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Babytragetuch

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Ein Babytragetuch ist eine Tragehilfe, die es ermöglicht, einen Säugling über eine längere Zeitspanne am Körper zu tragen, ohne dass man dabei erhebliche Einschränkungen in der Mobilität hat.

Geschichte

Mutter mit Kind (Taiwan, 1875)

Säuglinge und Kleinkinder werden in allen Kulturen getragen, in denen sich der Kinderwagen als Transportmittel nicht durchgesetzt hat. Zwei Drittel der Weltbevölkerung tragen ihre Kinder noch heute. Vorlage:Lit

Noch vor 200 Jahren wurden auch in Europa Säuglinge und Kleinkinder am Körper der Mutter getragen, dies allerdings vorwiegend in den ärmeren Schichten. In den wohlhabenderen Klassen war das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern distanzierter, wer es sich leisten konnte, ließ sein Kind von Ammen stillen und von Kindermädchen betreuen. Die ersten Kinderwagen, die im 19. Jahrhundert aufkamen, verbreiteten sich zunächst auch in solchen Kreisen. In England machte Königin Victoria den Kinderwagen hoffähig. 1846 gründete Ernst Albert Naether in Zeitz die Firma ZEKIWA, die Kinderwagen als Massenartikel fertigte. ZEKIWA war zeitweilig Europas größter Kinderwagen-Hersteller. Seitdem ging die Tradition des Tragens immer mehr zurück.

In den Industrienationen ist das Tragen heutzutage sehr selten geworden, eine Ausnahme ist Japan, das auch heute noch über eine lebendige Trage-Tradition verfügt. Kinder werden heute fast nur noch in Entwicklungs- und Schwellenländern am Körper der Eltern getragen, allerdings gelten dort Kinderwagen z. T. als Zeichen von Wohlstand, so dass auch dort ein langsamer Umbruch zu beobachten ist, wie er in Europa im 19. Jahrhundert stattfand.

Seit 1972 produziert die schwäbische Firma DIDYMOS Tragetücher für den deutschen Markt, mittlerweile gibt es auch mehrere andere Hersteller. Außerdem gibt es neben Tragetüchern verschiedene andere Babytragehilfen (s. u.). Durch dieses Angebot auf dem Markt nimmt der Anteil der Eltern, die ihre Kinder tragen seitdem wieder zu, bleibt insgesamt jedoch auf niedrigem Niveau.

Vor- und Nachteile des Tragens

Kind im Tragetuch

Mit gebundenem Tragetuch hat man einige Einschränkungen in der eigenen Beweglichkeit. So fällt beispielsweise Bücken, Beugen oder Abhocken schwerer oder bedarf aufgrund des verlagerten Schwerpunktes einiger Übung. Dies wird jedoch durch die deutliche erhöhte Mobilität im Vergleich zum Kinderwagen mehr als ausgeglichen: So sind Treppen auch ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Auch öffentliche Verkehrsmittel, die man mit dem Wagen nur schwer betreten kann, stellen keine Probleme mehr da. Zudem sind beide Hände frei, so dass sich ein Großteil der Alltags- bzw. Hausarbeiten wie Spülen oder Wäsche aufhängen auch mit gebundenem Tragetuch durchführen lassen. Das Tragen im Tuch kommt somit dem natürlichen Bedürfnis von Säuglingen nach Körpernähe als auch dem der Eltern nach Flexibilität und Mobilität entgegen.

Ein weiterer, offensichtlicher Vorteil: Ein Tragetuch wiegt weniger als ein Kinderwagen, benötigt weniger Platz und kann bequem überall mitgenommen werden – auch auf Reisen im Koffer.

Mit etwas Übung ist das Tragetuch schneller angelegt und das Kind darin platziert, als im Kinderwagen. Dies gilt vor allem in den kälteren Jahreszeiten, da man im Tuch darauf verzichten kann, dem Kind extra dicke Kleidung anzuziehen. Wenn das Baby im Tuch unter der Jacke der Eltern getragen wird, reicht normale Wohnungskleidung sowie Schühchen und Mützchen vollkommen aus, damit es nicht friert.

Viele Eltern berichten zudem, dass ihre Babys durch das Tragen ruhiger und ausgeglichener sind. Dies deckt sich mit einer Studie von Dr. Urs A. Hunziker am Kinderspital Zürich, nach der Kinder die getragen werden auffallend weniger weinten, als Kontrollgruppenkinder.

Es ist jedoch anzumerken, dass sich nicht jeder Säugling gerne tragen lässt. Dies kann unter Umständen auf Unsicherheit seitens des Tragenden, aber auch auf falsches Binden der Tragehilfe zurückzuführen sein. Deshalb sollte in solchen Fällen eine Trageberatung in Anspruch genommen werden, bevor man auf das Tragen verzichtet.

Biologische und medizinische Betrachtungen

Dr. Bernhard Hassenstein hat den menschlichen Säugling als Tragling bezeichnet. Vorlage:Lit In der Tat haben menschliche Neugeborene – wie auch Affenbabys – den Klammerreflex (Moro-Reflex) beim Fallen sowie den Greifreflex (Palma-Reflex). Legt man ein Neugeborenes auf den Rücken bzw. hebt es hoch, nimmt es instinktiv die Spreiz-Anhock-Haltung ein, mit der es enger am Körper der Eltern anliegen kann. Biologen zählen den Menschen deshalb sogar zu den aktiven Traglingen, obwohl Menschenkinder sich nicht aus eigener Kraft am Körper der Mutter festhalten können und deshalb wie passive Traglinge von den Eltern getragen werden müssen.

Schon aus biologischer Sicht sind weit verbreitete Vorurteile, wie Tragen sei schädlich für die Wirbelsäule, nicht haltbar. Auch medizinisch spricht nichts gegen das Tragen gesunder Säuglinge über längere Zeiträume. Nach Untersuchungen von Dr. Evelin Kirkilionis treten bei getragenen Kindern Wirbelsäulenauffälligkeiten nicht häufiger auf, als bei Kindern, die im Kinderwagen gefahren werden. Vielmehr kommt das Tragen der Wirbelsäule des Säuglings sogar entgegen, da sich die doppelte S-Form erst während des ersten Lebensjahres entwickelt. Tragen in der Spreiz-Anhock-Haltung kann sogar Hüftdysplasien vorbeugen, es sind zudem Fälle dokumentiert, bei denen bereits vorhandene Hüftdysplasien ohne medizinische Eingriffe wieder verschwanden, nachdem die betroffenen Babys im Tuch getragen wurden. Vorlage:Lit

Wenn Eltern möglichst früh mit dem Tragen anfangen – gesunde Säuglinge können ab dem ersten Tag getragen werden –, wird auch deren Rücken durch langes Tragen nicht gesundheitsschädlich belastet. Gute Tragehilfen verteilen das Gewicht des Kindes entsprechend, die Muskeln der Eltern werden mit zunehmendem Gewicht trainiert und passen sich dementsprechend an. Ist das Kind für Bauchtragen zu schwer, kann es auf dem Rücken getragen werden, wo man das Gewicht durch Rucksäcke normalerweise gewohnt ist. Bei Rückenproblemen der Eltern sollte das Tragen allerdings eingeschränkt bzw. mit dem Arzt abgestimmt werden.

Hinweise für Auswahl und Gebrauch von Tragetüchern

Mittlerweile bieten zahlreiche Hersteller Tragetücher in den verschiedensten Größen, Farben und Qualitätsstufen an.

Die Standardlänge für Tragetücher beträgt ca. 470 cm. Bei Konfektionsgrößen bis 42 bei Frauen bzw. 48/50 bei Männern sind damit alle gängigen Trageweisen bindbar. Das Tuch sollte nicht zu lang sein, da herunter hängende Enden eine Stolperfalle darstellen.

Tücher nach Öko-Tex 100-Standard dürfen keine bekannten krebserregenden oder allergieauslösenden Farbstoffe enthalten, müssen schweiß- und speichelecht sein und der Pestizidgehalt darf höchstens die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Obst- und Gemüse erreichen. Die meisten Hersteller bieten auch Tücher in k.b.A.-Qualität (Rohstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau) an.

Beim Tragen ist immer darauf zu achten, dass das Kind mit dem Gesicht zum Körper getragen wird. Sitzt es umgekehrt, findet der Rücken des Babys nicht genug Halt, wird unnatürlich gestaucht und – je nach Statur des Tragenden – ins Hohlkreuz gedrückt. Bei Jungen besteht zudem noch die Gefahr, dass die Hoden abgedrückt werden.

Obwohl sämtliche Hersteller ihren Tragetüchern detaillierte Bindeanleitungen beilegen, empfiehlt es sich, einen Tragekurs zu machen, bzw. sich das Binden von erfahrenen Eltern zeigen zu lassen. Kontaktadressen erhält man auf Nachfrage bei den Herstellern.

Andere Tragehilfen

Tragetücher sind zwar die vielseitigsten Babytragehilfen, wer jedoch noch keine Trageerfahrung hat, kann mit einem Tuch schnell frustriert aufgeben. Die zahlreichen Wickel- und Tragetechniken lassen das Anlegen anfangs komplizierter erscheinen, als es tatsächlich ist.

Verschiedene Hersteller bieten deshalb Tragehilfen wie z. B. Tragesitze oder -Tragesäcke an. Diese lassen sich zwar auf den ersten Blick einfacher anlegen, sind aber oft nur unzureichend individuell auf den Säugling einzustellen. Bei einer guten Tragehilfe muss sicher gestellt sein, dass der Kopf gestützt wird und das Kind beim Tragen eine gute Spreiz-Anhock-Haltung einnimmt (d. h. kein gerades Herunterhängen der Beine). Sie sollte außerdem mit dem Kind „mitwachsen“ und das Gewicht des Kindes gut auf den Körper des Tragenden verteilen.

Literatur

  • Bernhard Hassenstein, Evelin Kirkilionis: Der menschliche Säugling, Nesthocker oder Tragling?. In: Wissenschaft und Fortschritt 42/1992
  • Anne Manns, Anne Christine Schrader: Ins Leben Tragen. Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin 1995, ISBN 3-86135-570-1
  • Evelin Kirkilionis: Ein Baby will getragen sein. Kösel-Verlag, München 1999 ISBN 3-466-34408-5
  • Jean Liedloff: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück. ISBN 3-406-45724-X