Geschichte der Parteien in Deutschland

Die modernen Parteien in Deutschland sind Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, als Abgeordnete in Parlamenten sich zu festeren Gruppierungen zusammengeschlossen haben. Zunächst standen sich die regierungstreuen Konservativen den oppositionellen Liberalen gegenüber; viele Abgeordnete aber waren auch ungebunden. Im Laufe der Jahrzehnte entstanden feste Organisationen, die wichtige staatstragende Aufgaben übernommen haben, vor allem nach 1918.
Wichtig für die Entwicklung des Parteienwesens war vor allem die Frankfurter Nationalversammlung von 1848/1849, das erste gesamtdeutsche Parlament. In den 1860er Jahren entstanden die ersten deutschlandweiten Parteien, zunächst die liberale Deutsche Fortschrittspartei (1861), später der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (1863) und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (1869) sowie die katholische Zentrumspartei (1870).
Im Kaisereich seit 1871 konnten die Parteien über die Gesetzgebung des Reichstags mitbestimmen. Zwei konservative Parteien und die Nationalliberalen (Rechtsliberale), die sich 1867 von den Liberalen abgespalten hatten, unterstützten die Reichsregierung. Zentrum und die anderen Liberalen arbeiteten ebenfalls von Zeit zu Zeit mit der Regierung zusammen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, so der Name seit 1891, blieb in grundsätzlicher Opposition zum Staat. Daneben gab es im Reichstag mehrere Regionalparteien und Minderheitenparteien, Interessenparteien und mehrere kleine Antisemitenparteien.
Seit 1917 nahmen an der Reichsregierung Zentrumsleute, Linksliberale und 1918 auch Sozialdemokraten teil. In der Weimarer Republik seit 1919 konnten die Parteien meist keine konstruktive parlamentarische Mehrheit bilden. Die größeren Parteien aus dem Kaiserreich blieben großteils bestehen; einige nannten sich um, die Konservativen gingen in der gemeinsamen Deutschnationalen Volkspartei. Die Minderheitenparteien verschwanden; hinzu kamen weitere Interessenparteien und neuartige extremistische Parteien, vor allem die Kommunistische Partei Deutschlands aus dem linken Spektrum und die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei aus dem rechten. Letztere übernahm 1933 die Macht und verbot alle übrigen Parteien beziehungsweise zwang diese zur Selbstauflösung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es zunächst vier Parteien, die von allen vier Siegermächten in den jeweiligen Besatzungszonen erlaubt wurden: Die Christlich Demokratische Union Deutschlands als christlich-konservativ-liberale Sammlung, die liberale Freie Demokratische Partei (lokal teilweise unter verschiedenen Namen), die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Kommunistische Partei Deutschlands. In der DDR entstand die Diktatur der SED, die so genannte Blockparteien zur Verschleierung ihrer eigenen Vorherrschaft existieren ließ.
In der Bundesrepublik Deutschland (seit 1949) verlor die KPD alsbald in den Wahlen. Nach einer Phase neuer kleinerer Parteien in den 1950er Jahren blieben 1960 CDU/CSU und SPD als Volksparteien übrig, die jeweils mit der FDP koalierten. 1983 kam die ökologisch-alternative Partei der Grünen hinzu, dann 1990 die Partei des Demokratischen Sozialismus aus der ehemaligen DDR; 2007 entstand aus dieser und der von ehemaligen Sozialdemokraten gegründeten WASG die Partei Die Linke. Ferner gab und gibt es auf Landesebene und besonders auf kommunaler Ebene viele weitere Parteien, die nie in den Bundestag gelangten.
Parteien vor der Reichsgründung 1871
Die Entstehung von Parteien ist verbunden mit der Existenz von Abgeordneten in Parlamenten. Parlamente im modernen Sinn gab es in den meisten Ländern der Welt erst seit dem 19. Jahrhundert, denn beispielsweise der Reichstag im Heiligen Römischen Reich war eine Vertretung von Einzelstaaten. Selbst in Städten waren die Angehörigen von Stadträten normalerweise die Vertreter von sozialen Gruppen wie bestimmten Handwerkseinrichtungen. Man spricht von einer ständischen Verfassung, bei der nicht Wähler, sondern Stände vertreten sind.
Süddeutsche Parlamente
Abgesehen von Anfängen in der Zeit Napoleons beginnt die deutsche Parlamentsgeschichte nach 1815 in Süddeutschland. Dort hatten Baden, Württemberg und Bayern frühzeitig Verfassungen und Parlamente mit je zwei Kammern. Die Oberhäuser waren Adelskammern, die Volkshäuser waren ebenfalls noch ständisch zusammengesetzt. Wählen durfte nur, wer Grundbesitz hatte oder eine bestimmte Höhe an Steuern zahlte. Die Wahlen waren indirekt, man wählte als Urwähler also Wahlmänner, die wiederum die Abgeordneten wählten. In Baden und Württemberg wählten 15 bzw. 17 Prozent der Gesamteinwohnerschaft, in Bayern nicht mehr als sechs Prozent der Steuerzahler (nur Gemeinderäte und Magistrate).[1]
Die Kammern hatten nur wenige Rechte und waren eher Diskussionsforen. Ihre Abgeordnete kamen aus den besitzenden bzw. gebildeten Ständen, aus ländlichen und gewerblichen Kreisen, auch aus dem akademisch gebildeten Beamtentum. Manche Abgeordnete standen hinter der Regierung, andere, die Liberalen, bildeten die Opposition. Gerade die Wortführer der Liberalen waren oft Beamte, so Thomas Nipperdey: „Es bleibt eines der eigentümlichen Charakteristika des frühen Parlamentarismus in Deutschland, daß die Diener der Regierungen zugleich der Kern der Opposition gegen diese Regierungen waren."[2]
Die traditionelle Bezeichnung der Liberalen als Linke und der Konservativen als Rechte ist noch älter und geht auf die Französische Revolution zurück. Die Königstreuen saßen in der damaligen Nationalversammlung auf der rechten Seite (gesehen vom Parlamentspräsidenten aus), die revolutionär Gesinnten auf der linken.
Vormärz 1830-1848

Bereits im Vormärz, der Zeit ab 1830 vor der Märzrevolution 1848, gab es „Vorformen eines modernen Parteiensystems“ (Karl Rohe). Allerdings existierte damals noch kein gesamtdeutsches Parlament, die Entwicklung begann daher auf der Ebene der Einzelstaaten in Süd- und Mitteldeutschland. Außerdem waren politische Parteien verboten, das führte zu einer heimlichen Politisierung im Vereinswesen.[3] Oft standen sich Konservative und Liberale gegenüber, die Kräfte der Beharrung bw. der Veränderung.[4]
Parteien bildeten sich langsam heraus, oftmals um Zeitschriften. Sie waren keine Träger von Macht, sondern Weltanschauungsparteien. Der Ausdruck Partei hatte einen schlechten Klang. Wenn Georg Herwegh 1842 das Loblied der Partei sang, erklärt Nipperdey, dann meinte er die Parteinahme für die Freiheit und den Fortschritt, die Partei, die das ganze Volk vertritt. Die Liberalen identifizierten sich mit dem Volk und richteten sich gegen Parteien, aber auch gegen die Regierungstreuen, die Klerikalen (Kirchentreue) und die Volksverführer, die Demagogen.[5]
Liberale und Radikale

Die Liberalen waren die Erben der Ideen der Französischen Revolution von 1789. Sie waren der Meinung, dass die Ungleichheiten zwischen den Menschen die Folge von unterschiedlichem Talent und unterschiedlicher Leistung waren. Die Ungleichheit sollte allenfalls begrenzt werden, und zwar durch eine bestimmte Besteuerung, auch Erbschaftssteuer, und durch Zugang zur Bildung. Um 1840 trennten sich vom Liberalismus die Radikalen; sie traten für die Gleichheit als Voraussetzung für Freiheit ein, im Zweifelsfall für die Gleichheit. Sie wollten keine Begrenzung der Staatsmacht und keine Gewaltenteilung, sondern die Herrschaft des Parlamentes und vielleicht Elemente der direkten Demokratie (Volksabstimmungen). Sie wollten die Volkssouveränität durch das allgemeine und gleiche Wahlrecht durchsetzen, waren nicht nur gegen das alte System, sondern auch gegen das liberale Besitz- und Bildungsbürgertum.[6]
Philosophisch kamen die Radikalen von den Linkshegelianern her. Sie wollten die Emanzipation des Menschen durch die Waffe der Vernunft. Die Religionskritik, wie Strauß und Feuerbach sie äußerten, führte zur revolutionären Kritik an Staat und Gesellschaft. Die Idee müsse Wirklichkeit werden, die revolutionäre Intelligenz hatte den selbstbewussten Anspruch auf Macht.[7]
Die Radikalen scharten sich unter anderem um die Halleschen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst (seit 1838; seit 1841 Deutsche Jahrbücher). Wichtig war ferner die Rheinische Zeitung (1842/1843).[8] Neben den intellektuellen gab es auch populistische Radikale, vor allem im deutschen Südwesten, und auch eine religiöse Richtung: christlich, aber aufklärerisch. Auf einem Treffen in Offenburg am 1847 entschieden die Radikalen sich für das gleiche Wahlrecht, eine Miliz-Wehrverfassung, gleiche Bildungschancen, progressive Einkommensbesteuerung und eine Änderung am Verhältnis von Kapital und Arbeit. Letzteres richtete sich auch gegen die Liberalen.[9]
Arbeiterbewegung

Wie die Radikalen sich aus der liberalen Bewegung herauslöste, so die Arbeiterbewegung aus der radikalen. Die Arbeiterbewegung wollte die Lage der Lohn- und Handarbeiter verbessern und politische Rechte für sie erkämpfen. Sie waren aber noch nicht unbedingt Sozialisten, und es handelte sich zunächst auch noch nicht um eine Bewegung von Unterschichten - diese waren sowieso von der Politik ausgeschlossen. Sie waren auch noch keine Klasse, schreibt Nipperdey, „die sozialistische Idee vom Fabrikproletariat entsprach der Realität der verarmten Massen in Deutschland lange Zeit noch durchaus nicht.“ Vielmehr handelte es sich um eine Verbindung von Intellektuellen und Handwerkergesellen im Ausland (im Exil). Dort gab es Redefreiheit, die für theorievolle Diskussionen genutzt wurde.[10]
Der frühe Sozialismus, aus dem demokratischen Radikalismus entstanden, sah sich als Erbe der Französischen Revolution und Fortsetzung der liberalen Emanzipationsbewegung. Er lehnte das juste milieu, die hierarchische Gesellschaft der Liberalen, ebenso so ab wie es die Radikalen taten. Doch er ging darüber hinaus, war für Gemeineigentum und gegen den liberalen Individualismus und die Eingrenzung des Staates. So hatte der Sozialismus auch antiliberale Berührungspunkte zu den Konservativen. Allerdings war er nicht rückwärts-, sondern vorwärtsgewandt und stand auf dem Boden der industriellen Revolution.[11]
In Paris wurde 1836/1837 aus dem Bund der Geächteten der Bund der Gerechten, die erste Organisation. Damals dachte man aber noch kaum an Fabrikarbeiter, sondern an Handwerksgesellen.[12] Es dauerte noch Jahrzehnte, bis die Arbeiterbewegung eine gesellschaftliche Macht wurde, und zu ihren Anfängen war es auch noch nicht klar, dass die marxistische Richtung überherrschend werden würde. Außerdem gab es auch protestantische und katholische Initiativen, die sich für das Wohl der Arbeiter engagierten, beispielsweise vom Hamburger Pfarrer Johann Heinrich Wichern und dem westfälischen Geistlichen Wilhelm Emmanuel von Ketteler.[13]
Konservative
Der Konservatismus war die Kraft der Beharrung, ständisch und romantisch. In Preußen wurde er durch den Rechtsphilosphen Friedrich Julius Stahl modernisiert, einen ehemaligen Burschenschaftler und getauften Juden, der aus Bayern nach Berlin kam. Seinem Programm zufolge sollte der christliche Staat auf christlichen Normen und Einrichtungen beruhen, nicht auf weltlichen. Er sollte mit der Kirche wesensmäßig verbunden sein und beispielsweise mit dem Eherecht dafür sorgen, dass der Staat christlich bleibt.
Dank Stahl lehnte der Konservatismus den modernen Staat nicht mehr ab, sah in ihm „nicht ein quasi privates, ständisches und partikularistisches Herrschafts- und Eigentumsgefüge, sondern das einzige und ungeteilte Gemeinwesen, dem alle öffentliche Gewalt zukommt“ (Nipperdey). Die Verfassung sollte nicht liberal, sondern auf den Monarchen ausgerichtet sein, mit nur eingeschränkter Rolle des Parlaments. Stahl verwies auf das englische Beispiel und die ständischen Wurzeln des Parlaments dort.[14]
Katholiken

Die Kirche war vor der Französischen Revolution stets gemeinsam mit dem Staat aufgetreten. Das war danach nicht mehr so selbstverständlich; jedoch wollte die Kirche auch weiterhin Einfluss auf das Leben der Menschen haben, vor allem durch so lebensprägende Einrichtungen wie Schule und Ehe. Auf diesen Gebieten musste sie sich aber mit dem Staat arrangieren. Aus den Versuchen, die Kontrollen und Eingriffe des Staates abzuwehren, entsprang eine politische Bewegung auch außerhalb der Amtskirche. Der Katholik sah sich der Säkularisierung (Verweltlichung) gegenüber, der vorherrschenden Strömung in der bürgerlichen Gesellschaft.[15]
Die katholischen Massen wurden nach 1815 nur langsam mobilisiert und organisiert, anhand von Wallfahrten und Kirchenblättern, ab den 1840er Jahren auch Vereine. Die eigentliche Parteibildung trat 1838 ein, nach dem Kölner Ereignis 1837: Der preußische Staat hatte im Streit um konfessionell gemischte Ehen den Kölner Erzbischof inhaftiert. Das wurde zur ersten gesamtdeutschen Erfahrung der Katholiken, die politisierte und polarisierte. Die protestantischen und katholischen Konservative trennten sich, die Liberalen und Radikalen wandten sich gegen den Katholizismus. Aus dieser Zeit stammen die Kampfschrift Athanasius und das Berliner Politische Wochenblatt von Joseph Görres.[16]
Die konservativen Katholiken betonten Ordnung und Tradition und dass der Mensch nicht der Schöpfer und Herrscher sei. Die Revolution sahen sie als moderne Sünde an. Die Liberalen würden den Menschen den Halt am Gegebenen nehmen, der bürokratisch-obrigkeitliche Staat hingegen sei ebenfalls moderner Ungeist. Ursprung des modernen Unglücks sei die Reformation mit ihrem Subjektivismus, aus dem Aufklärung, Absolutismus und überhaupt die Revolution stammen.[17]
Märzrevolution 1848/1849

In Anlehnung an revolutionäre Ereignisse in Frankreich und anderen europäischen Ländern kam es im März 1848 zur „Märzrevolution“ in Deutschland, um aus Deutschland ein geeintes Land mit einer parlamentarischen Verfassung zu machen. Viele Monarchen, in Angst vor Terror wie bei der Französischen Revolution, ernannten liberale Regierungen. Schon am 5. März trafen sich liberale und demokratische Politiker in Heidelberg zum sogenannten Vorparlament. Die Trennung beider Gruppen zeigte sich deutlich an der Frage der Staatsform: Die Liberalen traten ein für „Freiheit, Volkssouveränität und Monarchie“, für eine konstitutionelle Monarchie, so ihr Führer Heinrich von Gagern, die Demokraten für eine Republik und hatten überhaupt weitergehende Forderungen. Gemeinsam stimmte man dann für Wahlen zu einer Nationalversammlung, die die Frage Monarchie oder Republik beantworten würde. Eine extreme Linke um Friedrich Hecker blieb bei ihrer Forderung, das Vorparlament müsse sich zum Revolutionskonvent erklären und dauerhaft zusammenbleiben, und verließ die Versammlung für einige Zeit. Die gemäßigte Linke um Robert Blum blieb.[18]
Die Wahlen zur Nationalversammlung liefen je nach Staat unterschiedlich ab; die Bestimmung, dass nur „Selbstständige“ wählen durften, wurde allgemein sehr großzügig ausgelegt, so dass durchschnittlich etwa achtzig Prozent der (männlichen, erwachsenen) Bevölkerung Deutschlands gewählt haben. Da es noch keine Parteien gab, waren die Wahlen meist Persönlichkeitswahlen.[19] „Ansehen war oft wichtiger als die politische Richtung“, schreibt Nipperdey, und falls es doch zu politisch geprägten Wahlkämpfen kam, standen sich Liberale (die Gemäßigten) und Demokraten (die „Entschiedeneren“) gegenüber. In Bayern und im Rheinland gab es noch den Einfluss der katholischen Kirche. Gewählt wurden vor allem Beamte, Lehrende und Juristen, sowohl bei den Liberalen als auch bei den Demokraten.[20]
Gruppen in und außerhalb der Nationalversammlung

Im „Paulskirchenparlament“, benannt nach einer Frankfurter Kirche, in der es tagte, fehlten sowohl die Hochkonservativen als auch die Sozialisten. Die Katholiken waren eher schwach vertreten und teilten sich zudem in mehrere Gruppen auf. Die verschiedenen Fraktionen (Angehörige einer bestimmten politischen Richtung) benannten sich nach dem jeweiligen Hotel oder Restaurant, in dem sie sich trafen:
- Ca. vierzig Rechte, das heißt gemäßigte Konservative (Steinernes Haus, dann Café Milani): Sie wollten das Bestehende bewahren, waren für die Kirche und für eine föderalistische Lösung, also einen Gesamtstaat, der den einzelnen Gliedstaaten viel Freiraum geben würde.
- Ca. 120-130 Angehörige des Rechten Zentrums, die konstitutionellen Liberalen (Casino): Angestrebt wurde eine Zusammenarbeit mit den Regierungen der deutschen Staaten für einen Ausgleich zwischen Staat und Individuum. Dazu sollte notfalls auch Zugeständnisse in Fragen der Freiheit gemacht werden. Bekanntester Vertreter dieser Richtung war der Parlamentspräsident und spätere Reichsministerpräsident von Gagern. Sie zerfiel später in mehrere Teile.
- Ca. 100 Abgeordnete im Linken Zentrum, den linken Liberalen (Württemberger Hof): Es setzte sich für Volkssouveränität und die Rechte des Parlamentes, auch bereits der Paulskirche, ein. Im Oktober spalteten sich eine rechte (Augsburger Hof) und eine linke (Westendhall) Gruppe ab.
- Ca. 100 gemäßige Demokraten (Deutscher Hof): Robert Blum und seine Anhänger waren für Republik sowie Volks- und Parlamentsherrschaft, machten aber auch Kompromisse möglich.
- Ca. 40 Radikale, die extremen Demokraten (Donnersberg): Die Anhänger von Hecker wollten die Revolution notfalls weiterführen, Arnold Ruge gehörte in der Paulskirche dazu.[21]
Es gab bei aller Gruppenbildung noch viele Fraktionslose und Fraktionswechsler, und nicht immer stimmten die Fraktionen geschlossen ab. Es war ein Fortschritt, dass man sich als Fraktionsmitglied allenfalls enthielt und nicht etwa gegen die Gruppenmeinung abstimmte.[22] Später gruppierten die Rechten und die Mitte sich um, nach Großdeutschen und Kleindeutschen, die jeweils die Linke zur Zusammenarbeit brauchten.
Außerhalb des gesamtdeutschen Parlamentes gab es Entwicklungen in den Parlamenten der Einzelstaaten sowie außerparlamentarische Bewegungen:
- Die Katholiken sammelten sich etwa in den „Piusvereinen für religiöse Freiheit“, mit ungefähr 100.000 Mitgliedern; im August brachten sie für eine Petition an die Paulskirche, die Rechte der Kirche zu wahren, 273.000 Unterschriften zusammen. Nach Einspruch Roms ließen sie die Forderung nach einem nationalen Primas (Vorsitzendem der Bischöfe in Deutschland) und einer deutschen Synode fallen. Wichtiger war es für sie, die Kirche vor staatlichen Eingriffen zu bewahren.[23]
- Die Konservativen bemühten sich um Strategien gegen die Revolution. Im Juli 1848 sammelten die Hochkonservativen hinter der Neuen Preußischen Zeitung („Kreuzzeitung“), auch Vereine des Großgrundbesitzes und der protestantischen Kirche formierten sich. Wichtige Unterstützung kam aus militärischen Kreisen, die an den Höfen noch viel Einfluss hatten. Aus diesen Kreisen stammt der Satz, gegen Demokraten würden nur Soldaten helfen.[24]
- Radikale und Demokraten fürchteten die Gegenrevolution und wollten darum die Revolution umso radikaler weitertreiben. Sollte die Paulskirche scheitern, wollte man eine „Art jakobinischer temporärer Diktatur“ mit totalitären Zügen (Nipperdey) einrichten. In Frankfurt kam im Juni ein Demokratenkongress mit zweihundert Teilnehmern zustande, der zur Gründung demokratisch-republikanischer Vereine aufrief. Die Demokraten lösten sich endgültig von den Liberalen. Im September kam es sogar zu einem radikalen Aufstand in Frankfurt, bei dem zwei konservative Abgeordnete getötet wurden. Vor allem dies brachte die Mitte gegen die Linke auf und stärkte letztlich die Konservativen.[25]

In der Form von Arbeitervereinen gab es bereits Gruppen, die der einen oder anderen Formulierung des „Sozialismus“ anhingen. Aus dem Revolutionsjahr stammt beispielsweise das Kommunistische Manifest. Diese Gruppen waren nicht in der Paulskirche vertreten und konnten damals noch nicht eindeutig vom bürgerlichen Radikalismus abgegrenzt werden.[26]
Scheitern der Revolution
Die Frankfurter Paulskirche und ihre meist liberalen Abgeordneten konnten die Grundprobleme der Zeit nicht lösen. Die eigentliche Staatsgewalt lag weiterhin in den Händen der alten Feudalherren, nicht in denen der von der Paulskirche eingesetzten Reichsregierung, die obendrein vom Ausland nicht anerkannt wurde. Unlösbar waren nicht zuletzt die Nationalitätenprobleme, vor allem in Bezug auf Dänen, Polen und Tschechen. Überhaupt war Östereich mit seinen vielen Nationalitäten kaum in einen parlamentarischen deutschen Nationalstaat einzubinden, was die kleindeutsche Lösung stärkte. Am 28. März 1849 wählte die Paulskirche den preußische König zum Kaiser der Deutschen, der dies aber nicht annahm.
Das leitete das Ende der Revolution ein, die Einzelstaaten zogen ihre Abgeordneten zurück, andere traten aus. Der Rest, ein von den Linken beherrschtes „Rumpfparlament“, tagte noch bis Juni in Stuttgart. Es kam noch zu Gefechten zwischen linken Aufständischen und (nicht nur) preußischem Militär. Viele Demokraten verließen Deutschland,[27] wo die alten Mächte jetzt wieder umso strenger regierten.
Überregionale Parteien nach 1849

Das Jahrzehnt nach der gescheiterten Märzrevolution wird „Reaktionszeit“ genannt. Parteien und politische Parteien waren verboten. Das lockerte sich in Preußen erst, nachdem 1858 Wilhelm I. die Amtsgeschäfte von seinem kranken Bruder übernommen hatte.

Die erste deutsche Partei mit einem festen Parteiprogramm war die 1861 gegründete liberale Deutsche Fortschrittspartei. Sie setzte sich für einen deutschen Nationalstaat auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage ein. Diese mächtige Gruppierung spaltete sich 1867 in eine linke und eine rechte Bewegung. Das war eine verspätete Folge des preußischen Verfassungskonflikt von 1862. Ministerpräsident Otto von Bismarck hatte, nachdem er vom liberalen Landtag keine Unterstützung für seinen Militärhaushalt bekommen hatte, einfach ohne Zustimmung des Landtags gehandelt. Nach dem Sieg über Österreich bat er 1866 mit der sogenannten Indemnitätsvorlage um eine nachträgliche Rechtfertigung; nur indirekt gestand er ein, rechtswidrig gehandelt zu haben. Während die Linksliberalen das Versöhnungsangebot ablehnten, nahmen die Rechten es an und gründeten in der Folge die Nationalliberale Partei. Sie war kleindeutsch orientiert, wollte also ein preußisch geführtes Deutschland ohne Österreich, und arbeitete später auch meistens mit der Reichsregierung zusammen.
Süddeutsche Liberale hingegen gründeten damals die linksliberale Deutsche Volkspartei. Sie wollten eine großdeutsche Lösung, also ein föderalistisches Deutschland einschließlich Österreichs. Im Reichstag des Norddeutschen Bundes (seit 1867) arbeitete die Deutsche Volkspartei auch mit Sozialisten, die ebenfalls antipreußisch eingestellt waren.
Auch die Konservativen waren sich uneins über Bismarcks Politik. Die Altkonservativen beriefen sich auf das Legitimitätsprinzip (die angestammten Rechte der Fürsten) und verurteilten daher, dass Preußen Gebiete wie Hannover annektierte und deren Fürsten absetzte. Die Freikonservativen (seit 1866/1867, später auf Reichsebene Deutsche Reichspartei) hingegen unterstützte Bismarck.[28]

1863 wurde in Leipzig der erste Vorläufer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gebildet, der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV). Sein Hauptinitiator und Präsident war der Breslauer Ferdinand Lassalle, der als Hauptfeind die Liberalen ansah, die die Revolution von 1848 verraten hätten. Als er ein Jahr später starb, hatte der Verein zwar nur 4600 Mitglieder, doch bereits eine zentralistische Organisation.[29]
1869 entstand, hervorgehend aus der kurzlebigen Sächsischen Volkspartei von 1866, die marxistisch orientierte Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) auf Initiative von Wilhelm Liebknecht und August Bebel, die zunächst noch – aus unterschiedlichen Gründen – in Konkurrenz zum ADAV stand. Unter anderem war die eher in Sachsen, Bayern und anderen nichtpreußischen Gebieten beheimatete Partei großdeutsch eingestellt, während der ADAV eine taktische Zusammenarbeit mit der preußischen Regierung nicht ablehnte. 1875 vereinigten sich die beiden Parteien in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (seit 1891 unter dem heute bekannten Namen, SPD).
1870 entstand die katholische Zentrumspartei, benannt nach der Tatsache, dass die katholischen Abgeordneten meist zwischen den Liberalen links und den Konservativen rechts im Parlament saßen. Sie gilt im Nachhinein als erste deutsche „Volkspartei“, denn ihre Wähler kamen aus allen sozialen Schichten. Ihre Stimmenanteile waren jahrzehntelang relativ gleichbleibend.
Kaiserreich 1871-1918
Schon im Norddeutschen Bund seit 1867, dann aber auch im Kaiserreich seit 1871 war der Reichstag eine wichtige Bühne für die Parteien, aber auch ein Organ, mit dem sie die staatliche Politik beeinflussen konnten. Die Parteien bestimmten über die Gesetzgebung mit, die Regierung allerdings wurde vom Kaiser eingesetzt. Beschränkt war die Rolle des Reichstags und damit auch der Parteien ferner durch den Föderalismus, durch die Stärke Preußens im Bundesrat und durch gewisse Beschränkungen beim Budgetrecht und den Entscheidungen über das Militär.[30]
Die Parteien der 1860er-Jahre bestanden im Kaiserreich im wesentlichen fort. Die 1875 vereinten Sozialisten (siehe Gothaer Programm) benannten sich 1891 in Sozialdemokratische Partei Deutschlands um, die Linksliberalen (beziehungsweise diejenigen, die nicht zu den Nationalliberalen gehörten) verteilten sich zeitweise über drei verschiedene Parteien. Das Zentrum wurde in den 1880er Jahren zur stärksten Fraktion.
Hinzu kam unter anderem die 1878 gegründete Christlich-soziale Arbeiterpartei, welche erstmals Antisemitismus ins Parteiprogramm aufnahm. Außer ihr gelangten auch weitere Antisemitenparteien in den Reichstag, sie erlangten aber nie politische Bedeutung.
Ferner gab es im Parlament immer eine gewisse Anzahl von Abgeordneten, die Regionalparteien oder Minderheiten angehörten. Sie machten zusammen etwa zehn Prozent aus. Dabei handelte es sich um die „Elsässer“, also die allermeisten Abgeordneten aus Elsass-Lothringen, die ansonsten dem Zentrum recht nahestanden, ähnlich wie die polnischen Abgeordnenten. Ferner gab es einige dänische Abgeordnete. Diese drei Gruppierungen verschwanden nach 1918 aus dem Parlament, entsprechend der Gebietsverluste Deutschlands. Dauerhaft gab es die Deutsch-Hannoversche Partei, die 1869/1870 aus dem Hannoverschen Wahlverein entstanden war, nachdem 1866 Preußen Hannover annektiert hatte.[31]

Wahlen

Das Wahlrecht unterschied sich in den einzelnen Ländern; Preußen hatte beispielsweise bis 1918 ein Dreiklassenwahlrecht. Die Wahl zum Reichstag hingegen war einheitlich allgemein, gleich und direkt (und mit Einschränkungen auch geheim). Wahlberechtigt waren im Prinzip alle Männer ab 25 Jahren, ausgenommen Militärangehörige, Strafgefangene, Entmündigte und Männer, die von der Armenhilfe lebten. Waren 1874 noch 11,5 Prozent von der Wahl ausgeschlossen, waren es 1912 nur noch 5,9 Prozent. Das lag daran, dass die Kriterien anders ausgelegt wurden und die Wählerlisten besser geführt wurden. Was die Allgemeinheit angeht, musste das Reich den Vergleich zum Beispiel mit den demokratischen USA nicht scheuen. Das fehlende Wahlrecht für Frauen wurde auch von den meisten Frauen nicht als Problem angesehen.[32]
Wählbar waren außer den Wahlberechtigten auch die Militärs. Wurde ein Abgeordneter verbeamtet, musste er sein Mandat aufgeben. Da es bis 1906 auch keine Diäten (Geld für Abgeordnete) gab,[33] waren die Sozialdemokraten grundsätzlich benachteiligt, weil ihre Vertreter aus ärmeren Verhältnissen stammten. Allerdings waren ihre Abgeordneten oft Parteiangestellte oder Redakteure von Parteizeitungen, das band sie wiederum stärker an ihre Partei.
Die Abstimmung erfolgte nach einem Mehrheitswahlrecht in Ein-Personen-Kreisen mit zwei Wahlgängen. Das Mandat des Wahlkreises gewann derjenige, der im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen hatte. Um dies zu erreichen, gab es zwischen Parteien bereits im Vorfeld eine Einigung auf einen aussichtsreichen Kandidaten. Erhielt kein Kandidat eine absolute Mehrheit, so entschied etwa zehn bis vierzehn Tage später ein zweiter Wahlgang (eine Stichwahl) zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten.[34]
Es kam zum Teil zu großen Unterschieden zwischen Stimmen- und Mandatsanteil einer Partei, wie es bei der Mehrheitswahl üblich ist. Eine Partei trat normalerweise nur dort an, wo ihr Kandidat Chancen hatte, gewählt zu werden. Daher waren die Linksliberalen eine vor allem west- und süddeutsche Partei, die Konservativen hatten ihre Hochburgen im Osten. Das Zentrum war im Süden, Teilen des Westens und in Oberschlesien stark, also dort, wo Katholiken wohnten. Die einzige wirklich reichsweite Partei war die SPD, die seit 1890 in fast allen Wahlkreisen Kandidaten aufstellte. Man spricht bei aussichtslosen Wahlkreisen von „Zählkandidaten“, die den örtlichen SPD-Anhängern die Gelegenheit gaben, für ihre Partei zu stimmen. Das mobilisierte die SPD-Wähler und erbrachte einen hohen Stimmenanteil, mit dem man gegen das Mehrheitswahlsystem (und die relativ wenigen Sitze für die SPD) protestieren konnte (ähnlich gingen die Polen vor). Die Stimmenanteile der Kaiserzeit lassen sich daher nur bedingt mit denen in der Weimarer Republik vergleichen, da viele Stimmen für die anderen Parteien gar nicht erst abgegeben wurden.
Außer der Mehrheitswahl an sich waren die Wahlkreiseinteilung und die Stichwahl zwei wichtige Faktoren für die Stärke von Parteien. Die Wahlkreise wurden nicht an die Veränderungen in der Bevölkerung (Wachstum durch Geburten, Ab- und Zuwanderung) angepasst. Beispielsweise wählten 1912 im Wahkreis Teltow-Charlottenburg bei Berlin 338.900 Männer, in Schaumburg-Lippe nur 10.700. Das benachteiligte das städtische gegenüber dem ländlichen Deutschland, das heißt die Linksliberalen und Sozialdemokraten gegenüber den Konservativen und dem Zentrum. Dafür kam es, anders als in den USA, nicht zu einem gezielten Anpassen der Wahlkreise (Gerrymandering).[35]

Die Zusammenarbeit der Parteien vor allem bezüglich der Stichwahl hatte große Auswirkungen auf das Ergebnis. Es profitierte davon vor allem die Mitte, die Liberalen, die 1912 fast alle ihre Mandate in Stichwahlen erreichten. Das glich ihre Lage als benachteiligte Stadtpartei etwas aus. Die Linksliberalen haben in der Kaiserzeit 79,5 Prozent von insgesamt 541 Stichwahlen gewonnen, die Sozialdemokraten (von 679) nur 27,4 Prozent.[36]
Parteiorganisation
Partei zu sein bedeutete bis in die 1880er Jahre noch vor allem, Unterstützer einer Fraktion zu sein. Dies war vor allem in Wahlkampfzeiten wichtig, dazwischen gab es anfangs noch kaum eine Organisation. Man war nirgendwo Mitglied, höchstens in einem Verein, der einer Partei kulturell nahe stand. Das Zentrum konnte auf die Unterstützung des Klerus zählen, die Konservativen auf die Bürokratie und die Großgrundbesitzerklientel. Die Liberalen mussten sich eher Helfer für den Wahlkampf neu suchen.[37]
Mit der Zeit entstand aus den örtlichen Wahlkomitees Kontinuität von Wahl zu Wahl. Diese Komitees ersetzten bis 1899, als der Zusammenschluss zu politischen Vereinen noch verboten war, moderne Parteien. Etwa in dieser Zeit gab es mehr und mehr gesellschaftliche Gruppen mit neuen Ansprüchen, oft ökonomischen. Die Wähler waren häufiger Angestellte, nicht mehr selbstständige Handwerker und Landwirte. Die Gesellschaft, einschließlich deren Unterschichten, interessierte sich verstärkt für Politik. Die Parteiorganisationen wurden daher auch deshalb ausgebaut, um Populisten (wie den Antisemiten) entgegenzutreten. Wahlkämpfe dauerten länger und waren teurer.[38]
Die Sozialdemokraten standen für die neue Art von Parteiorganisation und Mobilisierung der Wähler. Darauf mussten die anderen Parteien reagieren, vor allem die Liberalen, während Katholiken und Konservative noch eher auf kirchliche und Vebandsstrukturen zurückgreifen konnten. Insgesamt blieb der Typus der Honoratiorenpartei beherrschend. Die Zentralen hatten nur wenig Geld, Spenden gingen zumeist an die Organisationen und Kandidaten vor Ort.[39]
Ohnmacht der Parteien

Die Parteien hatten der Verfassung nach zwar keinen Einfluss auf die Regierungsbildung, dennoch hätten sie aber die Machtfrage stellen können, wie es in anderen Ländern geschehen ist. Eine Reichstagsmehrheit hätte die Gesetzes- und Haushaltsvorlagen der kaiserlichen Regierung generell ablehnen können, um den Kaiser zu zwingen, eine Regierung mit Angehörigen der Mehrheitsparteien einzusetzen. Das geschah aus mehreren Gründen nicht:
- Vor allem Otto von Bismarck, Reichskanzler von 1871 bis 1890, war sehr geschickt darin, die Parteien gegeneinander auszuspielen. Um sie gefügig zu machen, scheute er vor Diffamierung und sogar Verfolgung nicht zurück; „Reichsfeindschaft“[40] war sein Vorwurf. Das erlebten der organisierte Katholizismus mit dem Kulturkampf (etwa bis 1878) und die Sozialdemokratie mit den Sozialistengesetzen (1878-1890). Die Liberalen stimmten teilweise für die antikatholische und antisozialistische Gesetzgebung. Zwar wurden Andersdenkende nicht von Staats wegen ermordet, aber eingesperrt. Viele Karrieren wurden zerstört.
- Bismarck und auch einige kaiserliche Politiker nach ihm drohten indirekt und teilweise deutlich damit, ein neues politisches System einzurichten, in dem die Parteien noch weniger mitzureden hätten („Staatsstreichpolitik“).[41] Das entmutigte die Parteien, die Machtfrage zu stellen.
- Die Parteien vertraten unterschiedliche Auffassungen und Interessen und waren darüber hinaus bestrebt, die jeweils Andersdenkenden nicht zu weit emporkommen zu lassen:
- Vor allem die beiden konservativen Parteien und die Nationalliberalen, die man zusammen die Kartellparteien nannte, profitierten vom bestehenden System und fürchteten politische und soziale Veränderungen.
- Aber auch das Zentrum, das schon 1890 eine Mehrheit mit Linksliberalen und Sozialdemokraten gehabt hätte, wollte sich lieber mit der Regierung arrangieren. Es stand kulturpolitisch und schulpolitisch gegen die Linksliberalen und Sozialdemokraten, während es mit den Sozialdemokraten gewisse sozialpolitische Auffassungen teilte.
- Selbst die Linksliberalen, die für eine Demokratisierung eintraten, arbeiteten teilweise mit den Kartellparteien zusammen, weil sie den Katholizismus und noch mehr die Sozialdemokratie fürchteten.
- Die Sozialdemokratie war gegen eine Regierungsbeteiligung, teilweise wegen ihrer schlechten Behandlung, teilweise aus prinzipiellen Gründen. Nach den harten Sozialistengesetzen gaben sie sich 1891 das marxistische Erfurter Programm. Die Historikerin Helga Grebing nennt die damalige SPD eine „isolierte Klassenpartei der deutschen Industriearbeiterschaft“.[42]
Trotzdem stand die Front der alten Mächte nicht unerschüttert. 1906 fiel das Verbot, Abgeordneten Diäten zu genehmigen, das kam vor allem der Sozialdemokratie zugute, deren Anhänger aus ärmeren Verhältnissen stammten. Nach der Reichstagswahl 1912 mit großen Gewinnen der SPD wurde es immer schwieriger, die alten Verhältnisse beizubehalten.
Erster Weltkrieg 1914-1918 und Novemberrevolution
Am Anfang des Ersten Weltkriegs bot Kaiser Wilhelm II. den Parteien einen „Burgfrieden“. Gemeinsam solle die Nation kämpfen, von den Parteien erwartete er die Zustimmung zu den Kriegskrediten. Nur ein sehr kleiner Teil der SPD um Karl Liebknecht widersetzte sich. Dies wurde der Keim für die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) 1917; die bisherige SPD wurde kurzzeitig Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD) genannt. Eine weitere, linksrevolutionäre Fraktion, der Spartakusbund, bildete die Keimzelle für die spätere Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).
Am 6. Juli 1917 gründeten MSPD, Freisinnige, Nationalliberale und Zentrum einen interfraktionellen Ausschuss und forderten einen Verständigungsfrieden ohne Gebietsausbreitungen und eine weitere Parlamentarisierung. Auch linke Mitglieder der Nationalliberalen wie Gustav Stresemann befürworteten die Parlamentarisierung, traten aber für Annexionen ein. In jenem Jahr wurde sogar ein konservativer Zentrumspolitiker Reichskanzler. Allerdings blieb die Regierung schwächlich gegenüber dem Reichstag einerseits und der Obersten Heeresleitung andererseits, die von der Gunst des Kaisers profitierte.
Am 29. September 1918 informierte die Oberste Heeresleitung Kaiser und Reichskanzler über die aussichtslose militärische Lage. Ludendorff forderte ein Waffenstillstandsgesuch. Er empfahl eine zentrale Forderung des amerikanischen Präsidenten Wilson zu erfüllen und die Reichsregierung auf eine parlamentarische Basis zu stellen, um günstigere Friedensbedingungen zu erlangen. Damit sollten die demokratischen Parteien die bevorstehende Kapitulation und deren Folgen allein zu verantworten haben.
Ludendorffs Lagebericht schockierte die Reichsregierung ebenso wie danach die Reichstagsabgeordneten. Dennoch waren die Mehrheitsparteien, vor allem die SPD-Führer, bereit, die Regierungsverantwortung zu übernehmen. Da Reichskanzler Hertling die Parlamentarisierung ablehnte, ernannte der Kaiser am 3. Oktober den als liberal geltenden Prinzen Max von Baden zum neuen Reichskanzler. In dessen Kabinett traten erstmals auch Sozialdemokraten ein. Am Folgetag bot die neue Regierung den Alliierten den von Ludendorff geforderten Waffenstillstand an.
Mit der Oktoberreform vom 28. Oktober 1918 musste der Kanzler fortan auch das Vertrauen des Reichstags besitzen. Damit war das Deutsche Reich von einer konstitutionellen zu einer parlamentarischen Monarchie geworden. Aus Sicht der SPD-Führung erfüllte die sogenannte Oktoberverfassung alle wichtigen verfassungsrechtlichen Ziele der Partei. Ebert betrachtete schon den 5. Oktober als die „Geburt der deutschen Demokratie“. Eine Revolution hielt er nach dem (von Baden erzwungenen) Machtverzicht des Kaisers am 9. November für überflüssig. Um die weitere politische Entwicklung in geordnete Bahnen zu überführen, setzte er sich als „Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragten“ (Regierungschef) für rasche Wahlen zu einer Nationalversammlung ein, um Deutschland eine neue Verfassung zu geben.
Weimarer Republik 1919-1933
Voraussetzungen

Die Parteien in der Weimarer Republik unterschieden sich nicht wesentlich von denen im Kaiserreich, da die dahinter stehenden sozialmoralischen Milieus dieselben blieben. Damit meint man gesellschaftliche Gruppen, Weltanschauungslager, die jeweils durch Religion, Tradition, Besitz, Bildung bzw. Kultur geeint werden. Dauerhaft gab es ein konservatives, ein katholisches, ein bürgerlich-protestantisches und ein sozialistisch-proletarisches Milieu, hinzu kamen dann die Milieus extremistischer Parteien wie der kommunistischen KPD und der nationalsozialistischen NSDAP. Peter Lösche weist darauf hin, dass die Reichstagswahlergebnisse von 1912 und 1920 fast identisch waren.[43]
Die Parteien hatten in der Weimarer Zeit nicht nur für die Kandidatenaufstellung zum Reichstag und den Landesparlamenten zu sorgen, sondern auch für die Reichspräsidentenwahl. Überhaupt mussten sie die gesamte Staatsleitung übernehmen, einschließlich in Politikbereichen, die zuvor noch eher das Terrein der kaiserlichen Regierung war, nämlich das Militär und die Außenpolitik. Den Parteien fiel es schwer, Regierungen mit parlamentarischer Mehrheit zu bilden und Verantwortung zu übernehmen. Allerdings waren die außenpolitischen und wirtschaftlichen Bedingungen nicht derart, dass sie dazu ermutigt hätten; außerdem finden sich Beispiele wie die Finanzreform oder Reichsbahnreform, die der politischen Leistung der damaligen Politiker Respekt abverlangen.

Häufig wird vereinfachend behauptet, das Weimarer Wahlsystem habe zu einer Parteienzersplitterung, einem Vielparteiensystem geführt.[44] Vielmehr jedoch blieb das Vielparteiensystem der Kaiserzeit bestehen; es gab weiterhin etwa zehn bis fünfzehn Parteien im Reichstag, von denen nur eine Handvoll wirklich relevant war. Extrem viele Parteien gab es am ehesten in den beiden Reichstagen, die 1928 und 1930 gewählt wurden. Verhängnisvoll wurde der Republik nicht die Zahl der kleinen, sondern die Stärke der extremistischen Parteien. Dies gilt besonders für die Zeit seit der Weltwirtschaftskrise 1929, als das Parteiensystem sich radikal veränderte: Die Stimmenanteile der konservativen und liberalen Parteien wurden großteils von der NSDAP aufgesogen.
Von großer Bedeutung für die Parteienorganisation war das Verhältniswahlrecht insofern, als dass die regionale Verteilung der Stimmen kaum noch etwas ausmachte (es war kein ganz reines Verhältniswahlrecht, wegen einer regionalen Reststimmenauszählung). Jetzt lohnte es sich auch beispielsweise für die Konservativen, außerhalb des Ostens aktiver Wahlkampf zu betreiben. Wegen ihrer besser ausgebauten reichsweiten Organisation hatte aber besonders die SPD und teilweise der Linksliberalismus einen Startvorteil. Abkommen für die Kandidatenaufstellung verloren ihre Bedeutung, außer bei der Reichspräsidentenwahl, die reichsweite Lagerbildung förderte. Erstmals in der deutschen Geschichte und auch früher als in vielen anderen Ländern durften 1919 die Frauen wählen.
Entwicklung der Parteien


Die sozialdemokratische Partei verlor einen Großteil ihres linken Flügels an die USPD und mittelbar an die KPD, die nach dem Zerfall der USPD deren Stimmenanteile übernahm. Ein Teil der USPD-Mitgliederschaft ging 1922 zurück zur SPD, die während der Weimarer Zeit bis 1932 die stärkste Reichstagsfraktion stellte. Die Partei hatte etwa zwanzig bis dreißig Prozent der Stimmen, war aber seit 1923 vergleichsweise selten an der Regierung beteiligt.
Die Liberalen wollten 1918 ursprünglich eine gemeinsame große Volkspartei bilden. Doch personelle und inhaltliche Konflikte führten dazu, dass die Trennung in linkere Fortschrittler (jetzt in der Deutschen Demokratischen Partei, DDP) und Nationalliberale (jetzt Deutsche Volkspartei, DVP) erhalten blieb. Trotz teilweise starker Reibungen arbeiteten sie jedoch fast immer in der Regierung zusammen und wurden, neben dem Zentrum, die eigentlichen Regierungsparteien der Republik (bis 1931/1932)
War zuerst die eher gegründete DDP die weitaus stärkere der liberalen Parteien, so drehte sich das Verhältnis später um. Das höchste Wahlergebnis erzielte die DDP 1919 mit über 18 Prozent und die DVP 1920 mit über 13 Prozent. Bei einem starken Rückgang erhielten sie aber selbst 1930 noch zusammen über acht Prozent, was auch für die bundesdeutsche FDP ein recht gutes Ergebnis wäre. Spätenstens bei den drei Reichstagswahlen von 1932 und 1933 wurden sie zahlenmäßig unbedeutende Splitterparteien.
Das Zentrum blieb die Partei der Katholiken, obwohl es 1919 Ansätze zu einer gesamtchristlichen Volkspartei gegeben hatte. Wie alle Parteien litt es unter den Gegensätzen zwischen einem linken und einem rechten Flügel. Charakteristisch ist für das Zentrum, wie es in der Weimarer Zeit sehr beständige Wahlergebnisse von etwa elf bis dreizehn Prozent einfuhr. Rechnet man die bayerische Abspaltung BVP hinzu, kommt man in etwa auf die Stärke des Zentrums vor 1918. Allerdings war die BVP deutlich rechter als das Zentrum und stimmte beispielsweise bei der Reichspräsidentenwahl 1925 gegen den Zentrumskandidaten Wilhelm Marx.

Konservative, rechtere Nationalliberale, Antisemiten und einige weitere Gruppierungen fanden sich 1919 in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) wieder. Sie konnte sich am schlechtesten mit der Kriegsniederlage und der Abdankung des Kaisers abfinden und war nur kurzfristig in Weimarer Regierungen vertreten; sie nahm also die Rolle einer breiten bürgerlichen Rechtspartei innerhalb eines Parteien- und Regierungssystems nicht an. Bei entscheidenden Abstimmungen wie zum Dawes-Plan 1924 oder stimmte etwa die Hälfte der DNVP-Abgeordneten für die Regierungsansicht, was zu schweren Konflikten zwischen Gemäßigten und Radikalen in der Partei führte. Von 1928 bis 1930 verlor die Partei die Hälfte ihrer Abgeordneten und Stimmen, und kleinere Parteien wie die Volkskonservativen spalteten sich ab. Insgesamt hatte die DNVP zwischen sieben und fünfzehn Prozent der Stimmen, mit Ausnahme der beiden Wahlen von 1924, als sie um die zwanzig Prozent erhielt.
Zu diesen größeren Parteien, die grundsätzlich denen im Kaiserreich entsprachen, kamen frühzeitig Extremisten von links und rechts hinzu. Auf der linken Seite des Reichstags war dies vor allem die KPD, die sich als Teil der kommunistischen Weltbewegung verstand und im Laufe der 1920er viele heftige innerparteiliche Streits erlebte. Letztlich übernahm sie das zentralistische Prinzip der sowjetischen Mutterpartei und baute einen Führerkult um Ernst Thälmann auf. Sie bekämpfte die Weimarer Demokratie und vor allem die als „Sozialfaschisten“ verunglimpfte SPD. Bei den Reichstagswahlen kam sie meist auf etwa zehn Prozent, im Jahre 1932 bis auf knapp siebzehn Prozent.
NSDAP und Drittes Reich 1933-1945

Nach dem Ersten Weltkrieg waren eine Vielzahl von rechtsradikalen Splittergruppen entstanden. Eine davon war die Deutsche Arbeiterpartei vom Januar 1919, der sich noch im selben Jahr Adolf Hitler anschloss. 1921 wurde er der Vorsitzende der mittlerweile in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei umbenannten Partei. Sie lebte vor allem von negativen Aussagen: Sie war gegen die Demokratie, gegen den Versailler Vertrag, gegen die kapitalistische Wirtschaft und gegen andere Rassen sowie die Juden. Jeweils in den Krisen der Weimarer Republik (Hyperinflation 1923/1924 und besonders die Weltwirtschaftskrise seit 1929) erlebte die NSDAP ihre Erfolge.[45]

1923 hatte Hitler versucht, sich in München an die Macht zu putschen. Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung 1925 bemühte er sich, bei aller Radikalität seiner Partei einen legalen Anstrich zu geben. Ihm kam die Wirtschaftskrise seit 1929 zugute und insbesondere die Versuche von konservativen Politikern, den Staat autoritärer zu gestalten. Diese Politiker, zu denen die Reichskanzler Heinrich Brüning, Kurt von Schleicher und am längsten und vehementesten Franz von Papen gehörten, glaubten, sie könnten Hitler für ihre Zwecke einspannen, weswegen die NSDAP auch nicht verboten wurde. Im Januar 1933 kam eine Koalitionsregierung von NSDAP und DNVP zustande, in der mehrheitlich parteilose Konservative oder Nationalisten angehörten. Man glaubte, der starke Mann in der Regierung sei nicht etwa Reichskanzler Hitler, sondern Vizekanzler von Papen (ein ehemaliges Zentrumsmitglied) und vor allem der DNVP-Wirtschaftsminister Alfred Hugenberg.
In wenigen Monaten festigte Hitler seine Diktatur. Im Rahmen der Gleichschaltung wurden die demokratischen Parteien entweder verboten oder lösten sich auf. Am 22. Juni 1933 wurde die SPD verboten, am 27. Juni lösten sich die DNVP und die DVP auf und am 4. Juli die BVP. Am 14. Juli trat das „Gesetz gegen Neubildung von Parteien“ und am 1. Dezember das „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ in Kraft.
In der Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) wurde die NSDAP von Hitlers Stellvertreter als Parteiführer geleitet, Martin Bormann. Nachdem Hitler Reichskanzler geworden war, schnellte die Mitgliedszahl der zuvor schwächelnden Partei in die Höhe, so dass bis 1937 ein Aufnahmestopp galt. Die NSDAP kam auf über sechs Millionen Mitglieder und auf weitaus mehr Menschen, die über die zahlreichen sonstigen NS-Organisationen eingebunden waren (zum Beispiel die Hitler-Jugend). Eine eigenständige Machtstellung hatte die Partei in Hitlers Staat nicht, obwohl die Organisation wichtig für den Machterhalt der Nationalsozialisten war.
Deutsche Teilung 1945-1990

Seit der Besatzung durch die vier Siegermächte war das verbliebene Deutschland 1945 in vier Zonen aufgeteilt. Der Wiederaufbau von Parteien geschah zunächst auf lokaler Ebene und dann innerhalb der Zonen. Abgesehen davon, dass die Deutschen die Zonengrenzen nicht frei überqueren durften, musste eine Partei (bis 1950) eine Lizenz von der jeweiligen Besatzungsmacht haben. So erlaubte die britische Besatzungsmacht beispielsweise die Gründung der Niedersächsischen Landespartei, die sich 1947 in Deutsche Partei umbenannt hat; die amerikanische Besatzungsmacht genehmigte die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. Verboten wurden Organisationen von Flüchtlingen und Vertriebenen sowie die NSDAP und etwaige Nachfolgeorganisationen dieser.
Ehemalige NSDAP-Mitglieder fanden in allen Parteien Aufnahme. Dies wurde und wird einerseits kritisch gesehen, als moralische Belastung der Parteien, andererseits positiv als Wiedereingliederung dieser großen Menschenzahl und Gewinnung für die Demokratie. Bedenklichen politischen Einfluss im Sinne einer Unterwanderung gab nur im Fall der FDP, vor allem in den 1950er Jahren in Nordrhein-Westfalen. Dort griff 1953 sogar die britische Besatzungsmacht ein (Naumann-Kreis).
Nur vier Parteien waren in allen vier Zonen zugelassen: die Kommunistische Partei Deutschlands, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die Christlich-Demokratische Union (als bürgerlich-christliche Sammlung) und die Liberalen, die in den einzelnen Ländern oft verschiedene Namen trugen (letztlich setzte sich im Westen der Name Freie Demokratische Partei durch). Mehrere bekannte Politiker aus der Weimarer Zeit, wie Reichskanzler Heinrich Brüning, bemühten sich um eine neue Karriere in der Nachkriegspolitik, wurden jedoch zur Seite gedrängt. Allgemein aber wurden die Parteien im wesentlichen von Menschen aufgebaut, die schon vor 1933 politische Erfahrung gesammelt hatten. Trotz der einschneidenden Ereignisse vor, während und nach dem Krieg, so Lösche, wirkten Strukturen und Traditionen fort. Die Ostgebiete, Hochburgen der Konservativen, gingen jedoch verloren.[46]
Parteien in der SBZ und der DDR

Die sowjetische Besatzungsmacht war die erste, die politische Parteien zuließ, bereits im Juni 1945. Die Sowjetunion hatte die Hoffnung, den Parteien ihrer Zone einen Vorsprung gegenüber den in anderen Zonen zu geben und dass die Zentralen in Berlin-Mitte (im Ostteil der Stadt) als gesamtdeutsche Zentralen anerkannt werden würden. Die von der Besatzungsmacht geförderte KPD (gegründet am 11. Juni) gab sich sehr gemäßigt, um den Schein einer demokratischen Entwicklung zu wahren. Ebenfalls im Juni/Juli wurden die SPD, die CDU und die liberale LDPD gegründet. Die Parteien sollten in einem „demokratisch-antifaschistischen Block“ zusammenarbeiten.
Schon 1946 wurden die Sozialdemokraten in eine gemeinsame Partei mit den Kommunisten gezwungen, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Spätestens seit 1948 wurde die SED völlig von den Kommunisten beherrscht. Bei den Landtagswahlen im Oktober 1946 in der SBZ hatte die SED aber noch nicht den durchschlagenden Erfolg, den die Sowjetunion erwartet hatte. Um die bürgerlichen Parteien CDU und LDPD zu schwächen, gründete sie 1948 die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) und die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDPD), die vollkommen unter Kontrolle der SED waren. Dasselbe galt für die so genannten „Massenorganisationen“ wie den Freien Deutschen Gewerkschaftbund (FDGB) und den Kulturbund, die ebenfalls in Parlamenten vertreten waren, jedoch durchweg von SED-Mitgliedern beherrscht waren.
Zudem sicherte die SED ihre Macht dadurch ab, dass die Führungen von CDU und LDPD abgesetzt bzw. auf prokommunistischen Kurs gezwungen wurden und bei Wahlen nur noch „Einheitslisten“ des Blocks (später Nationale Front) „wählbar“ waren. Dadurch, dass alle Parteien auf einer einzigen Liste kandidierten, war jeweils im Voraus festgelegt, welche Partei wie viele Mandate erhielt. Die Verfassung der 1949 gegründeten DDR sicherte diese Vormacht der SED ausdrücklich. Die Sitzverteilung blieb über alle Wahlperioden bis zur Wende 1989 konstant.
In der DDR-Volkskammer hatten außer der SED und den Blockparteien CDU, LDPD, NDPD und DBD auch so genannte Massenorganisationen Abgeordnete, zum Beispiel der Gewerkschaftsbund FDGB. Diese Abgeordneten waren in der Regel SED-Mitglieder, daher war die SED weit stärker in der Volkskammer vertreten als es die Stärke der SED-Fraktion erscheinen lässt (127 von 500 Abgeordneten am Ende der DDR). Allerdings mussten auch alle anderen Abgeordneten der SED folgen. Erst Ende der 1980er-Jahre wagten manche vorsichtige Kritik an der SED-Politik, substanziell erst nach dem Fall der Berliner Mauer im November 1989.
Gründung der Bundesrepublik

In den westlichen Besatzungszonen wurden die Parteien etwas später als in der SBZ zugelassen. Als letzte Macht ermutigte Frankreich die politischen Kräfte in seiner Besatzungszone zur Parteiengründung. Mit der Zusammenführung der Besatzungszonen (amerikanisch-britische Bizone seit 1947) konnten auch die Parteien stärker überzonal zusammenarbeiten. Die Verfassung des neuen Weststaats, das Grundgesetz vom Mai 1949, erwähnte die Parteien positiv als Mitgestalter der politischen Meinungsbildung. Damit wurde eine längerfristige Entwicklung entsprechend der tatsächlichen Bedeutung von Parteien[47] in modernen Staaten anerkannt. (Auch in anderen Staaten erfolgte diese verfassungsmäßige Anerkennung erst nach 1945.)
Die Sozialdemokraten widersetzten sich unter Führung ihres in Hannover lebenden Vormanns Kurt Schumacher der Einverleibung durch die Kommunisten; letztere verloren Anfang der 1950er Jahre massiv an Stimmen und waren 1956, als die KPD verboten wurde, bereits bedeutungslos. Die CDU konnte sich in fast allen Ländern als breite Sammlung von Christen, Konservativen, Nationalbewussten, aber auch Liberalen etablieren, seit 1950 auch als Bundespartei. In Bayern kam es zu einer eigenständigen Partei namens CSU, die mit der CDU auf Bundesebene seither eine gemeinsame Fraktion bildet. Die West-Liberalen versuchten noch 1947/1948 erfolglos, mit den Liberalen des Ostens eine gemeinsame Partei zu errichten.
Anfängliche Vielfalt in der Bundesrepublik bis 1961
Bei der ersten Bundestagswahl, im September 1949, gelangten noch zehn Parteien und drei Unabhängige in den Bundestag (CDU und CSU, die „Union“, als eine Partei gezählt): Außer den etwa gleich großen Parteien CDU/CSU und SPD waren es: die liberale FDP, die kommunistische KPD, die konservative Bayernpartei, die norddeutsch-konservative Deutsche Partei, das katholische Zentrum (vor allem in Nordrhein-Westfalen beheimatet), die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (eine obskure bürgerliche Protestpartei aus Bayern), die konservativ-radikale Deutsche Konservative Partei - Deutsche Rechtspartei sowie der Südschleswigsche Wählerverband als Vertreter der dänischen und friesischen Minderheit.
Während der ersten Legislaturperiode des Bundestags formierten sich die kleineren Fraktionen und Gruppen mehrmals um; die KPD verlor ihren Fraktionsstatus, nachdem der kommunistische Abgeordnete Kurt Müller von einer Reise in die DDR nicht zurückgekommen war und die Bundestagsverwaltung seinen schriftlichen Mandatsverzicht nicht annahm.
Bis zur zweiten Bundestagswahl 1953 wurde das Wahlsystem durch Einführung der Fünf-Prozent-Hürde abgeändert. Fortan musste eine Partei mindestens fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, um Abgeordnete ins Parlament entsenden zu können. Dies förderte die Abnahme der Zahl der vertretenen Parteien. Die Klausel galt 1949 zunächst nur pro Bundesland, so dass es für eine Partei ausreichte, in einem oder mehreren Bundesländern besagte fünf Prozent zu erlangen. Sie erhielt allerdings nur Mandate für diese Bundesländer, Stimmen in anderen Ländern fielen weg. Seit 1953 hingegen gilt die Hürde für das gesamte Wahlgebiet.

Zur Gründung neuer Parteien sorgte jedoch zunächst 1950 das Ende des Lizenzzwanges. Die wichtigste Neugründung dieser Zeit war der Gesamtdeutsche Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) als Vertretung der Vertriebenen und Flüchtlinge. In Schleswig-Holstein, dessen Bevölkerung zur Hälfte aus Flüchtlingen bestand, erzielte er bei Landtagswahlen gar 25 Prozent.
1952 beantragte die Bundesregierung zum ersten Mal Verbote für politische Parteien, nämlich die noch im selben Jahr verbotene rechtsextreme Sozialistische Reichspartei und die KPD, die 1956 verboten wurde. Das eigentliche Parteienverbot spricht das 1951 geschaffene Bundesverfassungsgericht aus, wenn die Partei die verfassungsgemäße Ordnung der Bundesrepublik gefährdet. Seitdem wurden nur zwei weitere (erfolglose) Verbotsanträge gestellt.
Bei der Bundestagswahl 1953 kamen noch die Regierungsparteien CDU/CSU, FDP, DP sowie SPD und erstmals der BHE ins Parlament. Obwohl Konrad Adenauers Union die Hälfte aller Mandate bekommen hatte, ging er mit den übrigen Parteien außer der SPD eine Koalition ein. Damit band er mögliche bürgerliche Oppositionsparteien mit ein und kam obendrein auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Bereits 1955 verließ der BHE die Regierung, weil er im Saarstatut einen Präzedenzfall für die Ostgebiete sah (das Statut stellte die Abtrennung des Saargebietes unter europäischer Flagge in Aussicht). In der Regierung blieben die beiden BHE-Minister, die sich der CDU anschlossen. Ein Jahr später folgte der größere Teil der FDP in die Opposition, zurück in der Regierung blieb der „Ministerflügel“, der die erfolglose Freie Volkspartei gründete. Ganz ähnlich war es mit der DP, deren Minister 1960 zur CDU übergingen.
Dreiparteien-System 1961 bis 1983

In den Bundestag von 1961 wurden erstmals nur noch CDU/CSU, SPD und FDP gewählt. Auch in den Ländern war sonstigen Parteien nur selten Erfolg beschieden. Es war vor allem die CDU/CSU, die die kleinen bürgerlichen Parteien mit Ausnahme der FDP erdrückt hatte. Die SPD hingegen hatte erst 1959/1960 die innen- und außenpolitischen Realitäten anerkannt und begann langsam, den Rückstand zur Union annähernd aufzuholen. Bei der Wahl 1972 errang sie unter Willy Brandt erstmals mehr Stimmen als die Union. In den 1960er Jahren kam es zu allen drei möglichen Koalitionskonstellationen, alle Parteien waren also koalitionsfähig miteinander.
In dieser Periode war die CDU/CSU meist nicht sehr weit von der absoluten Mehrheit entfernt. Zusammen mit der FDP, die normalerweise für sechs bis zehn Prozent gut war, konnte leicht eine christliberale Koalition gebildet werden. Die SPD lag mehrere Prozentpunkte hinter der CDU/CSU zurück (mit Ausnahme von 1972), so dass eine sozialliberale Koalition mit der SPD eine sehr viel knappere Mehrheit hatte.

Erfolgreichste Partei außer den genannten war die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands, die seit 1966 in die meisten Landtage einzog. 1969 scheiterte sie knapp mit 4,3 Prozent bei der Bundestagswahl und verließ auch alle Landtage nach jeweils nur einer Legislaturperiode. In späteren Jahren erhielt sie Konkurrenz durch weitere rechtsradikale Parteien. Auf der extremen Linken war die 1968 gegründete Deutsche Kommunistische Partei (DKP), eigentlich eine Wiedergründung der KPD, am stimmenstärksten, blieb aber meistens unter einem Prozent. Noch weniger Erfolgsaussichten hatten kleinere kommunistische Splittergruppen der 1970er Jahre, die K-Gruppen.
Im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 1976 kam es zu einem Streit innerhalb der Union. CDU-Chef Helmut Kohl wollte die seit 1969 regierende SPD-FDP-Koalition dadurch ablösen, dass er die FDP durch einen gemäßigten Unionskurs gewann. Die CSU unter Franz Josef Strauß hingegen erdachte die Strategie der Vierten Partei: Die rechtere CSU sollte sich auf das Bundesgebiet ausdehnen, um das rechte Wählerpotential stärker zu mobilisieren. Die CDU könnte dann die Wähler in der Mitte besser ansprechen. Allerdings verhinderte die CDU das Konzept mit der Drohung, einen CDU-Landesverband in Bayern zu gründen. Gegner des Konzeptes befürchteten, dass Reibungen zwischen beiden Parteien der Union insgesamt mehr Schaden gebracht hätten.
Verbreiterung des Parteienspektrums 1983 bis 1990

Ende der 1970er Jahre gelang es einer neuartigen politischen Gruppierung, in Landtage einzuziehen. Sie nannte sich Grüne Liste oder Grüne Liste Umweltschutz und gründete sich 1980 auf Bundesebene unter dem Namen Die Grünen. Anfangs vereinte sie sowohl linke als auch rechte Anhänger des Umweltschutzes, bis letztere unter Herbert Gruhl die Partei verließen. Ferner waren ehemalige Mitglieder der K-Gruppen bei den Grünen aktiv, nicht zuletzt aber mobilisierte die Partei vormals parteilich Ungebundene. 1983 und 1987 kam sie in den Bundestag.
Die Grünen standen für eine Wiederbelebung des Anti-Parteien-Affekts und gebrauchten nicht nur ungewöhnliche Bezeichnungen für Parteiorgane (wie „Sprecher“ statt „Vorsitzender“). Der Elan als Bewegung sollte durch die Verhinderung einer Parteielite erhalten bleiben. Bundestagsabgeordnete sollten nur so viel wie Arbeiter verdienen und nur zwei Jahre lang ihr Mandat behalten, Spitzenpositionen wurden im Duo besetzt und für die Gremien galt, dass mindestens fünfzig Prozent der Angehörigen Frauen seien mussten. Nach und nach wurden viele dieser Bestimmungen wieder gelockert, außerdem fing die Partei an, sich auch außerhalb des Themas Umweltschutz zu profilieren. Ein Thema war zum Beispiel der Datenschutz anlässlich des Protestes gegen die Volkszählung 1983 beziehungsweise 1987.
Ähnlich aufsehenerregend waren die Wahlerfolge der Republikaner (REP), eine 1983 in Bayern gegründete rechtspopulistische bis rechtsradikale Partei. Erstmals seit der NPD in den 1960er-Jahren gelang einer solchen Partei wieder der Einzug in ein Landesparlament: Im Januar 1989 kam sie in West-Berlin aus dem Stand auf 7,5 Prozent, im Juni bei der Europa-Wahl auf etwas weniger. In den Folgejahren gelangten die Republikaner sowie die Rechtsextremisten von NPD und Deutsche Volksunion (DVU) in weitere Landtage, konnten aber meist nur eine Legislaturperiode darin verbleiben und scheiterten bei Bundestags- und Europa-Wahlen an der Fünf-Prozent-Hürde.
Wiedervereinigung und wiedervereintes Deutschland seit 1989/1990
In der Deutschen Demokratischen Republik scheiterte die SED nicht zuletzt an ihrem Anspruch, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Die soziale und auch politische Unzufriedenheit führte zu einer Massenflucht, die seit Sommer 1989 über andere Länder leichter wurde und einem Anwachsen von öffentlichen Protesten. Als dann am 9. November 1989 eine verunglückte SED-Pressekonferenz dazu führte, dass unzählige DDR-Einwohner den Westen besuchen wollten und zu den Grenzübergängen eilten, gab die SED ihre Diktatur auf.
Jetzt danach protestierten die Blockparteien im DDR-Parlament, der Volkskammer, und auch einige Abgeordnete der SED selbst gegen die SED-Herrschaft. Die neue DDR-Regierung von SED-Chef Hans Modrow nahm am 5. Februar 1990 Vertreter von Bürgerrechtsgruppen und Parteien auf. Im März erfolgte die erste und einzige freie Wahl zur Volkskammer, und danach führte das Kabinett de Maizière die DDR zur Vereinigung mit der Bundesrepublik, die schließlich am 3. Oktober desselben Jahres vollzogen wurde.
Parteien in der Endphase der DDR

Die SED, die sich nach einer kurzen Übergangsphase Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) nannte, blieb ebenso bestehen wie die Blockparteien CDU, DBD, LDPD und NDPD. Hinzu kamen einige neue Parteien. Meist suchten die Parteien Partner im Westen (und umgekehrt). Die ostdeutschen Wähler orientierten sich an den Westparteien, die sie schon seit Jahren über das Westfernsehen kannten. Es mögen außerdem Bindungen aus der Zeit vor 1949 fortbestanden haben. Im Vergleich zum Westen aber waren die ostdeutschen Wähler wesentlich weniger an Parteien gebunden.[48]
Die Volkskammerwahl vom 18. März 1990 wurde zum Teil eine Volksabstimmung über eine rasche Wiedervereinigung. Während die Konservativen fast eine absolute Mehrheit erreichten, kamen die Sozialdemokraten (entgegen der allgemeinen Erwartung) auf nur knapp 22 Prozent. Besonders schlecht schnitten die Bürgerbewegungen ab, die die DDR auf einem eigenen, neuen Weg sehen wollten.[49] Die SED, die seit Februar PDS hieß, erreichte mit 16,4 Prozent den dritten Platz.
Die West-CDU arbeitete trotz Bedenken mit der CDU des Ostens zusammen, aber auch mit dem Demokratischen Aufbruch. Ferner schloss die DBD sich der CDU an. Bei der Volkskammerwahl traten CDU, DA und die Deutsche Soziale Union (DSU) unter der Bezeichnung „Allianz für Deutschland“ an. Die DSU war eine eher konservative Gruppierung, die von der bayerischen CSU unterstützt wurde. Die CSU musste befürchten, in einem größeren Deutschland an Einfluss zu verlieren; bei Bundestagswahlen reichte ihre bayerische Wählerschaft für etwa zehn, nach der Wiedervereinigung nur für etwa sieben Prozent. Als aber die DSU ihre Aktivitäten auf die westdeutschen Bundesländer ausdehnen wollte, kühlte die Beziehung zur CSU rasch ab.

Die konservative Allianz hatte ihre Wahlerfolge vor allem im Süden der DDR (das heißt in alten SPD-Hochburgen), teilweise wegen der dortigen Abneigung gegen die Hauptstadt Berlin, die in der SED-Zeit von den Machthabern auf Kosten des übrigen Landes gefördert worden war. Ferner wählten diejenigen die Allianz, die religiös gebunden waren und die in der DDR politisch benachteiligt waren. Die in der DDR Privilegierten hingegen, aber auch die im wirtschaftlich schwachen Norden, wählten die PDS.[50]
Auch die bundesdeutsche FDP hatte mehrere Partner, neben der alten LDPD und der neuen Ost-FDP die Deutsche Forumpartei (wie der DA eine Bürgerrechtsbewegung). Die Liberalen nannten sich bei der Volkskammerwahl gemeinsam Bund freier Bürger. Ferner schloss sich später noch die NDPD der West-FDP an.
Die Sozialdemokraten in der DDR (anfangs unter dem Kürzel SDP) hatten sich im Oktober 1989 noch in der Illegalität gegründet; die West-SPD tat sich zunächst schwer damit, sie als Partnerin anzuerkennen, um nicht die Kontakte zur SED zu riskieren. Die Sozialdemokratie war gegenüber den ehemaligen Blockparteien und der SED dadurch benachteiligt, dass sie nicht auf ein bestehendes Organisationsnetz zurückgreifen konnte.

Nicht alle West-Sozialdemokraten begeisterten sich für die Wiedervereinigung. Oskar Lafontaine, der Ministerpräsident des Saarlandes, gab in seiner Rede vom 19. Dezember 1989 auf dem Berliner Parteitag zu verstehen, dass er mit den Ostdeutschen nicht in einem gemeinsamen Staat leben wollte, ebenso wenig wie mit den Österreichern.[51] Lafontaine hielt den deutschen Nationalstaat für historisch überholt und warnte vor den finanziellen Folgen einer Wiedervereinigung für die Westdeutschen.
Die West-Grünen waren gegenüber der Wiedervereinigung noch wesentlich zurückhaltender als die Sozialdemokraten. Als der Bundestag am 9. November 1989 vom Fall der Berliner Mauer hörte und die Abgeordneten aufstanden und die Nationalhymne sangen, blieben die meisten Grünen auf ihren Plätzen sitzen. Als einzige Partei lehnten die Grünen ferner das Zehn-Punkte-Programm von Kanzler Kohl ab.[52] Das lag an der antinationalen Haltung der Partei ebenso wie daran, dass die Grünen eher Jüngere vertraten, die nur das geteilte Deutschland kannten. Die Grünen in der DDR arbeiteten mit Bündnis 90 zusammen, einer Koalition von Bürgerrechtsorganisationen.
Bei der Bundestagswahl 1990 im Dezember, als die CDU/CSU mit 48 Prozent ein sehr gutes Ergebnis erhielt, galt die Fünf-Prozent-Hürde getrennt für West- und Ostdeutschland. Dies hatten sich PDS und Grüne vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten. Allerdings führte dies dazu, dass die West-Grünen knapp an der Hürde scheiterten und nur das ostdeutsche Bündnis 90 zusammen mit acht Ost-Grünen in den ersten gesamtdeutschen Bundestag einzog. 1993 haben sich die Grünen mit dem Bündnis 90 zu „Bündnis 90/Die Grünen“ vereinigt.
Parteien im wiedervereinten Deutschland

Für das Parteiensystem der Bundesrepublik hat die Wiedervereinigung langfristig eher geringe Folgen gehabt. Die meisten der vielen neuen Mitglieder von CDU und FDP gingen schon nach wenigen Jahren wieder verloren. Auch ihren Vorsprung bei den Wählern im Osten haben diese Parteien rasch wieder eingebüßt.
Allerdings erweiterte sich das Spektrum der relevanten Parteien um die PDS. 1993 glaubte der Parteienforscher Lösche, sie werde bald verschwinden, weil sie im Westen kein Echo finde.[53] Doch die Bundestagswahl 2005 zeigte, dass die PDS zusammen mit der westdeutschen WASG im Westen sehr wohl die Fünf-Prozent-Hürde überspringen kann (beide sind mittlerweile zur Partei Die Linke fusioniert). Die WASG-Politiker sind oftmals ehemalige linke SPD-Mitglieder und zuvor ungebundene Linke, die sich teilweise eine radikalere Politik wünschen als die pragmatischeren Politiker der alten PDS.
Vor allem die SPD wird von der Linkspartei herausgefordert. In den ostdeutschen Landtagen sind die Sozialdemokraten deutlich schwächer vertreten als im Westen, und auch auf Bundesebene kommen Verluste für die SPD vor allem der Linkspartei zugute. Doch die CDU/CSU erreicht ebenfalls nicht mehr die Bundestagswahlergebnisse von über vierzig Prozent wie bis in die 1990er-Jahre hinein. Mit dazu beigetragen hat die große CDU-Spendenaffäre von Ende 1999 / Anfang 2000. Die Verluste von CDU/CSU und SPD kommen der FDP bzw. Bündnis 90 / Die Grünen zugute, also den etablierten Kleinparteien im jeweiligen Lager. Diese tun sich wiederum in Ostdeutschland wesentlich schwerer als im Westen, vor allem die Grünen. Man kann ansatzweise von zwei Parteiensystemen sprechen, einem westdeutschen mit CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen sowie einem ostdeutschen mit CDU, SPD und Linke als potentiellen Regierungsparteien.

Von 1969 durchgehend bis 2005 war die traditionelle Koalition in der Bundesrepublik die einer Volkspartei mit einer Kleinpartei. Sie hatte erstmals bei der Bundestagswahl 2005 keine absolute Mehrheit. Möglich war rechnerisch und politisch nur noch eine Große Koalition von CDU/CSU und SPD. Drei-Parteien-Bündnisse wurden politisch ausgeschlossen:
- Ein Linksbündnis von SPD, Grünen und Linkspartei findet in den beiden erstgenannten Parteien keinen ausreichenden Zuspruch. Das hat nicht nur mit der aktuellen sehr linken Politik der Linkspartei zu tun, die sich nicht zu letzt gegen die rot-grünen Arbeitsmarktreformen richtet, sondern auch mit der Vergangenheit dieser Partei.
- Eine Ampelkoalition (rote SPD, gelbe FDP und Grüne) scheitert an der FDP, die sich nicht in einer von linken Parteien beherrschten Koalition wiederfinden möchte.
- Neu in den Sprachschatz 2005 ging das Wort Jamaika-Koalition ein, die früher „schwarze Ampel“ genannt wurde. In einem Bündnis von CDU/CSU, FDP und Grünen wären es letztere, die ihre Politik schlecht durchsetzen könnten.
In den einzelnen Ländern und Gemeinden können die Verhältnisse vom Bundestrend teilweise stark abweichen. Dauerhaft erfolgreich in vielen Gemeinden sind die Freien Wähler (oft auch „Unabhängige“ genannt). Sie haben in Bayern 2008 sogar den Sprung in den Landtag geschafft. In Schleswig-Holstein ist der SSW im Landtag vertreten, weil er als Minderheitenpartei die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringen muss.
Seit Jahren verlieren die Parteien tendenziell an Mitgliedern. Bei der SPD war dies besonders stark, so dass die 1977 eine Million Mitglieder zählende Partei seit 2008 weniger Mitglieder hat als die CDU (ohne CSU). Viele Parteien gelten als überaltert. Nicht nur werden weniger Menschen Mitglied in einer Partei, auch die Wahlbeteiligung sinkt. Oskar Niedermeyer zufolge sind die traditionellen Milieus der Großparteien geschrumpft, so dass die Parteien daher zusätzlich andere gesellschaftliche Gruppen ansprechen müssen. Die Gesamtwählerschaften der Parteien werden dadurch heterogener und müssten immer wieder neu mobilisiert werden, was besonders der SPD schwerfalle.[54]
Siehe auch
- Politische Parteien in Deutschland
- Liste der politischen Parteien in Deutschland
- Geschichte Deutschlands
- Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien
Einzelnachweise
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 346/347.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 347/348.
- ↑ Karl Rohe: Entwicklung der politischen Parteien und Parteiendemokratie in Deutschland bis zum Jahre 1933. In: Oscar W. Gabriel u.a. (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn 1997, S. 39-58, hier S. 41/42.
- ↑ Karl Rohe: Entwicklung der politischen Parteien und Parteiendemokratie in Deutschland bis zum Jahre 1933. In: Oscar W. Gabriel u.a. (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn 1997, S. 39-58, hier S. 42.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 378.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 388/389.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 389.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 389/90.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 390/391.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 391/392.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 392.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 393.
- ↑ Helga Grebing: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick. 8. Auflage, dtv: München, 1977 (1966), S. 34-40.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 379.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 380/381.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 382.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1860-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 344, S. 382.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 606/607.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 609.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 610.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 611/612.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 612/.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 617.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 632.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 633/635.
- ↑ Karl Rohe: Entwicklung der politischen Parteien und Parteiendemokratie in Deutschland bis zum Jahre 1933. In: Oscar W. Gabriel u.a. (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn 1997, S. 39-58, hier S. 45.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bd. 1: Bürgerwelt und starker Staat. Beck: München 1983, S. 661/662.
- ↑ Karl Rohe: Entwicklung der politischen Parteien und Parteiendemokratie in Deutschland bis zum Jahre 1933. In: Oscar W. Gabriel u.a. (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn 1997, S. 39-58, hier S. 47.
- ↑ Helga Grebing: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick. 8. Auflage, dtv: München, 1977 (1966), S. 62.
- ↑ Peter Lösche: Kleine Geschichte der deutschen Parteien, Kohlhammer: Stuttgart u.a. 1993, S. 43.
- ↑ Peter Lösche: Kleine Geschichte der deutschen Parteien, Kohlhammer: Stuttgart u.a. 1993, S. 63/64.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. 2. Auflage, Beck: München 1993, S.497/498.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. 2. Auflage, Beck: München 1993, S. 499.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. 2. Auflage, Beck: München 1993, S. 499.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. 2. Auflage, Beck: München 1993, S. 499/500.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. 2. Auflage, Beck: München 1993, S. 502.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. 2. Auflage, Beck: München 1993, S. 515.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. 2. Auflage, Beck: München 1993, S. 515-518.
- ↑ Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. 2. Auflage, Beck: München 1993, S. 519-521.
- ↑ Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1806-1933, Bonn 2002, S. 263.
- ↑ Gordon A. Craig: Deutsche Geschichte 1866-1945, 2. Auflage, München 1980 (aus dem Englischen, 1978), S. 137, 164.
- ↑ Helga Grebing: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick. 8. Auflage, dtv: München, 1977 (1966), S. 113.
- ↑ Peter Lösche: Kleine Geschichte der deutschen Parteien, Kohlhammer: Stuttgart u.a. 1993, S. 68.
- ↑ Zur Behauptung und ihrer Erwiderung siehe Heinrich August Winkler: Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. C. H. Beck: München 1993, S. 106/107.
- ↑ Peter Lösche: Kleine Geschichte der deutschen Parteien, Kohlhammer: Stuttgart u.a. 1993 : 94.
- ↑ Peter Lösche: Kleine Geschichte der deutschen Parteien, Kohlhammer: Stuttgart u.a. 1993, S. 104.
- ↑ Peter Lösche: Kleine Geschichte der deutschen Parteien, Kohlhammer: Stuttgart u.a. 1993, S. 1065.
- ↑ Klaus von Beyme: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, 9. Auflage, Westdeutscher Verlag: Wiesbaden 1999, S. 119/120.
- ↑ Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1933-1990, Bonn 2004, S. 559/560.
- ↑ Klaus von Beyme: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, 9. Auflage, Westdeutscher Verlag: Wiesbaden 1999, S. 122/125.
- ↑ Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1933-1990, Bonn 2004, S. 538-540.
- ↑ Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1933-1990, Bonn 2004, S. 512, S. 523.
- ↑ Peter Lösche: Kleine Geschichte der deutschen Parteien, Kohlhammer: Stuttgart u.a. 1993, S. 111.
- ↑ Oskar Niedermeyer: Das gesamtdeutsche Parteiensystem. In: Oscar W. Gabriel u.a. (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn 1997, S. 106-113, hier S. 117.
Literatur
- Ulrich von Alemann: Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. In: Bundeszentrale für politische Bildung [BpB] (Hrsg.): Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung. Band 395. Bonn 2003, ISBN 3-89331-478-4.
- Oscar W. Gabriel u.a. (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, Bonn 1997
Weblinks
- Wahlen in Deutschland. Valentin Schröder, abgerufen am 6. August 2009 (Weiterführende Links (Schaubilder, Diagramme etc.) zu den Wahlergebnissen (Reichstags-, Landtags-, Bundestagswahlen) in Deutschland von 1867 bis in die Gegenwart, sowohl im Allgemeinen als auch in Bezug auf die einzelnen Parteien.).
- Historische-Wahlplakate.de - Archiv politischer Wahlplakate. Florian Albert, abgerufen am 6. August 2009 (Politische Plakate der Parteien aus der Weimarer Republik und der BRD).
- Wahlplakate-Archiv - Wahlplakate aus der Weimarer Republik. Jan Schuster, abgerufen am 6. August 2009 (Umfangreiche Sammlung von Wahlplakaten aus der Zeit der Weimarer Republik).