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Waldorfschule

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Rudolf-Steiner-Schule Loheland)

Waldorfschulen sind Schulen in freier Trägerschaft, an denen nach der von Rudolf Steiner begründeten Waldorfpädagogik unterrichtet wird. Das Ideal dieser Pädagogik ist der Anspruch, jedes Kind individuell nach seinem altersgemäßen Entwicklungsstand zu fördern. Die Waldorfpädagogik ist eine der bekanntesten praktischen Anwendungen der ebenfalls von Rudolf Steiner begründeten Anthroposophie.

Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart als Betriebsschule durch den Direktor der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik Emil Molt gegründet und am 7. September 1919 eröffnet. Von der Zigarettenfabrik erhielt die pädagogische Bewegung Rudolf Steiners, der der erste Schulleiter der Astoria-Betriebsschule war, ihren Namen. Im Nationalsozialismus wurde 1939/40 der Lehrbetrieb an Waldorfschulen, wie auch an allen anderen nichtstaatlichen Schulen, bis 1945 verboten.

Waldorfschüler auf dem Schulhof

Nach Angaben aus dem Jahr 2005 existieren in Deutschland 191 Waldorfschulen, in Europa 639 und weltweit 892. Bekannt sind sie auch unter den Bezeichnungen Rudolf-Steiner-Schule, englisch Waldorf School, Steiner School, französisch École Waldorf, niederländisch Vrijeschool.

Waldorfschulen im deutschen Rechtsrahmen

Waldorfschulen sind allgemeinbildende Schulen in freier Elternträgerschaft im Rahmen der Schulgesetzgebung der Bundesländer auf der Grundlage des Grundgesetzartikels 7 (Schulwesen). Die Anerkennung der Waldorfschulen als Ersatzschulen (siehe auch unter "Privatschule") bedeutet einerseits die staatliche Sicherung ihres finanziellen Grundbedarfs, andererseits wird darüber hinaus auch Schulgeld von den Eltern erhoben. Dieses betrug nach Angaben des Bunds der Freien Waldorfschulen im Jahr 2002 durchschnittlich 125 Euro monatlich. Die Waldorfschulen sind durch das Grundgesetz dazu verpflichtet, bei der Erhebung von Schulgeld dafür zu sorgen, dass keinem Kind aus finanziellen Gründen der Besuch einer Waldorfschule verwehrt wird (Sonderungsverbot).

Lehrformen an deutschen Waldorfschulen

Von der ersten bis zur achten Klasse wird der Klassenverband von einem Lehrer geführt, der alle Pflichtfächer gleichermaßen unterrichtet (Klassenlehrerzeit). Der Unterricht erfolgt hierbei in Blockform, dem so genannten Epochenunterricht. Dies bedeutet, dass über Wochen hinweg jeden Tag mehrere Stunden das gleiche Fach gelehrt wird, ergänzt um weitere Fächer außerhalb des Epochenunterrichtes. Nach der achten Klasse wird der Blockunterricht von verschiedenen Fachlehrern übernommen.

Schon ab der ersten Klasse werden den Schülern Fremdsprachen nahe gebracht. In der Regel ist das Englisch als Pflichtfach sowie ab der ersten oder zweiten Klasse meist Französisch oder Russisch als zweite Fremdsprache. Ab der Oberstufe wird oft eine weitere Fremdsprache, meist Latein, als Alternative für die zweite Fremdsprache angeboten.

Zu den Regelfächern wie Deutsch, Mathematik, Geschichte, Biologie, Physik, Chemie, Musik, Religion und Sport wird an Waldorfschulen zusätzlicher Unterricht vor allem im künstlerischen und handwerklichen Bereich angeboten. So gehört neben Handarbeit, Schreinern, Gartenbau, Plastizieren, Malerei und Theaterunterricht auch Eurythmie zum Waldorf-Lehrplan. Die Schüler führen im Laufe einer Unterrichtsepoche ein so genanntes Epochenheft, das zum Ende der Epoche dem Lehrer abgegeben wird und der Leistungsstandskontrolle dient. Lehrbücher für die Schüler sind in der Waldorfpädagogik im Unterricht nicht vorgesehen, finden in der Praxis jedoch auch Verwendung.

In der Regelschulzeit an Waldorfschulen soll keine äußere Differenzierung nach Leistungsgrad stattfinden, was in der Praxis dennoch meist ab etwa der neunten Klasse geschieht.

Noten werden an Waldorfschulen bis zur Oberstufe nicht vergeben, stattdessen wird im Zeugnis der jeweilige Leistungsstand und -fortschritt in Textform ausformuliert. Dabei liegt der Schwerpunkt auf individuellen Defiziten und Leistungen im Vergleich zum Klassenfortschritt und der Lernziele. Diese Praxis wird bis zur zwölften Klasse beibehalten, bevor es auch in der Waldorfschule Ziffernoten gibt. Eine Nichtversetzung (Sitzenbleiben) ist in der Waldorfpädagogik nicht vorgesehen, jedoch nach Absprache mit den Eltern nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Schulabschluss

Datei:Waldorfschule-Klassenraum.JPG
Klassenraum in der Unterstufe

Die Regelschulzeit beträgt zwölf Jahre, unabhängig von dem individuell angestrebten staatlichen Schulabschluss. Am Ende der 12. Klasse steht der Waldorfschulabschluss, der parallel mit einem staatlich anerkannten Schulabschluss (z.B. Realschulabschluss) erworben werden kann. Er zieht sich als ein Prozess durch die gesamte Oberstufe (Klasse 9 bis 12) hindurch und umfasst neben einer abschließenden Bewertung der schulischen Leistungen diverse Praktika (darunter ein Sozialpraktikum), die Facharbeit (Jahresarbeit) mit einem theoretischen und einem praktischen Teil, die aktive Teilnahme an einem Theaterprojekt der ganzen Klasse, den Eurythmieabschluss und meist auch eine Studienfahrt mit künstlerisch/kunstgeschichtlicher Ausrichtung.

Der Waldorfschulabschluss ist staatlich nicht anerkannt, gilt den Anhängern der Waldorfpädagogik aber als wichtiger Nachweis erworbener Sozialkompetenzen (Teamfähigkeit, Selbstständigkeit, Durchhaltevermögen, Kreativität usw.); dies wird im Waldorfschulabschlusszeugnis ergänzend zum staatlich anerkannten Notenzeugnis ausführlich dokumentiert.

Obwohl Waldorfschulen nicht in erster Linie auf staatliche Schulabschlüsse ausgerichtet sind, bieten sie meist eine dreizehnte Jahrgangsstufe an, in der die Schüler das Abitur oder die Fachhochschulreife machen können. Dieses wird von externen, von den Landeskultusministern beauftragten Prüfern abgenommen. In manchen Bundesländern (z.B. Hessen, Nordrhein-Westfalen) können Waldorfschulen nach einigen Jahren eine Anerkennung erhalten, so dass sich das Abitur nicht von der allgemeinen Hochschulreife unterscheidet. Voraussetzung dafür ist, dass in der 12. und 13. Klasse der Schulbetrieb mit Klausuren wie an einem gewöhnlichen Gymnasium vollzogen wird. In Baden-Württemberg wird das gleiche Zentralabitur wie an allen Gymnasien geschrieben, mit dem Unterschied, dass für die Abiturnote nur die Prüfungsergebnisse und nicht die Jahresleistung zählen. Dies geht mit einer größeren unterrichtlichen Gestaltungsfreiheit in der 12. und 13. Klasse einher.

In Deutschland legen nahezu 47 Prozent der jährlich ca. 5000 Waldorfschul-Abgänger das Abitur ab, 34 Prozent die mittlere Reife, 7 Prozent die Fachhochschulreife und 10 Prozent den Hauptschulabschluss. 2,6 Prozent bleiben ohne staatlichen Schulabschluss.

Vorreiter- und Nachzüglerrolle

Die 1919 gegründete erste Waldorfschule in Stuttgart brachte für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Ideen mit sich. Während die Mehrheit der Kinder in Deutschland nur acht Jahre zur Schule ging, wurde ihnen an der Waldorfschule 12 Jahre Schulbildung garantiert.

Ab dem ersten Schuljahr wurden bereits zwei Fremdsprachen unterrichtet, die Freie Waldorfschule war in Deutschland die erste Gesamtschule und auch die erste Schule, die regulär koedukativ unterrichtete. Des Weiteren waren Praktika schon immer fester Bestandteil des Lehrplans.

Die Waldorfschule in Kapstadt (Südafrika) konnte noch während der Apartheid das Recht erkämpfen, in gemischten Klassen unterrichten zu dürfen. Während der Rassentrennung in Eisenbahnwägen wurde speziell für die Schüler dieser Schule ein "Gemischtwagen" eingeführt.

Die Freie Waldorfschule Innsbruck (Österreich) war die erste Schule, die das Fach Menschenrechte in der Oberstufe zum Pflichtfach machte.

Heute wird den Waldorfschulen oftmals eher eine Nachzüglerrolle zugeschrieben, weil sich ihre pädagogischen Leitlinien nur sehr wenig weiterentwickelt haben. Da die Waldorfschulen nicht von zentraler Stelle aus geleitet werden, sondern Entscheidungen des Kollegiums einstimmig getroffen werden müssen, wird eine zügige Entwicklung und Qualitätssicherung gebremst. Infolgedessen gehörten beispielsweise manche Waldorfschulen zu den ersten Schulen in Deutschland, die Programmierkenntnisse vermittelten, während auch heute noch an vielen anderen Waldorfschulen Informatik für unwichtig erachtet wird.

Kritik an der Waldorfpädagogik

Die Waldorfpädagogik steht aufgrund der ihr zugrunde liegenden Anthroposophie immer wieder in der Kritik. Angeprangert werden hierbei ihre Überzeugungen bezüglich Reinkarnation und Karma, die Theorien über die sogenannten Wurzelrassen, welche von Kritikern aufgrund ihrer Hierarchisierung von Rassen als rassistisch bezeichnet werden und nicht zuletzt die oft als pseudowissenschaftlich und esoterisch geltenden sonstigen Ausführungen Rudolf Steiners, auf welche sich die Waldorfpädagogik beruft.

In Eurythmie, einem wesentlichen Bestandteil der Waldorfpädagogik von Kindergarten bis in höchste Klassen, sollen Heranwachsende lernen, Wörter und Stimmungen passend auszudrücken. Dabei gibt es fest vorgegebene Gebärden für jeden Sprachlaut und es kann sein, dass "wenn Jugendliche ein Gedicht oder ein Musikstück eurythmisch interpretieren, die darin enthaltene Stimmung unter Umständen überhaupt nicht ihrer eigenen Stimmung [entspricht]. Die Heranwachsenden lernen [auf diese Weise], ihr eigenes Empfinden außer Acht zu lassen und sich einer gegebenen Sache zu stellen". Manche sehen darin einen Widerspruch zum pädagogischen Ziel der Waldorfschule, Schüler zu individuellen Urteilen und selbstbestimmtem Handeln zu ermutigen und warnen vor dem Versuch, Empfindungen zu unterdrücken und den Willen der Schüler gefügig zu machen.

Während an der ersten Waldorfschule linkshändige Kinder auf Anweisung Steiners explizit mit links schreiben durften, was damals alles andere als selbstverständlich war, erschien erst 1997 wieder ein Buch der Waldorfpädagogin Michaela Glöckler („Zum Unterricht des Klassenlehrers an der Waldorfschule“), in welchem das Schreiben mit der richtigen Hand als reine "Willensübung" beschrieben wird. Ihrem Buch zufolge hätten sich laut Steiner Linkshänder in einem früheren Leben körperlich und seelisch verausgabt, weshalb sie nun "mehr Innerlichkeit" ausbilden müssten, wofür die linke Körperhälfte zuständig sei.

Erst im Jahre 2001 distanzierten sich die deutschen Waldorfschulen vom Buch „Atlantis und das Rätsel der Eiszeitkunst“ des Steiner-Schülers Ernst Uehli, welches das Bundesfamilienministerium aufgrund seines rassistischen Inhalts verbieten lassen wollte. Walter Hiller, Geschäftsführer des Bundes der freien Waldorfschulen, begründete das Vorgehen gegenüber AFP mit den Worten "Wir finden das Buch nicht gut", betonte aber, dass es sich nicht um ein Lehrbuch für Waldorflehrer handele, sondern "nur auf einer Literaturliste" stehe. Allerdings wurde dieses Buch 1998 lt. RHEINISCHEN MERKUR von der Pädagogischen Forschungsstelle der Waldorfschulen für den Geschichtsunterricht empfohlen.

Bis heute wird an einigen Waldorfschulen im Geschichtsunterricht die Legende von Atlantis behandelt, welche für Anthroposophen als Tatsache gilt.

Nicht zuletzt wird der Verzicht auf Ziffernoten in den unteren Klassenstufen oft kritisiert, da es nur ein Aufschub des unvermeidlichen Übergangs in die Leistungsgesellschaft sei. Schüler stünden somit aufgrund des vorigen Schonraums vor einer noch schwereren Herausforderung. Weiterhin entspräche die sanfte, behütete Welt, in der Künstliches verpönt sei, kaum noch den Erfahrungen heutiger Heranwachsender.

Die Waldorfschulen reagieren auf kritische Vorstöße sehr unterschiedlich. In den letzten Jahren wird versucht, Rudolf Steiner zu hinterfragen und den Unterricht für neue Medien zu öffnen. Der Bund der Freien Waldorfschulen ist bemüht, das Image von der "Öko-Kuschelpädagogik" abzulegen. Da aber jede Waldorfschule eigenständig handelt, sich in freier Trägerschaft selbst verwaltet und nicht von einer übergeordneten Instanz - außer den Schulbehörden - kontrolliert wird, können Lehrerkollegien und einzelne Lehrer von der Meinung des Bundes der freien Waldorfschulen oder den in der Anthroposophischen Gesellschaft vertretenen Auffassungen abweichen. Auch existiert zwar ein allgemein abgestimmter "Waldorflehrpan", die individuelle Ausgestaltung liegt jedoch in der Verantwortung jeder Schule und jedes einzelnen Lehrers.

Aktuelles

In die Schlagzeilen geriet Ende Oktober 2004 eine Braunschweiger Waldorfschule, deren Lehrer Andreas Molau kündigte, um zukünftig für die rechtsextreme NPD im Sächsischen Landtag als Berater zu arbeiten. Seine politische Einstellung war der Schule laut eigener Aussage bis dahin unbekannt, obwohl Molau in den 1990er Jahren als Kulturredakteur der rechten Publikation "Junge Freiheit" tätig war und sich später in der rechtsradikalen Zeitschrift "Deutsche Geschichte" engagierte. Frühere diesbezügliche Vermutungen von Eltern sollen von Molau als eine zufällige Namensvetternschaft abgetan worden sein. Für größere Diskussionen sorgte die Entscheidung der Schule, den mit den Eltern geschlossenen Schulvertrag für die beiden Kinder von Molau noch im laufenden Schuljahr zu kündigen. Dies rief Horst Mahler auf den Plan, der Sippenhaft anprangerte und in einem Rundschreiben dazu aufforderte, dass "alle deutschwilligen Deutschen den Kampf um die Rückeroberung der Waldorfschulen, der Erziehungseinrichtung für den deutschen Geist, beginnen [mögen]."

Am 28. Februar 2000 strahlte das ARD-Magazin "Report aus Mainz" die von einem ehemaligen Waldorfschüler erhobenen Vorwürfe des Kursierens von Rassismus und Antisemitismus an einzelnen Waldorfschulen, aus. Laut Bericht sei es für die Waldorfschulen an der Zeit, sich kritisch mit ihrem Begründer und dessen Anthroposophie auseinander zu setzen. Die Initiative ging von der Aktion Kinder des Holocaust aus, Paul Spiegel bekräftigte in der Sendung die vorliegenden Recherchen. Der Bund der Freien Waldorfschulen kritisierte an der Reportsendung, dass nur unkonkrete Behauptungen vom Hörensagen getroffen worden seien und verwies auf einseitige Berichterstattung. Der in der Sendung interviewte Kritiker Dr. Heiner Ullrich distanzierte sich nach der Ausstrahlung von der seiner Meinung nach "tendenziösen" Berichterstattung, die das "humanistische Grundanliegen der Waldorfpädagogik verunglimpfe". Gegen die Behauptung der Sendung, dass jüdische Eltern vermehrt ihre Kinder von Waldorfschulen nähmen, konnte vorübergehend eine einstweilige Verfügung durchgesetzt werden, doch weitere Gegendarstellungsbegehren wurden von Gerichten abgelehnt.

Siehe auch

Literatur

Positiv wertende Literatur

  • Bußmann, Hildegard und Jochen: Unser Kind geht auf die Waldorfschule. Erfahrungen und Ansichten. Rowohlt, 1990. ISBN 3-4991-8736-1
  • Carlgren, Frans: Erziehung zur Freiheit. Verlag Freies Geistesleben, 2005. ISBN 3-7725-1619-X
  • Kiersch, Johannes: Die Waldorfpädagogik. Eine Einführung in die Pädagogik Rudolf Steiners. Reihe Praxis Anthroposophie 47, Verlag Freies Geistesleben, 1997. ISBN 3-7725-1247-X
  • Prange, Klaus: Erziehung zur Anthroposophie. Bad Heilbrunn: Klinkhard, 2000. ISBN 3-7815-1089-1

Kritisch wertende Literatur

  • Jacob, Sybille-Christin und Drewes, Detlef: Aus der Waldorf-Schule geplaudert. Warum die Steiner-Pädagogik keine Alternative ist. Aschaffenburg: Alibri, 2001. ISBN 3-9327-1028-2
  • Wagemann, Paul-Albert und Kayser, Martina: Wie frei ist die Waldorfschule? W. Heyne Verlag, 2002. ISBN 3-4530-9147-7

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Kritische Auseinandersetzung
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