Hämostase
Die Hämostase (von griechisch αἱματ=Hämat, „Blut“ und στάσις=Stasis, „Stauung“, „Stockung“, „Stillstand“; auch: Blutstillung, Stypsis) ist ein lebenswichtiger Prozess, der bei Verletzungen der Blutgefäße die entstehenden Blutungen zum Stehen bringt. Dadurch wird der übermäßige Austritt von Blut aus dem Blutkreislauf verhindert und die Voraussetzung für eine Wundheilung geschaffen. Die Blutstillung muss im Fall einer Verletzung hinreichend schnell einsetzen, um größeren Blutverlust zu vermeiden. Sie muss auf den Bereich der Verletzung beschränkt bleiben und darf nicht fälschlicherweise durch andere Ereignisse wie Entzündungen oder Infektionen ausgelöst werden.
Bei der Blutstillung sind die Blutplättchen (Thrombozyten), die innere Auskleidung des betroffenen Blutgefäßes (Gefäßendothel), Gewebe außerhalb des Gefäßes sowie im Blutplasma enthaltene Gerinnungsfaktoren beteiligt. Vereinfacht dargestellt verengt sich das Gefäß zunächst, dann heften sich Blutplättchen an das Leck, verkleben untereinander und stellen so den ersten Wundverschluss her (zelluläre Hämostase). Bei der sich anschließenden plasmatischen Hämostase wird dieser noch lose Verschluss durch die Aktivierung des plasmatischen Gerinnungssystems verstärkt: Es bildet einen festen Pfropfen aus Fibrin, der sich nach abgeschlossener Gerinnung zusammenzieht. Ein genetischer Defekt von Gerinnungsfaktoren kann zu Krankheiten wie der Hämophilie führen.
Fibringerinnsel werden später durch das fibrinolytische System des Blutplasmas aufgelöst. Die gleichzeitig einsetzende Wundheilung wird durch Wachstumsfaktoren initiiert, die von Thrombozyten und Endothelzellen abgegeben werden.
Als Blutstillung wird der gesamte Prozess, als Blutgerinnung nur die plasmatische Hämostase bezeichnet. Dieser Artikel beschreibt die Hämostase beim Menschen. Die Aussagen treffen überwiegend auch auf andere Säugetiere zu, aber nur eingeschränkt auf andere Tierklassen.
Physiologische Vorgänge nach einer Gefäßverletzung

Nach Verletzung kleinerer Gefäße kommt eine Blutung üblicherweise zügig zum Stehen. Die dafür verantwortliche Hämostase kann als Abfolge der folgenden Prozesse betrachtet werden:
- Zelluläre Hämostase: Anheftung (Adhäsion) und Verkleben (Aggregation) von Thrombozyten, Aktivierung weiterer Thrombozyten und Bildung eines verschließenden, weißen Thrombozytenthrombus. Außerdem wird durch die Ausschüttung von Substanzen eine Vasokonstriktion, also eine Gefäßverengung, ausgelöst. Dies verringert den Blutfluss und minimiert so den Blutverlust.
- Plasmatische Hämostase: Bestandteile des Blutplasmas erzeugen ein Maschenwerk aus mechanisch stabilen Fibrinfäden, das einen roten Thrombus bildet, der sich schließlich verfestigt und zusammenzieht.
Diese Unterteilung dient in erster Linie dem einfacheren Verständnis. Zwischen den Prozessen bestehen enge funktionelle und zeitliche Beziehungen, eine scharfe Abgrenzung ist nicht möglich.
Zelluläre Hämostase
Das Blut eines Menschen enthält im Normalfall zwischen 150.000 und 400.000 Thrombozyten pro Mikroliter.[1] Die innere Zellschicht von Blutgefäßen wird als Endothel bezeichnet. Diese ist innen mit einer Glykokalyx, einer Art Schleimschicht, überzogen, für die Thrombozyten keine Rezeptoren haben. Daher bleiben Thrombozyten in unverletzten Gefäßen inaktiv und können sich nicht anlagern. Verschiedene Faktoren wirken einer Aktivierung ebenfalls entgegen, z. B. Heparin, Prostacyclin und Stickstoffmonoxid.

Thrombozytenadhäsion und Aktivierung
Wenn ein Gefäß verletzt wird, kommt das Blut mit dem umliegenden Bindegewebe in Berührung, unter anderem mit Kollagenfasern. Kollagen ist ein Strukturprotein, das nahezu überall im Extrazellularraum vorhanden ist. Die Thrombozyten heften sich zunächst an diese Fasern an (Thrombozytenadhäsion), was zur Ausbildung einer dünnen Bedeckung der Wunde führt[2]. Die Adhäsion (Anheftung) wird durch den von-Willebrand-Faktor (vWF) vermittelt, einem löslichen Blutprotein, welches von Endothelzellen und Megakaryozyten gebildet wird. Er stellt zusammen mit Fibronektin und Laminin eine Verbindung zwischen Kollagenfasern und einem Rezeptor auf den Thrombozyten (GP Ib/IX) her. Ein Defekt dieses Mechanismus tritt beim Bernard-Soulier-Syndrom auf.
Durch die Anlagerung der Thrombozyten werden sie aktiviert: Sie setzen Calcium-Ionen, ADP, Serotonin, Thromboxan A2 und weitere Stoffe frei. Dadurch werden weitere Thrombozyten angelockt. Thromboxan A2 trägt außerdem maßgeblich zur Verengung des Blutgefäßes bei, die einem hohen Blutdurchfluss entgegenwirkt.[3] Auch der Inhalt der sogenannten „elektronendichten α-Granula“ der Thrombozyten wird ausgeschüttet: Gerinnungsfaktoren (Faktor V, Faktor VIII), Klebstoffe (vWF, Fibronektin, Thrombospondin) und Wachstumsfaktoren. Durch Aktivierung verschiedener Stoffwechselwege werden vermehrt Substanzen wie Thromboxan A2 und der PAF (Platelet Activating Factor, plättchenaktivierender Faktor) gebildet. Einige dieser Stoffe induzieren die plasmatische Gerinnung.
Thrombozytenaggregation
- Hauptartikel: Thrombozytenaggregation
Die Zusammenlagerung (Aggregation) der aktivierten Thrombozyten wird gefördert durch eine Umorganisation des Zytoskeletts, die eine Vergrößerung der Zelloberfläche um ein Mehrfaches bewirkt. Während die Thrombozyten inaktiv Linsenform haben, nehmen sie im aktiven Zustand Kugelform an und tragen dabei lange Pseudopodien (Schein-Füßchen), mit deren Hilfe sie sich untereinander einhaken können – die Thrombozyten werden „stachelig“ und „klebrig“.
Die aggregierten Thrombozyten bilden schließlich einen Thrombozyten-Pfropf, der als weißer Thrombus bezeichnet wird. Damit endet die zelluläre Hämostase. Normalerweise dauert der Prozess ein bis vier Minuten, diese Dauer wird als Blutungszeit bezeichnet.
Der weiße Thrombus ist nicht allzu stabil und kann weggeschwemmt werden. Einen festeren Verschluss bildet die Plasmatische Hämostase.
Plasmatische Hämostase

Die plasmatische Hämostase bildet ein Maschenwerk aus mechanisch stabilem Fibrin, in das neben Thrombozyten auch rote Blutkörperchen (Erythrozyten) eingefangen werden, daher „roter Thrombus“.
Aktivierte Thrombozyten haben auf der Zellmembran einen Rezeptorkomplex (Glycoprotein IIb/IIIa), an welchen Fibrinogen aus dem Plasma und die aus den aktivierten Thrombozyten freigesetzten Haftstoffe (Fibrinogen, Thrombospondin) binden. Rückkopplungsmechanismen der ausgeschütteten Stoffe führen schließlich zu einer irreversiblen Aggregation, bei der die Zellmembranen der Thrombozyten miteinander verschmelzen. [4]
Diese sekundäre Blutstillung, die Blutgerinnung, wird auch als Gerinnungskaskade bezeichnet. Sie wird in drei Phasen unterteilt: Aktivierungs-, Koagulations- und Retraktionsphase.
Aktivierungsphase
Bisweilen werden zwei Mechanismen differenziert, welche die plasmatische Hämostase starten können: Ein exogener und ein endogener Mechanismus. Diese strenge Unterteilung gilt jedoch als veraltet. Sie basiert teilweise auf heute als falsch angesehenen Voraussetzungen. Das modernere System ist zellbasiert [5]. Trotzdem werden in diesem Artikel beide Mechanismen behandelt, da die Blutgerinnung auch durch den wahrscheinlich physiologisch unbeutenden endogenen Mechanismus ausgelöst werden kann. Beide Mechanismen führen letztendlich zur Aktivierung von Faktor X, welcher wiederum die Bildung von Thrombin (Faktor II) auslöst, das für die Polymerisation von Fibrin und damit die Bildung des roten Thrombus verantwortlich ist. Siehe dazu die Abbildung rechts.
Extrinsisches System (Exogener Mechanismus)
Der exogene Mechanismus wird durch Kontakt von Blut mit Gewebethromboplastin (Tissue Factor, TF) aus verletztem subendothelialen Gewebe initiiert. Der Tissue Factor ist ein Membranprotein, welches beispielsweise in der Adventitia von Blutgefäßen vorkommt – von Endothelzellen selbst wird er nur nach Aktivierung freigesetzt. Dieser bildet einen Komplex mit Faktor XII, der in seine aktive Form überführt wird. Durch die Aktivierung von Faktor XII wird die Aktivierung der Faktoren IX und VIII, die gemeinsam einen Komplex bilden, induziert. Der Komplex von IX und VIII aktiviert für sich die Ausbildung eines Komplexes der Faktoren V und X. Prothrombin (Faktor II) wird von Faktor Xa gespalten, wobei Thrombin (Faktor IIa, also aktivierter Faktor II) entsteht (siehe Abbildung rechts). Diese Reaktion findet nur in Anwesenheit von Calcium auf der mit Phospholipiden besetzten Thrombozyten-Membran statt und wird durch Rückkopplung mit dem Komplex der Faktoren VIII und IX stark beschleunigt.
Intrinsisches System (Endogener Mechanismus)
Durch den Kontakt mit negativ geladenen Oberflächen wie zum Beispiel Glas werden die Faktoren XII und XI aktiviert, die ebenfalls eine Gerinnungskaskade in Gang setzen (siehe Abbildung rechts). Man geht heute davon aus, dass dies physiologisch unbedeutend ist. [6] Wird der Faktor XI bei einem Individuum nicht gebildet, hat dies keine bedeutende Störung der Gerinnung zur Folge.
Auch beim endogenen Mechanismus wird schließlich Prothrombin (Faktor II) von Faktor Xa gespalten, wobei Thrombin (Faktor IIa, also aktivierter Faktor II) entsteht. Beide Mechanismen münden also in die selbe Endstrecke (siehe Abbildung rechts).
Koagulations- und Retraktionsphase
Die Aktivierungsphase endet mit der Bildung von enzymatisch aktivem Thrombin (Faktor IIa). In der folgenden Koagulationsphase spaltet Thrombin aus Fibrinogen (Faktor I), der inaktiven Vorstufe des Blutproteins Fibrin, niedermolekulare Einheiten (Fibrinopeptide), welche Fibrinmonomere bilden, die sich nichtkovalent zu einem Fibrinpolymer zusammenlagern. Durch Wirkung des Faktors XIII werden zwischen den Monomeren schließlich kovalente Bindungen geknüpft und der Thrombus stabilisiert. Das Fibrin vernetzt die schon aneinandergelagerten Thrombozyten, und festigt damit den Wundverschluss. In das Netz werden rote Blutkörperchen eingefangen, ein sogenannter roter Thrombus bildet sich. Das Thrombin bewirkt weiterhin eine Kontraktion des Aktin-Myosin-Skeletts innerhalb der Thrombozyten: Die sich kontrahierenden Thrombozyten ziehen am Fibrinnetz und somit die Wundränder zusammen und verschließen die Wunde mechanisch. Durch das Zusammenziehen und unterstützt durch den PDGF (platelet-derived growth factor) wird außerdem das Eindringen von Bindegewebszellen, die der Wundheilung dienen, gefördert.
Das Fehlen der Faktoren VIII oder IX führt zur Hämophilie, der Bluterkrankheit. Durch das Fehlen dieser Faktoren wird die Kaskade unterbrochen und die Verstärkung der Gerinnung bleibt aus, was fatale Folgen haben kann. Die Patienten können an kleinsten inneren Verletzungen verbluten.
Übergang zur Wundheilung
- Hauptartikel: Wundheilung, Fibrinolyse
Infolge der plasmatischen Hämostase erfolgt die Wundheilung, indem Bindegewebsbildner (Fibroblasten) in den Thrombus einwachsen und ihn bindegewebig umbauen. Dabei sterben beschädigte Zellen ab und werden abgebaut.
Für den Abbau der Thromben ist vor allem ein Protein namens Plasmin zuständig, das ebenfalls durch kompliziert regulierte Mechanismen aus einer inaktiven Vorstufe (Plasminogen) gebildet wird. Plasmin löst die kovalenten Bindungen zwischen den Fibrin-Strängen auf und damit das Netz, das den Thrombus festhält.
Zwischen den Systemen der Blutgerinnung und dem System der Fibrinolyse (die die Aufgabe hat, den roten Thrombus im Gefäßsystem wieder aufzulösen) bestehen abgestimmte Gleichgewichte. Geringfügige Störungen dieser Gleichgewichte können zu schwerwiegenden Blutungen oder zur Bildung von Thromben an Orten führen, an denen keine Verletzung vorliegt.
Gerinnungsfaktoren
Gerinnungsfaktoren sind Eiweißstoffe (Proteine) im menschlichen Blut. Ihre biologische Funktion besteht darin, nach Aktivierung mit den Blutplättchen zu verkleben und entstandene Lecks im Gefäßsystem dadurch abzudichten (s.o.) Jedem Faktor ist eine römische Zahl zugewiesen.
Ein kleines a hinter der Zahl bedeutet, dass er in der aktiven Form vorliegt. Aus historischen Gründen existiert VI nicht mehr, er entspricht Va.
Nummer | Name(n) | Funktion |
---|---|---|
I | Fibrinogen | bildet das Fibrinnetz |
II | Prothrombin | Die aktive Form Thrombin (IIa) aktiviert die Faktoren I, V, VII und XIII. |
III | Thromboplastin, Tissue factor (TF) | im subendothelialen Gewebe, Kofaktor von VIIa. |
IV | Calcium | Viele Faktoren benötigen das Kalzium-Kation Ca2+, um an die negativ geladenen Phospholipide der Plasmamembranen zu binden. |
V | Proaccelerin | Kofaktor von X, mit dem es einen Komplex bildet. |
VII | Proconvertin | aktiviert IX und X, wird durch Kontakt mit TF aktiviert |
VIII | Antihämophiles Globulin A | Kofaktor von IX, mit dem es einen Komplex bildet |
IX | Christmas-Faktor, Antihämophiles Globulin B | aktiviert X, bildet einen Komplex mit VIII. |
X | Stuart-Prower-Faktor | aktiviert Prothrombin, bildet einen Komplex mit VII |
XI | Rosenthal-Faktor, Plasma Thromboplasmin Antecedent (PTA) | aktiviert XII und IX |
XII | Hageman-Faktor | aktiviert die Fibrinolyse |
XIII | Fibrinstabilisierender Faktor | stabilisiert Fibrin durch Bildung von Quervernetzungen |
Inhibitoren
Das Blutplasma enthält Proteaseinhibitoren, welche die Bildung von Fibrin hemmen. Antithrombin ist ein bedeutender Hemmer mehrerer Gerinnungsproteasen in der Aktivierungsphase und Koagulationsphase. Die inhibitorische Wirkung wird durch seinen Kofaktor, das Heparin, deutlich verstärkt. Heparin wird im Körper von Endothelzellen und Mastzellen gebildet. Ein Stoff namens Thrombomodulin, der ebenfalls aus dem Endothel stammt, bindet an Thrombin und aktiviert Protein C, einen Inhibitor, der nach Bindung an Protein S die Cofaktoren Va und VIIIa inaktiviert.
Forschungsgeschichte
Die ersten Theorien zur Blutgerinnung beruhten vor allem auf der Humoralpathologie. Man brachte die Gerinnung mit Schwarzer Galle in Verbindung. Ab dem 17. Jahrhundert wurde mit der Untersuchung der physiologischen und molekularen Mechanismen begonnen.[7] Alexander Schmidt (1831–1894) stellte 1876 eine Gerinnungstheorie auf, die auf miteinander wechselwirkenden Proteinen basierte. Auch die Rolle des Kalziums wurde von ihm beschrieben.[7] Lange wurde diskutiert, welche Stoffe zur Gerinnung wirklich nötig sind und ob die zelluläre oder die plasmatische Phase die bedeutendere sei.
Im Jahr 1904 beschrieb Paul Morawitz das System schon fast so, wie es heute bekannt ist. Er prägte den Begriff der plasmatischen Gerinnung und beschrieb die folgenden zwei Phasen:
Die molekularen Mechanismen der Blutgerinnung wurden zum größten Teil im Laufe des 20. Jahrhunderts entdeckt. Ein erster Hinweis auf die Komplexität der Mechanismen der Blutgerinnung war die Entdeckung von Proaccelerin durch Paul Owren (1905–1990) im Jahre 1947, welches als Faktor V bezeichnet wurde. Die komplette Aminosäuresequenz wurde 1987 durch Jenny et al. veröffentlicht.[8] Owren vermutete bereits, dass dieser Faktor Accelerin produziert, das er als Faktor VI bezeichnete. Später stellt sich heraus, dass V die inaktive Vorstufe von VI ist. Deshalb wird Faktor VI nun als Va bezeichnet.
Der Faktor IX wurde 1952 in einem jungen Patientin mit Hämophilie B namens Stephen Christmas entdeckt und heißt deshalb Christmas-Faktor.[9] Amerikanische Forscher entdeckten, dass das Fehlen eben dieses Faktors die Krankheit auslöste.
Viele der anderen Faktoren wurden ebenfalls in den 1950er Jahren entdeckt und häufig nach den Patienten benannt, in denen sie gefunden wurden. Deshalb existieren noch viele Trivialnamen. Details zu deren Entdeckung lassen sich bei den jeweiligen Artikeln der einzelnen Faktoren finden.
Erst in neuerer Zeit wurde entdeckt, dass der intrinsische Weg in der Physiologie wohl keine Rolle spielt.[10]
Klinische Bedeutung
Medikamentöse Beeinflussung der Hämostase
- Der Hauptartikel zu Medikamenten zur Gerinnungshemmung findet sich unter Antikoagulation
Vor, während und nach Operationen sowie bei Bettlägerigkeit aus anderer Ursache werden häufig vorübergehend gerinnungshemmende zur Vermeidung von Thrombosen und Lungenembolien eingesetzt. Diese Vorgehensweise wird Thromboseprophylaxe genannt.
Häufigster Grund für eine längerfristige therapeutische Antikoagulation ist heutzutage das Vorhofflimmern oder -flattern. Bei dieser Herzrhythmusstörung besteht ein erhöhtes Embolierisiko, das bei vielen Patienten durch die Blutverdünnung gesenkt werden muss. Zweithäufigster Grund sind Thrombosen (meist der Beinvenen), hier soll die Antikoagulation in der Akutphase die weitere Ausdehnung der Thrombose und später ein Wiederauftreten (Rezidiv) verhindern.
Heparin
Zur medikamentösen Gerinnungshemmung in vivo können Heparin und Heparinoide eingesetzt werden. Es handelt sich um eine extrem stark negativ geladene Kette aus Zuckern, die sich an das schon erwähnte Protein Antithrombin heftet. Dieser Komplex bindet nun wirksamer die Faktoren Thrombin und Xa, die außer Kraft gesetzt werden: Die Gerinnungskaskade kommt zum Erliegen. Die Wirkung setzt nach intravenöser Gabe sofort ein. Heparin wird üblicherweise aus tierischen Geweben gewonnen.
Cumarine
Eine weitere Möglichkeit sind sogenannte Vitamin-K-Antagonisten wie Cumarin. Vitamin K wird zur Synthese der meisten Gerinnungsfaktoren als Coenzym benötigt. Cumarin wirkt in der Leber und verhindert die Reduktion von Vitamin K (Phyllochinon). Dieses wirkt bei der γ-Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren (II, VII, IX, X) mit und wird dabei selbst oxidiert (Abgabe von Elektronen). Ohne eine darauffolgende Reduktion (Aufnahme von Elektronen) bleibt Vitamin K funktionslos. Die Wirkung setzt zwar erst nach einer gewissen Zeit ein, dafür kann die Gabe oral erfolgen.
Acetylsalicylsäure
Acetylsalicylsäure (Aspirin) kann in die Thrombozytenaggregation, also in die zelluläre Hämostase, eingreifen. Eine Cyclooxygenase (COX), die für die Synthese des Plättchenfaktors Thromboxan A2 benötigt wird, wird irreversibel durch Anheftung eines Essigsäure-Restes gehemmt.
Hemmung in vitro
In vitro, z. B. in Blutröhrchen, kommen häufig EDTA und Citrat zum Einsatz, Chelatoren, die einen unlöslichen Komplex mit den zur Gerinnung nötigen Kalzium-Kationen bilden. Eine Gerinnungshemmung mit Heparin ist in vitro ebenfalls möglich. Die Auswahl des Gerinnungshemmers erfolgt nach dem Gesichtspunkt, welche Untersuchung später mit dem ungerinnbar gemachten Blut geplant ist. Für Untersuchungen der Gerinnung selbst wird fast ausschließlich Citrat als Gerinnungshemmer verwendet, indem die Blutprobe im Verhältnis 9+1 mit einer 3,2%igen Natriumcitrat-Lösung verdünnt wird. Man verwendet dazu in der Regel industriell vorgefertigte Röhrchen, die bereits 0,3 ml Natriumcitratlösung enthalten und dann mit 2,7 ml Blut aufgefüllt werden. Für die Zuverlässigkeit der daraus erstellten Analysen ist es wichtig, dass dieses Mischungsverhältnis genau eingehalten und die Blutprobe sofort nach Gewinnung sorgfältig mit der Natriumcitrat-Lösung vermischt wird.
Gerinnungszeit
Zur Bestimmung der Gerinnungszeit dienen in der labormedizinischen Diagnostik
- der Quick-Wert zur selektiven Funktionsbestimmung des exogenen Systems durch Zugabe von Tissue-Faktor und Ca2+ zur Blutprobe und anschließender Bestimmung der Gerinnungszeit im Vergleich zu Normalblut, beispielsweise bei einer Cumarintherapie und
- die INR, die den Quick-Test zunehmend ersetzt. Sie bietet eine bessere Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Laboratorien.
- die PTT (Partial Thromboplastine Time) zur selektiven Funktionsbestimmung des endogenen Systems und des gemeinsamen Weges der Blutgerinnung.[11]

Diese Untersuchungen werden als Globalteste der Gerinnung bezeichnet. Sie können nur ein Zuwenig an Gerinnung und die meisten damit verbundenen Krankheiten erkennen und zur Überwachung einer Behandlung dienen, nicht jedoch ein Zuviel (Thrombophilie). Für die Thrombophilie existiert zur Zeit kein geeigneter Suchtest, vielmehr müssen bei entsprechendem Verdacht alle möglichen Ursachen einzeln ausgeschlossen werden.
Eine Beurteilung des Quick-Werts und der PTT im Zusammenhang mit einer Blutungsneigung sollte immer die Zahl und ggf. Funktion der Blutplättchen (Thrombozyten) mit einbeziehen.
Arterielles Blut gerinnt schneller als venöses, was auf die Differenzen im Gasgehalt zurückzuführen ist. Die Gerinnung arteriellen Bluts kann durch Zuführung von Kohlensäure verlangsamt, die des Venenbluts aber durch Vermehrung seines Sauerstoffgehalts beschleunigt werden. Die Verschiedenheiten in der Temperatur der beiden Blutarten sind viel weniger regelmäßig, denn während in Organen mit sehr lebhaftem Stoffwechsel (z. B. Drüsen und Muskeln) das abfließende Blut wärmer ist als das eintretende, zeigen Organe mit nur unbedeutenden Wärmebildungsvermögen (z. B. die äußere Haut) ein umgekehrtes Verhalten.
Bedeutung bei Krankheiten
Grundsätzlich kann das Gleichgewicht zwischen Blutstillung und Fibrinolyse in zwei entgegengesetzte Richtungen entgleisen: Das Zuviel an Gerinnung wird als Thrombophilie bezeichnet (die dabei entstehenden, Krankheit verursachenden Blutgerinnsel werden als Thrombus beziehungsweise Embolus bezeichnet), das Zuwenig als Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese). Eine Blutungsneigung kann dabei auch als Folge einer zuvor stattgefundenen starken Gerinnungsaktivierung mit Verbrauch von Gerinnungsfaktoren entstehen.
Blutungsneigung
Das Fehlen von vielen Gerinnungsfaktoren der plasmatischen und zellulären Gerinnung kann zu teilweise lebensbedrohlichen Krankheiten führen, wie zum Beispiel dem Willebrand-Jürgens-Syndrom, dem häufigsten angeborenen Blutungsleiden. Bei Erbkrankheiten wie Hämophilie sind bestimmte Faktoren aufgrund genetischer Defekte nicht oder nur wenig ausgeprägt. Dies betrifft mit Abstand am häufigsten den Gerinnungsfaktor VIII (Hämophilie A), selten auch den Gerinnungsfaktor IX (Hämophilie B).
Neben angeborenen Formen der Blutungsneigung, die in der Regel durch genetische Defekte einzelner Komponenten der Blutstillung bedingt sind, gibt es auch erworbene Zustände, die zu einer verstärkten Blutungsneigung führen. Die plasmatische Gerinnung kann z. B. durch einen Vitamin-K-Mangel beeinträchtigt werden. Dadurch können die Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X in der Leber nicht mehr ausreichend carboxyliert werden, was zu einem funktionellen Mangel und in der Folge insbesondere bei frühgeborenen Säuglingen zu schweren Hirnblutungen führen kann. Da alle Gerinnungsfaktoren in der Leber produziert werden, kommt es im Rahmen schwerer Lebererkrankungen nahezu regelhaft zu einem Mangel an Gerinnungsfaktoren mit der Folge einer erhöhten Blutungsgefahr. Ein ausgeprägter Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) führt ebenfalls zu einer Blutungsneigung.
Eine disseminierte intravasale Koagulopathie ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, bei der durch einen abnormal hohen Spiegel körpereigener Botenstoffe wie Histamin, Serotonin und Adrenalin eine übermäßig stark ablaufende Blutgerinnung stattfindet. Dabei kommt es zu einem hohen Verbrauch der plasmatischen Gerinnungsfaktoren, die vom Körper nicht ausreichend schnell ersetzt werden können. Man spricht daher auch von einer Verbrauchskoagulopathie.
Thrombosen und Embolien
- Hauptartikel: Thrombose
Die Thrombose ist eine Gefäßerkrankung, bei der sich ein Blutgerinnsel (Thrombus) in einem Gefäß bildet. Ursachen dafür können in Schäden der Gefäßwand und generell in einem verminderten Blutdurchstrom gefunden werden. Doch auch Gerinnungsstörungen spielen hier eine große Rolle: So kann eine erbliche oder medikamentös herbeigeführte erhöhte Gerinnungsneigung schnell zu Thrombosen führen. Deshalb müssen beispielsweise auch bei langer Ruhigstellung der Beine Gegenmaßnahmen wie Thrombosestrümpfe oder gerinnungsfördernde Mittel wie Heparin oder Marcumar gegeben werden.
Eine Embolie ist ein Thrombus, der von seinem Entstehungsort fortgeschwemmt wurde. Das kann zu schweren Komplikationen bis zum Hirninfarkt führen.
Thrombophilie
Es gibt eine Vielzahl an angeborenen und erworbenen Krankheiten, bei denen eine erhöhte Gerinnungsneigung besteht. Alle haben gemeinsam, dass es vermehrt zu Gefäßverschlüssen wie Thrombosen und Embolien kommt. Bei manchen Erkrankungen ist das Hochdrucksystem der Schlagadern (Arterien) stärker betroffen, bei anderen das Niederdrucksystem der Venen. Die häufigsten und wichtigsten Thrombophilien sind:
- Faktor-V-Leiden (APC-Resistenz)
- Prothrombinmutation G20210A
- Antiphospholipid-Syndrom
- Mangel an Inhibitoren der Gerinnung, insbesondere Protein S und Antithrombin
- erhöhtes Homocystein
Eine Sonderform der Thrombophilie kann im Rahmen der Behandlung mit dem gerinnungshemmenden Medikament Heparin auftreten. Durch dieses Medikament werden in einigen Fällen paradoxerweise die Blutplättchen aktiviert, so dass diese verklumpen und die Gerinnungskaskade in Gang setzen. Dies kann zu schweren Thrombosen im gesamten Körper führen. Messbar ist dabei der Abfall der Zahl der Blutplättchen, daher wird das Krankheitsbild als Heparin-induzierte Thrombozytopenie (Typ II) bezeichnet.
Einzelnachweise und Quellen
- ↑ Robert F. Schmidt, Florian Lang, Gerhard Thews: Physiologie des Menschen. 29. Auflage. Springer, Berlin 2004, ISBN 3-540-21882-3, S. 524.
- ↑ Blood coagulation (en)
- ↑ Rainer Klinke, Hans-Christian Pape, Stefan Silbernagl (Hrsg.): Physiologie. 5. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2005, S. 247.
- ↑ Deetjen, Speckmann, Hescheler: Physiologie. 4. Auflage. Urban & Fischer, München 2006, ISBN 3-437-44440-9, S. 366.
- ↑ Joachim Rassow, Karin Hauser, Roland Netzker: Biochemie. 1. Auflage. Thieme, Stuttgart 2006, ISBN 3-13-125351-7, S. 742.
- ↑ Physiologie der Blutstillung
- ↑ a b Historische Konzepte zur Physiologie der Blutgerinnung, Uni Heidelberg
- ↑ Jenny RJ, Pittman DD, Toole JJ, Kriz RW, Aldape RA, Hewick RM, Kaufman RJ, Mann KG. Complete cDNA and derived amino acid sequence of human factor V. Proc Natl Acad Sci U S A. 1987;84:4846–50. PMID 3110773
- ↑ R. A. Biggs, A. S. Douglas, R. G. MacFarlane, J. V. Dacie, W. R. Pittney, C. Merskey and J. R. O’Brien: Christmas disease, a condition previously mistaken for haemophilia. British Medical Journal, London, 1952: 1378-1382
- ↑ Werlhof-Institut: Physiologie der Gerinnung
- ↑ B. Luxembourg et. al.: Basiswissen Gerinnungslabor Deutsches Ärzteblatt 104, Ausgabe 21 vom 25.05.2007, Seite A-1489
Literatur
- Joachim Rassow, Karin Hauser, Roland Netzker: Biochemie. 1. Auflage. Thieme, Stuttgart 2006, ISBN 3-13-125351-7.
- Werner Müller-Esterl: Biochemie. Eine Einführung für Mediziner und Naturwissenschaftler. 1. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Frankfurt 2004, ISBN 3-8274-0534-3.
- Roland Scholz: Medizinische Biochemie. 1. Auflage. Kap.11/12 : Biotransformation: Fremdstoffe, Häm, Cholesterin. Blutgerinnung und Fibrinolyse. Zuckerschwerdt, München 2003, ISBN 3-88603-822-X.
- Robert F. Schmidt, Florian Lang, Gerhard Thews: Physiologie des Menschen. 29. Auflage. Springer, Berlin 2004, ISBN 3-540-21882-3.
- Monika Barthels, Mario von Depka: Das Gerinnungskompendium. 1. Auflage. Thieme, Stuttgart 2003, ISBN 3-13-131751-5.