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Feministische Philosophie

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Als feministische Philosophie bezeichnet man verschiedene, zumeist von Frauen vertretene Ansätze in der Philosophie des 20. Jahrhunderts und der Gegenwartsphilosophie, die sich mit Fragen nach den Konstruktionen der natürlichen und der soziokulturellen Differenz der Geschlechter in der Geschichte und der Gegenwart und deren Auswirkungen auf Philosophie, Kunst, Wissenschaft sowie auf die Situation der Frau in einer männlich dominierten Welt beschäftigen. Grundlegend sind hierbei die Untersuchung der historisch-philosophischen Konzepte von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“.

Erste Ansätze einer feministischen Philosophie

Seit dem 14. Jahrhundert sind Schriften von Frauen über das Geschlechterverhältnis bekannt.

  • Die mittelalterliche französische Schriftstellerin Christine de Pizan (* 1365 in Venedig; † um 1430) wird heute als eine Feministin avant la lettre geschätzt. So kritisierte sie die männliche Misogynie ihres gesellschaftlichen Umfeldes. Im Jahr 1400 schrieb sie Die Stadt der Rosen (Le Dit de la rose), in dem die Utopie einer Gründung eines Ordens beschreibt, der Frauen beschützt. Im Jahre 1404 schließt sich der Traktat Le Livre des trois vertus an, in welchem die rechte Mädchenerziehung behandelt wird.
  • Die englische Philosophin Mary Astell (* 1666; † 1731), die sich u.a. mit der damals populären Naturphilosophie, wie sie Descartes und Bacon entwickelt hatten, sowie mit den ethischen Theorien von Hobbes und Locke, beschäftigte. Darüber hinaus fragte sie auch nach Natur, der Intelligenz und der Seele der Frau. Sie kritisierte die Zwangsehe (Betrachtungen über die Ehe) und verursachte damit auch eine Diskussion über die Legitimität der Unterdrückung der Frau.

Entstehung

Während die eher praktisch bzw. politisch ausgerichtete erste Frauenbewegung in gewisser Weise nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts stagnierte und mit dem Zweiten Weltkrieg quasi beendet war, begann die zweite Frauenbewegung am Ende der 1960er Jahre. Aus dem Bemühen einer zunehmenden Theoretisierung und Verwissenschaftlichung der Kritik an den patriarchalischen Verhältnissen entstand die feministische Philosophie.

Den Grundstein legte die Philosophin und Schriftstellerin Simone de Beauvoir (* 9. Januar 1908 in Paris; † 14. April 1986 in Paris), die als eine der „Mütter“ des modernen Feminismus angesehen wird. In ihrer Studie Das andere Geschlecht (Le Deuxième Sexe, 1949) fragt sie - auf der Basis des Existenzialismus und der existenzialistischen Phänomenologie - nach der Bedeutung des Konzepts des Geschlechts für Gesellschaft und Diskurs und zeigte die Unterdrückung der Frau im Patriarchat auf. Damit legte sie wichtige theoretische Grundlagen der feministischen Theorie.

Fragestellungen

Die Fragestellungen der feministischen Philosophie umfassen nicht nur die Integration weiblicher Perspektiven und Erfahrungen in die Philosophie und die Offenlegung von Misogynie und Diskriminierung in der Philosophiegeschichte, sondern stellt das gesamte Selbstverständnis der Philosophie als geschlechtsneutrale, objektive und universale Wissenschaft in Frage.

Feministische politische Philosophie

In der politischen Theorie untersucht sie die Strukturierung des Raums in eine häuslich-familiäre und eine öffentlich-politische Sphäre, die jeweils mit „Weiblichkeit“ bzw. „Männlichkeit“ assoziiert werden, und ihre Folgen für die Konzeption von Politik als Männerdomäne und den Zusammenhängen der diesbezüglichen Vorstellungen von „Weiblichkeit“ und Macht.

In der Ethik fragt sie nach den spezifischen Unterschieden einer männlichen und einer weiblichen Ethik und inwieweit als typisch weiblich aufgefasste Handlungsmodelle wie Anteilnahme oder Fürsorge in der traditionellen Ethiken zu kurz kommen.

In der Erkenntnistheorie beschäftigt sich die feministische Philosophie mit Grundfragen nach der Möglichkeit von geschlechtsunabhängiger Objektivität und Wahrheit bzw. einer geschlechtlichen Markiertheit von Erkenntnis (Standpunkt-Theorie): dabei versucht sie zu klären, ob sich epistemologische Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Wissenschaft feststellen lassen.

Vertreterinnen

John Stuart Mill

John Stuart Mill gilt als ein Vertreter des Liberalismus, seine Ansichten zur Situation der Frau in der Gesellschaft können als liberaler Feminismus bezeichnet werden. Beeinflusst durch seine spätere Frau Harriet Taylor (Mill), fordert das Frauenwahlrecht und das Scheidungsrecht. Er untersucht als einer der Ersten sozialwissenschaftlich die Unterdrückung der Frau.

Judith Butler

Die Philosophin Judith Butler (* 24. Februar 1956) ist die Hauptvertreterin eines dekonstruktiven Feminismus. Sie war an der Entwicklung der Queer-Theory beteiligt, mit der sich in ihren einflussreichen Werken Das Unbehagen der Geschlechter (Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, 1990) und Körper von Gewicht (Bodies That Matter, 1993) beschäftigen.

Geschlecht ist nach Butler ein performatives Modell. Die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ sind reine Konstrukte, die nur durch Handlungswiederholungen konstituiert werden. Nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ist demnach gesellschaftlich, d.h. soziokulturell bedingt, sie stellen keine naturgegebenen Absolutheiten dar. Die Geschlechtsidentität wird zugunsten einer totalen Ausdifferenzierung der Individualität eines jeden Menschen dekonstruiert. Die traditionelle Zweigeschlechtlichkeit wird durch eine „Vielgeschlechtlichkeit“ ersetzt.

Julia Kristeva

Die Philosophin Julia Kristeva (* 24. Juni 1941 in Sliwen, Bulgarien) ist eine Philosophin, die allerdings das Etikett „feministisch“ von sich weist. Sie problematisierte in den frühen 1970er Jahren die weibliche Identität im Patriarchat, wurde jedoch wegen ihrer Nähe zur Psychoanalyse von Teilen der feministischen Literaturwissenschaft kritisiert.

Weitere Vertreterinnen: Simone de Beauvoir, Helene Cixous, Bracha L. Ettinger, Patricia Hill Collins, Donna Haraway, Sandra Harding, Nancy Hartsock, Luce Irigaray, Lynn Hankinson Nelson, Dorothy Smith, Mary Wollstonecraft, Alison Wylie, Martha Nussbaum, Herta Nagl-Docekal

Siehe auch

Literatur

Einführungen

  • Ursula I. Meyer: Einführung in die feministische Philosophie. 3. Aufl. Ein-Fach-Verlag, Aachen 2004, ISBN 3-928089-37-4 (2. Aufl. auch beim dtv)
  • Herta Nagl-Docekal: Feministische Philosophie. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven. 2. Aufl. Fischer, Frankfurt a. M. 2001, ISBN 3-486-56082-4, ISBN 3-7029-0387-9

Wörterbücher und Handbücher

  • Alison M. Jaggar (Hrg.): A companion to feminist philosophy - Malden, Mass. [u.a.] : Blackwell, 1998 - Der Begriff der Philosophie wird sehr weit gefasst, so dass die 58 Kapitel einen ziemlich umfassenden Überblick über feministische Theoriebildung geben.
  • Maggie Humm: The dictionary of feminist theory. 2. Aufl. Ohio State University, Columbus 1995, ISBN 0-8142-0666-2, ISBN 0-8142-0667-0

Bibliographie

  • Marion Heinz, Sabine Doyé (Hrsg.): Feministische Philosophie. Bibliographie 1970-1995. Kleine, Bielefeld 1996, ISBN 3-89370-218-0

Beiträge zur feministischen Philosophie

  • Luisa Muraro: Die symbolische Ordnung der Mutter, Rüsselsheim: Göttert , 2006, ISBN 3-922499-79-1
  • Annegret Stopczyk: Nein danke, ich denke selber. Philosophieren aus weiblicher Sicht. Aufbau, Berlin 2000, ISBN 3-7466-8046-8
  • Bettina Schmitz: Der dritte Feminismus. Denkwege jenseits der Geschlechtergrenzen Ein-Fach-Verlag, Aachen 2007, ISBN 978-3-928089-45-6
  • Halina Bendkowski und Brigitte Weisshaupt (Hrsg.) Was Philosophinnen denken. Band 1, ISBN 3-250-10012-9
  • Manon Andreas-Griesbach und Brigitte Weisshaupt (Hrsg.) Was Philosophinnen denken. Band 2, ISBN 3-250-01017-0

Frauen in der Philosophie

  • Ursula I. Meyer, Heidemarie Bennent-Vahle: Philosophinnen-Lexikon, Leipzig: Reclam, 1997
  • Regine Munz (Hrsg.): Philosophinnen des 20. Jahrhunderts, Darmstadt: WBG, 2004, ISBN 3-534-16494-6

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