Wolfgang Diewerge

Wolfgang Diewerge (* 12. Januar 1906 in Stettin, † 4. Dezember 1977 in Essen) war ein nationalsozialistischer Propagandist in Joseph Goebbels' Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Er verfasste dort eine große Zahl antisemitischer Hetzschriften. Nach dem Krieg gelang ihm eine zweite Karriere in der FDP Nordrhein-Westfalen, die jedoch durch das Eingreifen der britischen Besatzungsbehörden sowie einer Kommission des Bundesvorstandes der FDP abrupt beendet wurde. Schließlich stand er 1966 vor Gericht; ihm wurde ein Meineid bezüglich seiner Rolle in dem von den Nationalsozialisten geplanten Prozess gegen Herschel Grynszpan zur Last gelegt.
Nationalsozialistischer Propagandist
Diewerge war Rechtsanwalt und trat am 1. August 1930 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei bei. 1933 hatte er es zum Abteilungsleiter der Rechtsabteilung des „Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes – Gau Groß-Berlin“ der NSDAP gebracht. Anfang 1934 trat er zum ersten Mal öffentlich hervor, nämlich im Zusammenhang eines Prozesses in Kairo.
Die Kairoer Ortsgruppe der NSDAP hatte 1933 eine Broschüre mit dem Titel „Die Judenfrage in Deutschland“ veröffentlicht. Daraufhin hatten zwei Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Kairo Anzeige wegen Beleidigung erstattet. In diesem Rechtsstreit verfolgte das Auswärtige Amt zunächst eine vorsichtige Strategie und versuchte das Thema insbesondere aus der öffentlichen Debatte herauszuhalten. Wolfgang Diewerge schrieb hingegen im September 1933 zu Händen des AA ein zehnseitiges Gutachten „Die pressemäßige Unterstützung des Kairoer Prozesses“, das im diametralen Gegensatz dazu auf möglichst öffentlichkeitswirksame Ausschlachtung des Prozesses abzielte: Dieser sollte als „Kampfmittel des Judentums gegen die nationalsozialistische Erhebung“ gebrandmarkt werden. Diewerge entwarf dazu eine detaillierte Öffentlichkeitsstrategie. Er benannte Medien, Zielgruppen und Kosten und schlug ein einheitliches Etikett vor, unter dem der Prozess in der nationalsozialistischen Presse erscheinen sollte, nämlich „Kairoer Judenprozess“. Die Zielrichtung der projektierten Pressearbeit ging aus einem beiliegenden Beispieltext hervor, der den Titel „Internationale jüdische Verschwörung gegen Deutschland in Ägypten aufgedeckt“ trug. Es gelang Diewerge, sich mit seinen Vorstellungen durchzusetzen. Er wurde Anfang 1934 zum Beauftragten für die Vorbereitung und Durchführung des Prozesses ernannt und verfasste einen propagandistisch aufgemachten Bericht dazu mit dem Untertitel „Gerichtlich erhärtetes Material zur Judenfrage“ im Parteiverlag der NSDAP.[1]
In der Folge stieg Diewerge kontinuierlich in Goebbels' Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda auf, bis er 1941 die Laufbahnstufe des Ministerialrats erreichte. Immer wieder drehte sich seine Aktivität um Vorfälle, Prozesse und Veröffentlichungen im Ausland, die Anlass zu antisemitischen Kampagnen gegen das sogenannte Weltjudentum gaben. So war Diewerge 1936 Sonderbeauftragter für den Prozess gegen David Frankfurter, der in Davos den Schweizer NS-Landesgruppenleiter Wilhelm Gustloff erschossen hatte, und veröffentlichte dazu zwei Propagandaschriften.
Am 8. November 1938, einen Tag vor den Novemberpogromen der sog. Reichskristallnacht, schrieb Diewerge den Leitartikel des Völkischen Beobachters. Er kommentierte unter der Schlagzeile „Die Verbrecher“ das Attentat von Herschel Grynszpan auf den deutschen Botschafter in Paris, Ernst Eduard vom Rath, mit unmissverständlichen Drohungen:
- Es ist klar, daß das deutsche Volk aus dieser neuen Tat seine Folgerungen ziehen wird. Es ist ein unmöglicher Zustand, dass in unseren Grenzen Hunderttausende von Juden noch ganze Ladenstraßen beherrschen, Vergnügungsstätten bevölkern und als ‚ausländische‘ Hausbesitzer das Geld deutscher Mieter einstecken, während ihre Rassegenossen draußen zum Krieg gegen Deutschland auffordern und deutsche Beamte niederschießen. Die Schüsse in der Deutschen Botschaft in Paris werden nicht nur den Beginn einer neuen Haltung in der Judenfrage bedeuten, sondern hoffentlich auch ein Signal für diejenigen Ausländer sein, die bisher nicht erkannten, dass zwischen der Verständigung der Völker letzten Endes nur der internationale Jude steht.
Während Friedrich Grimm für das Deutsche Reich an dem Pariser Prozess gegen Grynszpan beteiligt war, übernahm Diewerge die publizistische Begleitung – die gleiche Arbeitsteilung wie bereits beim Prozess gegen Frankfurter 1936. Und auch der Tenor war derselbe: Der Angeklagte erschien bei Diewerge lediglich als Werkzeug des Weltjudentums, so in seiner Schrift über „Grünspan und seine Helfershelfer“, die 1939 erschien.
Nach der Besetzung Frankreichs gelang es den Nationalsozialisten, Grynszpan in ihre Gewalt zu bringen. Joseph Goebbels plante einen großen Schauprozess, zu dem unter anderem Georges Bonnet als Zeuge geladen werden sollte. Diewerge war für die Vorbereitung zuständig und daher voll in die Planung eingebunden. Doch der Prozess wurde abgeblasen, da Goebbels befürchtete, Grynszpan werde seine Tat öffentlich mit Streitigkeiten im Stricher-Milieu begründen.
Mit zwei in hoher Auflage erschienenen Publikationen arbeitete Diewerge 1941 für das nationalsozialistische Regime an der Konstruktion einer jüdischen Weltgefahr: Er schrieb eine 32-seitige Broschüre über das „Kriegsziel der Weltplutokratie“, die laut Goebbels' Tagebuch in nicht weniger als fünf Millionen Exemplaren verbreitet wurde. Darin verwertete er Zitate aus einem im Selbstverlag publizierten, sonst kaum beachteten Buch des Amerikaners Theodore Newman Kaufman und blies sie zum dämonischen jüdischen Kaufman-Plan auf, der auf die Vernichtung des Deutschtums ziele. Diewerges Kommentar enthielt unter anderem diese unverhüllte Drohung:
- Wie wäre es, wenn man statt der 80 Millionen Deutschen diese 20 Millionen Juden nach dem Rezept ihres Rassegenossen Kaufman behandeln würde? Dann wäre der Frieden auf alle Fälle gesichert. Denn der Unruhestifter, der Friedensstörer, auf der ganzen Welt ist der Jude.
Im selben Jahr gab er eine Sammlung von Briefen deutscher Soldaten aus der Sowjetunion heraus, die dazu diente, anhand von sorgfältig redigierten Zeitzeugenberichten eine angebliche jüdisch-bolschewistische Weltgefahr an die Wand zu malen.
Den Gipfel seiner Karriere erreichte Diewerge, als er 1941 zum Leiter des Rundfunkreferats im Propagandaministeriumberufen wurde. Allerdings konnte er diesen Posten nur ein Jahr lang behaupten; 1942 löste ihn Hans Fritzsche als „Goebbels' Mann beim Rundfunk“ ab. Dies hing offenbar damit zusammen, dass im Verlauf des Krieges der Unterhaltungsanteil des Rundfunkprogramms gegenüber der unmittelbar politischen Propaganda deutlich wuchs. Diewerge wurde schließlich Intendant des Reichssenders Danzig.
In der Bundesrepublik Deutschland
In den 1950er Jahren war Diewerge einer der Protagonisten des Naumann-Kreises. Diese Gruppe ehemaliger nationalsozialistischer Funktionäre um Werner Naumann versuchte die FDP Nordrhein-Westfalen auf einen radikal-nationalistischen Kurs zu bringen. Diewerge spielte hier eine bedeutende Rolle, da es dem Naumann-Kreis gelang, ihn 1951 als persönlichen Referenten bei dem FDP-Landesvorsitzenden Middelhauve einzuschleusen. Er gab unter anderem zentrale Schulungsmaterialien für Wahlredner heraus („Rednerschnellbrief“) und arbeitete maßgeblich an einem „Deutschen Programm“ der FDP mit, das die FDP auf scharfen Rechtskurs bringen sollte.
Nachdem mehrere Mitglieder des Naumann-Kreises von den britischen Besatzungsbehörden vergaftet worden waren und eine Kommission des Bundesvorstandes der FDP unter Leitung von Thomas Dehler einen vernichtenden Bericht über die Zustände in der nordrhein-westfälischen FDP verfasst hatte, schied Diewerge „in beiderseitigem Einvernehmen“ aus den Diensten Middelhauves und der FDP aus.
In den folgenden Jahren war er als Werbeleiter tätig. 1966 jedoch holte ihn seine NS-Vergangenheit ein: Das Landgericht Essen leitete einen Prozess wegen Meineids gegen Diewerge ein. Anlass waren Aussagen Diewerges in einem Prozess gegen den Autor Soltikow, der in verschiedenen Publikationen behauptet hatte, das Attentat Herschel Grynszpans sei nachweislich auf homosexuelle Beziehungen zwischen Grynszpan und von Rath zurückzuführen – die Nachkommen von Rahts hatten Soltikow deswegen verklagt. Diewerge hatte unter Eid erklärt, ihm sei erst Ende 1941 bekannt geworden, daß Grünspan auch einmal ein homosexuelles Tatmotiv vorgebracht habe; von propagandistischen Nebenabsichten bei der Prozessvorbereitung wisse er nichts. Im Prozess wurde nachgewiesen, dass diese Aussagen unwahr waren. Mit Urteil vom 17. Februar 1966 wurde Diewerge zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Publikationen
- Als Sonderberichterstatter zum Kairoer Judenprozeß. Gerichtlich erhärtetes Material zur Judenfrage. München: Eher, 1934.
- Der Fall Gustloff. Vorgeschichte und Hintergründe der Bluttat von Davos. München: Eher, 1936
- Ein Jude hat geschossen: Augenzeugenbericht vom Prozeß gegen David Frankfurter. München, Eher, 1937
- Anschlag gegen den Frieden. Ein Gelbbuch über Grünspan und seine Helfershelfer. München, Eher, 1939
- Der neue Reichsgau Danzig-Westpreußen. Ein Arbeitsbericht vom Aufbauwerk im deutschen Osten. Junker und Dünnhaupt, 1940
- Das Kriegsziel der Weltplutokratie. Dokumentarische Veröffentlichung zu dem Buch des Präsidenten der amerikanischen Friedensgesellschaft Theodore Nathan Kaufman "Deutschland muß sterben" ("Germany must perish"). München: Eher, 1941.
- Deutsche Soldaten sehen die Sowjetunion. Feldpostbriefe aus dem Osten. Berlin: Limpert, 1941
- Hubert Kogge. Weg eines Unternehmers. Mit Zeichnungen von Josef Arens. Herrn Hubert Kogge zu seinem 25. Geschäftsjubiläum von seinen Mitarbeitern überreicht. Köln: Wirtschaftsverlag Dr. Sinz, 1959
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Diewerge, Wolfgang |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Journalist |
GEBURTSDATUM | 12. Januar 1906 |
GEBURTSORT | Stettin, Pommern |
- ↑ Vgl. dazu Mahmoud Kassim: Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten, 1919-1936, Berlin/Hamburg/Münster: Lit Verlag, 2000, insbes. S. 364ff.