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Porajmos

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Datei:Porajmos.jpg
Zigeuner im Lager Belzec, 1940

Als Porajmos (auch Porrajmos, deutsch: „das Verschlingen“) bezeichnen Vertreter ziganischer Völker, darunter Roma, Sinti und Jenische, den Massenmord der Nationalsozialisten an sogenannten Zigeunern, der ein Teil des Holocaust war.

Überblick

Der Porajmos wurde anders als die Shoa bisher unzureichend erforscht. Er wurde nicht zentral geplant und durchgeführt, sondern bestand aus Hunderten einzelner Mordaktionen. Diese gingen mit einer flächendeckenden Unterdrückungspolitik einher: Ab 1937 internierten Staatsorgane die Roma und Sinti im Deutschen Reich oft in besonderen „Zigeunerlagern“, seit Kriegsbeginn wurden sie auch in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten und einigen verbündeten Ländern in Ghettos oder Lager deportiert.

Die Massenmorde an ihnen geschahen wie die an den Juden weit überwiegend in Osteuropa, jedoch seltener in besonderen Vernichtungslagern. Sie begannen regional zu unterschiedlichen Zeitpunkten und wurden verschieden intensiv durchgeführt. Während die ziganischen Volksgruppen einiger Länder mit Beteiligung der dortigen Regierungen fast vollständig ausgerottet wurden, wurden sie anderswo noch jahrelang zu Zwangsarbeit herangezogen. Ein großer Teil der deutschen, französischen, böhmischen und niederländischen Sinti und Roma wurde ab 1943 in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert, wo für sie ein eigener Bereich geschaffen wurde. Die meisten von ihnen starben dort an Haft- und Arbeitsbedingungen, die Überlebenden wurden 1944 massenhaft ermordet.

Die Gemeinden der Roma in Osteuropa waren weniger organisiert als dortige jüdische Gemeinden, so dass sie ihre Verluste in der NS-Zeit nicht exakt bestimmen und festhalten konnten. Hinzu kam ihre fortlaufende Diskriminierung nach 1945 und die fehlende einheitliche Interessenvertretung, die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit erschwert. Die Opferzahlen sind durch die späte und mangelnde Erforschung sowie unvollständige Dokumentation bisher nicht zuverlässig feststellbar. Schätzungen gehen von mindestens 100.000 Opfern rekonstruierbarer Mordaktionen aus und rechnen mit einer hohen Dunkelziffer. Sie reichen daher von mindestens 200.000 bis zu 800.000 Gesamttoten; offiziell werden oft 500.000 genannt.

Das Schicksal der Jenischen ist noch weitgehend unerforscht. Eine Dissertation von Andrew Rocco Merlino D'Arcangelis 2004 [1] ist die erste wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas an einer deutschen Universität. Erst in jüngster Zeit verlangt die Gemeinschaft der Sinti, Roma und Jenischen in Deutschland, auch die Jenischen als Opfer des Holocaust anzuerkennen.

Verlauf

Diskriminierung vor 1933

Die als „Zigeuner“ abgewerteten Minderheiten waren in Europa seit Jahrhunderten Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt, meist auf kommunaler Ebene. Als Nichtsesshafte mit eigener Sprache (meist Romani, seltener Jenisch oder Lalleri) und Tradition wurden sie häufig von Ort zu Ort abgeschoben, auch als sesshaft Gewordene (Sinti) blieben sie ausgegrenzt und isoliert von anderen Einheimischen.

Dieser verbreitete Antiziganismus verschärfte sich in der Weimarer Republik, als das seit 1899 bestehende bayerische Amt für Zigeunerangelegenheiten in München 1929 zur Zentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens umgeformt wurde und fortan eng mit einer entsprechenden Behörde in Wien kooperierte. Dieses Amt ermächtigte die Polizei, Roma und Sinti ohne feste Arbeitsstelle zu Zwangsarbeit zu verpflichten. Die SS begann schon 1931, die in der NS-Propaganda als „Untermenschen“ geltenden Roma und Sinti zu erfassen.

Rassistische Gesetzgebung und Kategorisierung

Nach Adolf Hitlers Machtantritt im Januar 1933 verschärften Polizei und Lokalbehörden die traditionelle Diskriminierung deutlich und gingen nun oft hemmungslos gegen Roma und Sinti vor. Ab 1935 wurden sie wie die Juden in die rassistische Gesetzgebung einbezogen. Obwohl die Nürnberger Gesetze sie nicht ausdrücklich nannten, schlossen die Kommentare dazu sie ausdrücklich als „Artfremde“ und „rassisch Minderwertige“ in diese ein.

1936 wurden erstmals mehrere Romagruppen als „Asoziale“ in das KZ Dachau deportiert. Zugleich erhielt der Nervenarzt Robert Ritter die Erlaubnis, eine Forschungsstelle für „Rassenhygiene“ einzurichten. Daraus entstand 1937 die Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle beim Reichsgesundheitsamt. Von dort aus wurden rund 24.000 deutsche Roma und Sinti zum Versuchsobjekt der nationalsozialistischen Rassentheorien gemacht. Obwohl alle ziganischen Völker wegen ihrer Herkunft aus Indien als „reine Arier“ hätten gelten müssen, erklärten die „Gutachten“ der Forschungsstelle 90 Prozent der Untersuchten zu „Mischlingen“. Diese widersprachen noch stärker der nationalsozialistischen Vorstellung einer „reinen Rasse“ als die zu „minderwertigen“, aber „reinrassigen“ Menschen erklärten Personen. Sie sollten daher in Arbeitslager gesteckt und zwangssterilisiert werden. Auch die restlichen Roma galten als „Fremdrassige“ und damit als von Natur aus „asoziale, arbeitsscheue Elemente“. Dies betraf auch die zutreffend als eigene Volksgruppe definierten Jenischen. Obwohl damit alle ziganischen Volksgruppen offiziell stigmatisiert wurden, unterschieden Ritters Beamte peinlich genau den „Mischlingsgrad“ von „Voll-“, „Halb-“, „Viertel“- und „Achtelzigeunern“. Danach maß man den angeblichen Gefährdungsgrad, der von ihnen für das Zusammenleben mit „Deutschblütigen“ ausgehe.

Auf dieser pseudowissenschaftlichen Grundlage befahl der „Reichsführer-SSHeinrich Himmler am 14. Dezember 1937, auch jeden als „reinrassig“ eingestuften Roma in „Polizeiliche Vorbeugehaft“ zu nehmen, sofern er „ohne Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher zu sein, durch sein unsoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdet.“ Im Widerspruch dazu betrafen weitere Richtlinien vom 4. April 1938 unterschiedslos „Bettler, Landstreicher (Zigeuner), Dirnen ... ohne festen Wohnsitz“. Damit ging ihre rassistische Abwertung noch über die der Juden hinaus.[2]

Inhaftierung und Deportationen

Seit 1937 wurden ziganische Gruppen bereits in besondere örtliche „Zigeunerlager“ gebracht. Vom 13. bis 18. Juni 1938 wurden erstmals reichsweit tausende Roma und Sinti als „Zigeunermischlinge“ verhaftet und in Konzentrationslagern interniert. Hierbei kam es bereits zu Morden und Sterbefällen wegen der Haftbedingungen.

Am 8. Dezember 1938 erging ein Erlass Himmlers zur vollständigen polizeilichen Erfassung aller „Zigeuner“ des Reichsgebiets. Am 1. März 1939 forderte er ihre völlige Trennung von den Deutschen und zugleich die Trennung von „reinrassigen Zigeunern“ von „Zigeunermischlingen“. Beide Gruppen sollten der Polizei unterstellt, d.h. als potentielle Verbrecher behandelt werden.

Gegen Ende des Polenfeldzugs organisierte Reinhard Heydrich am 21. September 1939 in Berlin eine Konferenz über die Rassenpolitik, die das weitere Schicksal der ziganischen Volksgruppen mit dem der deutschen Juden und der Polen eng verknüpfte. Man rekonstruiert anhand der vorhandenen unvollständigen Dokumente vier Beschlüsse, aus denen indirekt die wahrscheinlich ebenfalls geplante „Endlösung der Zigeunerfrage“ hervorgeht:

  • die Konzentration der Juden in Ghettos
  • ihre Umsiedlung nach Polen
  • die Deportation von 30.000 „Zigeunern“ dorthin
  • die systematische Deportation von Juden mit Zügen in von Deutschland besetzte Gebiete.

Ein Expressbrief des Reichssicherheitshauptamts vom 17. Oktober 1939 zu den Verladestellen erwähnte, die „Zigeunerfrage“ werde in Kürze gründlich im Reichsgebiet geregelt werden. Adolf Eichmann empfahl, sie gleichzeitig mit der Judenfrage zu lösen.

Am 20. Oktober 1939 kam es zur ersten Deportation von Sinti und Roma nach Polen. Im Rahmen des Westfeldzugs gegen Frankreich wurden die rechts des Rheins lebenden Sinti und Roma am 16. Mai 1940 mit einem Sonderzug der Reichsbahn in das Generalgouvernement deportiert. Sie sollten ursprünglich in das seit 1939 geplante „Judenreservat“ bei Lublin gebracht werden, das nicht zustande kam. Ihr Transport gilt aufgrund der daran beteiligten Polizisten als lokaler Vorlauf der späteren Judendeportationen.

Am 7. August 1941 regelte ein weiterer Erlass Himmlers die Auswahl der zur Deportation bestimmten Sinti und Roma nach ihrem „Mischlingsanteil“. Er wurde in den besetzten Gebieten im weiteren Kriegsverlauf jedoch oft missachtet, so dass dort wahllos alle „Zigeuner“ deportiert und später vielfach ermordet wurden.

Massenmorde

Schon 1940 erschossen örtliche Polizeieinheiten ohne übergeordneten Befehl Roma im besetzten Polen. Diese unorganisierten Morde häuften sich seit dem Balkanfeldzug und dem Krieg gegen die Sowjetunion 1941-1945.

Seit August 1941 kam es auch in von der Wehrmacht eroberten sowjetischen Gebieten zu Massenerschießungen von Roma. Die Mörder verteilten sich auf verschiedene Behörden, die unterschiedlich vorgingen. Die Opfer wurden oft als „Spione hinter der Front“ oder „Asoziale“ deklariert und dabei nicht von anderen ethnischen Gruppen unterschieden. Die meisten Roma der besetzten sowjetischen Gebiete wurden in kleineren Gruppen von Wehrmachtseinheiten ausgeliefert und dann von der Sicherheitspolizei erschossen.

In der Südukraine ermordete die Einsatzgruppe D alle Roma, die sie fand und festnehmen konnte. Im „Heeresgebiet Mitte“, d.h. im Osten Weißrusslands und mittleren Frontabschnitt vor Moskau, wurden nur die nichtsesshaften Roma ermordet, während die mehr als zwei Jahre Sesshaften verschont blieben. Im Baltikum stritt die deutsche Zivilverwaltung mit SS und örtlicher Polizei jahrelang über die Behandlung der dortigen Roma. Dabei drängte die Zivilverwaltung am meisten auf ihre völlige Ausrottung. In Estland, Lettland und Litauen sind Massenmorde nachgewiesen, jedoch entgegen der Anordnung des Reichssicherheitshauptamts nicht überall flächendeckend.

In Serbien entrechtete die deutsche Militärverwaltung alle nichtsesshaften Roma ebenso wie die Juden. Männliche Roma wurden vielfach als Geiseln gegen Partisanenüberfälle genommen und als Vergeltung dafür massenhaft erschossen. In Kroatien verfolgte die ultranationalistische Regierung die kroatischen Roma unmittelbar nach ihrer Machtergreifung von sich aus gemeinsam mit Regionalbehörden, ebenso wie dortige Juden und Serben. Sie wurden enteignet, entrechtet und vielfach abgeschoben in andere Orte. Ab Mai 1942 deportierten die deutschen Besatzer sie in das Lagersystem der verbündeten Ustascha von Jasenovac. Dort wurden alle katholischen Roma bis zum Jahresende brutal ermordet; nur die wenigen muslimischen Roma wurden durch Eingriffe führender Muslime Bosniens gerettet.

Rumänien hatte die größte Romaminderheit in Südosteuropa. Sie wurde von den mit Hitlerdeutschland verbündeten rumänischen Behörden selbst verfolgt. Besonders die nichtsesshaften und im zurückeroberten Bessarabien und der Nordbukowina lebenden Roma wurden vielfach erschossen. Die übrigen etwa 25.000 nichtsesshaften und sesshaften Roma wurden von Juni bis September 1942 nach Transnistrien bei Odessa vertrieben, wo sie in ghettoartigen Bezirken verhungerten oder an Krankheiten starben. Rückkehrversuche gelangen zunächst nur Roma, die Angehörige in der rumänischen Armee hatten. Im Sommer 1944 durften etwa 6.000 Überlebende aus Transnistrien zurückkehren.

In Bulgarien wurden die Roma zwar auch diskriminiert, z.B. mit geringeren Lebensmittelrationen, aber kaum deportiert. Einige Roma Mazedoniens gelangten wahrscheinlich zusammen mit den dortigen Juden nach Auschwitz.

Die Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich wurden seit Herbst 1941 systematisch zusammen mit den Juden verfolgt. So wurden etwa 5.000 Lalleri - nicht Romani sprechende Roma - mit den Juden des Burgenlandes am 5. November 1941 in das Ghetto von Lodz deportiert. Dort bekamen sie einen sehr kleinen Teilbereich zugewiesen, wo etwa 600 Personen verhungerten. Die übrigen 4.400 wurden ab dem 16. Januar 1942 in das KZ Kulmhof (Chelmno) gebracht, wo sie vergast wurden; niemand aus dem Ghetto Lodz überlebte. Während dieses und des folgenden Jahres wurden häufig größere Gruppen von Roma aus Reichsgebieten in das Generalgouvernement deportiert und dort erschossen.

Himmler befahl am 16. Dezember 1942 im „Auschwitz-Erlaß“, „Zigeunermischlinge (z.B. Jenische), Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen Dauer in ein Konzentrationslager einzuweisen“.[3] Zuständig dafür blieb die Kriminalpolizei. Am 29. Januar bekräftige das Reichssicherheitshauptamt Himmlers Befehl und ergänzte:

Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad in das Konzentrationslager (Zigeunerlager) Auschwitz. [...] Die künftige Behandlung der reinrassigen Sinte- oder der als reinrassig geltenden Lalleri-Zigeuner-Sippen bleibt einer späteren Regelung vorbehalten.

Im Gedächtnisbuch der Sinti und Roma, die im KZ Auschwitz-Birkenau starben, steht dazu:[4]

Das Himmlerdekret vom 16. Dezember 1942 (Auschwitz-Erlass), nach dem die Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau deportiert werden sollten, hatte die gleiche Bedeutung für diese wie die Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 für die Juden. Dieses Dekret, und die Bekanntmachung, die am 29. Januar 1943 folgte, kann so als die logische Konsequenz der Entscheidungen, die in Wannsee getroffen wurden, gesehen werden. Nachdem entschieden worden war, daß das Schicksal der Juden in der massenhaften Ausrottung enden sollte, war es selbstverständlich für die zweite Gruppe rassisch verfolgter Menschen, den „Zigeunern“, Opfer der gleichen Politik zu werden, was am Ende sogar Soldaten der Wehrmacht beinhaltete.

Am 26. Februar 1943 begann die Deportation der Roma Südosteuropas in das extra eingerichtete „Zigeunerfamilienlager“ in Birkenau. Ab März 1943 folgten Deportationszüge aus dem Reich, Böhmen und Frankreich dorthin. Bis Mai 1944 folgten einige Hundert Roma aus den Niederlanden. Insgesamt wurden etwa 23.000 Menschen in das Lager gebracht, wo sie zunächst Zwangsarbeit leisten mussten. Einige Tausend von ihnen wurden im Mai 1943 wegen „Fleckfieberverdacht“ isoliert und vergast. Die übrigen starben an Hunger, Frost und qualvollen medizinischen Experimenten; viele wurden auch in andere KZs weitertransportiert und starben dort. Im Mai 1944 beschloss die Lagerleitung von Auschwitz, die übrigen etwa 2.900 Roma und Sinti von Birkenau zu ermorden. Diese leisteten verzweifelten Widerstand, worauf die SS vom ersten Räumungsversuch Abstand nahm. Erst in der Nacht vom 2. zum 3. August 1944 überfiel und erschoss sie die restlichen Häftlinge.[5]

Folgen

Fortgesetzte Diskriminierung

Bis 1979 wurde der Völkermord an den ziganischen Völkern in der Bundesrepublik ignoriert und bestritten.

In Bayern wurde die dortige „Zigeunerzentrale“ der NS-Zeit als „Landfahrerzentrale“ fortgeführt. Bis 1970 arbeitete sie noch mit den Originalakten über viele deutsche Sinti weiter. Sinti und Roma blieben oft lange Zeit staatenlos, weil ihnen unter Hitler die Staatsangehörigkeit entzogen worden war. Erst während der 1980er Jahre bekamen die letzten auf erheblichen Druck der Öffentlichkeit ihre deutsche Staatsbürgerschaft wieder.

Eine Entschädigung, selbst bei schwersten gesundheitlichen Schäden, verwehrten die Landesentschädigungsämter den betroffenen Sinti und Roma. Ein deutscher Innenminister begründete dies 1950 damit, dass „sie nicht aus rassischen Gründen, sondern wegen ihrer asozialen und kriminellen Haltung verfolgt“ worden seien. 1956 entschied der Bundesgerichtshof, die Sinti und Roma seien schon vor 1943 nur zur „Kriminalprävention“ inhaftiert worden, nicht aus rassischen Gründen.

Dieses Urteil wurde 1963 aufgehoben, aber nicht die darauf beruhenden Gerichtsentscheidungen. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erreichte 1981 eine Härtefallregelung für die Betroffenen und konnte in einzelnen Fällen Wiedergutmachungszahlungen erwirken. Viele Verfahren blieben aber noch bis in die 1990er Jahre offen.

Völkerrechtliche Anerkennung

Bundeskanzler Helmut Schmidt empfing am 17. März 1982 eine Delegation des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma mit dessen Vorsitzenden, Romani Rose. Schmidt erkannte die aus rassischen Gründen durchgeführten Massenmorde der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma als Völkermord an. Bundeskanzler Helmut Kohl bestätigte diese Anerkennung am 7. November 1985 bei einer Bundestagsdebatte.

Bundespräsident Roman Herzog erklärte am 16. März 1997 zur Eröffnung eines Berliner Dokumentations- und Kulturzentrums der deutschen Sinti und Roma:[6]

Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden. Sie wurden im gesamten Einflussbereich der Nationalsozialisten systematisch und familienweise vom Kleinkind bis zum Greis ermordet.

Gedenken

Für viele Sinti und Roma unverständlich, wurde in der Planungsphase des Holocaustmahnmals entschieden, dieses nur den Opfern der Shoa zu widmen und alle anderen Opfergruppen auszuklammern. Daraufhin versuchte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und die Gesellschaft für Antiziganismus, ein eigenes Mahnmal durchzusetzen. Dies unterstützten einige Politiker und Vertreter deutscher Juden.

Anfang 2004 verzögerte sich der Bau, weil ein Streit um eine Inschrift auf dem Mahnmal ungelöst blieb. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wollte ein Teilzitat Roman Herzogs auf das Mahnmal aufbringen:

Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden.

Der kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Eckhardt Barthel kritisierte:

Der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Herr Romani Rose, beharrt darauf, als Inschrift ein Zitat Roman Herzogs zu verwenden, das eine Gleichsetzung des Völkermordes an Sinti und Roma mit dem an den Juden nahe legt. Ohne die Nazi-Verbrechen an Sinti und Roma oder anderen Volksgruppen relativieren zu wollen ist dies wissenschaftlich so nicht haltbar.

Die Vorsitzende der Sinti Allianz Deutschland, Natascha Winter, wandte ein:

Von den Nazis wurden nicht nur Sinti und Roma ermordet. Entweder muss man auch die anderen großen Volksstämme wie Lalleri, Manusch oder Kalé nennen oder ganz auf die Namen der Volksstämme verzichten und eine neutrale Inschrift wählen.

Die Allianz hat deshalb einen Gegenvorschlag gemacht:

Wir gedenken aller Kinder, Frauen und Männer, die von den Nationalsozialisten in ihrem menschenverachtenden Rassenwahn als Zigeuner in Deutschland und Europa verfolgt und ermordet wurden. Wir trauern um alle Opfer dieses systematisch geplanten Völkermordes. Ihre Leidensgeschichte soll den nachfolgenden Generationen als Mahnung dienen.

Der Zentralrat lehnt den Begriff „Zigeuner“ in der Inschrift jedoch vehement ab. Romani Rose sagte dazu:

Das ist eine Terminologie, die die Nazis geprägt haben. Das können wir unseren Holocaust-Überlebenden nicht zumuten.

Der Verein schäft qwant entgegnet als Vertretung der Jenischen:

Ein Mahnmal, das allen „als Zigeuner“ verfolgten Menschen gerecht werden soll, darf die den „Sinti und Roma“ nicht verwandten Jenischen nicht ausschließen. Da die ethnisch verwandten Gruppen der Roma und Sinti einerseits und die Jenischen andererseits jeweils nur für sich selbst sprechen können, bleibt die Verantwortung eines allen Opfern gerecht werdenden Textes beim Erbauer des Mahnmals.

Die frühere Kulturstaatsministerin Christina Weiss versuchte, einen Kompromiss zu finden, konnte aber bisher keine überzeugenden Vorschläge anbieten. Sie warnte, wenn kein Kompromiss gefunden werden könne, werde ein Mahnmal gebaut, auf dem der Streit dokumentiert sei.

Historische Einordnung

Mit der völkerrechtlichen Anerkennung 1982 begann auch in der historischen Einordnung des Porajmos ein allmähliches Umdenken. Im Historikerstreit von 1986ff wurde die Singularität (Einzigartigkeit) der Shoa, nicht aber der Porajmos thematisiert. Mit der Diskussion um ein Mahnmal für die unter den Nationalsozialisten als „Zigeuner“ verfolgten Völker lebte dieser Streit wieder auf. Dabei wurden immer mehr Argumente, wonach der Porajmos nicht ebenso singulär wie die Shoa war, historisch widerlegt.

Die meisten beteiligten Historiker sehen den Porajmos dennoch als mit der Judenvernichtung nur bedingt vergleichbar an. Sie beziehen sich dabei nicht nur auf das Ausmaß, sondern auch auf die ideologische Vorbereitung, Planung, systematische Durchführung und das Ziel dieser Massenmorde. Eberhard Jäckel sprach von „Legendenbildungen bezüglich der Zigeuner, die sich sehr geschickt den verfolgten Juden gleichstellen möchten“. Dem widersprach Wolfgang Wippermann mit einer Neuveröffentlichung zum Pojramos 2005. Auch einige Historiker in den USA weisen darauf hin, dass die Nationalsozialisten die „Zigeuner“ noch vor den Juden zur Vernichtung ausersehen und teilweise noch rigider als diese verfolgt hätten.[7]

In der Schweiz erarbeitete die Historikerkommission „Schweiz - 2. Weltkrieg“ eine eigene Dokumentation zum Thema.[8] Seit März 1997 zeigt das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg eine ständige Ausstellung zum nationalsozialistischen Völkermord an dieser Minderheit.

Während über die Inschrift gestritten wird, warten die Jenischen noch auf eine vollständige politische Anerkennung ihrer Verfolgung. In anderen Ländern werden Roma immer noch verfolgt. Den Streit um das Mahnmal und die Nichtanerkennung des Porajmos als gleichrangig mit der Shoa erleben viele Sinti, Roma und Jenische als schmerzhafte Verharmlosung dieses Massenmords und als Zeichen dafür, dass sie immer noch als „Opfer zweiter Klasse“ betrachtet und behandelt werden.

Einzelbelege

  1. Andrew Rocco Merlino D'Arcangelis: Die Verfolgung der sozio-linguistischen Gruppe der Jenischen (auch als die deutschen Landfahrer bekannt) im NS-Staat 1934 - 1944 (Links zu Volltext in 2 pdf-Dateien)
  2. Artikel Zigeuner, in: Enzyklopädie des Holocaust, Hrsg. Israel Gutman, München 1998, S. 1631
  3. Himmlers „Auschwitz-Befehl“ vom 16. Dezember 1942
  4. Jan Parcer: Gedenkbuch. Die Sinti und Roma im KZ Auschwitz-Birkenau (Ksiega Pamieci. Cyganie w obozie Koncentracyjnym Auschwitz-Birkenau), 2 Bände, Saur KG 1993
  5. Dieter Pohl: Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit 1933-1945, Darmstadt 2003, S. 111-115
  6. zitiert nach: Dokumentations- und Kulturzentrum der deutschen Sinti und Roma, ständige Ausstellung in Heidelberg
  7. William A. Duna (University of Minnesota): Gypsies: A Persecuted Race. Gypsies in Nazi Germany
  8. Roma, Sinti und Jenische. Schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus.

Literatur

  • Guenter Lewy: „Rückkehr nicht erwünscht“ - Die Verfolgung der Zigeuner im Dritten Reich. Propyläen Verlag, München 2001, ISBN 3549071418
  • Till Bastian: Sinti und Roma im Dritten Reich. Geschichte einer Verfolgung. C.H.Beck, 2001, ISBN 3406475515
  • Michail Krausnick: Wo sind sie hingekommen? Der unterschlagene Völkermord an den Sinti und Roma. Psychosozial-Verlag, 2002, ISBN 3883500380
  • Wolfgang Wippermann: „Auserwählte Opfer?“ Shoah und Porrajmos im Vergleich. Eine Kontroverse. Frank & Timme Verlag, Berlin 2005, ISBN 3865960030 (Rezension von Jan Süselbeck)