Jakob Wilhelm Hauer

Jakob Wilhelm Hauer (* 4. April 1881 in Ditzingen; † 18. Februar 1962 in Tübingen) war ein deutscher Indologe und Religionswissenschaftler.
Ausbildung und akademische Laufbahn
Hauer, der aus einem stark pietistisch geprägten Elternhaus stammte[1] und zunächst Maurer wurde, ließ sich zwischen 1900 und 1906 im Basler Missionshaus zum Missionar ausbilden, und konnte zwischen 1907 und 1911 als Leiter einer höheren Schule in Indien erste Berufserfahrungen sammeln. Dabei kam er auch intensiv mit Hinduismus und Buddhismus in Kontakt.
Hauer begann nach seiner Rückkehr in Tübingen klassische Sprachen, das Sanskrit, Philosophie und Religionsgeschichte zu studieren, ehe er auch nach Oxford ging, um dort sein Studium fortzusetzen. Hier wurde er kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs als „Deutscher“ interniert, wurde aber von der deutschen Regierung bereits 1915 gegen einen Kriegsgefangenen ausgetauscht.
Nach seiner Ausbildung in einem Basler Missionshaus lehrte er seit 1907 an einer indischen Missionsschule. 1911 ging Hauer an die Universität Oxford. An der Universität Tübingen wurde er 1918 promoviert.[1]
Von 1915[1] bis 1919 war Hauer im württembergischen Kirchendienst tätig. 1921 erfolgte seine Habilitation in Religionswissenschaften und Indologie an der Universität Tübingen. Ab 1925 war Hauer kurzzeitig außerordentlicher Professor in Marburg, ehe er 1927 nach Tübingen zurückkam, wo er bis 1945 als Ordinarius für Religionswissenschaften und Indologie lehrte.[2]
Religiöses und weltanschauliches Engagement
Hauer setzte sich zunächst für eine Neuorientierung der evangelische Kirche ein und kritisierte deren aus seiner Sicht überholte Strukturen und lebensfeindliche Dogmatik. Das führte zunächst zum Engagement innerhalb der Kirche und in der ökumenischen Friedensbewegung. Hauer entfernte sich jedoch zunehmend vom Christentum. Seine persönliche religiöse Entwicklung mündete in der „prophetischen Verkündigung einer neuen Releigion“.[3]
Bund der Köngener
Im Jahre 1920 begründete Hauer den Bund der Köngener, der seine Ursprünge in der traditionellen evangelischen Jugendpflege sowie in der Jugendbewegung hatte und sich vom Pietismus zu einem „freien Protestantismus“ entwickelte.[4] Hauer leitete den Bund bis 1934. Der Köngener Bund wollte nach der Ernüchterung am Ende des Ersten Weltkriegs im Sinne einer erneuerten Wandervogel-Bewegung Richtung und Ziel geben. Er fand, von Aufbruchstimmung und jugendlicher Begeisterung getragen, zahlreiche Anhänger in ganz Deutschland, zu ihnen gehörten u.a. Hermann Hesse und Gerhard Gollwitzer. Hauer war Herausgeber der Zeitschriften Unser Weg (1920–27) und Die kommende Gemeinde (1928–33).
Asiatische Religionen und „Religiöser Menschheitsbund“
Hauer setzte sich stets für asiatische Religionen ein, und gründete zu diesem Zweck 1927 den Religiösen Menschheitsbund. Dabei ging er davon aus, dass die jüdisch-christliche Religion dem germanischen Volk übergestülpt worden sei und dass es darum gehe, wieder zu den Wurzeln zurückzukehren, die in der indischen Religion zum Teil noch vorfindbar seien.
NS-Zeit und Deutsche Glaubensbewegung

Am 30. Juli 1933 führte Hauer in Eisenach eine Reihe freireligiöser und „völkisch-deutschgläubiger“ Gruppen zur Deutschen Glaubensbewegung zusammen. Diese Gruppe, die Hauer zusammen mit Ernst Graf zu Reventlow leitete, hatte bis 1935 stets die Hoffnung, neben den Deutschen Christen vom NS-Staat als offizielle nichtchristliche Glaubensgemeinschaft akzeptiert zu werden. Mitglied durfte nur werden, wer nicht Mitglied einer anderen Religionsgemeinschaft war. Allerdings führten schnell interne Austritte wie auch ab 1935 eine veränderte NS-Kirchenpolitik dazu, dass zunächst Reventlow und nach ihm im April 1936 auch Hauer die Bewegung verließen. Die Zeitschrift Deutscher Glaube, die Organ der Deutschen Glaubensbewegung war, wurde allerdings von Hauer ab 1936 unter dem neuen Titel Zeitschrift für arteigene Lebensgestaltung weiter herausgegeben.
Hauer wurde zunehmend ein Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie und nach der „Machtergreifung“ 1933 Mitglied im völkisch gesinnten, antisemitischen Kampfbund für deutsche Kultur, später auch in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, dem NS-Lehrerbund und dem NS-Dozentenbund.[5] Ebenso arbeitete er im Rassenpolitischen Amt der NSDAP mit. Zwischen 1932 und 1934 trat er in die SS ein.[6] 1934 wurde Hauer auf Betreiben Himmlers und Reinhard Heydrichs in den Sicherheitsdienst des Reichsführers SS aufgenommen, in der er 1941 zum Hauptsturmführer befördert wurde. Nach Aufhebung der Aufnahmesperre wurde er 1937 Mitglied der NSDAP.[5]
Seit 1935 zeigte Hauer „antisemitisches Verhalten“.[7] Er agierte gegen die Tätigkeit seines jüdischen Kollegen Otto Strauß als Indologe und in einem Memorandum vom 4.3.1935 an das Reichserziehungsministerium verlangte Hauer, die "Universitäten nach rassischen Kriterien umzustellen".[8]
Fast alle wissenschaftlichen Publikationen nach 1933 dienten dem Versuch, der deutschgläubigen Religion eine wissenschaftliche Grundlage zu geben und sie in die geistesgeschichtliche Tradition des Indogermanentums einzuodnen.[9] 1938 publizierte er erstmals das Buch Glaube und Blut. Sein ursprünglicher Lehrautrag Indologie und Allgemeine Religionsgeschichte wurde um Arische Weltanschauung erweitert. Für ihn wurde eigens ein Arisches Seminar eingerichtet, zu dessen Direktor er ernannt wurde. Verbunden war dies durch eine Ausweitung der zur Verfügung stehenden Forschungsmittel und durch zusätzliches Personal.[10]
Während des Zweiten Weltkriegs beteiligte er sich am NS-Projekt Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften und war innerhalb des Projekts Leiter der Gruppe Lebensmächte und Wesen des Indogermanentums.[5]
Nachkriegszeit
Nach Kriegsende wurde er seiner Professur enthoben und im Mai 1945 bis August 1947[11][12] von der französischen Besatzungsmacht interniert und im Juli 1949 vor der Universitätsspruchkammer Tübingen in einem sogenannten Spruchkammerverfahren als Mitläufer eingestuft. Verschiedene Personen setzten sich für seine Rückkehr an die Universität ein. Bekannt wurde der Einsatz von Martin Buber[13], mit dem er in engen Kontakt stand. Ebenso setzte sich sein früherer Mitarbeiter, der spätere rechtsextremistische Verleger Herbert Grabert mit seinem „Verband der nichtamtierenden (amtsverdrängten) Hochschullehrer“. für Hauers Rehabilitierung ein. [11] Hauer setzte seine Aktivitäten in den 1950er Jahren in der „Arbeitsgemeinschaft für freie Religionsforschung und Philosophie“ und seit 1955 in der von ihm gegründeten „Freien Akademie“ fort.
Publikationen
- 1922: Werden und Wesen der Anthroposophie
- 1922: Die Anfänge der Yogapraxis im alten Indien
- 1932: Der Yoga als Heilweg
- 1934: Dt. Gottschau
- 1934: Was will die D.G.
- 1937: Glaubensgeschichte der Indogermanen
- 1941: Glaube und Blut
- 1941: Religion und Rasse
- 1950: Die Krise der Religion und ihre Überwindung
- 1952: Glauben und Wissen
Literatur
- Schaul Baumann: Die Deutsche Glaubensbewegung und ihr Gründer Jakob Wilhelm Hauer (1821–1962). Religionswissenschaftliche Reihe, Bd. 22. Diagonal, Marburg (Lahn) 2005. ISBN 3-927165-91-3
- Margarete Dierks: Jakob Wilhelm Hauer 1881–1962. Leben, Werk, Wirkung. Lambert Schneider, Heidelberg 1986
- Horst Junginger: Jakob Wilhelm Hauer. In: Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen. Hrsg. v. Ingo Haar u. Michael Fahlbusch. Unter Mitarb. v. Matthias Berg, München 2008, S. 230–234.
- Ernst Klee: Artikel Jakob Wilhelm Hauer. In ders.: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2005. ISBN 3-596-16048-0. S. 232
- Walther Killy: Deutsche Biographische Enzyklopädie. Saur, München 2001. ISBN 3-423-59053-X (10 Bde.)
- Ulrich Nanko: Die Deutsche Glaubensbewegung. Eine historische und soziologische Untersuchung. Religionswissenschaftliche Reihe Bd. 4. Diagonal, Marburg (Lahn) 1993. ISBN 3-927165-16-6
- Karla Poewe, Irving Hexham: Jakob Wilhelm Hauer’s New Religion and National Socialism. In: Journal of Contemporary Religion 20 (2005), S. 195–215
- Karl Rennstich: Der Deutsche Glaube. Stuttgart 1992 Ev. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen Information Nr. 121 (1992)
Einzelnachweise
- ↑ a b c Horst Junginger: Jakob Wilhelm Hauer. In: Handbuch der völkischen Wissenschaften, hrsg. von Ingo Haar und Michael Fahlbusch, München 2008, ISBN 978-3-598-11778-7, S. 230
- ↑ Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon
- ↑ Horst Junginger: Jakob Wilhelm Hauer. In: Handbuch der völkischen Wissenschaften, hrsg. von Ingo Haar und Michael Fahlbusch, München 2008, ISBN 978-3-598-11778-7, S. 230f.
- ↑ Ulrich Nanko: Die Deutsche Glaubensbewegung; 1993; S. S. 57–61
- ↑ a b c Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 232.
- ↑ So datiert Horst Junginger in seinem Buch „Von der philologischen zur völkischen Religionswissenschaft“ den SS Eintritt auf 1934. Cornelia Essner wiederum schreibt in ihrem Buch „Die 'Nürnberger Gesetze' oder die Verwaltung des Rassenwahns 1933-1945“ auf Seite 29: „Hauer trat 1932 der SS bei, jedoch erst 1937 der NSDAP“. Carlo Schmidt will Hauer in Tübingen 1933 in der Uniform eines SS-Untersturmführers gesehen haben (Carlo Schmidt, Erinnerungen, 1979, S.166).
- ↑ Horst Junginger, „Von der philologischen zur völkischen Religionswissenschaft“ S. 188, S.195)
- ↑ Junginger ebenda S. 186 Hauer setzte sich dagegen ein, dass Strauß die vakante Schriftleitung der Orientalische Literaturzeitung übernimmt. In einem Schreiben an Eckardt heißt es "Nach meiner Auffassung ist der jüdische Geist unfähig, das indo-arische Denken wirklich zu begreifen."Bundesarchiv (Deutschland) Nachlass Hauer (NL-H) Bd. 141 S.607. Außerdem versuchte Hauer zu verhindern, dass Strauß den Lehrstuhl für Indologie in Marburg erhält.
- ↑ Horst Junginger: Jakob Wilhelm Hauer. In: Handbuch der völkischen Wissenschaften, hrsg. von Ingo Haar und Michael Fahlbusch, München 2008, ISBN 978-3-598-11778-7, S. 232
- ↑ Horst Junginger: Jakob Wilhelm Hauer. In: Handbuch der völkischen Wissenschaften, hrsg. von Ingo Haar und Michael Fahlbusch, München 2008, ISBN 978-3-598-11778-7, S. 233
- ↑ a b Horst Junginger: Jakob Wilhelm Hauer. In: Handbuch der völkischen Wissenschaften, hrsg. von Ingo Haar und Michael Fahlbusch, München 2008, ISBN 978-3-598-11778-7, S. 234
- ↑ Zum Spruchkammerverfahren siehe Margarete Dierks: Jakob Wilhelm Hauer 1881-1962. Leben, Werk, Wirkung. Darmstadt 1986, S. 381-400
- ↑ Margarete Dierks: Jakob Wilhelm Hauer 1881-1962. Leben, Werk, Wirkung. Darmstadt 1986
Weblinks
- Hans Jürgen Rieckenberg: Jakob Wilhelm Hauer. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 8, Duncker & Humblot, Berlin 1969, ISBN 3-428-00189-3, S. 83 f. (Digitalisat).
- Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon
Personendaten | |
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NAME | Hauer, Jakob Wilhelm |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Religionswissenschaftler |
GEBURTSDATUM | 4. April 1881 |
GEBURTSORT | Ditzingen, Deutschland |
STERBEDATUM | 18. Februar 1962 |
STERBEORT | Tübingen, Deutschland |