Zum Inhalt springen

Armut

Diese Seite befindet sich derzeit im Review-Prozess
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 12. Dezember 2007 um 14:12 Uhr durch Cumtempore (Diskussion | Beiträge) (Literatur: gelöscht, da mehrmals kritisiert wurde die Literaturliste sei nicht vom feinsten, wird durch Standarwerke ersetzt, alte List auf meiner Baustellenseite zu sehen (unter "Armut")). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Armut bezeichnet (im engeren Sinne) eine materielle Situation des Mangels (der Knappheit), die häufig mit Machtlosigkeit und geringem gesellschaftlichem Status einhergeht. Das Armutsverständnis wird wesentlich zwischen relativer Armut und absoluter Armut differenziert, wobei Armut grundsätzlich aufgezwungen oder (seltener) freiwillig gewählt, sowie vorübergehend oder dauerhaft sein kann. Des Weiteren gibt es auch die Unterscheidung zwischen materieller und geistiger Armut.

Das zugehörige Adjektiv arm, das mehrere Elative hat (bitterarm, blutarm), wird auch vielfach metaphorisch verwendet (gemütsarm, gedankenarm).

Auf der Grundlage von modernen sozioökonomischen Konzepten kann Armut im weiteren Sinne als Mangelversorgung mit materiellen Gütern wie Dienstleistungen verstanden werden. Soziokulturelle Konzepte, die auch nichtmaterielle Bedürfnisse thematisieren, sprechen im Hinblick auf die ungleiche Verteilung von Bildungstiteln und Bildungskompetenzen von absoluter und relativer Bildungsarmut.

Unterscheidungen von Armut

Absolute und relative Armut

Sowohl absolute als auch relative Armutsgrenzen sind nicht ohne normative Vorgaben umzusetzen. Weder die Wahl eines bestimmten Prozentsatzes vom Durchschnittseinkommen zur Bestimmung relativer Armut noch die Bestimmung eines Warenkorbes sind wertfrei begründbar. Darum wird über sie in politischen Prozessen entschieden.

Absolute Armut

Absolute Armut
in einem Slum in Jakarta
Datei:Glasgow-slum.png
Wohnverhältnisse 1871
in einem Slum von Glasgow

Um einen Überblick über die Probleme der Entwicklungsländer zu ermöglichen, hat der ehemalige Präsident der Weltbank, Robert Strange McNamara, den Begriff der absoluten Armut eingeführt. Er definierte „absolute Armut“ wie folgt:

„Armut auf absolutem Niveau ist Leben am äußersten Rand der Existenz. Die absolut Armen sind Menschen, die unter schlimmen Entbehrungen und in einem Zustand von Verwahrlosung und Entwürdigung ums Überleben kämpfen, der unsere durch intellektuelle Phantasie und privilegierte Verhältnisse geprägte Vorstellungskraft übersteigt.“[1]

Die absolute Armutsgrenze ist bestimmt als Einkommens- oder Ausgabenniveau, unter dem sich die Menschen eine erforderliche Ernährung und lebenswichtige Bedarfsartikel des täglichen Lebens nicht mehr leisten können. Die Weltbank sieht Menschen, die weniger als 1 PPP-US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben, als „arm“ an. [2] Hunger (-tod) geht somit unmittelbar mit dem Begriff der absoluten Armut einher. (Näheres hierzu im Artikel Welthunger)

Indikatoren der absoluten Armut nach International Development Agency (IDA)

Absolute Armut kann praktisch nie ganz ausgemerzt werde, da es immer und überall Menschen gibt, die durch das soziale Netz fallen. In Deutschland ist sie jedoch selten.

Relative Armut

Der Begriff der „relativen Armut“ meint Armut im Bezug zum jeweiligen sozialen (auch staatlichen, sozialgeographischen) Umfeld eines Menschen.

Somit kann relative Armut als Unterversorgung mit materiellen und immateriellen Ressourcen von Menschen bestimmter sozialer Schichten im Verhältnis zum Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang bezieht sich relative Armut auf verschiedene statistische Maßzahlen für eine Gesellschaft (zum Beispiel auf den Durchschnitt oder Median des gewichteten Nettoäquivalenzeinkommens). So definiert die WHO die Armutsgrenze anhand des Verhältnisses des individuellen Einkommens zum Durchschnittseinkommen im Heimatland einer Person. Danach sei arm, wer monatlich weniger als die Hälfte des aus der Einkommensverteilung seines Landes berechneten Medians zur Verfügung hätte. Für die OECD Länder ist die Armutsschwelle in gleicher Weise definiert (vgl. OECD-Skala). Eine in Politik und Öffentlichkeit benutzte Angabe der relativen Armutsgrenze ist dabei 50 % oder 60 % des Durchschnittseinkommens. So wird seit 2001 in den Mitgliedsländern der EU derjenige als arm bezeichnet, der weniger als 60 % des Medians hat.

Von Kritikern dieser Festlegung der relativen Armut wird argumentiert, dass sie wenig über den tatsächlichen Lebensstandard der Menschen aussage. Vielmehr ergäben sich Widersprüche bei Anwendung dieser Maßzahl. Wer jetzt weniger als 50 % vom Durchschnittseinkommen zur Verfügung habe, würde auch dann, wenn sich alle Einkommen verzehnfachten, weniger als 50 % vom Durchschnitt haben. Er bliebe also weiterhin „relativ arm“. Kritisiert wird, dass relative Armutsgrenzen die Armutsproblematik mit der Verteilungsproblematik vermischten.[3]

Relative Armut macht sich auch durch eine sozio-kulturelle Verarmung bemerkbar, womit der Mangel an Teilhabe an bestimmten sozialen Aktivitäten als Folge des finanziellen Mangels gemeint ist (wie z. B. Theater- oder Kinobesuch, Klassenfahrten). Sozialpolitiker sehen dies teilweise als gravierende gesellschaftliche Herausforderung.

Da eine scharfe Trennung zwischen Arm und Reich praktisch nicht vorkommt, ist für die relative Armutsgrenze auch der Begriff der Armutsrisikogrenze gebräuchlich (siehe auch Schere zwischen Arm und Reich, Prekariat).

Transitorische und strukturelle Armut

Armut kann zeitweise (transitorisch) oder dauerhaft (strukturell) vorhanden sein.

Transitorische (vorübergehende) Armut“ gleicht sich für den Betroffenen im Verlauf der Zeit wieder aus. Dies ist der Fall, wenn zu bestimmten Zeiten die Grundbedürfnisse befriedigt werden können, aber zu anderen Zeiten nicht. Dies kann zyklisch schwanken, wie Zeiten kurz vor der Ernte oder in einer jungen Ehe, oder auch azyklisch, zum Beispiel durch Katastrophen.

Dem entgegen steht der Begriff der „strukturellen Armut“. Diese liegt vor, wenn eine Person einer gesellschaftlichen Randgruppe angehört, deren Mitglieder alle unter die Armutsgrenze fallen, ohne große Chancen, in ihrem Leben aus dieser Randgruppe auszubrechen. Ein Beispiel ist die Bevölkerung von Elendsvierteln. In Verbindung damit wird oft von einem „Teufelskreis der Armut“ oder „Armutskreislauf“ gesprochen: die Nachkommen der in struktureller Armut lebenden Menschen werden ebenfalls ihr Leben lang arm sein (zum Beispiel mangelnde sexuelle Aufklärung, die zu frühen Schwangerschaften führt und eine Ausbildung unmöglich macht, aber auch Diskriminierung wegen der Wohnsituation) - siehe auch Sozialstruktur.

Bekämpfte und verdeckte Armut

Bekämpfte Armut“ beinhaltet verschiedene Maßnahmen insbesondere in den westlichen Industrienationen, in denen versucht wird, die Konsequenzen der Armut abzumildern. Dazu zählen im Feld der Sozialpolitik neben der „klassischen“ Bekämpfung durch Sozialleistungen, die kompensatorische Erziehung und die Einrichtung von Suppenküchen, Tafeln, Kleiderkammern und Notunterkünften.

Zu dieser so genannten „bekämpften Armut“ kommt noch die „verdeckte Armut“ von Personen, die einen Anspruch auf eine Grundsicherungsleistung hätten, diesen aber nicht geltend machen. (Siehe auch unten: Dunkelziffer der Armut).

Freiwillig gewählte Armut

Armut muss nicht immer unfreiwillig erlitten werden. Sie kann sogar als Tugend aufgefasst werden, etwa im Kontext der Askese. Die Gründe können religiöser oder philosophischer Art sein.

Zahlreiche bedeutende Religionen (so der Hinduismus, der Buddhismus oder das Christentum) kennen die freiwillige Armut. Jesus von Nazaret lebte in freiwillig gewählter Armut. Armut wird im Nadelöhr-Gleichnis zeitweise als zwingende Heilsvoraussetzung interpretiert: Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! [...] Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. (Mk 10,17-30). Auch der heilige Franziskus von Assisi kam aus einem reichen Elternhaus, lebte freiwillig als Bettler und gründete einen Bettelorden. Dessen Mitglieder baten von Haus zu Haus um etwas Geld für Arme.

Seit der Antike wählten insbesondere Mönche oder Nonnen freiwillig die Armut.Ordensleute kontemplativer oder tätiger Orden der römisch-katholischen Kirche legen in der Regel ein Armutsgelübde ab. Das verpflichtet sie, auf persönliche Einkünfte und ein eigenes Vermögen zu verzichten. Dieses Gelübde stellt einen der drei evangelischen Räte dar.

Armut soll jedoch auch einen tieferen Zugang zu anderen - meist armen - Menschen ermöglichen: Während von Reichen automatisch die Hartherzigkeit (der Geiz) und die Habgier befürchtet werden, kann sich der freiwillig Arme ganz auf das Erleichtern der seelischen Armut bzw. des Verkünden des seelischen Heils konzentrieren, ohne den Vorwurf verborgener materieller Eigensucht fürchten zu müssen.

Ähnliche Vorstellungen finden sich in einigen Richtungen der Philosophie. Der Kynismus (griech. κυνισμός, kynismós wörtlich „die Hundigkeit“ im Sinne von „Bissigkeit“ und „Herrenlosigkeit“, von κύων, kyon „der Hund“) ist eine philosophische Richtung der griechischen Antike und wurden von Antisthenes im 5. Jahrhundert vor Christus begründet. Kernpunkt der Lehre ist die Bedürfnislosigkeit bei gleichzeitiger Ablehnung materieller Güter. Vorurteile sowie Scham vor als natürlich empfundenen Gegebenheiten (z. B. Nacktheit) werden ebenfalls verworfen. Diese Einstellung zeigten sie kompromisslos. Oft lebten Kyniker von Almosen.

Als Stoa (griech. stoá, Vorlage:Polytonisch) wird eines der wirkungsmächtigsten philosophischen Lehrgebäude in der abendländischen Geschichte bezeichnet. Tatsächlich geht der Name (griechisch Vorlage:Polytonisch – „bemalte Vorhalle“) auf eine Säulenhalle auf der Agora, dem Marktplatz von Athen, zurück, in der Zenon von Kition um 300 v. Chr. seine Lehrtätigkeit aufnahm. Ein besonderes Merkmal der stoischen Philosophie ist die kosmologische, auf Ganzheitlichkeit der Welterfassung gerichtete Betrachtungsweise, aus der sich ein in allen Naturerscheinungen und natürlichen Zusammenhängen waltendes göttliches Prinzip ergibt. Für den Stoiker als Individuum gilt es, seinen Platz in dieser Ordnung zu erkennen und auszufüllen, indem er durch die Einübung emotionaler Selbstbeherrschung sein Los zu akzeptieren lernt und mit Hilfe von Gelassenheit und Seelenruhe zur Weisheit strebt. Stoiker lehnen materiellen Besitz ab und preisen die Bedürfnislosigkeit.

Ursachen

Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde Armut überwiegend nicht als gesellschaftlich verursacht, sondern als „gottgewollt“ oder als selbstverschuldet angesehen.[4]

Heute werden als Hauptrisikofaktoren relativer Armut Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung angesehen, auch mit der Folge fehlender Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder. Alleinerziehende hatten in Deutschland im Jahr 2003 mit 35,4% das zweithöchste Armutsrisiko. Als Risikofaktoren gelten weiterhin stark ungleiche Einkommensverteilung, Bildungsmangel und chronische Erkrankungen.

Als Hauptursachen für Armut werden genannt:

Konsequenzen der Armut

Gesundheitliche Konsequenzen

Armut hat gesundheitliche Konsequenzen.

Hauptartikel: Gesundheit und Schicht

Armut und Umweltzerstörung

Armut ist in vielen Teilen der Welt auch eine der wichtigsten Ursachen für Gefährdung und Zerstörung der Natur. Denn gerade diein der Armut begründeten schwerwiegenden Nöte und Probleme lassen den Umweltschutz in den Hintergrund treten. Die für den Schutz mitunter notwendigen finanziellen Mittel können in Regionen mit großer Armut nicht aufgebracht werden. Klaus Töpfer, der Leiter der UNO-Umweltbehörde UNEP, bezeichnete Armut als „das größte Gift für die Umwelt“; Erfolge im Umweltschutz setzten eine Bekämpfung der Armut voraus.

Konzepte zur Bekämpfung der Armut

In Europa setzte sich im Zuge der Industrialisierung und der Auseinandersetzung um die Soziale Frage die Auffassung durch, dass Armut durch genossenschaftliche oder wohlfahrtspolitische Maßnahmen verringert werden könne. Armutsbekämpfung stand etwa im Vereinigten Königreich am Ausgangspunkt der modernen Sozialpolitik.

Siehe auch: Sozialgesetzgebung

Inzwischen wird die Wirksamkeit sozialpolitischer Armutsbekämpfung aber in vielen Industrieländern durch neue Erscheinungsformen von Armut in Frage gestellt. In der Wirtschaftswissenschaft wird nicht selten die These vertreten, dass auch eine zu hohe Staatsquote zu einem Ansteigen der Arbeitslosenquote führen kann (insbesondere in Westeuropa).

Der Friedensnobelpreisträger und Ökonom Muhammad Yunus schlägt vor, neben rein den Profit (exakter: die Eigenkapitalrendite) maximierenden Unternehmen auch soziale Unternehmen einzuführen, deren Ziel es nicht ist, Profit zu erwirtschaften, sondern die Welt positiv zu verändern. Investoren in diese Firmen bekämen später ihr Geld zurück, jedoch ohne Dividende. Stiftungsaktivitäten von bestehenden Firmen könnten so in diese Richtung gelenkt werden. Nach Ansicht von Yunus wäre dies eine Lösung im Kampf gegen die Armut. Armut hält Yunus als Bedrohung für den Weltfrieden.[5]

Armut im geschichtlichen Wandel

Hauptartikel: Armut im geschichtlichen Wandel

Geographie der Armut

Slum-Bewohner in Jakarta

Nach Angaben der Weltbank hatten im Jahr 2001 weltweit ca. 1,1 Mrd. Menschen (entspricht 21% der Weltbevölkerung) weniger als 1 US-Dollar in lokaler Kaufkraft pro Tag zur Verfügung und galten damit als extrem arm. (Zum Vergleich: 1981 waren es noch 1,5 Mrd. Menschen, damals 40 % der Weltbevölkerung; 1987 1,227 Mrd. Menschen entsprechend 30 %; 1993 1,314 Mrd. Menschen entsprechend 29 %).

Die größte Zahl dieser Menschen lebt in Asien; in Afrika ist allerdings der Anteil der Armen an der Bevölkerung noch höher. Die Mitglieder der UN haben sich beim Millenniumsgipfel im Jahr 2000 auf das Ziel geeinigt, bis zum Jahr 2015 die Zahl derer, die weniger als 1 US-Dollar am Tag haben, zu halbieren (Punkt 1 der Millenniums-Entwicklungsziele). Nach Angaben der Weltbank vom April 2004 kann dies gelingen, allerdings nicht in allen Ländern. Während durch einen wirtschaftlichen Aufschwung in Teilen Asiens der Anteil der Armen deutlich zurück ging (in Ostasien von 58 auf 16 Prozent), hat sich in Afrika die Zahl der Ärmsten erhöht (in Afrika südlich der Sahara von 1981 bis 2001 fast verdoppelt). In Osteuropa und Zentralasien wurde eine Zunahme der extremen Armut auf 6 Prozent der Bevölkerung errechnet. Zieht man die Armutsgrenze bei zwei US-Dollar pro Tag, gelten insgesamt 2,7 Milliarden Menschen und damit fast die Hälfte der Weltbevölkerung als arm.

Deutschland

Das vom Statistischen Bundesamt errechnete monatliche Nettoäquivalenzeinkommen betrug für 2003 bundesweit 1.564 €, in den westdeutschen Ländern 1624 €, in den ostdeutschen Ländern 1335 €. Nach den EU-Kriterien für die Armutsgefährdungsgrenze (60 %) liegt die bundesdeutsche Armutsgefährdungsgrenze demnach bei 10.274 € jährlich bzw. 856 € monatlich (armutsgefährdet demnach: alte Bundesländer 12%, neue 17%[6]). Als relativ arm gilt ein Nettoäquivalenzeinkommen von 40%, das sind 6 849 € jährlich bzw. durchschnittlich 571€ monatlich.[7] In der Regel liegt das sozio-kulturelle Existenzminimum, das auf der Basis von Verbraucherbefragungen des Statistischen Bundesamtes durch die Bundesregierung festgelegt wird, noch unter dieser Grenze.

Armut in der BRD
Armut in der BRD

Nach Zahlen aus dem „Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht“, den die Bundesregierung im März 2005 vorgelegt hat, galten im Jahr 2003 13,5 Prozent der Bevölkerung als in relativer Armut lebend. 2002 waren es nach diesen Angaben noch 12,7 Prozent, 1998 12,1 Prozent.

Mehr als ein Drittel der in relativer Armut lebenden sind allein Erziehende und ihre Kinder. 19 Prozent sind Paare mit mehr als drei Kindern. Eine weitere Gruppe, die von (relativer) Armut betroffen sein kann, sind Studenten. Da Studenten keine Sozialleistungen beziehen können, leben viele von ihnen unterhalb der offiziell festgelegten Armutsgrenze.[8] In Wohngemeinschaften lebende Studenten werden jeweils als Einpersonenhaushalt gezählt, solange jeder für sich selbst wirtschaftet. Dieser Umstand, wie auch die Zahl allein lebender Studenten, treibt den Anteil der von Armut betroffenen Einpersonenhaushalte in die Höhe (siehe Abbildung). Man geht davon aus, dass ohne Einbezug der Studenten die Zahl armer Einpersonenhaushalte sehr gering wäre.

Kinder und Jugendliche haben in Deutschland ein hohes Risiko, in relativer Armut leben zu müssen. 15 Prozent der Kinder unter 15 Jahren und 19,1 Prozent der Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren sind betroffen. Die meisten dieser armen Kinder leben bei alleinerziehenden Müttern. Die Zahl der Kinder in Deutschland, die von Sozialhilfe leben, stieg 2003 um 64.000 auf 1,08 Millionen und hat 2004/2005 1,45 Millionen erreicht.[9][10][11] Im Jahre 2006 verdoppelte sich die gemessene Zahl von Kindern, die auf Sozialhilfeniveau leben, gegenüber 2004 nach Angaben des Kinderschutzbundes mit Berufung auf eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit auf 2,5 Millionen von 15 Millionen, also eines von sechs in Deutschland lebenden Kindern bis 18 Jahren. Dieser Zahl liegen genauere Daten als früheren Schätzungen zugrunde.[12]

Bundesland Anteil Kinder, die Sozialleistungen beziehen (Sozialgeld) Anteil Armer an der Gesamtbevölkerung (gemessen am Bezug von Sozialleistungen ALGII und Sozialgeld)
Bayern 6,6% 3,9%
Baden-Württemberg 7,2% 4,1%
Rheinland-Pfalz 9,9% 5,5%
Hessen 12,0% 6,5%
Niedersachen 13,5% 7,6%
Nordrhein-Westfalen 14,0% 8,1%
Saarland 14,0% 7,4%
Schleswig-Holstein 14,4% 8,2%
Hamburg 20,8% 10,6%
Thüringen 20,8% 10,4%
Brandenburg 21,5% 12,0%
Sachsen 22,8% 11,8%
Mecklenburg-Vorpommern 27,8% 14,9%
Sachsen-Anhalt 27,9% 14,2%
Bremen 28,1% 13,8%
Berlin 30,7% 15,2%
Stand: Juni 2005 [13],[14]

Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef wächst die Armut von Kindern in Deutschland stärker als in den meisten anderen Industrieländern. Dabei sind starke regionale Unterschiede festzustellen. So sind nach Forschungen der Ruhr-Uni Bochum im reichen Bayern nur 6,6% der Kinder als arm zu bezeichnen, in Berlin hingegen 30,7% (als Indikator für Armut galt der Bezug von Sozialgeld).[15]

Regionale Verteilung von Armut in den verschiedenen Bundesländern Die Armutsquoten sind in den verschiedenen Bundesländern höchst unterschiedlich. In den nördlichen und östlichen Bundesländern sind die Armutsquoten am höchsten.

(Anmerkung zur Tabelle: Unter Wissenschaftlern herrscht ein Streit darüber, ob der Bezug von Sozialleistungen ein guter Armutsindikator ist. Einige argumentieren, dass wer Soziallleistungen beziehe nicht mehr arm sei, da die Sozialleistungen das kulturelle Existenzminimum sichern würden. Die meisten Wissenschaftler schließen sich dieser Meinung nicht an)

Kinderarmut

Seit dreißig Jahren lässt sich in Deutschland ein Anstieg der Kinderarmut[16] beobachten.

Bei der Kinderarmut in Deutschland können laut AWO-Studie[17] neun Dimensionen unterschieden werden:

  1. Materielle Armut, ein Teil davon ist die finanzielle Armut, anteilig am jeweiligen Haushaltseinkommen (siehe oben Armutsdefinitionen)
  2. Bildungsbenachteiligung
  3. Geistige/kulturelle Armut
  4. Soziale Armut
  5. Fehlende Werte
  6. Seelische/emotionale/psychische Armut
  7. Vernachlässigung
  8. Falsche Versorgung
  9. Ausländerspezifische Benachteiligung

Die Studie Kinderreport 2007 des Deutschen Kinderhilfswerks zurfolge ist inzwischen jedes 6. Kind in Deutschland auf Sozialhilfe angewiesen. Der Trend sei dramatisch, da sich jedes 10. Jahr die Zahl von Kindern in Armut in Deutschland verdoppele. 1965 war jedes 75. Kind unter sieben Jahren auf Sozialhilfe angewiesen, 2007 sei es jedes 6. Kind. Besonders betroffen seien Kinder aus Einwanderfamilien.[18]

Siehe auch: Kinderarmut in den Industrieländern


Psychosoziale Auswirkungen von Armut auf Kinder

In relativer Armut aufzuwachsen, hat in Deutschland einen erheblichen Einfluss auf die Bildungschancen, was unter anderem die jüngste AWO-Studie nachwies. In einigen armen Stadtteilen verlässt jeder dritte die Schule ohne Abschluss.[19]

Aus einer Studie, die vom Kinderhilfswerk World Vision finanziert wurde und für die 1.600 Kinder befragt wurden, geht hervor, dass sich Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern sich schon im Alter von 8 bis 11 Jahren für den Rest ihres Lebens benachteiligt fühlen. Es handelt sich um die erste umfassenden Milieustudie von Kindern dieser Altersgruppe. Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann kommentierte: Die schlechten Startchancen prägen alle Lebensbereiche und wirken wie ein Teufelskreis. Wie ein 'roter Faden' zieht sich eine Stigmatisierung und Benachteiligung dieser Kinder durch das ganze Leben hindurch. Des Weiteren belegte die Studie, dass Kinder aus sozial schwachen Schichten häufig auf sich allein gestellt seien. Da der Rückhalt, Anregungen oder gezielte Förderung fehle, sei der Alltag dieser Kinder häufig einseitig auf Medienkonsum ausgerichtet. Die Mitautorin der Studie Sabine Andresen stellte zudem heraus, dass die Klassengesellschaft keine neue Entwicklung sei. (Vgl. hierzu auch das Kapitel "Armut im geschichtlichen Wandel".) Erschreckend sei aber, wie sich in einem reichen Land wie Deutschland die Armut von Kindern „eklatant“ auf ihre Biografien auswirke. Die Forscher stellten fest, dass viele Eltern mit der Erziehung überfordert seien. Deswegen müssten alle Bereiche der Gesellschaft helfen, die Kinder stark zu machen. [20]

Altersarmut

Im Gegensatz zur Entwicklung der Kinderarmut ist die Altersarmut in Deutschland rückläufig: von 13,3 Prozent 1998 auf 11,4 Prozent im Jahr 2003. Längerfristig wird hier ein Wiederanstieg erwartet, weil die derzeit vielen Arbeitslosen, Teilzeitbeschäftigten, Minijobber und Geringverdienenden geringere Renten bekommen werden und allgemein das Rentenniveau aller zukünftigen Rentner (und aller heutigen Arbeitnehmer) im Zuge der Rentenreform gesenkt wurde. Einer Studie zufolge, die das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) 2005 vorlegte, droht nahezu jedem dritten Bürger Verarmung im Alter. Grund sei neben der steigenden Lebenserwartung, die Reformen von 2001 und 2004, die das gesetzliche Rentenniveau um rund 18 Prozent sinken ließen und die fehlende Bereitschaft zu privater Altersvorsorge, die viele Bürger nicht zahlen wollen oder können (etwa 60%). Der Sozialexperte des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Deutschland Ulrich Schneider äußerte im November 2006 seine Befürchtung: „Die Altersarmut wird deutlich zunehmen“. [21]

Tabuisierung

Obschon die Armut in Deutschland steigt, wird sie selten als Armut benannt.[22] In den letzten Jahren wird stellvertretend der Begriff sozial schwach benutzt, zunehmend auch in der substantivierten Form Sozialschwache. Der Begriff ist schillernd und lässt sich interpretieren sowohl als Hinweis auf die schwache gesellschaftliche Stellung als auch auf einen Mangel an sozialer Kompetenz; im letzteren Fall - so eine Kritik - setzt dieser Begriff euphemistisch die Zuschreibung „asozial“ fort. Die Arbeiterwohlfahrt lehnt die Verwendung der Bezeichnung „sozial schwach“ ab, da es ihrer Auffassung nach einen Mangel an sozialer Kompetenz vortäusche. „Diese ‚sozial Schwachen‘“, so ihr Bundesvorsitzender Wilhelm Schmidt, „sind alles andere als sozial schwach. Von den meisten [finanzschwachen] Eltern wird eine nur schwer vorstellbare Stärke verlangt, ihre Situation täglich zu bewältigen und für ihre Kinder zu sorgen.“ In der Armuts- und Bildungsforschung wird dieser Begriff ebenfalls vermieden.

Ähnlich umstritten ist der Begriff „Unterschicht“ oder „Neue Unterschicht“ (siehe dort).

Schweiz

Trotz wirtschaftlichen Wachstums gibt es auch in der Schweiz Armut. 2005 waren rund 237’000 Personen auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die Sozialhilfequote lag somit bei 3,3 Prozent. Auf dem Land war die Sozialhilfequote niedriger als in der Stadt. Das Sozialhilferisiko ist stark von der Familienform abhängig. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche, die mit einem Elternteil oder in kinderreichen Familien aufwachsen. Kinder und Jugendliche sind besonders häufig arm. Sie sind unter den Sozialhilfe beziehenden Personen mit einem Anteil von 31 Prozent deutlich übervertreten. Ihr Anteil an der Bevölkerung beträgt nur 21 Prozent. Überdurchschnittlich oft geraten allein Erziehende in Armut: Fast 17 Prozent der Haushalte mit nur einem Elternteil bezog 2005 Sozialhilfe.[23]

Österreich

Bewohner der Wiener Kanalisation um 1900, als es noch kein Sozialnetz gab.

Nach Angaben des Sozialministeriums („Bericht über die soziale Lage 2003-2004“) waren 2003 in Österreich über eine Million Menschen (13,2 Prozent der Bevölkerung) armutsgefährdet, das heißt, von Einkommensarmut betroffen. Im Jahr 2002 waren es noch 900.000 oder 12 Prozent, 1999 11 Prozent. Als Armutsgefährdungsschwelle gelten 60 Prozent des mittleren Einkommens (Medianeinkommen). Etwa jede/r Achte muss demnach mit weniger als 785 Euro monatlich auskommen.

Frauen sind (mit 14 Prozent) leicht überproportional armutsgefährdet.

Neben der Einkommensarmut als Indikator für die finanzielle Situation eines Haushalts wird in Österreich von „akuter Armut“ gesprochen, wenn zusätzlich zur finanziellen Benachteiligung gewisse Mängel oder Einschränkungen in grundlegenden Lebensbereichen auftreten (zum Beispiel Zahlungsrückstände bei Miete, oder wenn Heizung, Urlaub, neue Kleider, Essen, unerwartete Ausgaben nicht leistbar sind). Von akuter Armut waren 2003 467.000 Menschen (5,9 Prozent der Bevölkerung) betroffen. Im Jahr davor waren es noch 300.000 Menschen oder 4 Prozent. Nach einem Bericht der Armutskonferenz sind erstmals Daten über so genannte Working Poor verfügbar: in Österreich seien 57.000 Menschen (2003) von Armut trotz Arbeit betroffen. Des weiteren hängt der Grad der Armutsgefährdung von der Art des Beschäftigungsverhältnisses ab:

Teilzeitbeschäftigte mit bis zu 20 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit haben ein dreifaches, bei 21 bis 30 Stunden ein doppelt so hohes Risiko armutsgefährdet zu sein, als Personen, die zwischen 31 und 40 Stunden beschäftigt sind.

Des Weiteren kritisiert der Schattenbericht der Armutskonferenz zum 2. Nationalen Aktionsplan für soziale Eingliederung 2003–2005 der österreichischen Bundesregierung, dass Langzeitarbeitslose und Migranten und Migrantinnen in diesem Plan vollkommen fehlten.

Siehe auch: Leben im Wiener Untergrund

USA

Nach Angaben des Armutsberichts des Amts für Volkszählungen vom August 2005 ist in den USA die Zahl der Menschen mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze 2004 zum vierten Mal in Folge angestiegen. 12,7 Prozent der Bevölkerung oder 37 Millionen Menschen seien arm. Dies ist ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 0,2 Prozentpunkten. Der Anstieg sei vor allem auf den höheren Anteil von Weißen zurückzuführen. Als arm gilt eine vierköpfige Familie, wenn sie weniger als rund 19.310 Dollar im Jahr ausgeben kann. Für Alleinstehende liegt die Grenze bei etwa 9.650 Dollar.

Wie in allen Industrieländern sind Kinder in den USA die Gruppe, die am häufigsten arm ist. Jedoch hat die Kinderarmut in den USA eine abnehmende Tendenz.

Kinderarmutsrate verschiedener
ethnischer Gruppen in den USA
Jahr Insgesamt Afroamerikaner Hispanics
1996 20,5% 39,9% 40,3%
2001 16,3% 30,2% 28,0%
http://www.acf.hhs.gov/programs/ofa/annualreport5/chap09.htm

Schon seit den 1990er Jahren gibt es in den USA keine Sozialhilfe mehr, wie wir sie kennen. 1992 wurde die so genannte Family Cap in New Jersey eingeführt. Frauen, die schwanger werden, während sie staatliche Unterstützung bekommen, bekommen keine zusätzliche staatliche Unterstützung für das weitere Kind. Heute haben 22 Bundesstaaten der USA Family Caps.[24]

Der Personal Responsibility and Work Opportunity Act (PRWORA) von 1996 regelte die staatliche Sozialfürsorge neu und fasste bisherige Wohlfahrtsleistungen zu einem einzigen Programm, dem Temporary Assistance for Needy Families (TANF), zusammen und setzte enge Zeitgrenzen, insbesondere eine auf das Gesamtleben bezogene Maximalgrenze von fünf Jahren, für aus Bundesmitteln finanzierte Sozialhilfe [25]. Nach zweijährigem Bezug müssen Fürsorgeempfänger, um weiter Leistungen zu erhalten, mindestens 30 Wochenstunden Arbeitsdienst in öffentlichen Arbeitsprogrammen leisten [26]. Diese mit Arbeitsverpflichtung verknüpfte Sozialfürsorge wird auch als Workfare bezeichnet. Die Sozialleistungen können dabei, pro Stunde betrachtet, auch unter dem Mindestlohn liegen. Die Reform führte laut Kritikern zu einer Zunahme der Beschäftigungszahlen, jedoch nicht zu einer Zunahme der sozialen Mobilität. Viele andere ehemalige Sozialhilfeempfänger erweisen sich in den Worten des Ökonomen Paul Samuelson zudem als »nicht beschäftigungsfähig und schlechter dran ohne kontinuierliche Sozialhilfe«. Zu ihnen zählen vor allem wenig gebildete Niedriglohnarbeiter ohne Arbeitserfahrung, soziale Problemfälle, geistig Behinderte, Drogenabhängige. Für andere dagegen hat sich die Lage gebessert. [27].

Befürworter der Reformen weisen darauf hin, dass durch TANF und die Family Cap die Anzahl armer Kinder abgenommen habe[28] Kritiker wiesen schon früh darauf hin, dass diese Abnahme der Kinderarmut vor allem durch eine Zunahme der Abtreibungen zu erklären sei und nicht dadurch, dass die Eltern in die Lage versetzt worden wären für ihre Kinder zu sorgen[29]. Allein zwischen 1992 und 1996 brachten in New Jersey Frauen, die Sozialhilfe bezogen, 14057 weniger Kinder zur Welt, als statistisch bei gleich bleibender Geburtenrate zu erwarten gewesen wäre, bei 1429 mehr Abtreibungen als zu erwarten. [24]

Einschlägige Forschung

Armutsforschung

In den 1950er Jahren entstand in den USA die Armutsforschung. Als erster wichtiger Armutsforscher gilt der US-amerikanische Anthropologe Oscar Lewis. Dieser erforschte die Lebensbedingungen in mexikanischen Slums. Für die Lebensweise, die er dort vorfand prägte den Begriff „culture of poverty“. Nach Lewis ist die Lebensweise der Armen von Denk- und Handlungsmustern geprägt, die von Generation zu Generation innerhalb der kulturellen Einheit weiter vererbt würden. Diese Kultur der Armut zeichne sich dadurch aus, dass die Armen nach sofortiger Befriedigung ihrer Bedürfnisse strebten. Sie seien nicht in der Lage, ein Bedürfnis zurück zu stellen, um später davon zu profitieren. So investierten die Armen zum Beispiel nicht in ihre Ausbildung und auch nicht in die Ausbildung ihrer Kinder. Das führe dazu, dass auch die nächste Generation arm sein werde. Die einzige Möglichkeit, die Armut zu beenden, ist laut Lewis eine von außen kommende Interventionen, etwa durch kompensatorische Erziehung.[30],[31]

Daniel Patrick Moynihan

Daniel Patrick Moynihan hat Lewis' Konzept auf die USA und andere westliche Industrienationen übertragen. Er argumentiert, dass Arme die Gegenwart mehr würden als die Zukunft wertschätzten. Dies werde zu einem Verfall der Familie führen. Die Kinder würden deshalb schlecht sozialisiert, und ein Teufelskreislauf der Armut beginne.[32]

Als Kritik auf die Forschungen von Moynihan warf William Ryan ihm vor, die Schuld auf das Opfer zu schieben (blaming the victim). Die Armen seien Opfer gesellschaftlicher Missstände, gegen die sie wegen ihrer marginalen Position nichts unternehmen könnten. Ihr Verhalten sei nur eine Reaktion auf diese Opfer-Position [33]

Der Psychologe Martin Seligman stellte die These auf, dass die Armen unter erlernte Hilflosigkeit litten. Ihre Lebensumstände verleiteb sie dazu, persönliche Entscheidungen als irrelevant wahrzunehmen. Laut Seligman betrachten Personen in einem Zustand der erlernten Hilflosigkeit Probleme als persönlich, generell oder permanent:

  • persönlich - Sie sehen (in) sich selbst als das Problem.
  • generell - Sie sehen das Problem als allgegenwärtig und alle Aspekte des Lebens betreffend.
  • permanent - Sie sehen das Problem als unabänderlich.

Daraus zögen sie die Schlussfolgerung, dass es nichts erbringe, etwas gegen ein Problem zu unternehmen, und unternähmen nichts. Erlernte Hilflosigkeit komme in allen Schichten vor, sei jedoch in den unteren Schichten besonders häufig. Dies sei so, weil die Leute dieser Schichten mehr negative Erfahrungen als die aus höheren Schichten machten. Erlernte Hilflosigkeit könne jedoch überwunden werden. Der Betroffene müsse sich klar machen, dass er unter erlernter Hilflosigkeit leide, und dass er über Handlungskompentenzen verfüge und sein Leben selbst in die Hand nehmen könne. Dabei könne die Psychotherapie helfen.[34]

Der wohl umstrittenste Armutsforscher ist der US-amerikanische Politologe Charles Murray. In seinem Buch Losing Ground teilt Murray Arme in zwei Klassen ein: die „working class“ und die „underclass“. Die letztere wird von ihm auch als „dangerous class“ („gefährliche Schicht“) oder „undeserving poor“ (Übersetzung in etwa: „Arme, die es nicht verdient haben, dass man ihnen hilft“) bezeichnet. Diese „undeserving poor“ zeichnen sich laut Murray durch mangelnde Selbstdisziplin aus. Sie hätten nicht den Ehrgeiz, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, sondern lebten lieber von Almosen. Die underclass habe sich als Reaktion auf zu hohe Sozialleistungen entwickelt. Einige Leute hätten die Sozialhilfe zu ihrem Lebensstil gemacht. Als natürlichen Feind der „undeserving poor“ sieht Murray die „working class“ an, denn diese finanzierten den Lebensstil der underclass; was aber noch schlimmer sei: Die underclass verdürbe durch ihren Lebensstil die Kinder der arbeitenden Klasse, die die falschen Werte der underclass übernähmen.[35] Später gelangte Murray zu der Auffassung, dass Armut vor allem durch niedrige Intelligenz zustande käme und schrieb u. a. darüber (zusammen mit Richard Herrnstein) das umstrittene Buch The Bell Curve.

Resilienzforschung

Als Reaktion auf die Armutsforschung entstand in den USA die Resilienzforschung. Unter Resilienz wird die Fähigkeit verstanden, schwierige Lebenssituationen unbeschadet zu überstehen. Resilienzforscher wie zum Beispiel Caplan oder Haines beklagen, dass zu sehr die Schwächen armer Familien und Personen und zu wenig die Stärken gesehen würden. Als Stärken einiger armer Bevölkerungsgruppen gelten Familienzusammenhalt, Kollektivismus und Leistungsmotivation.

Die Resilienzforschung betrachtet, welche Fähigkeiten ein Individuum haben muss, um konstruktiv mit Armut umgehen zu können. Sie hat einzelne ethnische und soziale Gruppen ausfindig gemacht, die es trotz Armut zu etwas bringen. So erbrachten beispielsweise die Kinder vietnamesischer [[Boat People]] in den USA bessere Leistungen als Kinder der US-amerikanischen Mittelschicht.[36] Die jüdische Minderheit wurde innerhalb von zwei Generationen von einer äußerst armen zu einer äußerst reichen ethnischen Gruppe. Kinder aus US-amerikanischen Mittelschichtsfamilien, die durch die große Depression verarmt waren, wuchsen zu leistungsstarken und gesetzestreuen Bürgern heran [37]. Viele Familien amerikanischer Farmer verarmten durch die Landwirtschaftskrise in den 1980er Jahren. Ihre Kinder erbrachten gute Schulleistungen. sie waren sozial gut integriert [38] In Deutschland machen vor allem die Kinder der vietnamesischen Vertragsarbeiter trotz Armut mit guten Schulleistungen auf sich aufmerksam[39],[40] Die griechische Minderheit hat innerhalb von zwei Generationen ihren Weg aus der Armut in die Mitte der Gesellschaft gefunden. Ebenso sieht es mit der spanischen Minderheit aus.[41]

Weiterführende Informationen zur Resilienzforschung sind auf entsprechender Seite zu finden.[42]

Leisering kam zu der Auffassung, dass materielle Armut besonders unter zwei Bedingungen schädliche Auswirkungen auf das Leben von Heranwachsenden hat:

  1. Es handelt sich um langdauernde Armut im Gegensatz zur kurzfristigen Armut.
  2. Die materielle Armut geht mit Bildungsarmut einher.

Sind diese zwei Bedingungen nicht erfüllt, dann sind die Auswirkungen der Armut weniger schlimm oder können auch vollkommen ausbleiben[43]

Auswirkung auf die Persönlichkeit

Verschiedene Forscher stellten Auswirkungen der Armut auf die Persönlichkeit fest.

Ronald Inglehart stellte die These des Wertewandels auf. Nach Inglehart entwickeln Menschen während ihrer Jugend eine entweder materialistische oder postmaterialistische Einstellung. Seine Theorie besagt, dass bei steigendem Wohlstand einer Gesellschaft der Materialismus (z. B. Neigung zu Sicherheit und Absicherung der Grundversorgung) abnimmt während der Postmaterialismus (z. B. Neigung zu politischer Freiheit, Umweltschutz) zunimmt. Zur statistischen Verifikation der Theorie wurde von Inglehart der sogenannte Inglehart-Index geschaffen. Dieser Index ist jedoch bei Sozialwissenschaftlern methodologisch umstritten. Zudem widerlegen empirische Studien die eindimensionale Entwicklung ,die Inglehart vorhersagte (z.B. Klein 95). Nach Inglehart ist die heutige Generation postmaterialistischer als vorangegangene Generationen. Das rühre daher, weil sie in größerem Wohlstand aufgewachsen sei.

Helmut Klages war vor deutschem Hintergrund der Meinung, dass in Armut aufgewachsene Genrationen eher zu Pflicht-/und Akzeptanzwerten neigten. Zu den Pflicht und Akezeptanzwerten zählen zum Beispiel Pflichterfüllung, Fleiß, Selbstlosigkeit und Hinnahmebereitschaft. In Reichtum aufgewachsene Generationen neigten eher zu Selbstverwirklichungswerten. Dazu zählen z.B. Spontaneität und Selbstverwirklichung.[44],[45]

Pierre Bourdieu urteilte, dass Arme einen anderen „Habitus“ als nicht Arme hätten, den sogenannten Habitus der Notwendigkeit.

Zitate

  • Bertolt Brecht verwies in einem kurzen Gedicht auf Unterschied und Verquickung von Arm und Reich:

    Armer Mann und reicher Mann,
    standen da und sahn sich an,
    und der Arme sagte bleich:
    wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.

  • Redewendung:

    Die Armen werden ärmer,
    die Reichen werden reicher.

Siehe auch

Literatur

Commons: Armut – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Armut – Zitate

Einzelnachweise

  1. Definitionen: Was ist Hunger? (taz vom 11. Juni 2002, S. 3)
  2. The World Bank Group: Quick Reference Tables
  3. Gelegentlich wird auch kritisiert, dass der Wegzug oder Vermögensverlust eines Reichen den Durchschnitt senken und daher die relative Armut in einem Land verringern würde, und es umgekehrt zu einer Erhöhung der relativen Armut komme, wenn ohne Veränderungen bei anderen Einkommensbeziehern ein Nicht-Armer sein Einkommen steigern kann. Dieser Kritikpunkt trifft aber hauptsächlich bei der Berechnung der Armutsgrenze mittels des arithmetischen Mittels (Durchschnitt im engeren Sinne) zu, und deutlich weniger, wenn, wie bei der Methode der EU, der Median verwendet wird, da der Median auf extreme Ausreißer nicht so sensibel reagiert wie das arithmetische Mittel.
  4. Nach der Philosophie der Lebendigen Ethik (östliche Bezeichnung: Agni Yoga) ist Ursache der Armut, dass die Menschen nicht teilen wollen: In einer Ordnung, in der die Schätze der Natur und die Erzeugnisse der menschlichen Arbeit gerecht verteilt werden, kann es keine Armut geben.
  5. Vgl.: spiegel.de: „NOBELPREISTRÄGER YUNUS: ‚Wir können Armut in die Museen verbannen‘“
  6. Armut und Lebensbedingungen, S. 18f
  7. Armut und Lebensbedingungen in Deutschland, S. 18
  8. studentenwerk.de: [http://www.studentenwerk.de/se/2004/Hauptbericht_soz_17.pdf Bericht (PDF-Datei)
  9. DGB: Armutsbericht ist Aufforderung zum Handeln, PM vom 02. Mai 2005 zum 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung
  10. Lehrer-online: Armut in Deutschland, Basistexte sowie ein beispielhaftes Schulprojekt (Kinderarmut in Bremen), 29. November 2006
  11. Marie-Luise Hauch-Fleck: Rechnen, bis es passt / Die Bundesregierung manipuliert das Existenzminimum – zum Schaden aller Steuerzahler, DIE ZEIT (Nr. 01/2007), 28.Dezember 2006
  12. Pressemeldung des Kinderschutzbundes vom 27. Juli 2006.
  13. ZEFIR-Datenpool: Leistungsempfänger/-innen von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach SGB II Juni 2005
  14. ZEFIR-Datenpool: Leistungsempfänger/-innen von Sozialgeld nach SGB II im Alter von unter 15 Jahren im Juni 2005
  15. ZEFIR-Datenpool: Kinderarmut in verschiedenen Regionen
  16. Achtung: Der Begriff „Kinderarmut“ hat noch eine zweite, hier nicht behandelte Bedeutung: Mangel an Kindern (Oligoteknie).
  17. Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik: Arm dran (?)! Lebenslagen und Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen. Zu Armut und Benachteiligung in Deutschland
  18. Deutsches Kinderhilfswerk: Kinderreport Deutschland 2007 November 2007
  19. Magazin Mitbestimmung 1+2/2006 (Hans Böckler Stiftung): Interwiev mit Klaus Peter Strohmeier: "Für unsere Gesellschaft sieht es düster aus"
  20. World Vision (Hrsg.): "Kinder in Deutschland 2007. 1. World Vision Kinderstudie";
    Online im Internet: Homepage der 1. World Vision Kinder-Studie bezüglich Kinder in Deutschland
  21. Der Tagesspiegel, Nr. 19379, Mittwoch, 22. November 2006, Wirtschaft, S. 17, „Immer mehr Senioren brauchen Geld vom Staat“
  22. Vgl. Paul Stänner: Von der Kultur der Armut (RTF-Datei, ca. 1,8 MB), SWR2, Feature am Sonntag, Manuskipt der Sendung vom 11.03.2007
  23. tagesanzeiger.ch: Armutsrisiko nimmt mit Kindern zu, 26. Juni 2007
  24. a b Teresa Malcolm: New Jersey "family cap" increases abortion rate in National Catholic Reporter vom 20. Nov 1998
  25. Die Sozial-und Gesundheitspolitik der Clinton-Administration. Kapitel V.: Die Verabschiedung der Sozialhilfereform 1995/96, Söhnke Schreyer, Bundeszentrale für politische Bildung bpb, Auszug aus: U.S.A., Aus Politik und Zeitgeschichte (B 44/2000) (abgerufen am 12. November 2007)
  26. Der Einfluss von Religion auf Arbeitsfelder amerikanischer ‚Jugendhilfe’ und seine Charakterisierung, André Richter, Dissertationsschrift, Dortmund, 2003, Seite 259 (abgerufen am 12. November 2007)
  27. Thomas Fischermann: Stolz ohne Stütze in: Die Zeit, 10.08.2006
  28. Child Poverty and TANF
  29. Preston, Jennifer. “With New Jersey Family Cap, Births Fall and Abortion Rise”. In: The New York Times, November 3, 1998 und Family Cap Provisions and Changes in Births and Abortions
  30. Lewis, Oscar: Five Families; Mexican Case Studies In The Culture Of Poverty, 1959.
  31. Lewis, Oscar: La Vida. A Puerto Rican Family In The Culture Of Poverty, San Juan/New York, 1966.
  32. Moynihan, D. P. (1965). The negro family. The case for national action. U.S. Department of Labor.
  33. Ryan, William (1976): Blaming the Victim. Vintage. ISBN 0-394-72226-4.
  34. Martin E. P. Seligman (1979). Erlernte Hilflosigkeit. München, Wien, Baltimore: Urban und Schwarzenberg. ISBN 3-541-08931-8; ISBN 3407220162
  35. Murray, Charles A. 1984: Losing ground: American social policy, 1950-1980. New York: Basic Books
  36. Nathan Caplan u. a.: The Boat People and Archievement in America. A study of family life, hard work, and cultural values. University of Michigan Press 1989, ISBN-0-472-09397-5; ferner David W. Haines (Hg.): Refugees as immigrants: Cambodians, Laotians and Vietnamese in America. Rowman & Littlefield Publishers 1989, ISBN: 084767553X; Nathan Caplan u. a.: Indochinese Refugee Families and Academic Archievement, in: Scientific American, Februar 1992, S. 18-24
  37. Elder, Glen H.: Children of the Great Depression. Chicago: University of Chicago Press 1974, S. 160
  38. Glen H. Elder, Rand D. Conger: Children of the Land: Adversity and Success in Rural America, University of Chicago Press 2000, ISBN 13: 9780226202662
  39. http://www.taz.de/dx/2005/12/06/a0080.1/text
  40. Weiss, Karin & Dennis, Mike (Hrsg.): Erfolg in der Nische? Vietnamesen in der DDR und in Ostdeutschland. Münster: LIT Verlag 2005
  41. http://egora.uni-muenster.de/pol/personen/thraenhardt/bindata/05.12.2006_Spanische_Einwanderer_schaffen_Bildungskapital.pdf und Gut angekommen
  42. Eine weitere erfolgreiche arme Bevölkerungsgruppe sind jüdische Zuwanderer aus der GUS; Schoeps, Julius H., Jasper, Willy & Vogt, Bernhard (1999): 'Jüdische Zuwanderer aus der GUS. Zur Problematik von sozio-kultureller und generationsspezifischer Integration. Eine empirische Studie des Moses-Mendelsohn-Zentrum 1997-1999'. In: Julius H. Schoeps/Willi Jasper/Bernhard Vogt (Hgg.): Ein neues Judentum in Deutschland? Fremd- und Eigenbilder der russisch-jüdischen Einwanderer. (Potsdam: Verlag für Berlin Brandenburg) pp. 13-128.
  43. Leisering, Lutz (1983): Armut im Sozialstaat. Diplomarbeit + Ders. (1993): Secondary poverty in the welfare state. Bremen: Univ. Bremen, Zentrum für Sozialpolitik + Ders. (1998): The dynamics of modern society: poverty, policy and welfare. Bristol: Policy Press + Ders. (1999): Time and poverty in western welfare states : united Germany in perspective. Cambridge (u.a.): Cambridge Univ. Press
  44. Klages, Helmut (1992): Werte und Wandel: Ergebnisse und Methoden einer Forschungstradition. Frankfurt [u.a.]: Campus-Verl.
  45. Klages, Helmut (1988): Wertedynamik: über d. Wandelbarkeit d. Selbstverständl.Zürich: Ed. Interfrom [u.a.]

Vorlage:Link FA