Hitlers Rede vor dem Industrie-Club Düsseldorf
Hitlers Rede vor dem Industrie-Club Düsseldorf am 26. Januar 1932 in Düsseldorf war die bedeutendste Rede Hitlers vor Vertretern der Wirtschaft. Im Düsseldorfer Industrie-Club waren viele führende Persönlichkeiten der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens vereinigt.
Vorgeschichte
Die Initiative zur Einladung Adolf Hitlers ging von Fritz Thyssen aus. Dem gingen innerhalb des Clubs erhebliche Konflikte voraus. Die Statuten schlossen eigentlich politische Vorträge aus, doch hatte man im Herbst 1931 den Sozialdemokraten Max Cohen eingeladen. Daraufhin bestand Thyssen darauf, dass auch ein Nationalsozialist eingeladen wurde.[1] Jost Henkel lud daraufhin zunächst Gregor Strasser ein, der in den Kreisen der Bergbauindustrie als gemäßigter Nationalsozialist galt und der deshalb ab Frühjahr 1931 regelmäßig einen Monatsbetrag von 10.000 Reichsmark erhielt. Thyssen berichtete Hitler von der Einladung an Strasser, der Parteiführer entschied selbst als Redner aufzutreten.[2]
Hintergrund war das außerordentlich schlechte Image der NSDAP in Wirtschaftskreisen. Viele der untergeordneten Parteichargen, von denen nicht wenige den Sozialismus im Parteinamen ernst nahmen, spekulierten offen über Kreditschöpfung, mit der der von den Unternehmern stets begrüßten Deflationspolitik ein Ende gemacht werden sollte. Wenige Wochen vor Hitlers Rede, im November 1931, hatten die Boxheimer Dokumente Furore gemacht, in denen der hessische Nationalsozialist Werner Best im Falle einer gewaltsamen Machtübernahme unter anderem die Abschaffung sämtlicher Privateinkommen angekündigt hatte. Hitler hatte sich zwar intern für den so genannten Wagemann-Plan ausgesprochen, der die Deflation durch Einführung einer zweiten Geldsorte beenden wollte. Nach außen kam es ihm aber auf geldpolitische Seriosität an, weswegen er bereits im Dezember der Auslandspresse ein viel beachtetes Interview gegeben und betont hatte, im Falle einer Machtübernahme die privaten Schuldtitel nicht antasten zu wollen.[3]
Ablauf
Das Interesse an der Veranstaltung war außerordentlich groß. Karl Haniel, der damalige Vorsitzende des Clubs schrieb am 20. Januar 1932 an Gustav Krupp von Bohlen und Halbach auf dessen Hinweis, er habe keine Einladung erhalten: „Der Andrang der Clubmitglieder zum Hitler-Vortrag übersteigt tatsächlich unsere kühnsten Erwartungen und der größte Saal des Parkhotels ist leider nicht größer zu machen als er nun mal ist“.[4]
Informationen über Hitlers Besuch waren vorab an die sozialdemokratische und die kommunistische Presse durchgesickert, weswegen es am 26. Januar vor dem Hotel zu gewalttätigen Demonstrationen von Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftsmitgliedern gegen das befürchtete Bündnis von Großindustrie und NSDAP kam.[5] Für viele Zuhörer kam der Weg in das Hotel einem „Spießrutenlaufen“ gleich, Hitler selbst gelangte durch einen Seiteneingang unbehelligt ins Gebäude.[6]
Die Veranstaltung begann gegen 18 Uhr im großen Ballsaal des Hotels, der bis auf den letzten Platz besetzt war. Viele Gäste mussten stehen, für Zuspätkommer wurde die Veranstaltung über Lautsprecher in einen Nachbarraum übertragen. Nach einem Grußwort von Oberbürgermeister Robert Lehr (DNVP) erklomm Hitler eine provisorisch errichtete Tribüne zu seiner etwa zweieinhalbstündigen Rede. Anschließend dankte Haniel dem Redner, und Thyssen machte einige Schlussbemerkungen, die er mit „Heil, Herr Hitler!“ abschloss. Die Versammelten mochten in diesen Ruf aber nicht einstimmen. Albert Vögler wollte nun mit einigen Fragen die übliche Diskussion in Gang bringen, wurde von Thyssen aber unterbrochen, der die Veranstaltung für beendet erklärte. Hitler verließ das Hotel, an dem bei Versammlungen des Industrie-Clubs üblichen gemeinsamen Abendessen nahm an seiner Statt Hermann Göring teil.
Hitlers Rede fand nach dem Bericht des Teilnehmers Paul Kleinewefers, eines mittelständischen Unternehmers aus Krefeld, am Ende der Veranstaltung Dauerbeifall:[7]
- „Für mich, der ich den ganzen Saal vor mir hatte, war es ungeheuer interessant zu sehen, wie die zunächst mit maskenhaften Gesichtern dasitzenden Menschen, die führenden Männer der deutschen Industrie, durch Hitlers Rede von Viertelstunde zu Viertelstunde verändert wurden. Nur ganz wenige haben ihre zurückhaltende Art bis zum Schluß beibehalten. Die große Mehrheit wurde immer mehr fasziniert, ging immer stärker mit. Immer häufiger gab es Beifall. Am Schluß der Rede, die fast zwei Stunden dauerte und in der sich Hitler völlig verausgabte, gab es ungehemmten Dauerbeifall.“
Ähnliches berichteten auch die sozialdemokratischen und kommunistischen Zeitungen, die dem Ereignis große Aufmerksamkeit widmeten. Andere Teilnehmer berichteten dagegen, die versammelten Unternehmer hätten „auffallend zurückhaltend“ reagiert. Der spätere Hitler-Biograph Konrad Heiden urteilte, „die Reaktion der Mehrheit sei lauwarm oder gar negativ gewesen“[8]
Inhalt
Hitler sprach in seiner Rede hauptsächlich über sein Geschichts- und Menschenbild. Er unterschied sich dabei nicht wesentlich von seinen diesbezüglichen Ausführungen in seiner Schrift Der Weg zum Wiederaufstieg vom Sommer 1927. Den Antisemitismus der NSDAP und ihr mit sozialistischen Versatzstücken durchsetztes 25-Punkte-Programm erwähnte er nicht. Auch auf aktuelle wirtschaftspolitische Fragen, etwa wie die Weltwirtschaftskrise bekämpft werden könne oder wie mit den in der Bankenkrise de facto verstaatlichten Großbanken weiter verfahren werden solle, ging er mit keinem Wort ein. Vielmehr erläuterte er ausführlich und mit zahlreichen historischen Beispielen seine These, dass es vor allem auf die Politik und den in ihr wirksamen Willen ankomme, weniger auf außenpolitische Rahmenbedingungen wie den Versailler Vertrag. Diese überraschende Feststellung war ein Seitenhieb gegen den vom Reichsverband der Deutschen Industrie immer noch unterstützten Reichskanzler Heinrich Brüning, dem man allgemein die Zahlungspause bei den Reparationszahlungen als großes Verdienst anrechnete. Letzte Ursache der deutschen Misere sei gar nicht die Weltwirtschaftskrise, die Hitler sozialdarwinistisch als naturwüchsige Überproduktionskrise erklärte, sondern ein Mangel an Einheit und Einheitlichkeit im Volk. In diesem Zusammenhang polemisierte er entschieden gegen die Demokratie. Der ihr zugrunde liegende Gedanke der Gleichheit aller Menschen bedeute nämlich eine „eine Majorisierung des Genies, eine Majorisierung der Fähigkeit und des Persönlichkeitswertes“. Mit diesem Bekenntnis zur Ungleichheit der Menschen verband Hitler eine sozialdarwinistisch verstandene Bejahung des Privateigentums und der Einkommensunterschiede im Volk. Der Klassenkampf müsse überwunden werden, denn Deutschland stehe an einem Scheideweg:
- Nimmt die derzeitige Entwicklung ihren Fortgang, so wird Deutschland eines Tages zwangsläufig im bolschewistischen Chaos landen, wird diese Entwicklung aber abgebrochen, so muß unser Volk in eine Schule eiserner Disziplin genommen und langsam vom Vorurteil beider Lager geheilt werden. Eine schwere Erziehung, um die wir aber nicht herumkommen!
Zu dieser Erziehung zur Einheit benötige man einen Glauben und ein weltanschauliches Programm, wie seine Partei es anbiete. Würden dadurch Deutschlands Einheit und seine Stärke wiederhergestellt, dann stelle sich auch der wirtschaftliche Aufschwung ganz von selber wieder ein. Für einen solchen Wiederaufstieg hatte Hitler kein Patentrezept zur Hand, stellte aber drei verschiedene Möglichkeiten in Aussicht: Die Gewinnung neuer Exportmärkte im klassisch-liberalen Sinn, die Stärkung des deutschen Binnenmarktes im Sinne der Kaufkrafttheorie, wie sie von den Sozialdemokraten befürwortet wurde, und die Eroberung von neuem Lebensraum. In Wahrheit entsprach allein die letzte der drei Möglichkeiten Hitlers Programm. [9]
Forschung
Die Veranstaltung galt lange als ein politischer Durchbruch für Hitler. Sie wird oft als ein Beleg dafür angeführt, die Großindustrie habe massiv zum Aufstieg der NSDAP beigetragen. Tatsächlich stießen insbesondere seine antisozialistischen Ausführungen auf Interesse der Zuhörer, die erhofften finanziellen Zuwendungen blieben allerdings aus.[10] Erst bei einem Treffen im Februar 1933, als Hitler schon Reichskanzler war, öffneten sie für die NSDAP ihre Scheckbücher.
Nach Ansicht des Historikers Reinhard Neebe bedeutete die Rede gleichwohl eine wichtige Stufe in der Anerkennung der nationalsozialistischen Bewegung durch die Schwerindustrie.[11] Dem stehen aber Sottisen Hjalmar Schachts gegenüber, der im November 1932 spottete, die Schwerindustrie „trägt ihren Namen […] mit Recht von ihrer Schwerfälligkeit“, denn außer Thyssen wollte kein einziger Schwerindustrieller seine Eingabe für eine Kanzlerschaft Hitlers unterschreiben.[12] Deshalb und weil Hitler noch im Januar 1932 eine Einladung zu einem weiteren Treffen mit Industriellen in Hannover ausschlug, ist Henry A. Turner der Meinung, dass es Hitler gar nicht darauf angekommen sei, die Industriellen auf seine Seite zu ziehen, sondern „daß er lediglich versuchte, die Großindustrie zu neutralisieren“[13] Daher änderte auch die Rede im Industrie-Club wenig daran, dass die Spitzen der Industrie die politische Lösung zwar in einer Rechtskonstellation, aber nicht unbedingt mit der NSDAP suchten. Die Partei spielte in ihrem Kalkül keine zentrale Rolle. Man glaubte, sie eher benutzen und sie dadurch auszehren zu können.[14]
Einzelnachweise
- ↑ Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 260
- ↑ Thomas Trumpp: Zur Finanzierung der NSDAP durch die deutsche Großindustrie. Versuch einer Bilanz. In: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur. Eine Bilanz. Bonn, 1986, ISBN 3-921352-95-9, S. 144.
- ↑ Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 260; zum Wagemann-Plan a.a.O., S. 318f, und Rainer Meister, Die große Depression. Zwangslagen und Handlungsspielräume der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Deutschland 1929 - 1932, transfer Verlag Regensburg 1991, S. 343–51.
- ↑ zit. nach Trumpp, S. 144.
- ↑ Manfred Dammer: Generalangriff des Kapitals
- ↑ Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 260
- ↑ Paul Kleinewefers: Jahrgang 1905, Ein Bericht. Stuttgart 1977, S. 76.
- ↑ Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 264
- ↑ Hitlers Rede in Auszügen hier die Zitate; Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 261ff
- ↑ Trumpp, S. 144.
- ↑ Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP 1930–1933. Paul Silverberg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 45. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1981, ISBN 3-525-35703-6, S. 119.
- ↑ Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 365f
- ↑ Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Siedler Verlag Berlin 1985, S. 270
- ↑ Andreas Schlieper: 150 Jahre Ruhrgebiet. Ein Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte. Düsseldorf, 1986 ISBN 3-590-18150-8, S. 133.
Literatur
- Henry Ashby Turner Jr.: Legende und Wirklichkeit. Hitlers Rede vor dem Düsseldorfer Industrieclub am 26. Januar 1932. Sonderdruck. Düsseldorf: Industrie-Club, 2001
- Volker Ackermann: Treffpunkt der Eliten. Die Geschichte des Industrie-Clubs Düsseldorf. Herausgeber: Industrie-Club Düsseldorf. Düsseldorf, 2006, ISBN 9783770012367.