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Rudi Dutschke

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Rudi Dutschke (* 7. März 1940 in Schönefeld bei Luckenwalde; † 24. Dezember 1979 in Århus, Dänemark), eigentlich Alfred Willi Rudolf Dutschke, war ein promovierter Soziologe und galt als bekanntester Studentenführer der Studentenbewegung in den 1960er Jahren der Bundesrepublik Deutschland (sog. "68er-Bewegung"). Dutschke war mit Gretchen Klotz verheiratet und hatte drei Kinder.

Leben

Rudi Dutschke, vierter Sohn eines Brandenburger Postbeamten, wächst in der Deutschen Demokratischen Republik auf, bis ihm dort nach dem Abitur 1958 aus politischen Gründen - er verweigerte den Militädienst - das Studium (Sportwissenschaft) verwehrt wird. Stattdessen beginnt er eine Ausbildung zum Industriekaufmann in dem Luckenwalder VEB "Beschläge" ("Volkseigener Betrieb"). Nach Abschluss der Ausbildung pendelt er regelmäßig nach West-Berlin - die Berliner Mauer existierte damals noch nicht - und wiederholte dort sein Abitur, um in der Bundesrepublik studieren zu können. 1961, kurz vor dem Mauerbau siedelt Dutschke nach West-Berlin über und studiert dort an der noch jungen Freien Universität Berlin Soziologie, Ethnologie und Geschichte (1961-1968, Promotion zum Dr. phil. 1973 bei Hans-Joachim Lieber über den ungarischen Marxisten und Theoretiker Georg Lukács).

Aus der DDR-Zeit, Dutschke war als Leistungssportler (Zehnkampf) in die Jungendorganisationen (z.B. FDJ) eingebunden, nimmt Dutschke zentrale Prägungen mit. Bereits hier entwickelte er seinen "religiösen Sozialismus", den er später zusammen mit Helmut Gollwitzer vertrat, sein ausgeprägtes Interesse für Politk sowie seine medial geschulte Rhetorik (Dutschke wollte Sportreporter werden und arbeitete in dieser Funktion zeitweise bei der "Berliner Zeitung"). Er lehnt zwar die Staatsideologie der DDR ab und bekämpfte den Mauerbau, hält aber auf der anderen Seite den "Monopolkapitalismus" der Bundesrepublik für die Wurzel des Nationalsozialismus.

An der FU Berlin beschäftigt sich Dutschke mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, mit der Theorie der "Frankfurter Schule" (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer) und mit "Kritische Theorie|Kritischer Theorie" (Ernst Bloch, Herbert Marcuse). Er gibt eine eigene Zeitschrift ("Anschlag") heraus, in der er über Antikapitalismus und "Dritte Welt" schreibt. Das Blatt gilt in etablierten sozialistischen Kreisen allerdings als zu radikal. 1962/63 ist Dutschke mitbegründer der radikalen Gruppierung "Subversive Aktion", die sich auf Betreiben Dutschkes 1964 dem West-Berliner Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) anschließt. Der SDS war 1961 aus der SPD ausgeschlossen worden, nachdem er die Anerkennung der DDR gefordert und die geplante Atombewaffnung der Bundeswehr gemeinsam mit kommunistischen Gruppierungen kritisiert hatte. Er blieb als Hochschulgruppe neben dem neuen SHB bestehen und lavierte zwischen SED-Nähe und SPD-Zugehörigkeit.

1965 wird Dutschke in einer Art "Reverse Takeover" in den politischen Beirat des West-Berliner SDS gewählt, wo er neben Bernd Rabehl, Ulrike Meinhof und Horst Mahler aktiv ist.

Ab 1966 organisiert Dutschke zahlreiche Demonstrationen gegen Vietnamkrieg, Notstandsgesetzte und die Bildung einer "Großen Koalition" in der Bundesrepublik. Er ruft zur Bildung einer "außenparlamentarischen Opposition" (APO) auf. Dutschke sieht gewaltlose Regelverletzung als notwendige Reaktion auf die „formierte Gesellschaft“, welche Kritik durch sozialpsychologische Mechanismen unterdrücke. Im März kündigt Universitätsrektor Hans-Joachim Lieber den Assistentenvertrag, den Dutschke nach seiner Promotion erhalten hatte, weil dieser ungenehmigte Aktionen in den Universitätsräumen durchgeführt hatte. Dutschke musste eine anvisierte akademische Karriere aufgeben. Im Mai organisierte der SDS einen bundesweiten Vietnamkongress, der Professoren der „neuen Linken“ – etwa Herbert Marcuse, Jürgen Habermas, Oskar Negt - mit denen der „alten“, dem Leninismus zuneigenden Linken – z.B. Wolfgang Abendroth, Frank Deppe, Kurt Steinhaus - vereinte. Zum Abschluss fand die bisher größte Demonstration gegen den Vietnamkrieg in der Bundesrepublik statt.

Ab 1967 spitzt sich die Konfrontation zwischen Studenten und Polizei zu. Anlass war der Besuch des Schahs von Persien, Reza Pahlevi, im Juni, der medienwirksam als Staatsempfang inszeniert werden sollte. Studenten versuchten dagegen im Vorfeld auf Armut, Folter und Missachtung der Menschenrechte in Persien aufmerksam zu machen. Eine Springer-Kampagne behauptete ein geplantes Attentat auf den Staats-Besucher. Die Bundesregierung bestellte und bezahlte sogenannte "Jubelperser", die von dem Protest ablenken sollten. Die Berliner Polizei reagierte mit Schlagstöcken und Wasserwerfern auf die Proteste. Bei dem Versuch, einem Verletzen zu helfen, wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. Es entstand ein Skandal, in dem sich Teile der Presse - Der Spiegel, Frankfurter Rundschau, Die Zeit - auf die Seite der Studenten schlugen. Allerdings solidarisierten sich nur wenige Professoren mit der Studentenbewegung. Jürgen Habermas bezeichnete die Forderungen Dutschkes sogar als "Linksfaschismus".

Podiumsdiskussionen mit Rudolf Augstein und Ralf Dahrendorf und erste Fernsehinterviews machen Dutschke zunehmend populärer. Dennoch stieg auch Ablehnung und offener Hass. Bei dem Versuch, am Heiligabend in der Berliner Gedächtniskirche zum Vietnamkrieg zu reden, kommt es erstmals zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung. Dutschke muss vorübergehend in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

Am 11. April 1968 wird Dutschke von dem jungen Hilfsarbeiter Josef Bachmann, dem rechtsextreme Tendenzen nachgesagt werden, mit drei Schüssen niedergestreckt und lebensgefährlich verletzt. Die Hintergründe der Tat werden nie ganz geklärt, jedoch wird in der Gerichtsverhandlung eine Beeinflussung durch die Kampagne der Springer-Presse gegen Dutschke nahegeelgt. Es folgen nationale und internationale Protestkundgebungen. Heute erinnert eine Gedenktafel am Tatort vor dem Haus Kurfürstendamm 141 an das Attentat. Dutschke überlebt nur mit schwersten Gehirnverletzungen und muss mühsam das Sprechen wieder erlernen. Zur Genesung verweilt er ab 1969 in der Schweiz, in Italien und Großbritannien. In England läßt er sich nieder, wird aber während eines Irland-Urlaubes vorübergehend ausgewiesen. 1970 beginnt er ein Studium an der Universität Cambridge, das er aber nach baldiger erneuter Ausweisung wegen angeblicher "subversiver Tätigkeit" nicht fortsetzen kann. Daraufhin reist er nach Dänemark, wo er eine Anstellung als Dozent an der Universität Århus erhält.

1973 hält Dutschke seine erste öffentliche Rede nach dem Attentat auf einer Anti-Vietnam-Demonstration in Bonn. 1974 veröffentlichte er seine Dissertation über Lukács. 1975 wird er Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DGF) an der FU Berlin und reist zum ersten Mal offiziell in die DDR. Hier nimmt er Kontakt mit Dissidenten wie Wolf Biermann und Robert Havemann auf.

Ab 1977 ist er freier Mitarbeiter verschiedener lingsgerichteter Zeitungen und wird Gastdozent an der Universität Groningen in den Niederlanden. Er unternimmt Vortragsreisen über Menschenrechte und engagiert sich ab 1987 für die Gründung der Partei Die Grünen.

Am Heiligabend des Jahres 1979 stirbt er überaschend nach einem epileptischem Anfall als Spätfolge des Attentats. Am 3. Januar 1980 findet die Beerdigung auf dem St. Annen Friedhof in Berlin-Dahlem unter öffentlicher Anteilnahme statt.

Diskussion um Würdigung Dutschkes

Im Dezember 2004 trat die Berliner Tageszeitung (TAZ) mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, die Kreuzberger Kochstraße im Berliner Regierungsviertel in Rudi-Dutschke-Straße umzubenennen. Dieser Vorschlag wurde von PDS und Grünen unterstüzt. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg hatte die Beratung über einen entsprechenden Antrag im Dezember zunächst verschoben; auf der BVV-Sitzung am 26. Januar 2005 wurde der Antrag nun in verschiedene Ausschüsse überwiesen. Gleichzeitig entbrannte in der Tageszeitung eine Diskussion über Dutschkes Haltung zu Gewalt und Terrorismus. Ausgehend von einer Publikation des Hamburger Instituts für Sozialforschung diskutierten Gegner wie Befürworter dieser These in der TAZ-Reihe: "Muss, wer Rudi Dutschke sagt, auch Gewalt sagen?". Selbst die linksliberale Frankfurter Rundschau urteilte: "Der Band lässt keinen Zweifel daran, dass Dutschke propagierte, was Baader und die RAF praktizierten." In der Tageszeitung resümierte Wolfgang Kraushaar, Dutschke sei "seinerzeit in Aktivitäten involviert gewesen ist, die zu Anschlägen hätten führen sollen". Die Ehrung durch einen Straßennamen ist von den Diskussionen nicht betroffen.

Werke

  • Rudi Dutschke: Jeder hat sein Leben ganz zu leben - Die Tagebücher 1963-1979 (Hrsg. v. Gretchen Dutschke), Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. ISBN 3462032240
  • Rudi Dutschke: Mein langer Marsch. Reden, Schriften und Tagebücher aus zwanzig Jahren (Hrsg. von Gretchen Dutschke-Klotz, Helmut Gollwitzer und Jürgen Miermeister), Rowohlt 1980. ISBN 3499147181
  • Rudi Dutschke: Aufrecht gehen - Eine fragmentarische Autobiographie, Olle und Wolter, Berlin 1981. ISBN 3883954276
  • Rudi Dutschke: Lieber Genosse Bloch... - Briefe Rudi Dutschkes an Karola und Ernst Bloch (Hrsg. v. Karola Bloch und Welf Schröter), Talheimer Verlag 1988. ISBN 3893760016
  • Rudi Dutschke: Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen. Über den halbasiatischen und den westeuropäischen Weg zum Sozialismus., Wagenbach, Berlin 1984
  • Uwe Bergmann/Rudi Dutschke/Wolfgang Lefèvre/Bernd Rabehl: Rebellion der Studenten oder die neue Opposition. Eine Analyse, Rowohlt, Reinbek b. Hamburg, 1968.
  • Frank Böckelmann/Herbert Nagel (Hrsg.): Subversive Aktion. Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern, Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 1976. – Umfangreiche Dokumentation der Pamphlete der Subversiven Aktion, an denen auch Dutschke als Mitautor beteiligt gewesen war.

Literatur

  • Ulrich Chaussy, Die drei Leben des Rudi Dutschke. Eine Biographie, Pendo, Zürich 1999 (1. Aufl. 1983). ISBN 385842532X
  • Jürgen Miermeister: Rudi Dutschke, rororo bildmonographien, Reinbek b. Hamburg, 1986 und Nachauflagen. ISBN 3499503492
  • Bernd Rabehl: Rudi Dutschke - Revolutionär im geteilten Deutschland, Edition Antaios, Dresden 2002. ISBN 3935063067
  • Michaela Karl: Rudi Dutschke - Revolutionär ohne Revolution, Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 2003. ISBN 380150364X
  • Gretchen Dutschke: Rudi Dutschke. Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben. Eine Biographie, Knaur, München 1998. ISBN 3426608146
  • Gerd Langguth: Mythos '68 - Die Gewaltphilosophie von Rudi Dutschke - Ursachen und Folgen der Studentenbewegung; München 2001 (Olzog), ISBN 3-7892-8065-8
  • Wolfgang Kraushaar, Karin Wieland und Jan Philipp Reemtsma: Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF, Hamburger Edition 2005