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Neopaganismus

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Neopaganismus oder Neuheidentum bezeichnet als Oberbegriff neuzeitliche Formen des Heidentums. Seine Anhänger berufen sich auf vorchristliche Traditionen. Soziologisch betrachtet sind sie Teil der Neuen religiösen Bewegungen.

Überblick

Das Wort Neopaganismus kommt vom lateinischen Wort paganus, ursprünglich Dorfbewohner, ab dem Hochmittelalter Heide, und griechisch neo für neu. Das Christentum, das seinerseits aus Sicht des Judentums eine Abspaltung darstellte, verwendete den Begriff für ländliche Bewohner um die römisch-griechischen Städte, die am beginnenden Mittelalter zunehmend christianisiert wurden.

Der Neopaganismus wird von seinen Anhängern als Wiederbelebung indigener vorchristlicher Religionen gesehen, die aufgrund der christlichen Missionierungen, der Christianisierung und Zwangstaufen – teils verfolgt und gewalttätig – untergingen. Anhänger des Neuheidentums leben zumeist in den westlichen Industrieländern. Zwar gibt es auch indigene Religionen in anderen Ländern, aber nicht das Phänomen der Wiederbelebung historischer („ausgestorbener“) Religionen in Zusammenhang mit der Selbstbezeichnung als „Heidentum“.

Es gibt eine ganze Reihe von neopaganistischen Gemeinschaften, jedoch praktizieren viele Neuheiden ihre Religion(en) alleine und gehören keiner Gemeinschaft an. Auch neue Religionen, die Elemente aus vor- oder nichtchristlichen Glaubensrichtungen verwenden (etwa ein Pantheon), gehören in die Sparte Neuheidentum, wie beispielsweise teilweise die „neuen“ Hexen. Asatrú (aus dem Altnordischen: „Glaube an die Asen“, wobei Asen = nordisches Göttergeschlecht) ist sowohl ein Begriff für nordisch-germanisches Neuheidentum als auch für die eher orthodoxe Richtung dieser Form des Heidentums.

Viele Neuheiden lehnen sich an eine bestimmte Richtung des Heidentums an, etwa:

Daneben gibt es aber auch Neuheiden, die sich keiner solchen Tradition direkt zurechnen. Es wäre eventuell noch anzumerken, dass sich in dieser „neuen Kultur“ auch beide Aspekte (Kelten und Germanismus) zu einer Religion vermischen.

Geschichte

Die ältesten greifbaren Strömungen des Neuheidentums begannen als Gegenbewegung zur Aufklärung: die neudruidischen Orden und neukeltischen Gruppen sowie das Neugermanentum.[1] Dieses wirkte im deutschen Sprachraum mit dem Erwachen des Nationalstolzes nach dem Sieg über Napoleon zusammen.[1] Dabei verband sich das Suchen nach den heidnischen Wurzeln der „echten“ Deutschen mit dem Herabwerten anderer Völker, ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts aber auch anderer „Rassen“.[2]

Der Neopaganismus wurde besonders im Nationalsozialismus rezipiert; prominente Mitglieder der NSDAP gehörten neopaganen okkultistischen Zirkeln an. Auf der Weltanschauung Helena Blavatskys, nach der die arische Rasse die am weitesten entwickelte sei, fußt die Ariosophie von Guido von List. Jörg Lanz von Liebenfels beeinflusste mit seiner antisemitisch gefärbten heidnischen Religion als Ausdruck der "Volkseele“ Adolf Hitler. Der NS-Ideologe Alfred Rosenberg sah im Nationalsozialismus verschüttete, aber durch die "Blutlinie" unter der Oberfläche weitergegebene Ideale. Die ursprünglichen Germanen werden als "Gottmenschen" mit "Zauberfähigkeiten" angesehen, die durch die "Verstandeslehren" der christlichen Kirche unter "Zurückdrängen des Gefühlslebens" verloren gegangen seien. [3].

Seit den 1960er Jahren kam es zu einer internationalen Belebung des Neuheidentums. Besonders aus England und den USA wirkten neue Impulse auf Europa ein, die zusätzlich auch „heidnische“ Religionsformen anderer Völker in die Bewegung aufnahmen.[2] So wurden z. B. die außereuropäischen Traditionen der indianischen und sibirischen Schamanen als fester Bestandteil integriert. Auch das Neukeltentum bekam neuen Aufschwung.[4] 1972 wurde die jahrhundertelang in Island geduldete vorchristliche nordische Religion, unter der Bezeichnung Asatru staatlich anerkannt. Das sich seit den 30er Jahren von England aus durchsetzende neuheidnische Hexentum wurde ebenfalls fester Teil der Bewegung.[4] Diese neuen Entwicklungen sind insbesondere im Neugermanentum gekennzeichnet durch eine völlige Abkehr von rassistischen Ideen.[4] Im heutigen Heidentum findet ein typischer Prozess fortwährender Ausdifferenzierung zwischen „Traditionalisten“ und „Modernisten“ statt.[4] Die „Traditionalisten“ versuchen mit Hilfe derzeitigen wissenschaftlichen Wissens und den alten lückenhaften Überlieferungen möglichst orginalgetreu die vorchristlichen Religionen zu rekonstruieren und zu beleben.[4] Die „Modernisten“ versuchen, vom Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausgehend, eine Religion des Einklangs mit der beseelten Natur mit dem Menschen zu leben. Sie bekennen sich dazu, neue religiöse Formen zu erschaffen.[4] Eine weitere wichtige Differenzierung ist die zwischen völkischen Gruppen die zum Rechtsradikalismus tendieren und anderen Gruppen die sich bewusst davon distanzieren.[4] Seit den 1990er Jahren hat ein Prozess der Institutionalisierung eingesetzt, welcher dazu führt, Dachverbände zu organisieren (z. B. „Pagan Federation“). Viele Neuheiden aber lehnen jede Verbandsform als nichtheidnisch ab.[4] Die Übergänge zwischen allen diesen Gruppen sind fließend und überwiegend von Toleranz anderen neopaganen Gruppen gegenüber geprägt.[4]

Häufige Begründungen und Aspekte des Neopaganismus

  • Naturnahe Lebensweise in einer hoch technisierten Zivilisation
  • Schutz von Umwelt und Mitlebewesen
  • Erleben der Kräfte der Natur, die sich in Gestalt der Göttinnen und Götter anrufen lassen und auch dem einzelnen Gläubigen erkennbar sind
  • Abwendung von einer Priesterreligion, direktes Glaubenserlebnis
  • Kein dogmatisches Glaubensbekenntnis, stattdessen individualisiertes Erleben von Gläubigkeit und Vielfalt gleichberechtigter Kulte
  • Kritik an monotheistischen, hierarchischen und dogmatischen Religionen (Christentum, Judentum, Islam u. a.)
  • Weltweite Verbreitung heidnischer Kulte als Glaube an viele Gottheiten, in Europa (germanisches, keltisches, wendisches Heidentum), Afrika, Amerika (zahlreiche indianische Stammesreligionen, unter anderem der Hopi), Asien (Hinduismus, Shintō in Japan u. a.) – Vielfalt in einem Netzwerk weltweit verbreiteter Naturreligionen
  • Betonung der Freiheit des Einzelnen
  • Aktive Aufnahme alter Kulturtechniken, Handwerkstätigkeiten etc. im Rahmen des Reenactment z. B. bei Wikinger- und Mittelaltermärkten
  • Intensives Musikbewusstsein (Musik hören, Musik machen, Musik erleben)

Das Spektrum der Mitglieder von neuheidnischen Gruppierungen reicht von (politischen) Extremisten bis hin zu neugierigen Selbsterfahrungs-Seminar-Teilnehmern und esoterischen Sinnsuchern. Viele Mitglieder des Neuheidentums distanzieren sich jedoch von Formen des politischen Extremismus. Das Neuheidentum ist sehr vielfältig und heterogen, auch gibt es keine einheitliche, umfassende Organisation oder Institution, in der sich die verschiedenen Religionen vereinigen.

Neopaganismus und Musik

Siehe Pagan Metal

Neopaganismus als Teil politischer Ideologie

In Deutschland und Österreich-Ungarn gab es bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine neuheidnische Welle. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wuchs die Popularität neuheidnischer Vorstellungen.

Nationalsozialisten, die sich ernsthaft mit neuheidnischer Ideologie befassten, waren der spätere SS-Führer Heinrich Himmler oder dessen Chef-Esoteriker Karl Wiligut.

Ein moderner Vertreter des politisch rechtsradikalen neuen Heidentums ist der französische Publizist Alain de Benoist.

Ebenso gibt es Gruppierungen im modernen Neopaganismus, die sich anti-rassistisch, anti-nationalistisch und anti-faschistisch engagieren und das Heidentum als eine basisdemokratische und ökologische Bewegung verstehen. Beispiele für solche Gruppen sind der Steinkreis oder der Rabenclan. Eine antifaschistische Einzelinitiative ist „Heiden gegen Hass“.[5] Reclaiming ist eine neuheidnische Organisation, für die politisches Engagement für Umweltbewusstsein, Feminismus und Völkerverständigung untrennbarer Teil ihres Selbstverständnisses ist.

Gruppierungen

International

allgemeine u. interkultische Gruppen:

  • Pagan-Federation Int.
  • Fellowship of Isis

Hexen:

keltische Tradition / Neo-Druidentum:

Deutschland

Überregionale Gruppen

allgemeine u. interkultische Gruppen:

  • Der Clan vom Steinhain
  • Deutsche Heidnische Front
  • KultURgeister – Dachverband der traditionellen Naturreligionen in Deutschland e.V.
  • Orden vom Steinberg
  • Der Steinkreis e.V.
  • Pagan Federation D.A.C.H.
  • Rabenclan - Verein zur Weiterentwicklung heidnischer Traditionen e.V.
  • Saxo-Celtika
  • Seelengemeinschaft

germanische Tradition / Asatru:

keltische Tradition / Neo-Druidentum:

  • Celtic Aidos
  • Celtoi Net
  • Comardiia Druuidiacta
  • Order of White Oak
  • The Druid Network

Religio Romana / altrömische Tradition:

  • Nova Roma

Regionale Gruppen

Baden-Württemberg:

Bayern:

  • Arbeitskreis Naudhiz
  • Augsburger Stammtisch (Spiritueller Stammtisch Augsburg)

Berlin:

  • Heidnische Gemeinschaft

Niedersachsen:

  • Der Orbische Kult

Rheinland-Pfalz:

Flandern

  • Werkgroep Hagal

Lettland

  • Neo-heidnische lettische Bewegung Dievturi

Litauen

  • Romuva, litauisch-heidnische Bewegung und Glaubensgemeinschaft

Österreich

Überregionale Gruppen

  • Verein Wurzelwerk

Regionale Gruppen

Steiermark:

  • Heidenreich Steiermark

Literatur

  • David Burnett: Dawning of the Pagan Moon, Eastbourne 1991
  • Hubert Cancik: Neuheiden und totaler Staat: Völkische Religion am Ende der Weimarer Republik, in H. Cancik (Hrsg.): Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Republik, Düsseldorf 1982, S. 176-212
  • Richard Faber, Renate Schlesier (Hrsg.): Die Restauration der Götter: Antike Religion und Neo-Paganismus, Würzburg 1986
  • Charlotte Hardman, Graham Harvey (eds.): Paganism Today, London 1996
  • Ronald Hutton: The Triumph of the Moon – A History of Modern Pagan Witchcraft, Oxford 2000
  • Aidan A. Kelly: Neo-pagans and the New Age, in J. Gordon Melton, Jerome Clarke, Aidan A. Kelly (eds.): New Age Encyclopedia, Detroit/London 1990, S. 311-315
  • Joanne Pearson (ed.): Nature Religion Today: Paganism in the Modern World, Edinburgh 1998
  • Shelley Rabinovitch, James Lewis: The Encyclopedia of Modern Witchcraft and Neo-Paganism, 2003
  • Sian Reid: Between the Worlds – Readings in Contemporary Neo-Paganism, 2006
  • Marc R. Spindler: Europe's Neo-Paganism: a Perverse Inculturation, International Bulletin of Missionary Research 11(1), 1987, S. 8-11
  • David Waldron: The Sign of the Witch – Modernity and the Pagan Revival, 2008
  • Karlheinz Weißmann: Erwachen im Untergrund: Neuheiden unter uns, Materialdienst EZW 54(4), 1991, S. 99-112

Einzelnachweise

  1. a b Nils Grübel und Stefan Rademacher: Religion in Berlin. Ein Handbuch. Weissensee Verlag, Berlin 2003, S. 515.
  2. a b Nils Grübel und Stefan Rademacher: Religion in Berlin. Ein Handbuch. Weissensee Verlag, Berlin 2003, S. 516.
  3. Quelle: Landeszentrale für politische Bildung Brandenburg
  4. a b c d e f g h i Nils Grübel und Stefan Rademacher: Religion in Berlin. Ein Handbuch. Weissensee Verlag, Berlin 2003, S. 517.
  5. Heiden gegen Hass (HAH)