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Lech Kaczyński

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Lech Kaczyński (2006)

Lech Aleksander Kaczyński (Aussprache/?) [lɛx alɛˈksandɛr kaˈt͡ʃɨɲski] (* 18. Juni 1949 in Żoliborz, Warschau; † 10. April 2010 in Smolensk, Russland) war ein polnischer Politiker und Mitbegründer der nationalkonservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS, dt. Recht und Gerechtigkeit). Kaczyński war vom 23. Dezember 2005 bis zu seinem Tod der vierte Präsident der Dritten Polnischen Republik. Sein Zwillingsbruder Jarosław Kaczyński war von 2006 bis 2007 Ministerpräsident des Landes.

Leben

Lech Kaczyński wurde als Sohn von Rajmund Kaczyński und Jadwiga Jasiewicz geboren, die beide im Warschauer Aufstand von 1944 in den Reihen der polnischen Heimatarmee gegen die Wehrmacht gekämpft hatten. Zwei seiner Urgroßväter waren hohe Offiziere in der Zarenarmee gewesen. Kaczyński schloss 1972 das Jurastudium an der Universität Warschau ab, 1979 wurde er an der Universität Danzig promoviert und 1996 habilitiert. 1996 bis 1999 arbeitete er als Universitätsprofessor in Danzig, ab 1999 in Warschau. Lech Kaczyński war verheiratet mit Maria Kaczyńska Mackiewicz. Sie hatten eine gemeinsame Tochter, Marta (geboren 1980). Am 10. April 2010 starben er und seine Frau bei einem Flugzeugabsturz nahe des russischen Flughafens Smolensk.[1][2]

Politische Laufbahn

Einige Quellen geben an, dass Kaczyński als Student in der oppositionellen Bürgerrechtsbewegung „KOR“, dem Komitee zur Verteidigung der Arbeiter, aktiv war. Dies ist jedoch nicht möglich, da „KOR“ zu seiner Studienzeit noch nicht existierte. Vielmehr wurde er als aktives Mitglied der PZPR bekannt. In Danzig gehörte er 1981 in der Leninwerft zu den intellektuellen Ratgebern der Gewerkschaftsbewegung Solidarność. Während des Kriegszustandes zwischen Dezember 1981 und Oktober 1982 war er interniert. Nach der Wende nahm er 1989 an den Verhandlungen am Runden Tisch teil und war von 1989 bis 1991 Senator im polnischen Senat sowie von 1991 bis 1993 Abgeordneter im polnischen Sejm für die Partei Porozumienie Centrum (Verständigung - Zentrum). 2000 und 2001 bekleidete er das Amt des Justizministers. Vom 18. November 2002 bis zum Amtsantritt als Präsident war er Stadtpräsident (Oberbürgermeister) von Warschau.

Am 19. März 2005 verkündete Kaczyński offiziell seine Kandidatur für die polnischen Präsidentschaftswahlen im Herbst 2005 und erreichte am 9. Oktober 2005 im ersten Wahlgang den zweiten Platz hinter den Kandidaten der Platforma Obywatelska (Bürgerplattform) Donald Tusk. Damit qualifizierte er sich für die Stichwahl am 23. Oktober 2005, die er dann unerwartet mit 54,04 % gegenüber Donald Tusk bei einer Wahlbeteiligung von 51 % gewann. Der Erfolg seiner Partei PiS war damit nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen komplett.

Politische Positionen

Innenpolitik

Seine politische Ausrichtung konnte man als konservativ, katholisch-national und antikommunistisch bezeichnen. Es waren aber vereinzelt klar links geprägte Aspekte in seiner Politik zu beobachten. Kaczyński sprach sich seit den 1990er Jahren für die Wiedereinführung der Todesstrafe[3] in Polen aus, und er lehnte Homosexualität ab[4]. Dass Homo- und Heterosexuelle gleichberechtigt seien, war für ihn unvorstellbar[5]. Als Warschauer Stadtpräsident hatte er eine Demonstration von Homosexuellen, lokal bekannt als Parada Równości, in den Jahren 2004 und 2005 verboten. Diese Verbote wurden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Verletzung diverser Menschenrechte, u.a. dem Recht auf Versammlungsfreiheit gewertet.[6].

Er forderte einen Kampf gegen soziale Unterschiede und für mehr Chancengleichheit zwischen den Regionen und wollte den Bürgern ein Gefühl der Sicherheit vermitteln[7]. Er versprach einen Ausbau der Sozialleistungen des Staates, unterstützte kinder- und familienfreundliche Gesetze[8] und wollte die Stellung des Präsidenten in der polnischen Verfassung nach den Vorbildern Frankreichs und der USA stärken. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Aktivität war die Aufklärung der kommunistischen Vergangenheit und Bestrafung der Täter. Dabei plädierte er für ein Ende der „Schlussstrich“-Politik (Polityka grubej kreski), die dazu beitrug, dass viele Denunzianten und inoffizielle Mitarbeiter der ehemaligen polnischen Sicherheitsorgane nach 1989 unerkannt blieben und weiterhin politische und wirtschaftliche Ämter und Positionen behielten, bzw. erlangten (siehe dazu z. B. „Wildsteins Liste”). Im Zuge dieser Politik wurde am 30. September 2006 der Militärische Aufklärungsdienst (WSI), dem Verbindungen mit dem GRU[9] und mit der kriminellen Unterwelt[10] vorgeworfen wurden, aufgelöst.

Als der neue polnische Premierminister Donald Tusk als Nachfolger seines Zwillingsbruders am 23. November 2007 im Parlament seine Regierungserklärung abgab, weilte Lech Kaczyński zu einem Staatsbesuch in Georgien. Es war das erste Mal, dass der polnische Staatspräsident der Regierungserklärung des Premierministers nicht beiwohnte und ein deutliches Zeichen dafür, dass die Beziehung zwischen den beiden Politikern sehr gespannt war.

Politische Gegner Kaczyńskis, vor allem die aus der kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) hervorgegangene SLD, bezeichneten seine Positionen und die seiner Partei spöttisch als „Kaczismus”. Sein Bruder und er wurden ebenso als „Erpel” betitelt. Der Nachname beider Politiker leitet sich vom polnischen Wort für Ente, Kaczka, ab.

Außen-, Wirtschafts- und Europapolitik

Kaczyński im Juli 2007 auf Staatsbesuch in der Ukraine

Außenpolitisch unterstützte er demokratische Kräfte in ehemals sowjetischen Nachbarstaaten und deren Souveränitätsbemühungen. Er trat so u.a. entschieden sowohl für die Orange Revolution in der Ukraine als auch für die demokratischen Kräfte in Georgien und Weißrussland ein, was den russischen Interessen zuwider und mit scharfer Kritik aus dem Kreml verbunden war. Am 11. September 2006 traf Kaczyński mit dem israelischen Präsidenten Mosche Katzaw in Jerusalem zusammen. Katzaw lobte die scharfe Haltung Kaczyńskis im Kampf gegen Antisemitismus, der polnische Präsident seinerseits bot die Erhöhung des polnischen UN-Kontingents (UNIFIL) im Libanon an. EU-politisch setzt sich Kaczyński für eine starke polnische Souveränität gegenüber der EU ein und befürwortet eine Verzögerung der Euro-Einführung in Polen sowie ein Referendum zu dieser Frage. Ein Datum für die Einführung der neuen Währung hatte er noch nicht genannt[11]. Ob die skeptische Einstellung Kaczyńskis gegenüber dem Euro auf die derzeitige Stärke des polnischen Złoty (30, vorübergehend sogar 35 Prozent Aufwertung gegenüber dem Euro seit dem Tiefpunkt Anfang 2004) oder aus nationalistischen Gründen herrührt, ist schwer festzustellen. Trotz des starken Złoty betrug das Wirtschaftswachstum im 1. Quartal 2006 5,2 Prozent, womit es bei niedriger Inflation und Staatsverschuldung zu den europäischen Vorreitern zählt.

Kaczyńskis Energiepolitik, insbesondere der Verminderung der energetischen Abhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferung, traf in Russland und Deutschland, auf wenig Verständnis. Das Verhältnis zu Deutschland und Russland seinerseits wird als misstrauisch eingeschätzt, nicht zuletzt wegen des Baus der Nordeuropäischen Gaspipeline durch die Ostsee, dessen Unterzeichnungsumstände auch in Deutschland umstritten waren und die der damalige polnische Verteidigungsminister und jetzige Außenminister, Radosław Sikorski, mit dem Hitler-Stalin-Pakt verglich. Die gemeinsamen Interessen im Streit um die Nordeuropäische Gasleitung sorgten für die Annäherung zwischen Polen und übrigen Ostseeanrainerstaaten[12]. Inzwischen stellt ebenfalls der russische Ministerpräsident Putin den Sinn der Ostsee-Pipeline in Frage.[13]

Kaczyński mit Bundespräsident Horst Köhler im April 2008

Ein Streitthema mit Deutschland ist etwa das in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen, das von Kaczyński scharf kritisiert wurde[14]. In Deutschland fanden seine Einwände ein geteiltes Echo, Bundespräsident Horst Köhler beispielsweise rät „die Ängste in Polen und Tschechien ernst zu nehmen“, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach macht hingegen Polen für Spannungen zwischen beiden Ländern verantwortlich[15]. Der politische Rechtsruck in Polen wurde von der deutschen Medienlandschaft weitgehend bedauert. Kaczyński und andere Mitglieder seiner nationalkonservativen Partei empfanden eine Veröffentlichung, in der er und sein Bruder in der linksalternativen taz am 26. Juni 2006 auf der Satireseite „Die Wahrheit” erwähnt wurden[16], als Beleidigung und leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren ein. Der Artikel und die Reaktionen auf ihn sorgten sogar für Intensivierung der Verstimmungen zwischen Polen und Deutschland (die sogenannte „Kartoffel-Affäre”). Kurz nach der taz-Veröffentlichung sagte Kaczyński das turnusmäßige Dreiergespräch mit der deutschen Bundeskanzlerin und dem französischen Staatspräsidenten im Rahmen des „Weimarer Dreiecks” aus gesundheitlichen Gründen ab[17].

Nach der gescheiterten ersten Volksabstimmung in Irland über den Vertrag von Lissabon verweigerte Kaczyński seine Unterschrift, da er den Vertrag damit als gegenstandslos ansah.[18][19] Nach dem positiven zweitem Referendum in Irland unterzeichnete er den Vertrag von Lissabon.[20]

Kaczyński stand dem US-Raketenschild mit der Stationierung von Raketen bei Słupsk positiv gegenüber.

Am 23. November 2008 wurde in der Nähe seines Konvois beim Besuch in Georgien geschossen, möglicherweise von russischen Soldaten.[21] Russland bestritt dies und warf Georgien eine Inszenierung vor [22], der polnische Geheimdienst (ABW) vermutet dies ebenso.[23]

Sonstiges

Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Jarosław stand Kaczyński 1962 in dem polnischen Kinderfilm O dwóch takich, co ukradli księżyc (dt. Die zwei Monddiebe) von Jan Batory vor der Kamera. In der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Kornel Makuszyński aus dem Jahr 1928 spielten die Brüder die Hauptrollen des Placek (Lech Kaczyński) und Jacek (Jarosław Kaczyński).

Tod

Tupolew Tu-154M der polnischen Luftwaffe


Am 10. April 2010 war Kaczyński auf dem Weg zu einer Gedenkfeier zur Erinnerung an die Ermordung polnischer Offiziere durch den sowjetischen Geheimdienst vor 70 Jahren im russischen Katyn.[1][2] Sein Flugzeug, eine Tupolew Tu-154M der polnischen Luftwaffe, stürzte bei der Landung auf dem Flughafen im westrussischen Smolensk ab.[1][2] Offenbar bei schlechter Sicht führten die Piloten eine Fehlanflugsprozedur (Missed Approach) durch, bei der sie in geringer Höhe einige Bäume streiften.[1] Daraufhin stürzte das Flugzeug ab und fing Feuer.[1] Unterschiedlichen Quellen zur Folge sind 87 bis 132 Menschen getötet worden.[1][2] Das polnische Außenministerium MSZ berichtet von 88 Opfern. Die genauen Ursachen sind unbekannt.[24][25]

Sejmmarschall Bronisław Komorowski übernahm als amtierender Parlamentspräsident die Amtsgeschäfte.

Verweise

Literatur

  • Adam Holesch/Axel Birkenkämper, Von Kaczynski zu Tusk - eine deutsch-polnische Tragödie?. Bouvier Verlag, Bonn 2008.
Commons: Lech Kaczyński – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
 Wikinews: Lech Kaczyński – in den Nachrichten

Fußnoten

  1. a b c d e f Polens Präsident Kaczynski stirbt bei Flugzeugabsturz. SPIEGEL ONLINE GmbH, abgerufen am 10. April 2010.
  2. a b c d Polens Präsident Kaczynski ist tot. n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH, abgerufen am 10. April 2010.
  3. Die Deutsche Welle in ihrem Treffpunkt-Europa-Podcast vom 5. August 2006
  4. n-tv vom 24. Oktober 2005
  5. Das Parlament, Nr. 11/2006 vom 13. März 2006 Herausgeber: Deutscher Bundestag
  6. CASE OF BĄCZKOWSKI AND OTHERS v. POLAND (Application no. 1543/06)
  7. ZDF – Kommentar zu Kaczyński
  8. [z. B. das Gesetz vom 29. Dezember 2005 bezügl. der Verbesserung der Familienleistungen - unterzeichnet von Kaczyński am 18. Januar 2006]
  9. Interview mit Wiktor Suworow zum Thema GRU und WSI (polnisch)
  10. Polnische Rundfunk vom 6. Oktober 2006
  11. Einführung der neuen Währung?
  12. Artikel hierüber
  13. Tagesspiegel
  14. FAZ – nach der gewonnener Wahl 2005
  15. Spiegel-online vom 2.9.2006
  16. Artikel der taz Polens neue Kartoffel. Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Lech „Katsche” Kaczynski, 26. Juni 2006
  17. SPIEGEL online: Die Quadratur des Dreiecks - zum Ausfall des „Weimarer Dreiecks” im Juli 2006
  18. AFP-Info-Ticker
  19. Köln aktuell
  20. Sinneswandel - Kaczynski signiert EU-Vertrag – und lobt ihn sogar
  21. Ddziennik, Kolumna Lecha Kaczyńskiego ostrzelana w Gruzji, 23. Nov. 2008, (Website nicht mehr abrufbar)
  22. n-tv.de, Schüsse auf Georgiens Präsident? - Moskau sieht „Provokationen“, 24. Nov. 2008
  23. Dziennik, „Jak służby zmieniały zdanie - Przeczytaj raport ABW o strzelaninie w Gruzji“, 27. Nov. 2008
  24. Gazeta Wyborcza 10. April 2010
  25. Tagesschau Online 10. April 2010