Fritz Julius Kuhn

Fritz Julius Kuhn (* 15. Mai 1896 in München; † 14. Dezember 1951 ebenda) war der Leiter des Amerikadeutschen Bundes vor dem Zweiten Weltkrieg. Der deutschstämmige Kuhn war ein eingebürgerter US-Amerikaner und überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus, dessen Ideen er in den Vereinigten Staaten zu popularisieren suchte. Durch Stil und Inhalt seiner Politik geriet er bald in Gegensatz sowohl zur breiten amerikanischen Öffentlichkeit als auch zur nationalsozialistischen USA-Politik. Seit 1939 wegen Fälschung und Veruntreuung inhaftiert, wurde er 1943 als „feindlicher Ausländer“ interniert und Ende 1945 nach Deutschland deportiert.
Leben und Wirken
Leben in Deutschland und Emigration
Kuhn wurde als Sohn von Georg Kuhn und Julia Justnya Beuth geboren. Während des Ersten Weltkrieges erhielt er das Eiserne Kreuz als Leutnant einer Maschinengewehrabteilung. 1919 wurde er Mitglied des Freikorps Ritter von Epp. 1921 trat er in die NSDAP ein.[1][2] Danach erwarb er an der Technischen Hochschule München ein Diplom als Chemiker. Später behauptete Kuhn, er habe 1923 am Hitlerputsch teilgenommen.[3] Das lässt sich allerdings durch Quellen nicht erhärten. Sein Bruder Max war laut Kuhn während des Dritten Reichs Richter am Reichsgericht.[4][5] Auch dies lässt sich nicht belegen.
Kuhn eigener Darstellung nach heiratete er im März 1923 in München seine Frau Elsa.[6] Einer anderen Darstellung nach fand die Eheschließung erst später in Mexiko statt, wohin er 1923 emigrierte.[7] Im Mai 1927 siedelte das Ehepaar mit der in Mexiko geborenen Tochter Waltraut in die Vereinigten Staaten über, wo Sohn Walter geboren wurde. Nach kurzem Aufenthalt in New York ließen sich die Kuhns in Detroit nieder. Kuhn beantragte bald die amerikanische Staatsbürgerschaft, die er 1934 schließlich erhielt.[1][7] Bis zum Anfang 1937 arbeitete Kuhn bei der Ford Motor Company des als antisemitisch bekannten Industriellen Henry Ford.[8]
Als Führer des Amerikadeutschen Bundes


Nach der Machtergreifung Hitlers erneuerte Kuhn 1933 seine ruhende deutsche NSDAP-Parteimitgliedschaft[1] und wurde in Detroit Mitglied der 1933 gegründeten Friends of New Germany (FONG), einer nationalsozialisten Organisation von Deutschamerikanern, bei der er „Ortsgruppenleiter“ von Detroit wurde.[9] Aufgrund negativer öffentlicher Reaktionen in Amerika verlor die Organisation aber Ende 1935 die Unterstützung der deutschen Mutterpartei NSDAP. Als Reaktion darauf und auf die im März 1934 begonnenen Untersuchungen des Komitee für unamerikanische Umtriebe benannte sich die FONG 1936 auf Kuhns Vorschlag hin in Amerikadeutscher Bund um. Im März 1936 wurde auf einer Versammlung in Buffalo (NY) Kuhn zum „Bundesleiter“ der Organisation gewählt.[10][11]
Kuhn wollte die Organisation, deren Mitglieder bislang überwiegend neu eingewanderte Deutsche waren und die bisher von einer Gruppe mit reichsdeutschen Pässen geführt wurde, zu einer großen politischen Bewegung von Amerikanern deutscher Abstammung ausbauen.[1] Im Oktober 1936 erklärte er programmatisch: „Wir gehören zur großen Gemeinschaft aller Deutschen in dieser Welt. Andere Staatsbürgerschaftspapiere lassen uns nicht unseren deutschen Charakter verlieren. Wir bleiben was wir sind, nämlich Deutsche in Amerika, Amerikanische Deutsche, weil wir nicht Amerikaner geworden sind.“[12]
Unter seiner Führung wurde ein eigener „Ordnungs-Dienst“ (OD) und eine an der Hitlerjugend angelehnte Jugendorganisation (“Youth Division”) geschaffen. Trainiert wurden die Mitglieder in mehreren von Kuhn geleiteten Schulungslagern, von denen die größten „Camp Siegfried“ auf Long Island und „Camp Nordland“ in Andover (NJ) waren.[13] Im Januar 1937 gab Kuhn seine Arbeit als Chemiker auf und wurde hauptamtlicher und besoldeter „Führer“ des „Bundes“.[8]
Auch programmatisch lehnte sich Kuhn an das deutsche Vorbild an. 1936 erklärte er die Schaffung einer „Abwehrfront gegen die marxistische, kommunistische und jüdische Ueberhebung“ zur wichtigsten Aufgabe des Bundes.[9] Öffentlich bekannt wurde Kuhn vor allem durch seine antisemitischen Angriffe. Anfang 1938 erklärte er, in den Vereinigten Staaten müssten die Juden von allen hohen Posten in Regierung, Finanzwelt und Erziehungsbereich entfernt werden.[14]
Verhältnis zum Dritten Reich
Bereits 1935 hatten sich die NSDAP/AO und das SS-Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle von Kuhn und seiner Gruppe distanziert.[15] Davon unbeirrt reiste 1936 eine Delegation des „Bunds“ unter Leitung von Kuhn zu den Olympischen Spielen nach Berlin, wo Kuhn von Adolf Hitler empfangen wurde. Das dabei aufgenommene Foto wurde von Kuhn umgehend in Amerika verbreitet, was allgemein als Beweis von Hitlers Unterstützung gewertet wurde. In„grenzenlosem Selbstvertrauen“ glaubte Kuhn, Hitler werde ihn zum NS-Führer ganz Amerikas ernennen. Doch der Eindruck trog. Die deutschen Nationalsozialisten und insbesondere das Auswärtige Amt (AA) misstrauten der US-Organisation und ihrem Führer, die zur außenpolitischen Belastung geworden waren, da sie das deutsch-amerikanische Verhältnis spürbar störten. Später erklärte Hitler, es sei ein Fehler gewesen, sich mit Kuhn fotografieren zu lassen. Das „sei bedauerlich, aber kaum seine Schuld, da es während der Olympiade war, auf der man mit allerhand Leuten fotografiert worden sei.“[1][16]
Kuhn reiste im Februar 1938 erneut nach Europa, wo er sich angeblich mit Joseph Goebbels, Hermann Göring sowie dem belgischen Nazi Léon Degrelle traf. Goebbels und Göring hätten ihn herzlich empfangen und ihm sorgfältig ausgearbeitete Instruktionen für weitere „Bund“-Aktivitäten mitgegeben.[17][18] Der deutsche Botschafter in den USA Hans-Heinrich Dieckhoff bezweifelte die Darstellung Kuhns, denn ihm lag eine Direktive aus Berlin vor, die dem „Bund“ ab sofort den Gebrauch nationalsozialistischer Embleme untersagte und deutschen Staatsbürgern die Mitgliedschaft in der Organisation verbot.[11]
Kuhns Bild in der Öffentlichkeit


Der amerikanischen Öffentlichkeit und seinen Parteimitgliedern gegenüber stilisierte Kuhn sich als „das amerikanische Pendant zum Führer“.[9] Kuhn war groß und kräftig gebaut. In der Öffentlichkeit vermied er es so oft wie möglich, seine dioprienstarke Brille zu tragen. Er sprach Englisch mit starkem Akzent, hielt sich aber für einen dynamischer Redner.[19] Da er bewusst den Stil Hitlers zu imitieren versuchte, wirkt er auf viele mehr als Clown denn als Führer, so der Historiker Sander A. Diamond.[1]
Kuhn, der gern in Uniform in der Öffentlichkeit auftrat, war so berüchtigt, dass er in mehreren Groschenheften als „Bösewicht“ verwendet wurde[20] und nach ihm in Rätselrubriken gefragt wurde.[21] Die Boulevardpresse verfolgte jahrelang sein provokantes Auftreten, seine Skandale und Alkoholexzesse.[20] So berichteten Zeitungen 1938 landesweit über das Gerücht, der verheiratete Kuhn wolle eine seiner Geliebten heiraten, über Pöbeleien Kuhns nach einem Verkehrsunfall und darüber, dass er sich im Sommer 1939 in einem Verfahren „in den Anklagepunkten Trunkenheit und Obzönität schuldig“ bekennen musste. „Sie sind furchtbar hinter mir her“, schrieb Kuhn an eine seiner Geliebten, „ich bin Staatsfeind Nr. 1.“[22]
Strafverfolgung und Ausbürgerung

1939 enthüllte eine vom New Yorker Bürgermeister Fiorello LaGuardia angeregte Untersuchung, dass Kuhn über 14.000 Dollar Einnahmen aus der letzten großen Versammlung im Madison Square Garden veruntreut hatte, mit denen er unter anderem seine Geliebte ausgehalten hatte. Die Anhänger des Amerikadeutschen Bundes hielten Kuhn trotzdem die Treue. Am 6. Dezember 1939 wurde er zu 2,5 bis 5 Jahren verurteilt und tags darauf nach Sing Sing eingeliefert. Im Juni 1941 wurde seine Berufung mit der Begründung, dass er ein öffentliches Sicherheitsrisiko sei, abgelehnt.[23] Er wurde danach von der Regierung in einem Lager in Texas interniert.
Nachkriegsdeutschland

Kuhns Familie war bereits 1938 nach Deutschland gereist. Elsa Kuhn kehrte aber mit Sohn Walter nach Amerika zurück, um ihren Mann zu unterstützen. Sie wurden im Februar 1943 ebenfalls als „feindliche Ausländer“ interniert[24] und im Februar 1944 in einem Austauschverfahren mit Deutschland repatriiert. Im April 1945 wurden seine Frau Elsa und Tochter Waltraut in der Nähe von Nürnberg von amerikanischen Truppen kurzzeitig gefangen genommen und befragt, im Juli wurde sein Sohn Walter von einer französischen Einheit gestellt.[25]
Kuhn wurde am 17. September 1945 „zusammen mit 500 weiteren unbelehrbaren Deutschen“ über Ellis Island nach Deutschland deportiert[26] und in einem Camp bei Augsburg interniert, aus dem er am 25. April 1946 nach München zu seiner Familie entlassen wurde. Im Frühjahr 1947 erneut verhaftet, floh er im Februar 1948 aus dem Internierungslager Dachau, indem er sich unter Besucher mischte. In einem Spruchkammerverfahren wurde er im April 1948 in Abwesenheit zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Am 16. Juni 1948 wurde er in der Französischen Besatzungszone beim Versuch, ein chemisches Labor anzumelden, von der deutschen Polizei verhaftet.[27]
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f Sander A. Diamond: Zur Typologie der amerika-deutschen NS-Bewegung. In: VfZ 23 (1975), S. 271-296 (PDF).
- ↑ Klaus Kipphan: Deutsche Propaganda in den Vereinigten Staaten, 1933-1941. Heidelberg 1971, S. 63.
- ↑ 22.000 Nazis Hold Rally In Garden. In: New York Times v. 21. Februar 1939.
- ↑ Murphy Spoke Before Bund In Kuhn Says. In: Evening Independent v. 17. August 1939, S. 1f.; Fist Fight Avertet Narrowly. In: San Jose News v. 12. August 1939, S. 1f.
- ↑ Bund Leader Kuhn Testifies Brother Is High Berlin Judge. In: Christian Science Monitor v. 16. August 1939.
- ↑ Kuhn Pays $5 Fine On Plea Of Guilty. In: New York Times v. 21. Juli 1939.
- ↑ a b Cornelia Wilhelm: Bewegung oder Verein? Nationalsozialistische Volkspolitik in den USA. Stuttgart 1998, S. 292.
- ↑ a b Joseph F. Dinneen: Kuhn - America's Would-be Hitler. In: Canadian Jewish Chronicle v. 20. Aug. 1937, S. 16.
- ↑ a b c Cornelia Wilhelm: Bewegung oder Verein? Nationalsozialistische Volkspolitik in den USA. Stuttgart 1998, S. 158-168.
- ↑ Nazi Group Here Changes Its Name. In: New York Times v. 1. April 1936.
- ↑ a b Francis MacDonnell: Insidious Foes. The Axis Fifth Column and the American Home Front. Princeton (NJ) 1995, S. 43-45.
- ↑ Fritz Kuhn: Was sind wir? In: Deutscher Weckruf und Beobachter v. 7. Oktober 1936.
- ↑ Leland V. Bell: In Hitler's Shadow. The Anatomy of American Nazism. Port Washington (NY) 1973, S. 19-27; Fotos der „Nordland“-Eröffnung in der Pittsburgh Press v. 29. Juli 1937.
- ↑ Bund Chief Scores Jews. In: New York Times v. 8. Februar 1938.
- ↑ vgl. LaVern J. Rippley: The German-Americans. Boston 1976, S. 196-213.
- ↑ Foto mit Hitler und Bild der New Yorker Veranstaltung 1939 in Life Magazine v. 6. November 1939, S. 22.
- ↑ Alton Frye: Nazi Germany and the American Hemisphere. 1933-1941. New Haven, London 1967, S. 88.
- ↑ Kuhn Group Defies Reich Ambassador. In: New York Times v. 2. März 1938; deutsche Übersetzung von Benutzer:Tvwatch.
- ↑ zu sehen und hören in den The March of Time-Outtakes Story RG-60.0699, Tape 316; Steven Spielberg Film and Video Archive at USHMM, courtesy of NARA, File Num 1094 (Rede v. 5. Januar 1938).
- ↑ a b Lois H. Gresh,Robert Weinberg: Die Wissenschaft bei Indiana Jones. Weinheim 2008, S. 175-177.
- ↑ Scott's Scrapbook. In: Lewiston Evening Journal v. 5. Mai 1938.
- ↑ Trouble. In: Time Magazine v. 4. Dezember 1939; deutsche Übersetzung von Benutzer:Tvwatch; To Wed `Fuehrer´. In: Reading Eagle v. 22. Juli 1937; Husband No. 3 Wills $100.000 To Beauty. In: Pittsburgh Press v.12. Januar 1938; Fritz Kuhn Arrested. Bund Leader Called Disorderly After Traffic Violation. In: New York Times v. 28. Oktober 1938; No Limelight, please!. In: The Evening Independent v. 7. August 1939.
- ↑ New York Times, 9. Juni 1941
- ↑ Mrs. Kuhn And Son Seized By The FBI. In: New York Times v. 13. Februar 1943.
- ↑ Yanks Arrest Wife Of Fritz Kuhn. In: Evening Independent v. 16. April 1945; Son of Bundist Fritz Kuhn Seized by French Troops. In: Chicago Tribune v. 3. Juli 1945.
- ↑ Kuhn Departs Today, On Way To Germany. In: New York Times v. 15. September 1945.
- ↑ Fritz Kuhn Mysteriously Escapes From Dachau as He Awaits Trial. In: New York Times v. 5. Februar 1948; Fritz Kuhn Recaptured. Faces 10-Year Sentence. In: Los Angeles Times v. 18. Juni 1948; Fritz Kuhn, Bund Leader, Recaptured. In: Ellensburg Daily Record v. 17. Juni 1948.
Personendaten | |
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NAME | Kuhn, Fritz Julius |
KURZBESCHREIBUNG | Leiter des Amerikadeutschen Bundes |
GEBURTSDATUM | 15. Mai 1896 |
GEBURTSORT | München |
STERBEDATUM | 14. Dezember 1951 |
STERBEORT | München |