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Völkische Bewegung

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Die völkische Bewegung war ein loses Konglomerat von Vereinen, Parteien, Publikationen etc., die ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts an Einfluss auf die politische und kulturelle Diskussion im Deutschen Reich gewannen.

Formierung und erster Aufschwung um 1900

Nach der Gründung erster völkischer Vereinigungen in den 1890er Jahren, wie dem 1894 gegründeten Deutschbund, formierte sich seit der Jahrhundertwende in engem Austausch mit dem organisierten Nationalismus, vor allem dem Alldeutschen Verband, die publizistisch und propagandistisch agile völkische Bewegung in Deutschland als eine lose Sammlungsbewegung. Neben engen Kontakten zu der ihr ideell, personell und institutionell eng verbundenen alldeutschen Bewegung Österreichs bestanden rege Austauschprozesse mit den seit den 1880er Jahren entstandenen zahlreichen bürgerlichen Reformbewegungen. In der völkischen Bewegung fanden sich sowohl in ihren politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Zielen als auch ihrer Organisationsform und Mitgliederstärke erheblich voneinander abweichende Gruppierungen zusammen.

Charakter und Ziele der Bewegung

Ihrem Charakter einer heterogenen nationalistisch-reformistischen Protestbewegung, deren überwiegend männliche und protestantische Klientel ein vornehmlich bürgerliches, vom alten wie neuen Mittelstand geprägtes Sozialprofil zeigt, entspricht die synkretistische völkische Weltanschauung. Sie strebte auf rassenideologischer – insbesondere antisemitischer, zudem antislawischer und antiromanischer - Grundlage nach der Schaffung einer antiegalitären, männerzentrierten, (berufs-)ständisch organisierten, von einer germanisch-christlichen bzw. neuheidnischen "arteigenen" Religion fundierten Gesellschaft mit germanenideologischem Wertesystem und hatte einen Rassestaat mitteleuropäischen bzw. einen Staatenbund pangermanischen Zuschnitts zum Ziel.

Die völkische Bewegung in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus

Nachdem die Zahl völkischer Organisationen und Anhänger nach 1918 zunächst deutlich zugenommen hatte, mit dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund (1919-1923) kurzzeitig auch ein einflussreiches Kartell völkischer Vereinigungen bestand und Völkische in Länderparlamente und Reichstag einzogen, wurde die völkische Bewegung seit 1924/25 aufgrund ihrer strukturellen Defizite vom ideologisch nahen Nationalsozialismus, dem neuen Sammelbecken der radikalen Rechten, allmählich ins politische Abseits gedrängt. Obgleich sich einzelne völkische Organisationen und Führungspersönlichkeiten dem Nationalsozialismus - unterschiedlich eng - anschlossen und die Machtübertragung an Hitler von völkischer Seite mehrheitlich begrüßt wurde, verloren die nach 1933 fortbestehenden völkischen Organisationen (und ihre Führung) rasch an Bedeutung: Einzelne gingen im nationalsozialistischen Organisationsgefüge auf, die Mehrzahl löste sich auf oder fristete bis zum Verbot durch die Alliierten nach Kriegsende eine der Auflösung gleichkommende Schattenexistenz.

Siehe auch: Oswald Spengler

Völkische Vorstellungen nach 1945

Vereinzelte Versuche eines organisatorischen Neuanfangs nach 1945 blieben mit Ausnahme bis in die Gegenwart bestehender neuheidnischer Kleinunternehmen der völkischreligiösen Teilbewegung wie der Deutschgläubigen Gemeinschaft oder die Germanischen Glaubens-Gemeinschaft erfolglos. Ideologische Versatzstücke finden sich heute im internationalen Rechtsextremismus bei Vereinigungen wie der "Allgermanischen Heidnischen Front", teils auch in verschiedenen alternativen Bewegungen und Subkulturen, wie dem völkischen Zweig innerhalb des Asatru-Glaubens. Viele neuheidnische Asatru-Glaubensgemeinschaften lehnen Beziehungen zum Nationalsozialismus und der Neonaziszene jedoch kategorisch ab ("Heiden gegen Rechts").


Siehe auch: Ariosophie, Deutschnationale Bewegung, Portal Nationalsozialismus

Literaturhinweise

  • Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache - Rasse - Religion. Darmstadt : Wiss. Buchgesellschaft, 2001. ISBN 353415052X. [Rezensionen zu diesem Buch im H-Net, bei H-Soz-u-Kult und shoa.de
  • Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Handbuch zur "Völkischen Bewegung" 1871 - 1918. München : Saur, 1999. ISBN 3598114214.
  • Kai Buchholz, Rita Latocha, Hilke Peckmann, Klaus Wolbert (Hrsg.): Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. 2 Bde. Darmstadt : Häusser, 2001, ISBN 3895520802.
  • Diethart Kerbs, Jürgen Reulecke (Hrsg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880 - 1933. Wuppertal : Hammer, 1998. ISBN 3872947877. Buchrezension bei H-Soz-u-Kult.
  • Stefan Breuer: Grundpositionen der deutschen Rechten 1871 - 1945. Historische Einführungen 2. Tübingen : Ed. diskord, 1999. ISBN 3892956669.
  • Stefan Breuer: Ordnungen der Ungleichheit - die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 - 1945. Darmstadt : Wiss. Buchges., 2001. ISBN 3534155750. Buchrezensionen bei H-Soz-u-Kult und H-Net
  • Religion, „religiosités“ et politique dans les extrêmes droites allemandes de 1870 à 1933. Revue d’Allemagne 32, 2000, 163-356.
  • Stefanie v. Schnurbein, Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe "arteigener" Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende. Würzburg : Königshausen & Neumann, 2001. ISBN 3826021606. Buchrezension bei H-Soz-u-Kult.
  • Michel Grunewald, Uwe Puschner (Hrsg.): Le milieu intellectuel conservateur en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1890 - 1960). Das konservative Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890 - 1960). Convergences 27. Bern : Lang, 2003. ISBN 3906770168. Buchrezension bei H-Soz-u-Kult.
  • Hubert Cancik, Uwe Puschner (Hrsg.): Antisemitismus, Paganismus, Völkische Religion. Anti-semitism, paganism, voelkish religion. München : Saur, 2004. ISBN 3598114583.