Münchner Räterepublik
Die Münchner oder Bayerische Räterepublik war 1918 und 1919 der kurzlebige Versuch, nach dem Ersten Weltkrieg einen sozialistischen Staat in Form einer Rätedemokratie in Bayern zu schaffen.
Einleitendes
Am Ende des Ersten Weltkriegs kam es angesichts der sich spätestens ab Ende September 1918 abzeichnenden deutschen Kriegsniederlage und vor dem Hintergrund der notleidenden Bevölkerung in Deutschland zur Novemberrevolution. Die Revolution breitete sich innerhalb weniger Tage ausgehend vom Matrosenaufstand in Kiel im ganzen Deutschen Reich aus und erfasste auch das Königreich Bayern.
Als erster deutscher Monarch dankte am 7. November 1918 der bayerische König, Prinzregent Ludwig III., ab. Kurt Eisner von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) rief den Freien Volksstaat Bayern aus und wurde Ministerpräsident Bayerns.
Nachdem Eisner am 21. Februar 1919 ermordet worden war, kam es zu Machtkämpfen zwischen Anhängern des Rätesystems und des pluralistischen Parlamentarismus. Im März wurde Johannes Hoffmann zum Ministerpräsidenten gewählt. Im April kam es in relativ kurzer Folge zur Ausrufung unterschiedlich geprägter Räterepubliken; - zuerst dominiert von anarchistischen Intellektuellen und danach von Anhängern und Mitgliedern der Kommunistischen Partei Deutschlands.
Ende April griffen Freikorpseinheiten, vereinzelt auch als Weiße Truppen oder weiße Armee bezeichnet, die Verteidiger der Räterepublik an und eroberten München bis zum 2. Mai zurück. Im Laufe der Kämpfe und danach kam es auf beiden Seiten zu Grausamkeiten, bei denen hunderte Menschen starben.
Der Ablauf der Revolution und die sich daran anschließenden von blutiger Vergeltung der rechtsextremen Konterrevolutionäre geprägten Ereignisse begünstigten den Aufstieg des Nationalsozialismus. In den folgenden Jahren wurde Bayern zur "Ordnungszelle" Deutschlands. Hier begann auch der politische Aufstieg Adolf Hitlers, der 1923 in München mit einigen Anhängern den zunächst erfolglosen „Hitlerputsch“ durchführte.
Ursachen
Durch die Versorgungsengpässe und das Massensterben im Ersten Weltkrieg wuchs auch in Bayern die Unzufriedenheit. Wie an vielen Orten im Deutschen Reich kam es auch in Bayern zu Januarstreiks bei denen ein Verständigungsfriede und die Demokratisierung gefordert wurden. Zum Ende des Krieges wurde Deutschland de facto nicht vom Kaiser oder der Reichsregierung, sondern von der Obersten Heeresleitung (OHL) unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff regiert. Die Hauptursache für den Krieg wurde in der Politik des preußischen Obrigkeitsstaats gesehen. Dem bayerischen König wurde vorgeworfen, nur ein Parteigänger des Kaisers zu sein. Dadurch und durch das Eingeständnis der Niederlage verlor der unbeliebte König Ludwig III., der sich nach Ansicht der Bevölkerung zu Unrecht zum König gemacht hatte, die letzte Autorität und Loyalität in Bayern. Die von ihm eingeleitete Reform und Parlamentarisierung kam zu spät, um die Monarchie zu retten.
Am 29. Oktober reiste Kaiser Wilhelm II. nach Spa und es kam in Kiel und Wilhelmshaven zum Matrosenaufstand. Die Oberste Heeresleitung hatte erst Ende September 1918 die Niederlage eingestanden, obwohl sie die Lage schon im August als aussichtslos eingestuft hatte. In den letzten Tagen sollte die Hochseeflotte zu einer aussichtslosen Entscheidungsschlacht auslaufen. Die Matrosen weigerten sich, sich auf eine Selbstmordmission zu begeben. Es kam zu einem Aufstand, bei dem Soldaten- und Arbeiterräte gebildet wurden. Dieser breitete sich in kurzer Zeit in ganz Deutschland aus.
Die verschiedenen Gruppen
Die drei wichtigsten politischen Parteien dieser Zeit waren die MSPD oder SPD, USPD und die KPD
Die SPD oder MSPD war eher gemäßigt, ihr Ziel war eine parlamentarische Demokratie. Sie wollte keine Revolution, sondern Reformen; im Rahmen des Burgfriedens unterstützte sie den Krieg. Einige ihrer Mitglieder saßen bereits während der Monarchie in der Regierung. An der Revolutionsregierung beteiligte sich die SPD, um die Kontrolle zu behalten. Erhard Auer und Johannes Hoffmann waren während der Revolution die bedeutendsten Mitglieder der Partei. Am Ende kämpfte die SPD gegen die kommunistische Räterepublik, und Hoffmann bat seinen Parteigenossen Noske um Truppen zu deren Niederschlagung.
Die USPD war als Partei von Eisner der eigentliche Urheber des Umsturzes und befürwortete größtenteils, zumindest für eine Übergangsphase, das Rätesystem. Als USPD hatte sich während des Weltkriegs der linke Flügel der SPD von dieser abgespalten und ein Ende des Krieges gefordert. Kurt Eisner war bei den Januarstreiks verhaftet worden und wurde erst im Oktober wieder entlassen. Bei den Wahlen erhielt die USPD nur 2,5 Prozent der Stimmen.
Die KPD wurde am 1. Januar 1919 aus linksrevolutionären Gruppen gebildet und kämpfte für das Rätesystem, die Verstaatlichung von Betrieben und die Weltrevolution. Eines ihrer Mitglieder war der aus Russland stammende und von der KPD von Berlin nach München gesandte Eugen Leviné. Nach der Machtübernahme kontaktierte sie die kommunistische Führung in Moskau, um sich dieser anzuschließen.
Am 12. November wurde die Bayerische Volkspartei gegründet. Sie war ein Ableger der Zentrumspartei und schürte im Wahlkampf die Furcht vor den Bolschewisten. Ebenfalls während der Revolution, am 5. Januar 1919, wurde die Deutsche Arbeiterpartei gegründet. Sie spielte zu dieser Zeit noch keine Rolle, gewann ab 1920 unter dem Namen NSDAP und als Partei von Adolf Hitler aber an Bedeutung.
Eine weitere beteiligte Gruppe waren anarchistische und pazifistische Schriftsteller und Philosophen. Sie führten nach der Dritten Revolution eine Räteregierung, die aber von den Kommunisten als Scheinräterepublik bezeichnet wurde. Zu dieser Gruppe gehörten Ernst Toller, Erich Mühsam und Gustav Landauer.
Ende der Monarchie (Erste Revolution)
Demonstration auf der Theresienwiese
Am 7. November 1918, als sich die russische Oktoberrevolution zum ersten Mal jährte, veranstalteten die SPD, Gewerkschaften und die USPD eine gemeinsame Friedenskundgebung auf der Münchner Theresienwiese. Damit der von ihm angestrebte Übergang zur parlamentarischen Monarchie in Bayern nicht gefährdet würde, forderte der bayerische König Ludwig III. die Polizei zur Zurückhaltung auf, obwohl Hinweise auf einen Umsturzversuch durch die USPD vorlagen.
Um 15 Uhr begann die Demonstration auf der Theresienwiese mit etwa 60.000 Teilnehmern. Zuerst sprachen zwölf verschiedene Redner, unter anderem Erhard Auer, der Vorsitzende der bayerischen SPD, Ludwig Gandorfer, ein radikaler Bauernführer, sowie Kurt Eisner. Eisner war der Vorsitzende der USPD und hatte sich bereits im Norden der Theresienwiese aufgestellt, um gut zu den Kasernen zu kommen. Einige Redner wollten die Leute beruhigen und wiesen auf die kommenden Reformen hin, andere forderten ein sozialistisches Rätesystem. Der Hauptzug der Demonstration bewegte sich nach der Annahme einer Resolution, die einen sofortigen Friedensschluss, einen Rücktritt des deutschen Kaisers, einen Achtstundentag und eine Arbeitslosenversicherung forderte, zum Friedensengel. Dort löste sich der Zug nach einer Rede von Franz Schmitt, einem Abgeordneten der SPD, auf. Die meisten Betriebe, Geschäfte und Ämter hatten an diesem Tag geschlossen, um ihren Angestellten die Möglichkeit zu geben, an der Kundgebung teilzunehmen.
Marsch zu den Kasernen
Ohne dass es die meisten anderen bemerken, entfernten sich etwa 2000 Menschen unter Führung von Kurt Eisner und Ludwig Gandorfer zuerst zur Kraftwagenkolonne der Kraftfahr-Ersatzabteilung in der Kazmairstraße. Die Behörden vertrauten auf die Münchner Garnisonstruppen und maßen der Aktion keine große Bedeutung bei. Die Kraftfahrer schlossen sich dem Zug an, der nacheinander zur Ersatzkompanie des Münchner Landsturmbataillons, zur Marsfeldkaserne, Türkenkaserne und zu den Kasernen auf dem Oberwiesenfeld und an der Dachauer Straße marschierte. Auch dort schlossen sich jeweils viele Soldaten an, wegen Kriegsmüdigkeit, der Überzeugungskraft der Revolutionäre oder der Teilnahme anderer Soldaten. Um ungefähr 19 Uhr erschienen Demonstranten vor der königlichen Residenz. Philipp von Hellingrath, der Kriegsminister, musste eingestehen, dass in München keine Truppen zur Verfügung standen. Mit auswärtiger Hilfe konnte nicht gerechnet werden, da Meldungen von Unruhen eintrafen. Otto Ritter von Dandl riet Ludwig III. zu fliehen. Ludwig verließ in Zivilkleidung zusammen mit seiner schwerkranken Frau, drei Töchtern, dem Erbprinzen Albrecht und einem kleinen Hofstaat München in drei Mietautos mit dem Ziel Schloss Wildenwart am Chiemsee.
Übernahme der Regierung
Nachdem die Revolutionäre Einrichtungen wie den Hauptbahnhof, Gebäude der Regierung oder militärische Einrichtungen ohne Widerstand besetzt hatten, hielt Kurt Eisner eine Versammlung im Franziskaner-Bierkeller ab und nahm danach im Mathäserbräu an einer Massenveranstaltung teil. Dort bildete er einen Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat. Zum Vorsitzenden wurde Franz Schmitt, ein SPD-Abgeordneter gewählt.
Eisner verkündete in der ersten Stunde des 8. November den Freien Volksstaat Bayern als Freistaat. Einen Tag später proklamierte Karl Liebknecht vom Spartakusbund in Berlin] die Freie Sozialistische Republik Deutschland. In ganz Deutschland kam es zur Novemberrevolution und zu politischen Aufständen, beispielsweise in Kiel (Matrosenaufstand), Berlin, Bremen und Hamburg. Es wurden Arbeiter- und Soldatenräte gegründet, wobei München ein Zentrum der Rätebewegung war. Bis zum 23. November mussten alle Monarchen der deutschen Länder dem Bayerischen König folgen und abdanken. Auf Grund der Ereignisse in München kam es auch in anderen bayerischen Städten, zum Beispiel in Kaiserslautern, Ingolstadt und Kempten, zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten durch Mitglieder von SPD und USPD. Die Teilnahme von SPD-Mitgliedern an diesen Räteregierungen zeigt, dass "gemäßigte Kräfte" die Revolution dominierten.
Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat wählte eine Revolutionsregierung aus USPD und SPD mit Kurt Eisner als Ministerpräsident und Außenminister, Erhard Auer (SPD) als Innenminister, Johannes Hoffmann (SPD) als Kultusminister, Edgar Jaffé als Finanzminister und Albert Roßhaupter (SPD) als Militärminister. Ein provisorischer Nationalrat, der sich aus Vertretern des Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrates, der Gewerkschaften, der Berufs- und Frauenverbände und den Fraktionen der SPD und des Bauernbundes im bayerischen Landtag zusammensetzte, trat an die Stelle des Landtags. Am 11. November kam es zum Waffenstillstand zwischen den Alliierten und dem Deutschen Reich, der erste Weltkrieg endete. Am 12. November entband der König die Beamten vom Treueeid auf seine Person, erklärte sich aber nicht bereit abzudanken. Die Revolutionsregierung erlaubte dem König sich in Bayern aufzuhalten und der König erhielt als "Unterstützung" 600.000 Mark. Am 12. November wurde auch die Bayerische Volkspartei gegründet.
Haltung der Öffentlichkeit
Die Stimmung der Bevölkerung schwankte zwischen Hoffnung auf Demokratie, vor allem bei den Arbeitern, und Abneigung gegen die Revolution, vor allem auf dem Land und im Bürgertum. Die Mehrheit hatte weder eine euphorische, noch eine ablehnende Meinung. Die katholische und die evangelische Kirche standen auf der Seite der Monarchie und sahen in der Linken eine größere Gefahr für Deutschland als in der Rechten. Die Kirchen spielten allerdings für das Schicksal der Räterepublik keine große Rolle. Die gesellschaftliche Struktur blieb trotz der Änderung der Staatsform erhalten. Die Beamten, zum Beispiel Gustav Ritter von Kahr, der Regierungspräsident von Oberbayern und spätere Diktator, blieben in ihren Stellungen
Künstler, Intellektuelle und die Revolution
Bei den Revolutionen spielten auch Vertreter des kulturellen Lebens eine wichtige Rolle. Einige Intellektuelle wie der Nationalökonom Lujo Brentano, der Dirigent Bruno Walter, die Schriftsteller Gustav Landauer, Heinrich Mann und Rainer Maria Rilke bildeten den Rat der geistigen Arbeit. Weitere Vereinigungen waren der Allgemeine Studentenausschuss, der Rat der bildenden Künstler Münchens und der Aktionsausschuss revolutionärer Künstler. Es gab unter den Künstlern auch Gegner der Revolution, beispielsweise Thomas Mann, aber auch er sah die Revolution als durch den fehlenden Widerstand legitimiert an.
Die erste Räterepublik war von den Literaten wie Ernst Toller, Gustav Landauer oder Erich Mühsam geprägt. Auch der Finanztheoretiker Silvio Gesell war Mitglied in der Regierung der ersten Räterepublik.
Politik der Revolutionsregierung
Da sich die Revolutionsregierung nur als Übergangsregierung sah, kam es zu keinen tiefgreifenden Reformen. Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung waren die inhaltlichen Gegensätze zwischen der revolutionäreren USPD und der SPD, welche die Revolution eindämmen wollte. Nachdem Eisner nicht durchsetzen konnte, dass die Weimarer Verfassung der Zustimmung der Länder bedurfte, sprach er sich im Regierungsprogramm vom 15. November für einen gemeinsamen deutsch-österreichischen Staat aus und nahm auch Kontakt zum tschechischen Staatspräsidenten zur Gründung einer Donauföderation auf. Die Föderation sollte vor allem von den Ländern gelenkt werden; der Plan scheiterte am Eingreifen der Reichsregierung. Die Verstaatlichung der Industrie wurde zurückgestellt, lediglich einige Forderungen der Gewerkschaften wie der Achtstundentag und eine bessere Unterstützung der Arbeitslosen wurden umgesetzt. Die monarchischen Beamten blieben wie im übrigen Deutschland im Amt.
Eisner ernannte entsprechend den Reservatrechten Gesandte für Bern, Berlin, Wien und Prag. Um einen besseren Friedensvertrag für Bayern zu erreichen, veröffentlichte er Berichte, die für die Kriegsschuld Deutschlands sprachen und rief damit Empörung hervor. Unter Kultusminister Johannes Hoffmann wurde ein Schulreform zur Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht durchgeführt. Die Reform ging in das Vorläufige Staatsgrundgesetz mit ein und hatte auch später Bestand. Der Heraldiker Otto Hupp wurde beauftragt, ein neues Staatswappen zu gestalten.
Wahlen, Mord an Eisner und Zweite Revolution
Im Januar begann in ganz Deutschland mit Aufständen in Berlin die zweite Phase der Revolution. In der Regierung gab es eine Kontroverse zwischen den Befürwortern des Rätesystems (USPD) und den Befürwortern einer starken Stellung des Parlaments (SPD). Die Befürworter eines starken Parlaments setzten sich durch, und der Einfluss der Räte sank im ganzen Land. Auf Druck der SPD fanden am 12. Januar 1919 Wahlen zu einem verfassungsgebenden Landtag statt; vorher wurde jedoch am 4. Januar 1919 ein vorläufiges Staatsgrundgesetz beschlossen. Das Staatsgrundgesetz enthielt keine Elemente des Rätesystems, sondern basierte auf der parlamentarischen Demokratie.
Bei den Wahlen gab es erstmals das Verhältniswahlrecht und das Wahlrecht für Frauen. Die Verlierer dieser Wahl waren mit dem Bayerische Bauernbund, der 9 Prozent (16 Sitze) und der USPD, die 2,5 Prozent (3 Sitze) der abgegebenen Stimmen erhielt, die Parteien der Revolution. Gewinner waren die Bayerische Volkspartei, die Nachfolgepartei des Bayerischen Zentrums, mit 35 Prozent (66 Sitzen) und die SPD mit 33 Prozent (61 Sitzen) der Stimmen. Die Deutsche Demokratische Partei (DDP) erhielt 14 Prozent (25 Sitze), die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) zusammen mit der pfälzischen Mittelpartei 6 Prozent (9 Sitze).
Eisner wurde am 21. Februar auf dem Weg zur konstituierenden Sitzung des Landtags, wo er den Rücktritt seines Kabinetts anbieten wollte, vom rechtsradikalen Anton Graf von Arco auf Valley erschossen. Eisner hatte sich die politische Rechte auf Grund seiner jüdischen Abstammung, als "Preuße", wegen seiner Anerkennung der deutschen Kriegsschuld und auf Grund seines Versuchs, die Sozialistische Internationale wiederzubeleben, zum Feind gemacht. Ein Mitglied des Arbeiter, Soldaten- und Bauernrates erschoss als Rache zwei konservative Abgeordnete und verletzte Erhard Auer schwer. Als Reaktion vertagte sich der Landtag. Auer und der niedergeschossene Graf von Arco auf Valley wurden vom berühmten Ferdinand Sauerbruch behandelt.
Nach einem Aufruf der USPD kam es zu einem Generalstreik. Die Macht übernahm der "Zentralrat der Bayerischen Republik" unter Ernst Niekisch (SPD), über München wurde der Belagerungszustand verhängt. Am 25. Februar lehnte der elfköpfige Bayerische Rätekongress aus Mitgliedern von USPD, SPD und KPD den Antrag von Erich Mühsam die Räterepublik auszurufen ab. Die Presse wurde zensiert, es gab eine Radikalisierung der bisher eher unblutigen Revolution und eine zunehmende Auseinandersetzung zwischen Vertretern des Rätesystems und des Parlamentarismus.
Neue Regierung
Der Rätekongress bildete am 1. März eine neue Regierung unter Martin Segitz, die Regierung wurde aber von den Landtagsabgeordneten nicht anerkannt. Am 17. März wählten die Abgeordneten Johannes Hoffmann (SPD) zum neuen Ministerpräsidenten und bestätigten das vorläufige Staatsgrundgesetz.
Im neuen Kabinett war Hoffmann Außenminister und Kultusminister, Martin Segitz (SPD) Innenminister, Ernst Schneppenhorst (SPD) Militärminister und Karl Neumaier (parteilos) Finanzminister. Der Regierung gehörten auch ein Mitglied des Bauernbundes und Mitglieder der USPD an. Es gelang der neuen Regierung aber nicht, die Spannungen zwischen Anhängern des Rätesystems und des Parlamentarismus abzubauen.
Regierung und Parlament mussten nach einer neuerlichen Revolution fliehen, sie setzten aber ihre Arbeit fort. Am 24. Mai legte die Regierung dem Landtag die neue Verfassung vor, der sie an einen Ausschuss weiterleitete. Am 24. April wurde eine neue Gemeindeverfassung erlassen.
Räterepublik der Schwabinger Literaten (Dritte Revolution)
Am 7. April riefen der Literat Ernst Toller, der Anarchist und Literat Erich Mühsam, sowie der ebenfalls anarchistische Philosoph und Literat Gustav Landauer die Räterepublik Baiern aus (Foto unten). Die Führung übernahm anfangs Ernst Niekisch, den noch am ersten Tag Toller ablöste. Die neue Führung beendete den Kontakt zur Reichsregierung. Da die Räterepublik nicht von Kommunisten geführt wurde, bezeichneten diese sie als Scheinräterepublik.
Auch in vielen Städten, vor allem südlich der Donau, wurde die Räterepublik ausgerufen.
Aus der Regierung Hoffmann traten die USPD-Minister und Karl Neumaier aus, die restliche Regierung floh nach Bamberg, wo auch die Bamberger Verfassung entstand. Diese Räterepublik hatte nur geringe Bedeutung und wurde bald abgelöst.
Es kam in München zu Problemen mit der Lebensmittelversorgung und zu einem Generalstreik. Am 13. April (Palmsonntag) kam es unter der Anführung von Heinrich Aschenbrenner, einem Kommandanten der regierungstreuen Republikanischen Schutzwehr, zur Verhaftung von Mitgliedern der Räterepublik. Die Aktion wurde von der Roten Armee unter Soldatenrat Rudolf Egelhofer am selben Tag niedergeschlagen, wobei 17 Personen starben.
Kommunistische Räterepublik (Vierte Revolution)
Als Reaktion riefen im Hofbräuhaus die Betriebs- und Soldatenräte noch während der Kämpfe die Kommunistische Räterepublik aus. Die gesetzgebende und die vollziehende Gewalt wurden in dieser zweiten Räterepublik an einen Aktionsausschuss aus 15 Personen unter Führung von Eugen Leviné übertragen. Von diesem Aktionsausschuss wurde ein aus vier Personen bestehender Vollzugsrat gewählt, dem auch die aus Russland kommenden Eugen Leviné und Max Levien angehörten.
Um die Räterepublik zu schützen, wurde eine so genannte Rote Armee unter Rudolf Egelhofer aufgebaut, die bürgerliche Presse verboten, Lebensmittel beschlagnahmt und ein zehntägiger Generalstreik ausgerufen. Die Führung beabsichtigte, keinen eigenen Weg zu gehen, sondern die Revolution in Bayern zu einem Teil der internationalen Revolution unter Moskauer Führung zu machen und nahm dazu Kontakt zu Russland auf.
Ende der Räterepublik
Inzwischen verbreiteten sich Gerüchte über angebliche Greueltaten in München, die zu einer massiven Gegenbewegung führten. Die Regierung Hoffmann in Bamberg hetzte die Landbevölkerung gegen die "Diktatur der Russen und Juden" in der Stadt auf, die angeblich die Frauen zu Gemeineigentum erklärt hatten. Eine Hungerblockade gegen die Münchner Räterepublik war die Folge. Die Regierung Hoffmann unterstützte die Bildung von Freikorps, dennoch gelang es nicht, ausreichend bayerische Truppen zu rekrutieren, die bereit waren, gegen ihre Landsleute in München zu kämpfen. So forderte Ministerpräsident Hoffmann (SPD) vom Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) Freikorps aus Berlin an. In der zweiten Aprilhälfte rückten 35.000 Soldaten unter General Burghard von Oven auf München zu. Mit dabei waren Offiziere wie Franz Ritter von Epp, der bereits bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes in China und an dem berüchtigten Massaker an den Hereros in Deutsch Süd-West-Afrika beteiligt war. Viele Soldaten trugen schon das Hakenkreuz, das Symbol der völkischen Thule-Gesellschaft am Helm.
Die Rote Armee konnte anfängliche Gefechte gewinnen, doch die "weiße" Armee aus preußischen und württembergischen Truppen sowie Freikorps besetzte am 20. April Augsburg, wo es daraufhin zu einem Generalstreik kam. Die Bamberger Regierung verhängte am 25. April über München das Standrecht. Es gelang den Revolutionären nicht, ausländische Hilfe zu gewinnen oder den Erzbischof als Geisel zu nehmen. In der Folge entstanden Spannungen zwischen Mitgliedern der USPD (Toller) und der KPD (Leviné); am 27. April trat der Aktionsausschuss zurück, und es wurde ein neuer Aktionsausschuss, diesmal ohne Kommunisten, gewählt.
Am 1. Mai 1919 schloss die "weiße" Armee München ein und eroberte die Stadt bis zum darauffolgenden Tag vollständig, damit endete die letzte Räteregierung in Deutschland. Der Widerstand der etwa 2000 Kämpfer der "Roten Armee" war insgesamt schwach und blieb auf einige wenige Stellen beschränkt. Die Regierung Hoffmann kehrte daraufhin zurück. Nachdem es beim Vormarsch der Freikorps auf München zu willkürlichen Erschießungen gekommen war, wurden zehn im Münchner Luitpold-Gymnasium festgehaltene Geiseln von Mitgliedern der "Roten Armee" erschossen. Dieser "Geiselmord" galt den Freikorps als zusätzliche Rechtfertigung für ihre Terrorherrschaft in München, die zahlreiche Menschenleben forderte. Das Standrecht wurde am 1. August aufgehoben, am 14. August wurde die Bamberger Verfassung unterzeichnet, der Kriegszustand endete am 1. Dezember.
Ende und Folgen der Revolution
Bei der Niederschlagung der Revolution starben einige Dutzend Revolutionsgegner und Freikorpssoldaten; unterschiedliche Quellen berichten von mehr als 600 oder 1000 toten Revolutionären und Verteidigern der Münchner Räterepublik. Unter anderem wurden 52 russische Kriegsgefangene von einem Freikorps in einer Kiesgrube bei Gräfelfing erschossen. Gustav Landauer wurde am 2. Mai von Soldaten und Freikorps-Mitgliedern im Gefängnis Stadelheim brutal misshandelt und erschossen. Hunderte wurden wegen falscher Denunziationen verhaftet und hingerichtet. Beispielsweise denunzierte ein Pfarrer aus München-Perlach zwölf Arbeiter, die dann vom Freikorps ausgeplündert und erschossen wurden. Auch Adolf Hitler, der sich während der Revolutionszeit in München versteckt hatte, denunzierte danach mehrere mit der Räterepublik sympathisierende Kameraden seines ehemaligen Regiments. In den folgenden Wochen wurden über 2200 Unterstützer der Räterepublik zu Haftstrafen verurteilt. Rudolf Egelhofer und Gustav Landauer wurden von Freikorpssoldaten ermordet; nur Max Levien gelang die Flucht. Eugen Leviné wurde wegen Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt. Nach seiner Hinrichtung am 5. Juni 1919 kam es unter anderem in Berlin zu einem Generalstreik. Erich Mühsam wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, Toller zu fünf Jahren.
Der auf beiden Seiten entstandene Hass vergiftete lange die politischen Verhältnisse. Die Tatsache, dass einige der führenden Personen jüdischer Abstammung waren (Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und Eugen Leviné), wurde als Grund für den entstehenden Antisemitismus missbraucht. Das Trauma, die Wunden und die Folgen der Revolutionszeit, Hunger, Angst, viele Tote, Hass und die Dolchstoßlegende sowie die Versäumnisse der Revolution wie etwa eine Demokratisierung der monarchistischen Justiz und Verwaltung waren ein schweres Erbe für die Demokratie und begünstigten den Aufstieg der Nationalsozialisten. Die juristische Aufarbeitung der Münchner Räterepublik nach ihrer Niederschlagung zeigte zum ersten Mal in großem Stil die politische Einseitigkeit der Justiz in der Weimarer Republik: Während rechte Verbrechen gar nicht oder sehr milde bestraft wurden, wurden linke Verbrechen und andere Taten mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgt. Nach der Niederschlagung der Revolution wurde Bayern zur "Ordnungszelle" in Deutschland; es wurde die Zuflucht von Rechtsextremen. 1923 fand in München der Hitlerputsch statt.
Chronik
- 29. Oktober 1918: Beginn des Matrosenaufstand
- 8. November: nach der ersten Revolution verkündet Kurt Eisner den Freien Volksstaat Bayern
- 11. November: Waffenstillstand zwischen Alliierten und dem Deutschen Reich
- 10. Januar - 4. Februar: Bremer Räterepublik
- 12. Januar 1919: Wahl zu verfassungsgebendem Landtag
- 21. Februar: Eisner wird erschossen
- 17. März: Johannes Hoffmann wirdMinisterpräsident
- 7. April - 13. April: Erste Münchner Räterepublik
- 13. April - 2. Mai: Zweite Münchner Räterepublik
- 11. August: Verkündigung der Weimarer Verfassung
- 14. August: Unterzeichnung der Bamberger Verfassung für Bayern
Siehe auch: Geschichte Bayerns
Literatur
- Peter Jakob Kock, Franz Menges, Manfred Tremel, Wolf Volker Weigand: Geschichte des modernen Bayern, München: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2000.
- Allan Mitchell: Revolution in Bayern 1918/1919. Beck, 1967.
- Karl-Ludwig Ay: Die Entstehung einer Revolution. Die Volksstimmung in Bayern während des ersten Weltkrieges. Berlin, 1968.
- Karl Bosl: Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Voraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen. München/Wien, 1969.
- Rudolf Herz, Dirk Halfbrodt: Revolution und Fotografie - München 1918/19. Berlin, 1988. - ISBN 3-88940-027-2
Weblinks
- LEMO - Deutsches Historisches Museum: Die Münchner Räterepublik
- Die Entstehung der Räterepublik in München 1919
- Rede des standrechtlich erschossenen Eugen Leviné
- Nikolaus Brauns, Die Revolution in Bayern 1918/19 (Zusammenfassung einer Artikelserie der Tageszeitung "Junge Welt", erschienen von November 1998 bis Juni 1999)
- Nikolaus Brauns, Das Rätesystem im Spiegel der revolutionären Presse
- Raimund Dehmlow und Rolf Mader, Ein Brief kommt nicht an - die Botschaft bleibt erhalten. Otto Gross und die Münchener Räterepublik