Ghetto
Ein Ghetto oder Getto ist ein Stadtviertel, in dem eine bestimmte, früher meist jüdische, Bevölkerungsgruppe lebt.
Etymologie und Geschichtliches
Häufig lebten Juden seit der Antike in Europa, insbesondere in den Ländern um das Mittelmeer und seit der Spätantike auch in Deutschland. Ursprünglich konnten sie fast allen Berufen nachgehen. Es wurde ihnen auch meist volle Handelsfreiheit gewährt, sie durften auch Grundeigentum erwerben. In der mittelalterlichen Stadt lebten die einzelnen sozialen Gruppen und zusammenzustellen, die Auslieferung

Die Ghettoisierung an sich, im Wortsinn die Konzentration der jüdischen Bevölkerung in – teils (etwa im Warschauer Ghetto) mit Mauern und Kontrollposten abgesperrten – Stadtteilen erfolgte in Polen im Großen und Ganzen von April 1940 bis Ende 1941. Die drei größten Wohnbezirke/Ghettos waren das Warschauer Ghetto (Oktober 1940, errichtet in einem 1939 von der Militärverwaltung zum Seuchensperrgebiet deklarierten Teil der Stadt), das Ghetto in Lodz (April 1940) sowie – nachdem die der Juden aus Frankreich]]
Alltag in diesen deutschen "Ghettos" in Europa
Der Alltag der Ghettos war geprägt von Unterernährung, Krankheiten und Tod. Seuchen, zum Beispiel Fleckfieber, grassierten aufgrund der unsäglichen hygienischen Bedingungen und der katastrophalen Ernährungssituation. (Zum Beispiel brachten hohe Nazi-Führer es fertig, die Brotration und die Ration an Marmelade auf 50 bzw. 30 Gramm im Monat zu senken. Teilweise konnten die Bewohner des Warschauer Ghettos sich nur noch durch Schmuggel mit Lebensmitteln versorgen. Es gelang ihnen sogar, eine Kuh ins Ghetto zu schmuggeln, um wenigstens die Neugeborenen mit Milch zu versorgen. Anfang der 1940er Jahre entsandte die antisemitische Hetzzeitung „Der Stürmer“ sogar einen Bildberichterstatter ins Warschauer Ghetto. Später erschien im „Stürmer“ ein fast sadistisch anmutender Bericht über das Leben im Ghetto. [1] Nahrungsmittel wurden von den deutschen Besatzungsbehörden streng kontingentiert und man bemühte sich, die Kosten für die katastrophale Versorgung der Ghettos noch dadurch zu minimieren, dass man – wo aufgrund der Größe des Ghettos möglich – in ghettoeigenen Wirtschaftsbetrieben und in externen Betrieben oder Arbeitslagern die Gefangenen quasi als Leiharbeiter vermietete und dadurch Einnahmen erzielte. Manche Industrielle machten aufgrund dieser „Ghetto-Geschäfte“ so hohe Gewinne, dass sie ein riesiges Vermögen anhäufen konnten. [2]
Organisierung der „Endlösung“
Im Jahr 1942 – nachdem im Januar auf der Wannseekonferenz in Berlin die „Endlösung der Judenfrage“ regierungsintern bekanntgegeben und in Details geregelt worden war, inklusive der Geheimhaltungsbefehle – wurde damit begonnen, die Ghettos systematisch von ihren Bewohnern zu entleeren. Zum größeren Teil wurden die Ghettobewohner zugweise in die Mordzentren der Vernichtungslager deportiert, was im Warschauer Ghetto schließlich zum bewaffneten Aufstand führte. Teilweise wurden die Ghettos aber auch dadurch liquidiert, dass ihre Bewohner an Ort und Stelle erschossen wurden. Auf diese Weise verfuhr die SS vor allem in den besetzten Teilen der Sowjetunion, zumEuropa genutzt werden. Zum Teil war wenigen jüdischen Flüchtlingen eine Ausreise aus dem Deutschen Reich bzw. über die Sowjetunion nach dort noch bis 3. September 1941 möglich (unter Mithilfe japanischer Botschaftsangehöriger in Wien und Wilna, Litauen). Im Ghetto überlebten etwa 20.000 jüdische Flüchtlinge die Shoa bis zur Befreiung der von Japan besetzten Stadt 1945.
Verwendung des Begriffs „Ghetto“ im übertragenen Sinn

Der Begriff „Ghetto“ wurde und wird auch in einem teilweise etwas prekär übertragenen Sinn auf Stadtviertel mit einer ausgeprägt abweichenden sozialen oder ethnischen Struktur angewandt.
So wird er im Zusammenhang mit sozial desolaten Vierteln in Städten der USA verwendet, die einen hohen Anteil afroamerikanischer oder hispanischer Bevölkerung verzeichnen. Grundlage waren hier die implizit sozialen und ökonomischen wie auch unmittelbar legislativen Zwänge der Segregation (einer historischen Rassentrennung), welche tatsächlich zu einer weitgehenden Konzentration der afroamerikanischen Bevölkerung in bestimmten Vierteln der jeweiligen Städte führten.
Diese Tatsache, aber vor allem auch der Umstand, dass die Bewohner dieser Viertel im Gegensatz zu den sich ebenfalls in den großen Städten lokal konzentrierenden Minderheitengruppen der „nichtangelsächsischen“ europäischen Einwanderer wie der Italiener, Polen und Iren zusätzlich noch rechtlichen Beschränkungen unterworfen waren, legte den Vergleich der afroamerikanischen Stadtviertel mit tatsächlichen, „klassischen“ Ghettos oder Ghetti zumindest nahe.
Diese rechtlichen Beschränkungen wurden zwar während der 1950er und 1960er durch Einzelklagen und die Bemühungen der amerikanischen „Civil Rights“-Bewegung überwunden, an der ökonomischen Benachteiligung der afroamerikanischen Bevölkerung allerdings änderte sich nur wenig, so dass nicht nur in den Großstädten der USA häufig soziale Brennpunkte mit größtenteils homogen afroamerikanischer, im Südwesten des Landes in zunehmenden Maße auch hispanischer Bevölkerung weiter existierten und existieren, und auch der Begriff des „Ghetto“ in diesem Zusammenhang vor allem aus europäischer Perspektive gerne weiterhin verwendet wird.
Urbane Ghettoisierung

Die prominentesten Beispiele eines Ghettos in dieser Hinsicht waren vor allem in den 1970er und 1980er Jahren – einem Zeitraum im Übrigen, in dem der Begriff des Ghettos in diesem Zusammenhang in der deutschsprachigen Publizistik überhaupt zum Durchbruch kam – Teile des New Yorker Bezirks Bronx und Harlem. Schlagzeilen diesbezüglich machten im selben Zeitraum auch die südlichen Stadtbezirke Chicagos und zunehmend große Teile von Los Angeles, das wie viele andere Städte der USA auch besonders wieder in den 1990ern eine prekäre Mischung aus flächendeckender Armut und einer exorbitanten Rate an Gewaltverbrechen in den entsprechenden Stadtvierteln erlebte. Im subkulturellen Jargon, besonders in der Hip-Hop-Szene hat der Begriff Ghetto im Laufe der Zeit einen bemerkenswerten Bedeutungswandel und eine Romantisierung erfahren (siehe auch Ghettoblaster). Im modernen Sprachgebrauch wird der Begriff Ghetto als Wort für soziale Brennpunkte verwendet. Aus einem Ghetto kann bei hoher Armut unter Umständen ein Slum entstehen.
In Deutschland gelten einige Stadtteile von Großstädten als von einer Ghettoisierung betroffen. Maßstab ist unter anderem ein sehr hoher Ausländeranteil, wobei man davon ausgeht, dass diese Bevölkerungsgruppen auch wirtschaftlich schwächer gestellt sind. Viele dieser Stadtteile charakterisieren sich zudem durch eine hohe Anzahl verschiedener Nationalitäten, ein niedrigeres Durchschnittsalter und eine hohe Fluktuation, das heißt eine niedrigere durchschnittliche Wohndauer.
Soziale Probleme drücken sich durch Verweigerung der Kreditwürdigkeit aufgrund der Wohnlage, eine hohe Arbeitslosigkeit, einer hohen Quote von Sozialhilfeempfängern und vielen leerstehenden Häusern trotz eines lokal niedrigeren Mietspiegels aus.
Literatur
- „Traditionelle“ Ghettos
- Silke Berg: Il ghetto di Venezia. Das erste jüdische Getto in Europa. Frankfurt/Main 1996.
- Riccardo Calimani: Die Kaufleute von Venedig. Die Geschichte der Juden in der Löwenrepublik. München 1990.
- Gabriele von Glasenapp: Aus der Judengasse. Zur Entstehung und Ausprägung deutschsprachiger Ghettoliteratur im 19. Jahrhundert. Tübingen 1996.
- Ronnie Po-chia Hsia (ed.): In and out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. Cambridge 1995.
- Markus J. Wenninger: Grenzen in der Stadt? Zu Lage und Abgrenzung mittelalterlicher deutscher Judenviertel. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 14 (2004) S. 9-29.
- Ghettos während des Zweiten Weltkriegs
- Andrej Angrick, Peter Klein: Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941-1944. Darmstadt 2006. ISBN 3534191498
- Christopher R. Browning: Die nationalsozialistische Ghettoisierungspolitik in Polen 1939-1941. in: Ders.: Der Weg zur 'Endlösung'. Entscheidungen und Täter. Hamburg 2002, S. 39-70.
- Adam Czerniaków: Im Warschauer Ghetto. Das Tagebuch des Adam Czerniaków 1939 - 1942. München 1986.
- Bernard Goldstein: Die Sterne sind Zeugen. Hamburg 1950.
- Bernard Mark: Der Aufstand im Warschauer Ghetto. Entstehung und Verlauf. Berlin 1959.
- Eric J. Sterling: Life in the Ghettos During the Holocaust. Syracuse 2005.
- Michal Unger: The Last Ghetto. Life in the Lodz Ghetto 1940 - 1944. Jerusalem 1995.
- Erhard Roy Wiehn: Ghetto Warschau. Aufstand und Vernichtung. Fünfzig Jahre danach zum Gedenken. Konstanz 1993
- Avraham Tory: Surviving the Holocaust. The Kovno Ghetto Diary. Herausgegeben von Martin Gilbert, Cambridge 1990.
- „Ghetto“ im übertragenen Sinn
- Ulrich Best, Dirk Gebhardt: Ghetto-Diskurse. Geographie der Stigmatisierung in Marseille und Berlin. Potsdam 2001.
- Gerhard Milchram (Hg.): Walled Cities und die Konstruktion von communities – das europäische Ghetto als urbaner Raum. Wien 2001.
- Jens Sambale, Volker Eick: Das Berliner Ghetto – ein Missverständnis. In: Clara Meister, Anna Schneider, Ulrike Seifert (Hrsg.): Ghetto – Image oder Realität?. Berlin 2005, ISSN: 1861 - 4590, Leseprobe (PDF, 1,6 MB)
- Louis Wirth: The Ghetto. New Brunswick 1998.
- Rauf Ceylan: Ethnische Kolonien. Entstehung, Funktion und Wandel am Beispiel türkischer Moscheen und Cafés. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006
Weblinks
- shoa.de – Jüdische Ghettos
- Jüdische Ghettos
- Liste der Ghettos
- Wilhelm Raabe - Holunderblüte Eine Erinnerung an das Prager Ghetto
- Das venetianische Ghetto
Einzelnachweise
- ↑ Nürnberger Prozesse, Leeb & Heydecker
- ↑ Die Nürnberger Prozesse, Leeb & Heydecker