Rechtspopulismus
Der Begriff Rechtspopulismus bezeichnet eine politische Strömung in mehreren europäischen Staaten, die sich ab den 1980er Jahren in Westeuropa herausbildete und ab den 1990ern auch in den Staaten Osteuropas Fuß fasste. Die Vertreter dieser Strömung verbinden radikal rechte Positionen mit einem Bekenntnis zu Verfassung und Demokratie und wenden sich in populistischer Manier etwa gegen die Zuwanderung von Muslimen, die Integration der Nationalstaaten im Rahmen der Europäischen Union oder einen umfassenden Sozialstaat. Stattdessen fordern sie unter anderem eine leistungsorientierte Gesellschaftsordnung, eine Orientierung an der „Kultur des Christlichen Abendlandes“ und eine „Law-and-Order“-Politik.
Im Zentrum ihrer Forderungen stehen dabei die Mehrheitsgesellschaft, deren Interessen sie durch die etablierten Parteien nicht ausreichend vertreten sowie gegenüber Migranten oder ethnischen Minderheiten benachteiligt sehen. Damit richtet sich der Rechtspopulismus in seinem Selbstverständnis gegen gesellschaftliche Minderheiten und die politische Klasse, die er als korrupt, machtbesessen und zu wenig volksnah ansieht.
Anders als traditionelle rechte Parteien verzichtet er aber auf ein allzu völkisch geprägtes Weltbild; an Stelle des klassischen Rassismus tritt in rechtspopulistischen Programmatiken der Kulturalismus. Auch lehnt der Rechtspopulismus das demokratische System nicht rundweg ab, sondern wendet sich gegen einzelne Elemente wie den Pluralismus, den Minderheitenschutz oder die Religionsfreiheit. Rechtspopulistische Parteien und Organisationen handeln meist aus einer oppositionellen Rolle heraus und formulieren öffentlichkeitswirksame und plakative Maximalforderungen. Die Zielgruppe des Rechtspopulismus besteht aus jenen Menschen, die sich als Modernisierungsverlierer sehen und befürchten, durch gesellschaftliche und politische Veränderungen ihren sozialen Status zu verlieren. Dabei kann es sich sowohl um Angehörige der unteren Schichten als auch um sozial privilegierte Personen aus dem Bürgertum handeln.
Die Politikwissenschaft sieht im Rechtspopulismus eine Modernisierungsbewegung des Konservativismus und der extremen Rechten, die auf den gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Wandel in den modernen europäischen Staaten seit der 68er-Bewegung und dem Zusammenbruch des Ostblocks reagiert. Aus ihrer Sicht sprechen rechtspopulistische Parteien die Ängste der Bevölkerung vor Modernisierung und Umbrüchen an und beantworten sie mit klaren, einseitigen Parolen, die sich an ursprünglich neofaschistischen Positionen orientieren. Gleichzeitig ist der Begriff des Rechtspopulismus schwer zu definieren, weil sich seine Vertreter je nach Staat programmatisch oft stark unterscheiden und die Grenzen zum traditionellen extremen Spektrum und zum Konservativismus fließend sind.
Definition
Eine einheitliche Definition des Rechtspopulismus gestaltet sich schwierig. Zum einen steht er sowohl dem Konservativismus als auch der extremen Rechten, die aus der Tradition nationalsozialistischer und faschistischer Bewegungen nach 1945 neu entstand, inhaltlich oft nahe. Zudem handelt es sich um ein relativ junges Phänomen, das in einigen Ländern ab den 1980er Jahren, in anderen aber erst Ende der 1990er oder nur marginal auftrat. Im innereuropäischen Vergleich zeigen sich oft große Unterschiede zwischen den als rechtspopulistisch eingeschätzten Parteien, Personen und Organisationen. Die ist durch die nationale Orientierung des Rechtspopulismus, die unterschiedliche Geschichte der europäischen Staaten und die jeweiligen Ausformungen des politischen Systems und der Parteienlandschaft bedingt. Auch wird der Rechtspopulismus nicht allein von jungen „Protestparteien“ vertreten, auch die etablierten demokratischen Parteien und die extreme Rechte haben sich zahlreiche seiner Positionen und Haltungen angeeignet. Dennoch gibt es grundsätzliche Gemeinsamkeiten, die den Rechtspopulismus von anderen politischen Bewegungen abheben und sich in unterschiedlicher Ausformung bei all seinen Vertretern finden.
Gegen politisches Establishment und Obrigkeit
Der Ausdruck „Rechtspopulismus“ verbindet die politische Rechte mit dem Begriff des Populismus. Wie auch andere Populismen geht der Rechtspopulismus in erster Linie von einer natürlichen, homogenen Grundmenge in der Bevölkerung aus, die meist schlicht als „das Volk“ bezeichnet wird. Der Rechtspopulismus begreift sich als Anwalt dieses Volkes, unter dem er die Bevölkerungsmehrheit versteht. Diesem „Volk“ werden Tugenden und Werte zugeschrieben, etwa ein „Gesundes Volksempfinden“, Anständigkeit oder Ehrlichkeit, um ein Bild zu schaffen, mit dem sich die Bevölkerung identifizieren kann und will.[1] Dem wird ein Negativbild der politischen Klasse entgegengestellt, die als durchweg korrumpiert, volksfern und egoistisch dargestellt wird. Da der Rechtspopulismus von einer grundsätzlichen Gemeinsamkeit aller Menschen im Volk ausgeht, unterstellt er ihnen folgerichtig auch gemeinsame Interessen, die nicht in der politischen Willensbildung verhandelbar seien. Der Rechtspopulismus sieht sich als Anwalt des Volkes und seiner Interessen gegenüber der politischen Klasse. Er inszeniert sich als Kämpfer gegen die Politik, die Positionen und die Werte der etablierten politischen Institutionen und geht dazu bewusst Tabubrüche und Provokationen ein, um sich von diesen abzusetzen. Konflikte innerhalb des „Volkes“ oder konkurrierende Interessen führt er allein auf eine verfehlte Politik der herrschenden Parteien zurück, die es zu überwinden gelte, um die Einheit des Volkes wiederherzustellen.[2] Florian Hartleb beschreibt dies als „vertikalen“ Aspekt des Rechtspopulismus: „‚Wir‘ gegen ‚die-da-oben‘“.[3]
Dabei verhält sich der Rechtspopulismus durchaus ambivalent: Während er in einigen Bereichen der Politik, wie der Kriminalitätsbekämpfung, einen starken Staat fordert, lehnt er ihn in anderen Bereichen ab und fordert stattdessen Volksabstimmungen, weil er dem repräsentativen Charakter von Parlamenten misstraut und sie den Volkswillen verfälscht sieht. Um der selbstgewählten Distanz zum Parteiensystem Ausdruck zu verleihen, wählen rechtspopulistische Parteien meist Namen wie „Liga“, „Bürgerinitiative“ oder „Bund“.[4] Diese Haltung kann so weit gehen, dass rechtspopulistische Bewegungen die Organisationsform als Partei gänzlich ablehnen, was es ihnen aber in der Regel verwehrt, sich in der Parteienlandschaft zu etablieren. Zudem erleiden rechtspopulistische Parteien oft einen Glaubwürdigkeitsverlust, sobald sie in Regierungsverantwortung kommen, weil sie dann selbst die Rolle des Establishments einnehmen.[5]
Diese ablehnende Haltung gilt besonders gegenüber der Europäischen Union (EU) und ihren Institutionen, die sich nationaler Kontrolle entziehen. Der politische Apparat der EU gilt unter Rechtspopulisten als bürokratisch und bürgerfern, seine Vertreter als egoistische Selbstbereicherer. Der Euro und die EU-Osterweiterung stellen in den Augen der Rechtspopulisten eine Entmündigung der Bürger dar, weil sie nicht per Volksabstimmung beschlossen wurden und ihnen überwiegend Nachteile brächten. Lediglich als „Festung Europa“ und einem Zusammenschluss „verwandter“ Kulturen gegen „fremdartige“ Einwanderer sehen Rechtspopulisten einen Sinn in der Europäischen Union. Der Erfolg dieser Haltung bei den Wählern hat dazu geführt, dass auch die etablierten Parteien verstärkt die EU als Sündenbock für Fehlentwicklungen und beim Wähler ungeliebte Maßnahmen nutzen; der EU-Skeptizismus ist damit im Mainstream angekommen.[6]
Gegen Minderheiten
Zu dieser für alle Populismen charakteristischen Ablehnung des politischen Establishments kommt eine fremdenfeindliche, antipluralistische und antiegalitäre Komponente hinzu, indem soziale und ethnische Minderheiten abgelehnt werden: Deren Interessen stünden denen der Mehrheitsbevölkerung diametral gegenüber und seien mit diesen unvereinbar. Den etablierten Parteien wird unterstellt, diese Minderheiten zu protegieren und sich ihrem Einfluss zu beugen. Dieses Weltbild vermitteln Rechtspopulisten über monokausale, vereinfachende und einseitige Forderungen und Deutungen. So führen sie etwa Kriminalität unter Migranten nicht etwa auf deren soziale Benachteiligung zurück, sondern erklären sie zum immanenten Bestandteil der Kultur der Zuwanderer. Probleme werden nicht als Ergebnis von sozialen und politischen Strukturen, sondern als die Schuld bestimmter Gruppen gesehen und somit personalisiert. Dies stellt eine „horizontalen“ Abgrenzung des Volkes gegenüber diesen Gruppen dar.[3]
Der Rechtspopulismus warnt folglich vor den negativen Konsequenzen, die er durch Zuwanderung gegeben sieht: Überfremdung, Verlust der angestammten kulturellen Identität, vermehrte Kriminalität oder die Herrschaft eines religiösen Fundamentalismus seien unausweichlich Folgen, wenn eine größere Zahl „fremdartiger“ Menschen in ein Land einwandert. Rechtspopulisten skizzieren einen Konflikt zwischen Demokratie, Wohlstand und Sicherheit auf der einen und der Kultur der Zuwanderer auf der anderen Seite. Damit vermeiden sie eine klassisch rassistische Argumentation und vertreten stattdessen ein kulturalistisches Weltbild, in dem Kulturen als klar voneinander getrennt, homogen, miteinander unvereinbar und unveräußerlich gesehen werden.[1]
Diese Fremdenfeindlichkeit richtete sich zunächst gleichermaßen gegen Zuwanderer und asylsuchende Flüchtlinge im Allgemeinen, denen vorgeworfen wurde, die Sozialsysteme ausnutzen zu wollen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 rückten verstärkt muslimische Minderheiten in den Fokus von Rechtspopulisten, die diesen vorwarfen, einen fundamentalistischen Islam in den europäischen Staaten installieren und die restliche Gesellschaft über höhere Geburtenraten marginalisieren zu wollen. Sie warnen davor, islamischen Zuwanderern umfassende Rechte und Sozialleistungen anzubieten, da sie dies in ihrer negativen Haltung gegenüber der Gesellschaft unnötig belohnen und bestärken würden. Stattdessen versuchen sie, das kulturelle Feindbild zurückzudrängen: Symbole wie Kopftuch, Minarette oder Gebetsräume an Schulen als für jeden sichtbare Zeichen der islamischen Kultur stehen dabei im Mittelpunkt der Ablehnung.[7] Dieser islamfeindliche Kurs herrscht vor allem in den Staaten vor, in denen es nennenswerte muslimische Minderheiten gibt. Wo diese, wie in den Staaten des ehemaligen Ostblocks, fehlen, treten andere Bevölkerungsgruppen wie Roma, Homosexuelle oder Juden an ihre Stelle.
Aber auch entlang von Sprachgrenzen oder Wohlstandsgefällen zeigen sich diese fremdenfeindlichen Muster: In Belgien schüren Rechtspopulisten den Konflikt zwischen Flamen und Wallonen und verlangen jeweils Unabhängigkeit für die Sprachgruppen. In Italien setzt sich die Lega Nord für ein souveränes, finanzstarkes Norditalien ein und wirft den südlichen Provinzen vor, auf Kosten der Norditaliener zu leben.[8]
Die Integration solcher Minderheiten in die Gesellschaft sehen Rechtspopulisten als gescheitert beziehungsweise unmöglich an, die Ursache dafür liegt in ihren Augen allein bei den Minderheiten, die ihre Bringschuld – die Anpassung an die Mehrheitsbevölkerung – nicht erfüllt hätten. Ein friedliches Miteinander könne es nicht geben, weil es nicht im Interesse der Minderheiten läge. Die „fremden“ Minderheiten müssten also vom Staat in ihre Schranken gewiesen und notfalls der Gesellschaft beziehungsweise des Staates verwiesen werden.

Law-and-Order-Politik
In ähnlicher Manier machen sich Rechtspopulisten diffuse Ängste vor überbordender Kriminalität zunutze, die die öffentliche Sicherheit massiv gefährde und immer stärker zunehme. Als Reaktion fordern sie eine Law-and-Order-Politik, die aus Maßnahmen wie Videoüberwachung, Aufstockung von Sicherheitspersonal und mehr Befugnissen für die Polizei besteht. Diese Maßnahmen richten sich in erster Linie gegen die öffentlich wahrnehmbaren Symptome von Gewaltkriminalität und zielen auf Repression und Abschreckung ab (Nulltoleranzstrategie); die Ursachen werden entweder nicht angesprochen oder allein bei den angeblichen oder tatsächlichen Kriminellen gesucht. [9]
Vor allem Migranten und sozial benachteiligte Menschen wie Obdachlose oder Sozialhilfeempfänger verdächtigt der Rechtspopulismus, grundsätzlich zu Kriminalität zu neigen und sich der gesetzlichen Ordnung zu verweigern. Besonders harte Strafen verlangen sie zudem Taten wie Sexual- udn Tötungsdelikten, die in der Öffentlichkeit starke Emotionen auslösen.[10]
Globalisierungskritik und Neoliberalismus
Die rechtspopulistische Sicht auf Neoliberalismus und Globalisierung ist gemischt: Einerseits befürwortet der Rechtspopulismus den staatskritischen Charakter des Neoliberalismus und fordert etwa niedrigere Steuern, vor allem für die Mittelschicht. Er tritt für eine Privatisierung von Staatsbetrieben ein, da er der Macht der Regierung über wirtschaftliche Kernbereiche misstraut und setzt sich für die finanzielle Entlohnung von Leistung und vor allem ökonomisch starken Schichten ein; „Leistungsverweigerer“ sollen die Zuwendungen entzogen werden. Dem Wähler wird suggeriert, das existierende System trage die Schuld an seinem tatsächlichen oder befürchteten sozialen oder wirtschaftlichen Abstieg, weil es seine erbrachten Leistungen – Bildung, Arbeit oder Talente – nicht entlohne. Stattdessen finanziere der Staat den Missbrauch der Sozialsysteme und protektioniere gesellschaftliche Randgruppen und die herrschende Klasse.[11]
Gleichzeitig befürwortet er aber auch eine finanzielle Förderung von Familien und der nationalen Wirtschaft und plädiert für protektionistische Maßnahmen, um die heimischen Märkte gegen Importe aus Billiglohnländern zu schützen, umgekehrt aber die eigenen Exporte zu stärken. Damit spricht der Rechtspopulismus den Wohlstandschauvinismus der Bevölkerung an: Nur die Aspekte von Globalisieung und Neoliberalismus werden akzeptiert, die den eigenen Interessen dienen. Die Teilaspekte, die für die eigene Person oder Bevölkerung Nachteile mit sich bringen, werden hingegen verworfen.[12] Diese Haltung ist eine Folge des Drucks auf die Sozialsysteme durch Modernisierungsprozesse. Die dadurch aufgeworfene Frage nach einem zeitgemäßen Wohlfahrtsstaat und sozialer Gerechtigkeit beantwortet der Rechtspopulismus mit einer nationalistischen Sichtweise: Gefördert werden soll zuallererst die eigene Bevölkerung und die heimische Wirtschaft; gegen Wirtschaftsflüchtlinge, Billigimporte oder den Finanzausgleich innerhalb der EU wollen sie entschieden vorgehen.
Der Rechtspopulismus verzichtet auf eine konsistente Haltung zu Neoliberalismus und Globalisierung, einerseits weil sich seine Forderungen schlussendlich widersprechen, andererseits weil er ein breites Wählerklientel ansprechen möchte, das keine einheitlichen wirtschaftlichen Interessen besitzt.[11] Zwar lehnt er Interventionismus vordergründig ab, geht jedoch nie so weit, der heimischen Wirtschaft die Unterstützung zu versagen. Marktradikal treten Rechtspopulisten vor allem auf, wenn sie sich damit positiv von der etablierten Politik abgrenzen können. Wo Sozialabbau große Teile der Bevölkerung betreffen würde, positionieren sie sich dagegen. Die Unterschiede sind dabei innerhalb des Rechtspopulismus relativ groß. Das liegt zum einen an den verschiedenen nationalen Gegebenheiten, zum anderen an der ideologischen Positionierung. Vertreter des Rechtspopulismus, die dem Rechtsextremismus sehr nahe stehen, etwa der französische Front National, favorisieren eher protektionistische Modelle und orientieren sich stärker am Sozialstaat. Die Parteien, die sich bewusst vom Rechtsextremismus abgrenzen wollen, greifen oft stärker auf den Neoliberalismus zurück.[11]
Zielgruppe, Programmatik und Ideologie
Über diese Punkte hinaus lassen sich nur schwer Gemeinsamkeiten unter den rechtspopulistischen Parteien finden. Dies ist im Wesen des Rechtspopulismus begründet, der keine konsistente Ideologie darstellt, sondern sich vielmehr an den Deutungsangeboten existierender Ideologien wie Nationalismus, Neoliberalismus oder Sozialdemokratie. Da sich diese in der Regel widersprechen, verzichten rechtspopulistische Parteien darauf, eine detaillierte Programmatik auszuarbeiten oder ein umfassendes Wertekonzept zu verfolgen. Die Haltung zu Bereichen der Politik, die nicht von den zentralen Konzepten des Rechtspopulismus betroffen ist – etwa Umweltschutz oder Kulturpolitik – richtet sich meist nach der aktuellen Meinung der Bevölkerungsmehrheit oder ist indifferent. Politische Problemstellungen wie Integration oder Globalisierung werden in der Regel ohne ihren Kontext thematisiert. Im Zentrum rechtspopulistischer Programmatiken steht die Indentitätsstiftung durch Abgrenzung gegenüber Politik und sozialen Randgruppen, die jeweils für die Probleme verantwortlich gemacht oder gar als deren Ursache gesehen werden. Dadurch kann der Rechtspopulismus Wähler aus allen Gesellschaftsschichten – Bauern, Arbeitslose, Manager, Ärzte oder Selbstständige – ansprechen, an ihre Ängste vor Modernisierungsprozessen appellieren und so über den Wirkungskreis traditioneller konservativer oder extrem rechter Parteien hinaus wirken.[13] Dies zeigt sich deutlich am Beispiel der österreichischen FPÖ: Im Zuge ihrer „Modernisierung“ unter Jörg Haider konnte sie bis zu ihrer regierungsbeteiligung 2000 tendentiell immer mehr Wähler hinzugewinnen, die obendrein aus allen Schichten stammten. Von einer ursprünglich bürgerlichen Kleinpartei wandelte sie sich zu einer Partei, die in allen Schichten einen zweistelligen Prozentsatz von Wählern ansprechen konnte. Besonders erfolgreich war sie dabei bei Menschen, die in traditionellen identitätsstiftenden Institutionen nur schwach verankert waren: „Taufscheinkatholiken“, junge Menschen, Arbeiter ohne Gewerkschaftsmitgliedschaft oder Personen ohne höhere Bildung. Anton Pelinka schreibt dieser Zielgruppe eine hohe Angst vor gesellschaftlichem Abstieg und eine sehnsucht nach sozialer Stabilität zu.[14]
Da diese Identitätsstiftung jedoch die existierenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Interessensgegensätze innerhalb der Wählerschicht beheben, hat diese Strategie nur so lange Erfolg, wie Rechtspopulisten ihre Versprechen nicht einlösen müssen und ihre Forderungen nicht umsetzen können. Gelangen rechtspopulistische Parteien hingegen in die Regierungsverantwortung, haben sie nur zwei Möglichkeiten: Entweder, sie behalten ihren radikalen Kurs bei und müssen damit notwenigerweise Politik gegen eine ihrer ursprünglichen Zielgruppen betreiben, oder aber sie rücken von ihren Maximalforderungen ab und versuchen sich an einer vermittelnden Politik. Beides birgt die Gefahr der Enttäuschung bei den Wählern, letzteres wird obendrein durch das Fehlen einer umfassenden Programmatik bei rein rechtspopulitischen Parteien erschwert.[4] Viele Vertreter des Rechtspopulismus verlegen sich deshalb darauf, die Grenzen des politischen Diskurses zu verschieben und die etablierten Parteien unter Druck zu setzen. Diese reagieren auf die Wahlerfolge der Rechtspopulisten, indem sie sich selbst eine teilweise rechtspopulistische Programmatik und Rhetorik aneignen um die Rechtspopulisten zu verdrängen. Damit tragen sie jedoch zum Erfolg der Rechtspopulisten nur weiter bei, indem sie sie einerseits in ihren Zielen und ihrem Auftreten bestärken und sie andererseits in seiner „Außenseiterrolle“ bestätigen. Die rechtspopulistischen Parteien können folglich für sich reklamieren, die richtigen Konzepte zu besitzen. Gleichzeitig können sie darauf verweisen, dass diese Verdrängungsbestrebungen von einer grundlegenden Feindschaft der etablierten Parteien zum Volk und seinem Anwalt, dem Rechtspopulismus, rühren.[15]
Abgrenzung
Die Abgrenzung des Rechtspopulismus fällt schwer, weil es sich nicht um eine klassische Ideologie, sondern eher um eine Politikform handelt, die konservative und extrem rechte Konzepte mit einer Stretegie des Tabubruchs, der Ausgrenzung und des Opportunismus verbindet. Sie kann deshalb auch von originär konservativen, radikal rechten, sozialdemokratischen oder liberalen Politikern und Parteien vertreten werden, wenn auch nicht in Reinform. Oftmals werden rechtspopulistische Parteien mit den Etiketten „rechtskonservativ“, „rechtsextremistisch“ oder schlicht „konservativ“ versehen – sei es durch Dritte oder durch die eigenen Vertreter. Diese Bezeichnungen treffen oft nur teilweise zu; die seit den 1980ern neu entstandenen Parteien des Rechtsextremismus weisen trotz Berührungspunkten entscheidende Unterschiede zu jeden Parteien auf, die traditionell als konservativ oder rechtsextrem bezeichnet werden.
Konservativismus
Konservative Parteien sehen sich traditionell als Hüter des Staates und seiner Ordnung. Zwar existieren auf dem ersten Blick viele Gemeinsamkeiten, etwa in der Haltung zum Staat in Sicherheitsfragen, der grundsätzlichen Befürwortung der Marktwirtschaft, die tendenzielle Ablehnung der Emanzipation von Teilen der Gesellschaft oder der Bewahrung nationaler Eigenständigkeit. Der Grundlegende Unterschied besteht jedoch im konservativen Selbstverständnis: Während Rechtspopulisten gezielt eine Außenseiterposition einnehmen und gegen das politische Establishment opponieren, begreift sich der Konservativismus als Hüter der staatlichen Ordnung und Wahrer der politischen Institutionen. Der Konservativismus versteht sich als „Ausfluss der gesellschaftlichen Elite“ (Florian Hartleb), während der Rechtspopulismus sich in der Rolle des Volkstribuns sieht. Die repräsentativen Elemente der Demokratie wie Parlament oder Regierung werden vom Rechtspopulisten misstrauisch und kritisch beäugt, für Konservative sind diese fester und wichtiger Bestandteil des Systems, anders als etwa Volksentscheide. Zudem verfügen konservative Parteien in der Regel über einen umfassenden Wertekatalog und nehmen zu allen Fragen der Politik eine feste Haltung ein. Der Rechtspopulismus gebärdet sich hingegen unbeständiger und richtet sich in vielen Fällen nach der aktuellen Stimmungslage, auch wenn diese – etwa in Umweltfragen – nicht der konservativen Linie entspricht.[16]
Extreme und radikale Rechte
Zwischen den demokratiefeindlichen, radikal nationalistischen und rassistischen, meist als rechtsextrem bezeichneten Parteien und den Vertretern des Rechtpopulismus Europas besteht ein gewisses Naheverhältnis, ohne dass beide Strömungen miteinender gleich zu setzen wären. Dabei gibt es programmatische Ähnlichkeiten und oft auch Überschneidungen, weil viele rechtsextreme Parteien erfolgreich rechtspopulistische Muster adaptiert haben, ohne sich jedoch völlig von ihren Wurzeln loszusagen.
Weitreichende Einigkeit zwischen beiden Strömungen besteht etwa in der Frage der Immigration und Integration bestimmter ethnischer Gruppen in die Nationalstaaten, die von den Rechtspopulisten zumindest kritisch, von den Rechtsextremisten grundsätzlich ablehnend betrachtet wird. Während der Nationalsozialismus noch einigen Völkern beziehungsweise „Rassen“ das Existenzrecht gänzlich absprach, entwickelten die moderneren Bewegungen aus dem rechtsradikal-extremistischen Spektrum das Konzept des Ethnopluralismus, das zwar die Vielfalt von Kulturen und Ethnien grundsätzlich befürwortet, diesen jedoch einen festen Platz in ihren „angestammten“ Nationalstaaten zuweist. Auf dieses Konzept greifen auch Rechtspopulisten zurück, wenn sie etwa postulieren, dasss der Islam und die „christlich-jüdische abendländische Kultur“ miteinander unvereinbar seien. Auch im Bezug auf die etablierten Parteien herrscht bei beiden politischen Richtungen Ablehnung vor. Während aber der Rechtspopulismus die jeweiligen Vertreter des politischen Systems – Regierung, Medien oder Parlament – kritisiert, geht er gleichzeitig davon aus, dass eine funktionierende Demokratie und eine integere Amtsführung zumindest möglich sind und betont seine Verfassungstreue. Der Rechtsextremismus hingegen sieht das System selbst als verfehlt an und fordert – in unterschiedlicher Ausprägung – einen von einem autoritären Führer gelenkten Staat. Zudem existieren mit dem Faschismus und dem Nationalsozialismus verhältnismäßig kohärente Ideologien, auf die die rechtsextremen Parteien sehr stark zurückgreifen. Der Rechtspopulismus greift dagegen nur einzelne Elemente rechtsextremer Ideologien – Antipluralismus, Rassimus in Form von Kulturalismus oder Nationalismus – auf und versucht, sie mit einer grundsätzlichen Akzeptanz des demokratischen Systems zu vereinbaren. Viele Vertreter des Rechtspopulismus betonen ihre Distanz zum Rechtsextremismus, Antisemitismus und Nationalsozialismus; oft präsentieren sie sich ausdrücklich philosemitisch und betonen die Bedeutung von christlichen, liberalen und humanistischen Werten, ohne dass diese jedoch unbedingt Eingang in ihre Programmatik finden müssen.[17]
Gerade dieser Aspekt ruft oft starke Kritik der extremen Rechten an rechtspopulistischen Parteien hervor, denen sie vorwerfen, sich an das System anzubiedern oder „rechte Werte“ zu verraten. Gleichzeitig legen die Rechtspopulisten dadurch aber den Grundstein für ihre „Politikfähigkeit“, weil sie sich vom verpöhnten und nicht mehr mehrheitsfähigen Nationalsozialismus deutlich absetzen und einer pauschalen Ablehnung als demokratie- und staatsfeindlich entgehen. Durch das Naheverhältnis zum Rechtsextremismus stellt sich für viele rechtspopulistischen Parteien das Problem der Unterwanderung durch Rechtsextreme, weil sie diesen gewisse Anknüpfungspunkte bieten. In der Folge verlieren sie ihren Nimbus der Verfassungstreue und geraten in die Gefahr, sich ins Abseits zu manövrieren.[18]
Quellen und Verweise
Literatur
- Hans-Georg Betz: Radical Right-Wing Populism in Western Europe. Palgrave Macmillan, 1994. ISBN 0312083904.
- Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges: Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut: Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Verlag Barbara Budrich, 2008. ISBN 3866490712.
- Frank Decker: Von Schill zu Möllemann. Keine Chance für Rechtspopulisten in der Bundesrepublik? In: Außerschulische Bildung 34, 2003. (Online als PDF)
- Frank Decker: Populismus: Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv? Springer, 2006. ISBN 3531145371.
- Oliver Geden: Diskursstrategien im Rechtspopulismus: Freiheitliche Partei Österreichs und Schweizerische Volkspartei zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung. Springer, 2006. ISBN 3531151274.
- Florian Hartleb: Rechts- und Linkspopulismus: Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS. VS Verlag, 2004. ISBN 353114281X.
- Anton Pelinka: Die FPÖ im internationalen Vergleich. Zwischen Rechtspopulismus, Deutschnationalismus und Österreich-Patriotismus. In: conflict & communication online 1 (1), www.cco.regener-online.de 2002. ISSN 1618-0747. (Online als PDF)
- Gerd Reuter: Rechtspopulismus in Belgien und den Niederlanden: Unterschiede im niederländischsprachigen Raum. VS Verlag, 2009. ISBN 3531171348.
- Roland Sturm: Rechtspopulismus. In: Dieter Nohlen, Hans-Olaf Schulze (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft. Band 2, N–Z. C. H. Beck, München 2005. ISBN 3-406-54117-8, S. 830–832.
Weblinks
- Frank Decker, Marcel Lewandowsky: Populismus. Erscheinungsformen, Entstehungshintergründe und Folgen eines politischen Phänomens. Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de, 3. Juni 2009.
Einzelnachweise
- ↑ a b Frank Decker, Marcel Lewandowsky: Populismus. Erscheinungsformen, Entstehungshintergründe und Folgen eines politischen Phänomens. Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de, 3. Juni 2009. Abgerufen am 7. September 2010.
- ↑ Oliver Geden: Diskursstrategien im Rechtspopulismus: Freiheitliche Partei Österreichs und Schweizerische Volkspartei zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung. Springer, 2006. ISBN 3531151274, S. 19–22.
- ↑ a b Florian Hartleb: Rechts- und Linkspopulismus: Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS. VS Verlag, 2004. ISBN 353114281X, S. 142.
- ↑ a b Geden 2006, S. 22. Referenzfehler: Ungültiges
<ref>
-Tag. Der Name „geden22“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert. - ↑ Hartleb 2004, S. 74–76.
- ↑ Hartleb 2004, S. 131.
- ↑ Hartleb 2004, S. 122.
- ↑ Hartleb 2004, S. 119.
- ↑ Hartleb 2004, S. 143.
- ↑ Hartleb 2004, S. 125–127.
- ↑ a b c Hartleb 2004, S. 140–141.
- ↑ Hartleb 2004, S. 138.
- ↑ Geden 2006, S. 21.
- ↑ Anton Pelinka: Die FPÖ im internationalen Vergleich. Zwischen Rechtspopulismus, Deutschnationalismus und Österreich-Patriotismus. In: conflict & communication online 1 (1), www.cco.regener-online.de 2002. ISSN 1618-0747, S. 9–10.
- ↑ Geden 2006, S. 36–37.
- ↑ Harteb 2004, S. 109–110.
- ↑ Hartleb 2004, S. 111–116.
- ↑ Frank Decker: Von Schill zu Möllemann. Keine Chance für Rechtspopulisten in der Bundesrepublik? In: Außerschulische Bildung 34, 2003.