Zum Inhalt springen

Vertrauensfrage

Diese Seite befindet sich derzeit im Review-Prozess
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 29. Januar 2005 um 18:00 Uhr durch EBB (Diskussion | Beiträge) (Teil 2 des Versuches). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Von der Vertrauensfrage im Sinne des Artikels 68 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland spricht man, wenn der Bundeskanzler an den Bundestag den Antrag richtet, ihm das Vertrauen auszusprechen.

Die Vertrauensfrage kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht beliebig zur Auflösung des Bundestages zum geeignet erscheinenden Zeitpunkt genutzt werden; vielmehr muss eine "echte" Regierungskrise vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Frage anlässlich einer Organklage 1983 dem Bundeskanzler und indirekt dem Bundespräsidenten allerdings einen relativ großen Entscheidungsspielraum zugebilligt.

Der Vorteil der Vertrauensfrage liegt für den Bundeskanzler darin, dass er selbst die Initiative ergreifen kann und nicht - wie beim konstruktiven Misstrauensvotum - darauf warten muss, dass gegen ihn vorgegangen wird. Außerdem kann er mit der Vertrauensfrage oder schon mit ihrer bloßen Androhung die ihn tragende Parlamentsmehrheit disziplinieren, da er im Falle einer negativen Beantwortung im Zusammenspiel mit dem Bundespräsidenten den Bundestag auflösen lassen kann.

Grundgesetzliche Grundlagen

Wortlaut

Artikel 68 lautet in der seit 1949 ungeänderten Fassung wie folgt:

Artikel 68

(1) Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt.

(2) Zwischen dem Antrage und der Abstimmung müssen achtundvierzig Stunden liegen.

Entstehung

Die Weimarer Verfassung von 1919 kannte weder eine Vertrauensfrage noch das konstruktive Misstrauensvotum. Vielmehr enthielt ihr Artikel 54 die Vorschrift, dass der Reichskanzler und die Reichsminister "zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags" benötigen. Sie mussten zurücktreten, wenn der Reichstag ihnen durch "ausdrücklichen Beschluß" das Vertrauen entzog. Dieses so genannte destruktive Misstrauensvotum ermöglichte es einer Mehrheit des Reichstages, den Reichskanzler (oder einen Reichsminister) aus dem Kabinett zu entfernen, selbst wenn diese Mehrheit keine gemeinsame Politik verband. Vielfach wurden daher Kabinettsmitglieder von einer Mehrheit aus sehr linken und sehr rechten Parteien, denen nur die Feindschaft zur Demokratie gemeinsam war, gestürzt.

Die Konstruktion der Artikel 67 und 68 des Grundgesetzes, also des konstruktiven Misstrauensvotums und der Vertrauensfrage, stärkte die Position des Regierungschefs und verringerte die Möglichkeiten für politisch gegensätzliche Fraktionen, gemeinsam einen missliebigen Bundeskanzler aus dem Amt zu befördern. Allerdings bleibt der Bundeskanzler insgesamt vom Vertrauen des Bundestages abhängig.

Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Vertrauensfrage

Gegen die Auflösung des Bundestages 1983 durch den Bundespräsidenten Karl Carstens hatten vier Mitglieder des Bundestages Organklage eingelegt. In seiner Entscheidung über die Organklage hat das Bundesverfassungsgericht umfassend zum Instrument der Vertrauensfrage Stellung genommen.

Es hat in seiner Entscheidung vom 16. Februar 1983 (BVerfGE 62, 1) festgestellt, dass die Entscheidung des Bundespräsidenten über die Annahme oder Ablehnung des Vorschlages des Bundeskanzlers auf Auflösung des Bundestages "eine politische Leitentscheidung" ist, "die dem pflichtgemäßen Ermessen des Bundespräsidenten obliegt" (so im Punkt 2 des Tenors der oben genannten Entscheidung). Diese Entscheidungsfreiheit gilt allerdings nur, wenn die Vorschriften des Grundgesetzes beachtet worden sind.

Der Bundeskanzler darf die Vertrauensfrage nur stellen, wenn er sich tatsächlich nicht mehr sicher sein kann, dass seine Politik von der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages unterstützt wird. Seine Handlungsfähigkeit muss so stark beeinträchtigt sein, dass er "eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag" (Punkt 6 des Tenors der oben genannten Entscheidung). Dies sei ein "ungeschriebenes sachliches Tatbestandsmerkmal" der Vorschrift. Die Grundhaltung des Bundesverfassungsgerichtes brachte der Verfassungsrichter Rinck in seiner Ablehnung der Gesamtentscheidung sehr pointiert zum Ausdruck, als er schrieb: "Finden setzt aber Suchen voraus." (BVerfGE 62, 1; Absatz 261). Er bezieht sich damit auf den Wortlaut des Artikels 68, der mit den Worten "Findet der Antrag des Bundeskanzler ..." beginnt. Die anderen Verfassungsrichter betrachteten im konkreten Fall 1983 das Suchen als gegeben, während Rinck dieser Ansicht widersprach.

Der Bundeskanzler darf die Vertrauensfrage also nicht mit dem Ziel stellen, sie negativ beantwortet zu bekommen, damit er zum seiner Ansicht nach geeigneten Zeitpunkt Neuwahlen vorschlagen kann, sofern er insgesamt noch mit der Zustimmung der Mehrheit des Bundestages zu seiner Politik rechnen kann.

Insgesamt wird im deutschen Verfassungsrecht "Vertrauen" nicht im umgangssprachlichen Sinne definiert, sondern als Zustimmung zu Person und Programm des Bundeskanzlers.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes war umstritten, auch innerhalb des Gerichtes. Zwei der acht Richter stimmten der Entscheidung im Ergebnis nicht zu; ihre abweichenden Meinungen sind mitveröffentlicht worden.

Rechtsfolgen

Die vorgeschriebene Frist von 48 Stunden ist dazu vorgesehen, Verhandlungen zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundestag bzw. den im Bundestag vertretenen Parteien und Abgeordneten über das Verhalten bei der Abstimmung zur Vertrauensfrage zu ermöglichen.

Der Bundeskanzler kann die Vertrauensfrage auch mit einem Gesetzentwurf oder (wie Gerhard Schröder 2003) einem Antrag verbinden. Ersteres hat insbesondere Konsequenzen für den Gesetzgebungsnotstand.

Wird die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers positiv beantwortet, so hat dies keine Rechtsfolgen.

Bei einer negativen Beantwortung der Vertrauensfrage hat der Bundeskanzler zunächst drei Wahlmöglichkeiten:

  • Er hat die Möglichkeit, keine Schritte zu unternehmen, die die negative Beantwortung der Vertrauensfrage voraussetzen. Beispielsweise kann er versuchen, als Bundeskanzler einer Minderheitsregierung weiterzuarbeiten. Ebenso kann er versuchen, eine neue Regierung mit einer tragfähigen Mehrheit zu bilden. Ferner kann er zurücktreten. Auch wenn die beiden letzten Beispiele eine große verfassungsrechtliche Relevanz haben, so sind sie nicht von einer negativen Beantwortung der Vertrauensfrage abhängig, sondern vielmehr kann der Bundeskanzler ihnen zu jedem beliebigen Zeitpunkt folgen.
  • Die zweite Möglichkeit, die der Bundeskanzler hat, ist, den Bundespräsidenten um die Auflösung des Bundestages zu bitten.
  • Die dritte Möglichkeit, die sich für den Bundeskanzler ergibt, ist die Beantragung des Gesetzgebungsnotstandes beim Bundespräsidenten.

In keinem Fall kann der Bundeskanzler selbständig eine Entscheidung treffen, die ein anderes Verfassungsorgan als die Bundesregierung tangiert.

Der Bundespräsident hat im Falle der negativen Beantwortung der Vertrauensfrage - und sofern er vom Bundeskanzler ins Spiel gebracht wird - wichtige politische Rechte, die er nur in solchen Ausnahmesituationen ausüben kann.

Der Bundespräsident hat seinerseits die Alternative, einem Ersuchen des Bundeskanzlers (auf Auflösung des Bundestages oder auf Ausrufung des Gesetzgebungsnotstandes) nachzugeben oder das Ersuchen abzulehnen. Er muss hierbei beachten, dass die Auflösung des Bundestages binnen einundzwanzig Tagen erfolgen muss und dass sie unzulässig ist, sofern der Bundestag bereits einen neuen Bundeskanzler gewählt hat. Zur Ausrufung des Gesetzgebungsnotstandes ist zu bemerken, dass hier ein viertes Verfassungsorgan, nämlich der Bundesrat, seine Zustimmung geben muss und dass der Bundestag nicht aufgelöst worden sein darf.

Politische Wirkung

Die starke Position des Bundeskanzlers im politischen System der Bundesrepublik hängt auch damit zusammen, dass es zu seinem Sturz einer Zusammenarbeit von bisherigen Koalitionären mit der Opposition bedarf, die häufig als "Verrat" disqualifiziert wird und damit nur in echten Ausnahmesituationen in Frage kommt. Sie findet jedoch auch Ausdruck in der Tatsache, dass der Bundeskanzler mit der Vertrauensfrage von sich aus den Bundestag zum Handeln zwingen kann.

Der Bundeskanzler kann mit dem Stellen der Vertrauensfrage bzw. sogar schon mit ihrer Androhung politische Abweichler in der ihn tragenden Koalition disziplinieren: Er stellt sie ultimativ vor die Frage, ob sie alles in allem doch noch bereit sind, seine Politik mitzutragen, oder aber ob sie - sofern der Bundespräsident im Sinne des Bundeskanzlers entscheidet - für den zumindest vorläufigen Bruch der Regierung und ihrer Mehrheit verantwortlich sein wollen. Sie müssen sich fragen, ob sie bei der im Falle der negativen Beantwortung der Vertrauensfrage allfälligen Neuwahl des Bundestages Chancen haben, wiedergewählt zu werden, oder ob die Parteimitglieder, die sie wieder nominieren müssen, bzw. die Wähler ihr Verhalten als "Verrat" an der Regierungsmacht betrachten und sie übergehen werden. Auch die Möglichkeit, dass ihre Partei bei einer Neuwahl die Regierungsmacht verliert, muss in die Überlegungen einbezogen werden.

Besondere Würze erhält die Vertrauensfrage, wenn sie mit einem Gesetzentwurf oder einem Sachantrag verbunden ist: Eventuelle Abweichler müssen abwägen, ob sie faktisch die Gesamtpolitik des Bundeskanzlers ablehnen und Neuwahlen oder die Ausrufung des Gesetzgebungsnotstandes und damit die befristete Entmachtung des Bundestages auslösen wollen oder ob sie in Anbetracht dieser Alternativen bereit sind, eine aus ihrer Sicht ablehnungswürdige Sache doch mitzutragen.

Sonstiges

Die Vertrauensfrage ist verfassungsrechtlich ein Instrument, welches einzig dem Bundeskanzler zusteht. Weder kann ein Bundesminister die Vertrauensfrage stellen noch stellvertretende Bundeskanzler für den Bundeskanzler.

Verfassungsrechtlich ebenfalls nicht verankert ist die Aufforderung des Bundestages an den Bundeskanzler, die Vertrauensfrage zu stellen. Eine solche Aufforderung, wie sie die SPD 1966 nach dem Zerfall der Regierung Erhard, aber noch vor dessen formalen Ende, dem Bundestag vorlegte, war rechtlich nicht bindend und damit verfassungsrechtlich unbedenklich. Erhard kam diesem "Ersuchen" dann tatsächlich auch nicht nach.

Geschichte der Vertrauensfrage

Die Vertrauensfrage ist von den Bundeskanzlern der Bundesrepublik bisher viermal gestellt worden:

Damit hat seit Brandt jeder Bundeskanzler genau einmal die Vertrauensfrage gestellt.

Willy Brandt 1972

Ausgangssituation

Die von Willy Brandt maßgeblich beförderten Ostverträge, die die Aussöhnung mit Polen und der Sowjetunion beinhalteten, waren zwischen 1970 und 1972 auf heftige Kritik der Vertriebenenverbände und der CDU/CSU gestoßen. Besonders die faktische Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze verstieß nach Meinung der Kritiker gegen die Interessen des deutschen Volkes.

Mit dem Übertritt des Vertriebenenfunktionärs Herbert Hupka von der SPD- zur CDU/CSU-Fraktion am 29. Februar 1972 begann eine Abwanderungswelle aus dem Regierungslager hin zur Opposition, die schließlich im Misstrauensantrag der Union gegen Willy Brandt gipfelte. In der Abstimmung über die Frage, Bundeskanzler Willy Brandt zu stürzen und Rainer Barzel zu seinem Nachfolger zu wählen, verfehlten die Brandt-Gegner jedoch überraschend die benötigte absolute Mehrheit: Bei 496 Abgeordneten erhielt Barzel nur 247 anstatt der nötigen 249 Stimmen; das konstruktive Misstrauensvotum war damit gescheitert. Nach dem Zerfall der DDR 1990 stellte sich heraus, dass die Gerüchte, die Staatssicherheit der DDR (Stasi) habe zwei Abgeordnete bestochen, um Barzels Wahl zum Bundeskanzler zu verhindern, wahr waren. Andererseits gab es auch Gerüchte, dass die Abweichler der FDP vor der Abstimmung mit Geld zu Barzel gezogen worden seien. Insgesamt gab es nach der Abstimmung über das konstruktive Misstrauensvotum auf beiden Seiten Zweifel an der Loyalität einiger Abgeordneter zu ihren jeweiligen Parteien.

Somit bestand weiterhin ein parlamentarisches Patt zwischen den verbliebenen Brandt-Unterstützern in SPD und FDP einerseits und der CDU/CSU mit den Überläufern andererseits. Da eine Selbstauflösung des Bundestages verfassungsrechtlich nicht vorgesehen war (und ist), stellte Brandt am 20. September 1972 die Vertrauensfrage.

Ergebnis

Da die Mitglieder der Bundesregierung an der Abstimmung am 22. September 1972 nicht teilnahmen, erhielt Brandt nur 233 Ja- und 248 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung. Damit war Brandt das Vertrauen nicht ausgesprochen worden. Es handelte sich wegen der bewussten Herbeiführung der Niederlage um eine so genannte "unechte" Vertrauensfrage. Dennoch entsprach die Situation recht genau derjenigen, die vom Bundesverfassungsgericht zehneinhalb Jahre später dargestellt wurde: Brandt konnte sich seiner Mehrheit nicht mehr sicher sein (dafür sprechen schon allein die 248 Nein-Stimmen); das Fernbleiben der Bundesminister ist nur als Sicherstellung der Abstimmungsniederlage zu verstehen.

Folge

Bereits einen Tag später, am 23. September 1972, löste Bundespräsident Gustav Heinemann den Bundestag auf. Die Bundestagswahl 1972 am 19. November bestätigte Brandts Koalition aus SPD und FDP deutlich: Erstmals wurde die SPD stärkste Fraktion im Bundestag. Der Wahlerfolg der bisherigen Koalition dürfte auch damit zusammenhängen, dass viele Wähler die heftig umstrittenen Fraktionswechsel von Hupka und den anderen als Verrat und angesichts der Tatsache, dass die Betreffenden als SPD- bzw. FDP-Kandidaten gewählt worden waren, als nicht demokratisch legitimiert ansahen.

Helmut Schmidt 1982

Ausgangssituation

Nachdem es in der Koalition aus SPD und FDP, die seit 1969 regierte, große Spannungen über den Bundeshaushalt 1982 gegeben hatte, die ihren Kristallisationspunkt in der Diskussion über die Sozialpolitik fanden, und auch innerhalb der SPD-Fraktionen Diskussionen über den NATO-Doppelbeschluss herrschten, entschied sich Bundeskanzler Helmut Schmidt am 3. Februar 1982, die Vertrauensfrage zu stellen.

Ergebnis

In der Abstimmung am 5. Februar 1982 erhielt Schmidt die Stimmen aller anwesenden 269 Koalitionsabgeordneten; alle 225 anwesenden CDU/CSU-Abgeordneten stimmten gegen ihn.

Folge

Obwohl Schmidt die Vertrauensfrage deutlich positiv beantwortet bekam, verschärften sich in der Folgezeit die innerparteilichen Streitigkeiten und auch die Unterschiede zur FDP. Trotz einer Kabinettsumbildung führte der Konflikt über den Bundeshaushalt 1983 schließlich zum Bruch der Koalition: Am 17. September 1982 erklärten die FDP-Minister ihren Rücktritt, am 1. Oktober wurde Bundeskanzler Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum von CDU/CSU und FDP gestürzt und Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt.

Helmut Kohl 1982

Ausgangssituation

Bereits während der Koalitionsverhandlungen mit der FDP hatte Helmut Kohl den 6. März 1983 als Neuwahltermin in Aussicht gestellt. Er wollte diesen Termin allerdings nicht mit einem Rücktritt des Bundeskanzlers, einer anschließend bewusst scheiternden Bundeskanzlerwahl und der Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten nach Artikel 63 des Grundgesetzes herbeiführen, sondern mutmaßlich als Bundeskanzler in die Bundestagswahl gehen. Ferner hatte die FDP bei der Landtagswahl in Hessen am 26. September 1982 massive Verluste erlitten; der Wiedereinzug der FDP in den Bundestag wäre bei Durchführung der Neuwahlen recht bald nach dem Koalitionswechsel stark gefährdet gewesen.

Somit blieb nur der Weg über die Vertrauensfrage, über die am 17. Dezember 1982 abgestimmt wurde und die auch innerhalb der Koalition verfassungsrechtlich höchst umstritten war.

Ergebnis

Obwohl erst am Tag zuvor der gemeinsame Bundeshaushalt für 1983 beschlossen worden war, stimmten nur acht Abgeordnete für Kohl, 218 stimmten gegen ihn, während sich 248 Abgeordnete der Koalition der Stimme enthielten. Da Enthaltungen faktisch als Nein-Stimmen zählen, war Bundeskanzler Kohl damit formal mit übergroßer Mehrheit das Vertrauen nicht ausgesprochen worden.

Folge

Nach heftigen Diskussionen über die Verfassungsmäßigkeit des Vorganges entschied sich Bundespräsident Karl Carstens am 7. Januar 1983 doch dafür, die Auflösung des Bundestages anzuordnen und Neuwahlen für den 6. März 1983 auszuschreiben. Das im Zuge dieser Diskussion angerufene Bundesverfassungsgericht stellte die wichtigen, oben beschriebenen Rahmenvorschriften auf, entschied sich jedoch dagegen, die Anordnung des Bundespräsidenten aufzuheben. In einer ebenfalls umstrittenen Urteilsbegründung führten die Verfassungsrichter aus, dass aufgrund der Absprache mit der FDP über die Herbeiführung einer baldigen Neuwahl Bundeskanzler Kohl tatsächlich nicht mehr auf das Vertrauen der FDP-Bundestagsabgeordneten zählen konnte und das Verhalten daher verfassungsgemäß gewesen sei. Die Bundestagswahlen vom 6. März 1983 konnte die CDU/CSU klar für sich entscheiden, die FDP blieb trotz innerparteilicher Auseinandersetzungen und schwerer Verluste Koalitionspartner.

Gerhard Schröder 2001

Ausgangssituation

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder den angegriffenen Vereinigten Staaten noch am selben Tag "bedingungslose Solidarität" versichert. Da die Ausbildung der Terroristen nach Angaben der USA maßgeblich im von den Taliban beherrschten Afghanistan stattgefunden habe, entschied sich US-Präsident Bush kurz nach den Anschlägen, dieses Land anzugreifen. Da auch die NATO den Bündnisfall festgestellt hatte, sollte sich die Bundesrepublik mit der Bundeswehr an diesem Krieg beteiligen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1994 bedarf jedoch jeder Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes der Zustimmung des Bundestages. Innerhalb der Koalition aus SPD und Bündnis '90/den Grünen kündigten einige Pazifisten an, ihre Zustimmung zu verweigern. Obwohl durch die Unterstützung von CDU/CSU und FDP eine Mehrheit des Bundestages für den Einsatz der Bundeswehr sicher gewesen wäre, entschied sich Bundeskanzler Schröder, zur Demonstration der eigenen Mehrheit die Vertrauensfrage mit der Abstimmung über die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan zu verbinden. Diese verfassungsrechtlich nicht eindeutig definierte Situation (eine Verbindung der Vertrauensfrage mit einem Antrag ist anders als die Verbindung mit einem Gesetzentwurf im Grundgesetz nicht geregelt) führte zur vierten Abstimmung über eine Vertrauensfrage in der Geschichte der Bundesrepublik.

Ergebnis

CDU/CSU und FDP lehnten es ab, dem Bundeskanzler das Vertrauen auszusprechen und votierten daher gegen den verbundenen Antrag. Die Abgeordneten von SPD und Grünen stimmten mehrheitlich für den Antrag. Eine Gruppe von acht Grünen, die ursprünglich gegen den Einsatz der Bundeswehr stimmen wollten, teilten ihre Stimmen in vier Ja- und vier Nein-Stimmen auf, um damit die Ambivalenz ihrer Stimmabgabe auszudrücken: Einerseits unterstützten sie die Gesamtpolitik der Koalition, andererseits waren sie gegen den Bundeswehreinsatz. Aufgrund dieser Aufteilung erhielt der Antrag des Bundeskanzlers insgesamt 336 bei 334 benötigten Stimmen und 326 Gegenstimmen. Dem Bundeskanzler war damit knapp das Vertrauen ausgesprochen worden.

Folge

Es entwickelten sich bei den Grünen heftige innerparteiliche Diskussionen, die jedoch relativ schnell abebbten; die Vertrauensfrage 2001 war damit die erste, die mittelfristig nicht Neuwahlen oder den Sturz der Regierung zur Folge hatte. Jedoch schwenkte die Regierung Schröder in der Frage des Irak-Krieges, die im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 diskutiert wurde, auf einen kriegsablehnenden Kurs ein; es ist sehr fraglich, ob die Bundesregierung bei Aufrechterhaltung ihrer US-freundlichen Politik wiedergewählt worden wäre.

Übersicht

Überblick über die Vertrauensfragen
Datum Bundeskanzler (Partei) Ja Nein Enthaltung abwesend/ungültig Vertrauen ausgesprochen? Folge
22. September 1972 Willy Brandt (SPD) 233 248 1 14 nein Auflösung des Bundestages
5. Februar 1982 Helmut Schmidt (SPD) 269 225 0 3 ja
17. Dezember 1982 Helmut Kohl (CDU) 8 218 248 23 nein Auflösung des Bundestages
16. November 2001 Gerhard Schröder (SPD) 336 326 0 4 ja

Literatur

  • Klaus Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Band 2: Staatsorgane, Staatsfunktionen, Finanz- und Haushaltsverfassung, Notstandsverfassung. Beck, München 1980, ISBN 3-406-07018-3
  • Rolf Schmidt: Staatsorganisationsrecht. 2. Auflage. Rolf Schmidt Verlag, Bremen 2001, ISBN 3-934053-22-X