlässigen mendelschen Vererbungsformen aufgegangen, wie wir sie in heute existierenden Organismen beobachten (Gerd B. Müller).
2. Unter der Evolution des Entwicklungsrepertoires versteht man zum einen die genetischen Werkzeuge. Carroll [25] spricht vom genetischen Werkzeugkasten (genetic toolkit). Man fragt und erforscht, wie dieser entstehen und evolvieren konnte oder wie zum Beispiel genetische Redundanz, neue Genfunktionen, Modularität auf Genomebene entstehen konnten. Zum andern gehört zum Entwicklungsrepertoire aber auch eine komplexe Vielfalt epigenetischer Prozesse (s. Abb.5: Das integrierte evolutionäre Entwicklungssystem). Diese Prozesse waren vor hunderten Millionen Jahren einfacher. Heute enthalten sie ausgefeilte, eingespielte Mechanismen, die zum Beispiel Zellwechselwirkungen genau regulieren. Das Entwicklungsrepertoire selbst entstand also durch Millionen Jahre Evolution. Es selbst vermehrt sich laut Müller in der Evolution.
3. Die Frage: Wie wirkt Evolution auf spezielle Entwicklungsprozesse ein? Hier gibt es z.B. die Heterochronie, die zeitliche Verschiebung von Entwicklungsprozessen. "Evolutionäre Modifizierungen in der Segmentierung und regionalen Differenzierung größerer Körperbausektionen wird begleitet von Verschiebungen in Domänen der Hox-Gen-Expressionen" [26]
Der zweite Block, betrifft DevoEvo-Fragen, die sich von der Entwicklung auf die Evolution richten, sozusagen die Gegenfragen zum ersten Block. Diese Fragen sind das spezifisch Neue in Evo-Devo, die die kausalen Wechselwirkungen zwischen Entwicklung und Evolution erst sichtbar machen und die die herrschende Evolutionstheorie verändern.
4. Wie beeinflusst Entwicklung phänotypische Variation? Um zu unterbinden, dass in der Entwicklung zu große, unerwünschte evolutionäre Variationen auftreten, haben sich Entwicklungsconstraints gebildet. Solche Constraints sind physikalischer, morphologischer und phylogenetischer Natur. Sie führen zu einer Kanalisierung der Entwicklung (Conrad Hal Waddington), zu Robustheit. Man spricht auch von der development reaction norm, eine Bandbreite innerhalb derer sich phänotypische Plastizität vollziehen kann.
5. Was trägt Entwicklung zu phänotypischer Innovation bei? Wenn die Selektion allein gesehen keine Form bilden kann, muss es einen anderen Weg geben, wie organismische Innovation entsteht. Die Antwort kann für Evo-Devo nur in der Entwicklung liegen.
6. Wie wirkt Entwicklung auf die Organisation des Phänotyps? Die Frage nach der Organisation der Körperbaupläne in der Entwicklung ist nicht auf die Entstehung oder Variation bestimmter Körpermerkmale gerichtet, sondern darauf, wie der Organismus als ein integriertes System hergestellt werden kann.
Schließlich der dritte Block, das ist der Eco-Evo-Devo-Fragenkreis, der die kausale Beziehung von Entwicklung und Evolution mit der Umwelt betrifft, ebenfalls neu von Evo-Devo eingebracht, da die Synthetische Evolutionstheorie keine derartigen Wirkungsmechanismen erklären kann.
7. Wie interagiert die Umwelt mit Entwicklungsprozessen?
8. Wie beeinflussen Umweltänderungen die phänotypische Evolution?
9. Wie wirkt die evolutionäre Entwicklung auf die Umwelt?
Man spricht hier vom Konzept der phänotypischen Plastizität. Plastizität bedeutet, dass ein Genotyp unter verschiedenen Umweltbedingungen verschiedene, unter Umständen sehr stark abweichende, Phänotype erzeugen kann. Ein bekanntes Beispiel ist, dass aus Eiern bestimmter Schildkrötenarten je nach Temperatur und damit umweltabhängig, männliche oder weibliche Nachkommen schlüpfen.[27] Schmetterlinge erzeugen abhängig von der Jahreszeit unterschiedliche Flügelfärbung. Mehr Tageslicht und geringere Temperatur bringen einen dunklen Typ hervor, weniger Licht einen orangen Typ.[28]
Die Entwicklung erzeugt phänotypische Variation
Umweltveränderungen (Nahrung, Temperatur etc.) oder genetische Mutationen können bleibende Veränderungen der genetisch/epigenetischen Entwicklungsprozesse anstoßen. [29] Umweltstressoren können dabei im Vergleich zu Mutationen auf die Population breiter und anhaltender wirken. Sie mobilisieren die Selbstorganisationsfähigkeit des gesamten Entwicklungssystems.[30] Die evolutionäre Entwicklungsbiologie untersucht, ob eher Umwelteinflüsse oder genetische Mutationen phänotypische Variation initiieren. West-Eberhard hat in ihrem umfangreichen Werk über die phänotypische Evolution (2003) zahlreiche Beispiele geliefert, die belegen können, dass die Umwelt direkte Wirkung auf die Entwicklungsprozesse und auf diesem Weg auch auf die Evolution haben kann. Diese Erkenntnisse bedeuten einen wichtigen Schritt über die Synthetische Theorie hinaus.
Körperbaupläne sind entgegen der herrschenden Vorstellung nicht im Detail im Genom wiedergegeben und bedürfen zur Ausführung in der Entwicklung der Eigenschaften und Mechanismen in den Zellen sowie des Signalaustauschs der Zellen untereinander und mit der Umwelt. Das bedeutet hohe Kooperation der Teile (Kirschner/Gerhart sprechen von Konservierten Kernprozessen in Zellen, adaptivem Zellverhalten, explorativem Verhalten). Der in der Entwicklung entstehende Phänotyp ist somit mehr als der bloße Programmablauf des Genotyps.
Kleine Ursachen (Umwelt, Mutation, Selektion) können in der Folge zu phänotypisch großen Variationen führen. Für solche nicht-linearen, nicht-graduellen, diskontinuierlichen Reaktionen sind die Fähigkeiten des Entwicklungssystems zur Selbstorganisation verantwortlich. Beschrieben werden können diese Vorgänge unter anderem als Schwellenwerteffekte (thresholds). Ein Beispiel für eine spontane Konstruktion des Entwicklungssystems ist eine Hand mit sechs Fingern (Polydaktylie) (Abb.3).[31].

Das Beispiel belegt, dass die embryonale Entwicklung in der Lage ist, solche phänotypische Variation zu erzeugen und dass sechs Finger an einer Hand oder an beiden eine mögliche evolutionäre Variation sind. Die Entwicklung kann hierbei ein vollständig integriertes Merkmal erzeugen: Nerven, Muskeln, Gelenk, Skelett des Fingers und seine Größe sind vollständig funktionsfähig in die Anatomie der Hand integriert. West-Eberhard hat gezeigt, dass phänotypisch induzierte Variationen einer genetischen Assimilation vorausgehen können (Waddington, Müller, West-Eberhard). Bis heute existieren zahlreiche empirische Versuche, die eine spätere genetische Assimilation bestätigen (Waddington 1953 mit Veränderung der Adern an Fliegenflügeln, Nihjout 2006 mit Farbvariation der Tabakschwärmer-Raupe). Durch die beschriebene Existenz von Umweltfaktoren können solche Konstruktionsänderungen zunächst angestoßen werden. Das System ist dann in der Lage zur Selbstorganisation, also zur autonomen Konstruktion solcher Veränderungen.
Spontane größere Entwicklungsumbauten, auch makroevolutionäre morphologische Variationen genannt, werden ausdrücklich in Ergänzung zum Gradualismus der Synthetischen Evolutionstheorie als möglich angesehen. Erklärt werden sie durch die Reaktionsformen der Entwicklung. Danach kann das gesamte System auf Störgrößen nicht-linear reagieren (Schwellenwerteffekte). Ein Beispiel ist die Veränderung der Schnabelform von Darwinfinken in wenigen Generationen, wobei die Schnabeländerung vollständig in die Anatomie des Kopfes integriert ist (s. Abschn.: Veränderung der Schnäbel bei Darwin-Finkenarten').
Die Theorie der erleichterten Variation
Evo-Devo zeigt, dass phänotypische Variation nicht ausschließlich auf genetischer Mutation beruht. Die Entstehung von Variation in der Entwicklung ist ein weiterer Mechanismus. Die Autoren Kirschner/Gerhart sprechen von erleichterter Variation. Darwin und die Synthese können diese Sachverhalte mit dem Prinzip der natürlichen Selektion nicht hinreichend erklären. Im folgenden werden die Mechanismen aufgeführt, die die Entstehung von phänotypischer Variation erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen können. Die Theorie der Entstehung phänotypischer Variation tritt neben die bestehenden Theorien der Selektion und Vererbung.
Konservierte Kernprozesse in den Zellen
In den Zellen existieren Prozesse, die lange gleich geblieben sind. Das heißt nicht, dass sämtliche molekularen Prozesse in rezenten Zellen unverändert geblieben sind, sondern dass es einen Satz von einigen hundert Prozessen, den Kernprozessen, gibt, bei denen Veränderungen letal für die Zelle wären. Deshalb sind sie durch die Selektion konserviert. Mit Kernprozessen sind die in unterschiedlichen Zellen bekannten, vielfach identischen, biochemischen Vorgänge gemeint.[32] Dieser Satz kann sich aber in der Art, wie die Einzelprozesse zusammen spielen, verändern. Darin steckt das evolutionäre Potenzial. Die Einzelprozesse ändern sich dabei nicht. Zellverhaltensweisen können also evolutionär neu kombiniert werden oder in neuem Ausmaß eingesetzt werden. Die Voraussetzungen dafür, dass es zu der hohen Konservierung der Kernprozesse kommen konnte, sind nach Kirschner/Gerhart:
- der einheitliche genetische Code, aller Lebewesen
- die identische, durchlässige Funktion der Zellmembran zur Kommunikation zwischen Zellen sowie
- die bereits genannte identische Funktion der Hox-Gene.
Die stabilen Kernprozesse erlauben aus Sicht der evolutionären Entwicklungsbiologie Ausprägungsformen oder Eigenschaften, die eine erleichterte phänotypische Variation ermöglichen. Das sind nach Kirschner/Gerhart:
- explorative Prozesse,
- schwache regulatorische Kopplungen und
- Kompartimentbildung beim Embryo.
Exploratives Verhalten
Die differenzierte Ausbildung etwa von Sehnen, Muskeln, Nerven und Blutgefäßen während der Entwicklung wird nicht im Detail vom Genom vorgegeben. Sie entsteht explorativ. Dabei zeigen Zellen je nach ihrer näheren zellularen Umgebung alternative Reaktionen. So können Zellen „verzweigte Strukturen“[33] schaffen, die den gewünschten Geweberaum optimal ausfüllen [34] (z. B. Blutgefäß, Nervensystem).

Schwache regulatorische Kopplungen zwischen Zellen
Damit die für evolutionäre Variation gewünschte Neukombinationen erfolgversprechender Kernprozesse eintreten können, ist Zellkommunikation erforderlich. Die Autoren sprechen hier von schwachen regulatorischen Kopplungen. "Schwach", weil das biochemische Spezifikum eines Zellsignals eine nur schwache Beziehung zu den Spezifika des Outputs im Zielbereich hat. Dieser kann dieselbe Zelle oder eine andere Zelle sein. In der Regel bestimmt der Signalstoff an der Zieladresse, zum Beispiel in einer anderen Zelle, das „An“ oder „Aus“ für die Expression eines dort vorhandenen Gens. Was dann jedoch genau geschieht, ist durch die eigene Regulation im Zielbereich festgelegt und in keiner Weise schon im gesendeten Signalstoff. Am Ziel ist die Antwort maximal vorbereitet und abrufbereit.[35] Ein Beispiel für schwache regulatorische Kopplungen sind etwa der durch Zellen mehrstufig gesteuerte Prozess der Insulinabgabe des Organismus nach Glucosezufuhr sowie viele andere Stoffwechselprozesse.
Kompartimentierung
Erst im Verlauf der Entwicklung kommt es zur Ausbildung differenzierter Zellen für spezifische Gewebetypen (Haut, Muskel, Nerven, Organe etc.). Anfangs sind diese spezialisierten Zellen nicht vorhanden. Kirschner/Gerhard sprechen von Regionen des Embryos, in denen in einer ganz bestimmten Phase der Entwicklung ein oder wenige ganz bestimmte Gene der Zellen exprimiert und bestimmte Signalproteine produziert werden.[36] Die Fähigkeit, unterschiedlich konservierte Kernprozesse an unterschiedlichen Orten im Organismus zu aktivieren und diese Reaktionsräume eigentlich erst zu schaffen, nennen sie Kompartimentierung. Ein Insektenembryo bildet in der mittleren Phase der Entwicklung ca. 200 Kompartimente aus. Kompartimentkarten dienen als Gerüst für Anordnung und Bau komplexer anatomischer Strukturen von Lebewesen. Jeder Tierstamm hat seine typische Karte.[37]
Kirschner/Gerhart zeigen, dass die Organismen eine Hauptrolle bei der Festlegung von Natur und Maß der Variation spielen.[38] Phänotypische Variation kann nicht beliebig sein. Vielmehr bedingt erleichterte Variation definitiv einen beeinflussten "vorsortierten" Output phänotypischer Variation durch einen Organismus.[39] Das leisten die oben aufgeführten Eigenschaften der Zellen. Variation wird vorwiegend deshalb erleichtert, weil so viel Neuheit in dem verfügbar ist, was Organismen bereits besitzen.[40]
Die Entwicklung erzeugt phänotypische Innovation

Neben evolutionärer Variation gibt es auch phänotypische Innovation. Müller [41] und Pigliucci [42] nennen als Beispiele den Schildkrötenpanzer, die Feder (die schon vor flugfähigen Vögeln vorhanden war und für Vögel somit keine Innovation mehr darstellt), Milchöffnungen der Zitzen u. a. Das erstmalige Auftreten von Außen- und Innenskelett zählen ebenfalls zu den Innovationen. Müller definiert drei Typen von Innovationen [43]. Aus der Sicht von Evo-Devo ist besonders Novelty Typ-2 von Bedeutung: [44]: Eine phänotypische Neuheit ist ein neues Konstruktionselement in einem Bauplan, das weder eine homologe Entsprechung in der Vorgängerart noch im selben Organismus hat. Es werden drei Phasen solcher evolutionärer Innovation unterschieden:[45] [43]:
Initiierungsbedingungen
Hier will man wissen, welcher konkrete Selektions- oder Umweltfaktor oder Faktoren als Auslöser einer Innovation verantwortlich sein können, also wodurch etwa das anfängliche Wachstum eines Schildkrötenpanzers (s. Abschn. Ausgewählte Empirische Forschungsergebnisse) angeregt wurde. Es muss davon ausgegangen werden: "Die Selektion kann nicht an Merkmalen angreifen, die noch nicht existieren und somit nicht unmittelbar Innovation verursachen" [46]. West-Eberhard betont: In den überwiegenden Fällen sind es veränderte Umweltbedingungen, die den Anstoß für evolutionäre Innovation geben[47]). Das gilt sowohl für die Entstehung des Skeletts der Wirbeltiere [48] als auch für die Entstehung des Außenskeletts von Meeresbewohnern (Seeigel), letzteres bei Anreicherung des Wassers durch Calcium [49].

Realisierungsbedingungen
Des Weiteren spricht man von der Akkomodierung des neuen Merkmals im Phänotyp und will z. B. wissen, wie dieses vollständig in die Anatomie integriert werden kann (z.B. zusätzl. Finger s. Abb. 3). Sofern die Initiierungsbedingungen für die Innovation unspezifisch und allgemein sind (Ernährung etc.), müssen die Realisierungsbedingungen zwangsläufig in der Entwicklung liegen [48]. Hier sieht man das Phänomen von Schwellenwerteffekten, das bedeutet, dass kleine Ausgangsbedingungen nicht-lineare, große phänotypische Variation hervorrufen können [50]. Die Veränderung von einem einzigen Parameter führt zur Antwort des ganzen Systems auf den Störfaktor. Diese Antwort des Systems Entwicklung erzeugt Innovation.
Integration und Fixierung
Hier erforscht man, wie das neue phänotypische Element (zusätzl. Finger etc.) genetisch und epigenetisch fixiert bzw. assimiliert wird, so dass es dauerhaft Bestand hat und von dem auslösenden (Umwelt-)Stressor ganz oder nahezu entkoppelt wird. "Das Innovationsmerkmal muss in das bereits bestehende Konstruktions-, Entwicklungs- und Genom-System akkommodiert werden, um Funktionalität und Vererbung sicherzustellen" [51]. Dabei "scheint es eine Regel zu sein, dass die epigenetische Integration der genetischen Integration vorausgeht"[51] oder wie West-Eberhard es ausdrückt: "Genes are followers in Evolution" [52]. "Die genetische Integration stabilisiert und überdeterminiert im Zeitverlauf den generativen Prozess (Innovationsprozess) und resultiert in einem immer engeren Mapping zwischen Genotyp und Phänotyp" [51].
Zusammenfassend gilt, dass ein geringfügiger Einflussfaktor, entweder ein Umweltstressor, die natürliche Selektion oder eine genetische Mutation, eine Antwort des gesamten Systems Entwicklung auf den Störfaktor provozieren kann, wenn die kanalisierte Plastizität an ihre Grenzen stößt. Diese Antwort kann auf Grund der Fähigkeiten des Entwicklungssystems zur Selbstorganisation nicht-linear bzw. nicht-gradual (diskontinuierlich) sein. Die resultierenden phänotypischen Änderungen können sowohl Verlust von Merkmalen, die Kombinationen von zuvor unabhängigen Merkmalen als auch Elemente neuer Merkmale sein, die in den Vorgängerformen nicht vorhanden waren. Die spezifische Ausprägungsform des morphologischen Ergebnisses wird nicht durch die Selektion diktiert, sondern durch die Reaktionsfähigkeiten des Entwicklungssystems. [53]
Verhältnis von genetischer und epigenetischer Dimension
Aufbauend auf fortschreitenden (vergleichenden) Genomsequenzierungen untersucht die evolutionäre Entwicklungsbiologie auch die umfangreichen Genregulationen während der Entwicklung. Forscher wie Sean B. Carroll[54] oder Wallace Arthur [55], aber auch Paul Layer[56] sehen entsprechend die Genregulationsprozesse mit wechselnden Kombinationen von Genschaltern als vorherrschende Einflussfaktoren auf die Entwicklung des Organismus sowie auf sein Veränderungspotenzial. Nach dieser Sicht sind Mutationen der genetischen Schalterkombinationen häufiger und leichter für den Organismus als Mutation an den Genen selbst. Andere Forscher wie Kirschner/Gerhart, Müller, Pigliucci oder West-Eberhard gehen weiter und betrachten den gesamten Entwicklungsapparat als komplexes System, das auf den verschiedenen genetischen und epigenetischen Ebenen (DNA, Zellkern, Zellen, Proteine, Zellkommunikation, Zellaggregate, Organismus, Umwelt) auf komplexe Weise gemäß der von Kirschner/Gerhart vorgestellten Mechanismen agieren und reagieren kann. [57]
Ausgewählte empirische Forschungsergebnisse
Belege bei der Taufliege
Erkenntnisse, dass Umweltfaktoren auf Vererbung und Evolution wirken, hatte bereits der Brite Conrad Hal Waddington (1942). Er konnte seine Theorie später (1953) anhand von Veränderungen an den Adern der Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) empirisch belegen, indem er die Fliegeneier einige Generationen lang jeweils kurzen Hitzeschocks aussetzte. Dabei blieben nach einigen Generationen die Querverstrebungen an den Flügeln aus. Wurden die Hitzeschocks in Folgegenerationen als externer Stressor aufgehoben, blieben die durch sie induzierten Variationen am Flügeladersystem aber weiterhin erhalten, das heißt die Querverstrebungen erschienen nicht wieder. Die Hitzeschocks waren ein ausreichend starker Anstoß, dass bisherige Entwicklungspfade verlassen wurden. Bereits angelegte, aber bis dahin nicht genutzte, maskierte Pfade traten durch den äußeren Einfluss zu Tage. Die Entwicklung wurde mit Waddingtons Worten in einem neuen Pfad kanalisiert. Der Umweltfaktor war nur so lange erforderlich, bis der neu kanalisierte Entwicklungsverlauf, wie Waddington es ausdrückte, nachträglich auch genetisch assimiliert ist[58]. Hier bleibt er wieder so lange kanalisiert bzw. stabil, und zwar auch bei neuen auftretenden Mutationen, bis entweder eine Mutation oder aber neue Umwelteinflüsse stark genug sind, dass die Kanalisierung an ihre Grenzen stößt. Gegebenenfalls führt das dann unter Einwirkung von Schwellenwerteffekten, wie oben erläutert, zu einer neuen Variation des Phänotyps.
Was Waddington mit den Laborversuchen nicht zeigen konnte, ist, wie ein adaptiver Weg entsteht, dass auf einen Umweltfaktor (hier: Hitze) geeignet reagiert wird. Die Variation der Flügeladern ist kein adaptives Merkmal auf Hitzeeinwirkung. "Es ist keineswegs sicher, dass er mit nennenswerter Häufigkeit auf irgendeine besondere adaptive Morphologie gestoßen wäre" [59].

Veränderung der Schnäbel bei Darwin-Finkenarten
Sean B. Carroll konnte Veränderungen der Muster von Schmetterlingsflügeln im Labor vornehmen. Dabei gelang es durch Bestimmung der entsprechenden Genschalterkombinationen bei der Entwicklung des Schmetterlings, die Muster auf den Flügeln zu variieren.[60]) 2007 haben Peter und Rosemary Grant[61] bei Darwin-Finkenarten auf den Galápagos-Inseln nachgewiesen, dass es in nur wenigen Generationen auf Grund von verändertem Nahrungsangebot (Initiator) zur Umbildung der Schnäbel kommt [62].

In diesem Zusammenhang konnte man ein Wachstumsfaktor-Protein identifizieren, das an der Schnabelbildung im Embryo maßgeblich beteiligt ist, und konnte auch zeigen, dass dieses Protein bei verschiedenen Schnabelformen unterschiedlich stark oder unterschiedlich lange korreliert ausgebildet wird[63]. Kirschner/Gerhart erwähnen zudem, dass besagtes Protein (es heißt Bmp4 und wird in Neuralleistenzellen produziert) experimentell in die Neuralleiste eines Hühnchens eingepflanzt wurde, wo sich ebenfalls die Schnabelform veränderte. Das Hühnchen entwickelte breitere und größere Schnäbel als normal. Andere Wachstumsfaktoren haben nicht diese Wirkung[64]. Obgleich also der experimentell manipulierte Schnabel seine Größe bzw. Form ändert, wird er dennoch in die Anatomie des Vogelkopfes integriert. „Es kommt nicht zu einer monströsen Fehlentwicklung“ (Kirschner/Gerhart).
Die Schnabelbildung ist ein komplexer Entwicklungsprozess, an dem fünf Nester von Neuralzellen beteiligt sind. Die Nester empfangen Signale von Gesichtszellen an den fünf Orten und reagieren auf sie. Daher beeinflussen Merkmale, die die Neuralleistenzellen beeinflussen, das Schnabelwachstum in koordinierter Weise[65]. Die herrschende Synthetische Evolutionstheorie müsste an diesem und anderen Beispielen plausibel erklären können, wie in nur wenigen Generationen allein durch das Wechselspiel von zufälliger Mutation und Selektion eine derartig umfangreiche, koordinierte phänotypische Variation entstehen kann, die eines wechselseitigen Zusammenspiels vieler separater Entwicklungsparameter bedarf.
Evo-Devo zeigt an diesem Beispiel die erklärte Wirkungsweise: Kleine Ursache (eine oder ein paar quantitative, regulatorische Proteinänderungen, hervorgerufen führt zu großer Wirkung (integrierte Veränderung der Schnabelform), gesteuert durch epigenetische Prozesse der Entwicklung, insbesondere durch ein breites adaptives Zellverhalten der Neuralleistenzellen des Schnabels und des Gesichtsumfelds[66]. Aus der gut erforschten Kenntnis der Entwicklung des Schnabels und seiner Modifikationen kann geschlossen werden, dass sich "recht umfangreiche Veränderungen der Schnabelgröße und Schnabelform mit ein paar regulatorischen Mutationen eher erreichen lassen als mit einer Summierung von langen Folgen kleiner Veränderungen"[67]. Nicht final erforscht ist in diesem Beispiel, wodurch die Veränderungen des Bmp4-Spiegels in der Entwicklung ausgelöst wird. Eine Möglichkeit sind genetische Zufallsmutationen, wahrscheinlicher sind Reaktionswege der Entwicklung auf den Stress der Tiere, der durch die anhaltende Veränderung des Nahrungsangebots entsteht. Diese Veränderung wurde ja von den Grants im Zusammenhang mit der Variation der Schnäbel dokumentiert [66][68].
Belyaevs Zähmung von Silberfüchsen
Bekannt geworden ist der Versuch des russischen Genetikers Dmitry Belyaev, [69] dessen Team über einen Zeitraum von 40 Jahren Silberfüchse auf Zahmheit selektierte. Man wollte erfahren, welche Konsequenzen die Selektion auf Zahmheit (bzw. gegen Aggression) nach sich zieht bzw. ob und weshalb es zu vielfältigen morphologischen, physiologischen und Verhaltensänderungen kommt, wie man das beim Hund auch beobachtet hat. Insbesondere hatte man keine Erklärung dafür, wie es beim Hund zu so großen Abweichungen vom Wolf kommen konnte, und zwar bei Größe, Morphologie und Verhalten. Das alles konnte man sich nicht als aus dem Genom des Wolfs entstanden vorstellen. Gefragt war daher: Was haben diese Veränderungen gemeinsam und haben sie eine gemeinsame Ursache, wenn ja welche? Belyaev wusste: Wird auf Zahmheit selektiert, bedeutet das Selektion auf physiologische Veränderungen in denjenigen Systemen, die die Hormone und Neurochemie steuern. Diese Veränderungen wiederum müssten weitreichende Effekte auf die Entwicklung der Tiere selbst haben, weil Hormone beispielsweise den Zyklus der weiblichen Tiere steuern. Man konnte demnach Effekte erwarten, die gut erklären könnten, weshalb verschiedene Tiere in ähnlicher Weise auf denselben Selektionsdruck reagieren[70] (Abb. 10).
Weil also bekannt war, dass eine Gruppe von Kontrollgenen für die Steuerung sowohl von Verhalten als auch Physiologie und Morphologie verantwortlich ist, konnte Belyaev im Rückschluss vermuten, dass alle diese Bereiche tangiert werden würden, wenn das Experiment allein am Verhalten ansetzt und dort selektiert (Abb.10).
Belyaev drehte also das Rad der Geschichte zurück, wie er es selbst ausdrückte, um zu beobachten, was geschieht, wenn wilde Silberfüchse gezähmt werden, vergleichbar dem Prozess, wie der Mensch vor tausenden Jahren den Wolf gezähmt hat.
Belyayevs Team hat sehr darauf geachtet, dass andere Mechanismen, etwa Inzucht oder Polygenie, für eine Erklärung nicht in Frage kommen. Lyudmila N. Trut , die das Experiment als Doktorrand begleitete und nach Belyaevs Tod dessen Leitung übernahm, betont, dass Polygenie, also das vielfältige Zusammenspiel von Genen bei der Erzeugung quantitativer Merkmale (Länge des Körpers, Länge der Beine, Menge der Milchproduktion etc.) derart kompliziert ist, dass hier jede Veränderung riskiert, dass auch andere Teile des Organismus in Mitleidenschaft gezogen werden und schädliche oder tödliche Folgen vielfach unvermeidbar sind. Des weiteren gilt: Wenn die Annahme der herrschenden Evolutionstheorie hier gelten würde, dass gestörte Polygene für die Effekte bei den Silberfüchsen verantwortlich wären, dann wären die Effekte eines Selektionsexperiments davon abhängig gewesen, welche Mutationsformen zu Beginn des Experiments bereits vorgelegen hätten. Ein gleiches Experiment mit z. B. nordamerikanischen Silberfüchsen hätte dann aber andere Ergebnisse gezeigt. Genau das ist jedoch hier nicht der Fall, wie Belayev an Hand paralleler Versuche an anderen Arten (Ottern, Ratten) beweisen konnte[71], bei denen vergleichbare Effekte auftraten.

Es war daher plausibler, Entwicklungsprozesse verantwortlich zu machen, die möglicherweise durch nur einen einzigen Umweltparameter (Stress der Domestikation) angestoßen werden. Wegen der oben geschilderten übergeordneten Verantwortung der Kontrollgene sowohl für das neuronale als auch für das endokrine System (Hormonsystem) sowie für das Verhalten der Tiere (hier: Zahmheit) konnte man daher davon ausgehen: Wenn auf Verhalten (Zahmheit) selektiert wird, tangiert man damit gleichzeitig auch die Entwicklung, unter anderem die des weiblichen Zyklus und der weiblichen Fruchtbarkeit (Abb.10).
Mit Fortschreiten des Projekts konnten nun Veränderungen in den neurochemischen und neurohormonellen Mechanismen aufgedeckt werden, die für die genannten drei Bereiche eine wesentliche Rolle spielen und die überdies gleichzeitig auf den exogenen Faktor "Stress bei Domestikation" ansprechen, und zwar hauptsächlich der Adrenalin- und Serotonin-Spiegel. Bei beiden stellte man im Projektverlauf erhebliche Veränderungen fest. Diese Reaktionen in den Spiegeln von Hormonen sind es, die zu den Entwicklungsänderungen in Belyaevs Versuch geführt haben. (Entwicklung bezieht sich in diesem Fall auf Vorgänge in der Geschlechtsreifung, nicht primär auf die Embryonalentwicklung.) Besonders hat Trut darauf hingewiesen, dass der Fruchtbarkeitszyklus bei weiblichen Wildtieren genetisch "fest verdrahtet" ist und selbst in jahrzehntelangen Züchtungsversuchen in der Vergangenheit nicht im Sinne der Züchter abgeändert werden konnte[72]. Da solche Veränderungen aber im Versuch Belyaev´s gelangen, und zwar auf dem Weg ausschließlich über eine gezielte

Verhaltensselektion, und da es sogar zu einer Reihe koordinierter Veränderungen im weiblichen Zyklus kam (früherer Eintritt der Fruchtbarkeit, längerer Fruchtbarkeitszyklus, häufigere Zyklen, mehr Nachkommen pro Wurf) und sich letztlich der Erfolg bereits in weniger als 40 Generationen einstellte[73], ist die Erklärung plausibel, dass die gezielte Selektion von Verhaltensformen zu Veränderungen von Entwicklungsschritten führen und dass genetische Mutation und Selektion allein die gezeigten Ergebnisse nicht hervorrufen können.
Belyaev konnte auf diesem Weg somit 1978 auf einem Kongress in Moskau erklären, dass Variation des Fells, der Schwanzform, der Körperlänge oder der Fruchtbarkeit der Weibchen, wonach jeweils nicht selektiert wurde, eher auf epigenetische als auf genetische Ursachen beruhen und dass sie auf vorhandene, aber zuvor maskierte Entwicklungspfade der Tiere zurückzuführen sind. Diese kamen erst durch den Stressfaktor zum Vorschein (Demaskierung), dem die Tiere bei der Domestizierung ausgesetzt waren. Der anhaltende Stressfaktor durch die Domestikation wurde als der Umweltfaktor gesehen (s.auch: Präadaption), der die Veränderungen ausgelöst hat[74]
Nischenkonstruktion bei der Entwicklung des Auges der Maus
Evo-Devo als komplexes System wird auch mit der Theorie der Nischenkonstruktion in Verbindung gebracht. Während diese Theorie ursprünglich die Wechselwirkungen von Evolution und Umwelt anspricht, werden in diesem Fall, hier von Gilbert/Epel, die Umgebungsbedingungen im Embryo selbst als Umwelt für die Entwicklung spezifischer Merkmale, zum Beispiel des Auges, betrachtet. Danach vollziehen sich im Embryo Entwicklungsschritte einzelner Teile nicht selbständig und losgelöst von ihrem weiteren embryonalen Umfeld sondern in enger reziproker Abstimmung miteinander. Komponenten des Auges der Maus kommen so während ihrer Entwicklung in Kontakt mit Nerven aus dem angrenzenden sich parallel entwickelnden Vorhirn. Die Entwicklung der einen Komponente induziert dann die Entwicklung der anderen und das auch reziprok.[75] Die Möglichkeit der Umwelteinwirkung auf die Entwicklung kann auch hier Auslöser sein für evolutionäre Veränderungen bei der Evolution vieler unterschiedlicher Augentypen.
Nischenkonstruktion hilft somit bei der Erklärung der evolutionären Entstehung komplexer Organe, ein Problem, das schon Darwin in der Entstehung der Arten sehr als schwierig genannt hat, da er erkannte, dass die Elemente des Auges aufeinander "abgestimmt" entstanden sein müssen.[76]

Skelettumbauten bei der Entstehung des Schildkrötenpanzers
Osteoderm, Abschn. 3.4 Ursprung des Schildkrötenpanzers
Es gibt zwei Theorien zur Entstehung des Schildkrötenpanzers. Entweder sind die plattigen Knochen, die den Panzer aufbauen, im Verlauf der Embryonalentwicklung aus Auswüchsen der Rippen und Wirbel hervorgehen oder der Schildkrötenpanzer ist aus dem Zusammenwachsen vieler einzelner Hautknochenplatten (Osteoderme)und schließlich aus dem Verwachsen des Osteodermschilds mit dem darunter liegenden Innenskelett hervorgegangen. Die Theorie muss jedoch unabhängig von dem materiellen Aspekt des Wachstums des Knochenpanzers auch erklären können, wie es zu den morphologischen Umbauten kommen konnte, die dazu geführt haben, dass das Schulterblatt (Scapula) mit den zugehörigen Muskeln bei allen Schildkröten innerhalb und nicht außerhalb des Panzers bzw. außerhalb der Rippenbögen liegt (Abb.11). Die Japaner Hiroshi Nagashima und Saeko Okada haben 2009 eine Evo-Devo-Erklärungsstudie publiziert, die helfen soll, die entsprechenden Umbauten in der Entwicklung zu erklären[77]. Dabei vergleichen die Autoren aufeinanderfolgende Entwicklungsschritte im Embryo von Maus, Hühnchen und Schildkröte und stellen fotografisch dar, wie erst in einer späten Embryonalphase bei der Schildkröte die abweichenden Schritte ablaufen, so dass Schulterblatt mit zugehörigen Muskeln im wachsenden Embryo unter die Rippen wandern. Eine Erklärung dafür, wie es zu der exakten und stimmigen Koordination der Entwicklung aller Komponenten kommen kann, liefert ein Team um Scott F. Gilbert 2005. Orte und Zeitpunkte, bei denen Wachstumsproteine, Signalgeberproteine bzw. Inhibitorproteine aktiv sind, werden beschrieben, Feedbackprozesse zwischen den Komponenten dargestellt[78].
Evo-Devo liefert auch eine Erklärung für den Wegfall der Beine beim evolutionären Übergang von Echsen zu Schlangen. Nach Paul Layer war hierfür die Expressionshemmung von nur 2 Hox-Genen (c6 und c8) erforderlich, wie empirisch nachgewiesen wurde.[79]
Konsequenzen für die Evolutionstheorie
Evo-Devo erklärt die Evolution organismischer Form mit früher nicht bekannten kausal-mechanistischen Änderungen des Gesamtsystems Entwicklung (bestehend aus den teilautonomen Subsystemen Genotyp, Zellen, Zellverbänden, Organismus) und hauptsächlich (aber nicht nur) der Mitwirkung von Umwelteinflüssen. Demgegenüber ist klassische darwinistische Evolutionstheorie eher statistisch-deskriptiv, da sie kausale, dem Organismus inhärente Ursachen für die Entstehung der Variation nicht beisteuert. Vielmehr überlässt sie das evolutionäre Geschehen der zufälligen Mutation und – aus Sicht des Organismus – der externalistischen, natürlichen Selektion.
Die Bedeutung des Zufalls zur Erzeugung von morphologischer Variation wird von der evolutionären Entwicklungsbiologie als überbewertet betrachtet. Anstelle des Zufalls treten erklärbare, vorhersehbare, regelhafte Gesetzmäßigkeiten der Entwicklungsprozesse. Das ist der wesentliche Unterschied von Evo-Devo zur Synthetischen Evolutionstheorie. Die Selektion leistet nach wie vor ihren Beitrag (survival of the fittest). Ihr Erklärungswert für die Entstehung organismischer Form und Komplexität wird aber hinterfragt und dem Erklärungswert von Konstruktion gegenübergestellt. Selektion wird dabei mehr zu einer Rahmenbedingung. Sie kann nur noch „digital entscheiden“ über das, was die Entwicklung konstruiert und ihr vorgibt.
Das von einigen Autoren als genzentristisch bezeichnete und das besonders durch Richard Dawkins forcierte, reduktionistische Denken wird durch Evo-Devo relativiert. [80] Für Forscher wie Gilbert, Kirschner/Gerhart, Müller, Pigliucci, Waddington, West-Eberhard und andere sind Gene nicht der alleinige und auch nicht der Hauptadressat der natürlichen Selektion. Es gibt auch keine eindeutig deterministische Beziehung zwischen Genotyp und Phänotyp. Gene können für den genannten Wissenschaftskreis entgegen einer fast hundertjährigen Sichtweise der darwinistischen Theorie nicht allein für die Erzeugung der Körperstrukturen verantwortlich sein. Die epigenetischen Entwicklungsprozesse sind im Zusammenhang mit der Evolution organismischer Form unabdingbar zur Erzeugung des Phänotyps sowie zur Erzeugung morphologischer Variation und Innovation.
Die Evolutionstheorie befindet sich heute in der post-genozentrischen Ära (Müller-Wille, Staffan/Rheinberger),[81]) [82] in der sie die komplexen, rekursiven, epigenetischen Zusammenhänge aufgreift und in einen kongruenten Theorierahmen einbinden muss. Dies ist in einem fächerübergreifenden Ansatz angegangen worden durch die Altenberg16-Gruppe mit ihrem 2010 publizierten Konzept der Extended Evolutionary Synthesis.[83]
Die Synthetische Evolutionstheorie wird zusammenfassend durch die neuen Konzepte in der Frage der Entstehung organismischer, komplexer Form in folgenden Punkten ergänzt:
- Gradualismus ist nicht alleiniges oder vorherrschendes Prinzip für evolutionäre Änderung.
- Umwelteinflüsse haben signifikanten Einfluss auf die Entwicklung und somit auf die Evolution.
- Das genetisch/epigenetische Entwicklungssystem ist fähig zu Selbstorganisation.
- Das Genom wird erst in Folge phänotypischer Variation assimiliert.
- Das Genom steht nicht mehr allein im Mittelpunkt als Informationslieferant für den Bauplan und die Vererbung.
- Selektion wird eher zu einer Rahmenbedingung mit dem Potenzial, Konstruktion zu bestätigen oder zu verwerfen.
Siehe auch
- Erleichterte Variation
- Evolutionsfaktor
- Synthetische Evolutionstheorie
- Kanalisierung (Entwicklung)
- genetische Assimilation
- Altenberg-16
Literatur
Konzeptionelle Grundlagen
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- Layer, Paul G. EvoDevo: Die molokulare Entwicklungsbiologie als Schlüssel zum Verständnis der Evolutionstheorie
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Weiterführende Literatur und Internetartikel
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- Nihjout, Frederic (2006), Researchers evolve a komplex genetic trait in the labratory
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- Tomancak, Pavel et al. (2007) (Max-Planck-Ges.) Patterns of gene expression in animal development
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Einzelnachweise
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- ↑ a b Gilbert, Scott F. (2003): The morphogenesis of evolutionary development biology S. 470. Gilbert nennt Gregory Bateson, den Sohn von William Bateson an dieser Stelle, meint aber offensichtlich letzteren. Referenzfehler: Ungültiges
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-Tag. Der Name „GIL-2003-F“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert. - ↑ Gilbert, Scott F. (2003): The morphogenesis of evolutionary development biology S. 471
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- ↑ Müller, Gerd B. u. Newman, Stuart A. (2005) S.493
- ↑ a b c Müller, Gerd B. u. Newman, Stuart A. (2005) S.494 Referenzfehler: Ungültiges
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-Tag. Der Name „MN-2005-91“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert. - ↑ West-Eberhard, M.J. (2003): Development Plastizity and Evolution. Oxford University Press S. 157
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- ↑ Komplex meint hier im Sinn der Komplexitätsforschung: interdependent (Genom - Entwicklung - Evolution - Umwelt), multikausal, nicht-linear, offen usw (Systemtheorie)
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- ↑ Kirschner/Gerhart a.a.O. S. 3121 mit Bezug auf Studien von Clifford Tabin an Darwinfinken
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- ↑ a b Kirschner/Gerhart a.a.O. S. 319 Referenzfehler: Ungültiges
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-Tag. Der Name „KIGE-2005-29“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert. - ↑ Kirschner/Gerhart a.a.O. S. 319
- ↑ NZ Neue Zürcher Zeitung vom 12. Juli 2006 Die Darwinfinken – Evolution im Zeitraffer. P. u. R. Grant sehen Rückkreuzungen (Introgression) als eine adaptive Ursache für die Variation der Schnäbel S. 3
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- ↑ Trut, Lyudmila N. (1999) Early Canid Domestication: The Farm-Fox Experiment. American Scientist Vol. 87 S. 161
- ↑ Trut, Lyudmila N. (1999) Early Canid Domestication: The Farm-Fox Experiment. American Scientist Vol. 87 S. 165f.
- ↑ Trut, Lyudmila N. (1999) Early Canid Domestication: The Farm-Fox Experiment. American Scientist Vol. 87 S. 167
- ↑ Trut weist darauf hin, dass keine der Jungen überlebt haben, die in saisonalen Zyklen geboren wurden, die vom natürlichen Zyklus abwichen. Ein Grund dafür konnte nicht gefunden werden. Ferner war bis Zeitpunkt der Publikation ihres Artikels (1999) offen, warum es nicht gelang, dass Silberfüchse wie Hunde das ganze Jahr über fruchtbar werden a.a.O. S. 161
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- ↑ John Dupré (2009) Darwins Vermächtnis. Die Bedeutung der Evolution für die Gegenwart des Menschen, u. dort bes. Kap. "Der genozentrische Fehlschluss" S.89ff. Suhrkamp
- ↑ S.Müller-Wille& H-J. Rheinberger (2009) Das Gen im Zeitalter der Postgenomik. Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme. Suhrkamp
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