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Michael Wildt

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Michael Wildt (* 1954 in Essen) ist ein deutscher Historiker.

Leben

Michael Wildt war nach einer Ausbildung zum Buchhändler Mitarbeiter des Rowohlt-Verlages in Reinbek bei Hamburg, bevor er Geschichte, Evangelische Theologie, Soziologie und Kulturwissenschaft an der Universität Hamburg studierte. Er promovierte 1991 mit einer Studie über die Entwicklung des Konsums in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er Jahren.

Von 1991 bis 1997 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg. Seit 1997 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) im Arbeitsbereich „Theorie und Geschichte der Gewalt“.

2001 habilitierte Wildt sich für das Fach Neuere Geschichte an der Universität Hannover wo er Lehrbeauftragter sowie 2005 bis 2006 außerordentlicher Professor war. Im Wintersemester 2001/2002 war er Forschungsmitarbeiter am International Institute for Holocaust Research in Yad Vashem, Jerusalem. Seit dem Wintersemester 2006/2007 lehrt er am Historischen Seminar der Universität Hamburg, wo er im Februar 2007 zum Professor ernannt wurde.

Wissenschaftliches Wirken

Der Forschungsbereich von Michael Wildt liegt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Nationalsozialismus und Antisemitismus, den Ordnungskonzepten und Weltanschauungen.

Seine erste große Studie über das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) wurde 2002 unter dem Titel Generation des Unbedingten publiziert. Darin beschreibt er anschaulich unter den Gesichtspunkten „Generation“, „Institution“ und „Krieg“ die intellektuelle Elite aus Reinhard Heydrichs „kämpfender Verwaltung“.

„Ein Amalgam aus konzeptioneller Radikalität, neuen Institutionen und einer auf keine Grenzen stoßenden Machtpraxis im Krieg konnte jenen Prozess der Radikalisierung freisetzen, der im Völkermord mündete.“

Michael Wildt: Generation des Unbedingten, S. 870f.

Wildt untersucht die Täter sowohl übergreifend als auch mit biographischen Fallstudien wie etwa zu Hans Ehlich, Erwin Schulz oder Martin Sandberger. Das RSHA sei eine „Institution neuen Typs“ gewesen, eine „Institution der Bewegung“, aber vor allem eine „politische Institution“. Wichtig für die Auswahl des Personals war der Einsatz, der praktizierte Terror, der sich in vielen Fällen im angeleiteten, aber auch im eigenhändigen Judenmord im Osten, in „völkischer Flurbereinigung“ manifestiert habe[1] – so dass eine Charakterisierung als Schreibtischtäter oder Bürokraten in die Irre führe.[2]

Das nächste Projekt Wildts[3] befasste sich mit der Volksgemeinschaftsideologie und dem Antisemitismus mit einem Fokus auf der Gewalt gegen Juden in Deutschland zwischen 1930 und 1939. Es untersuchte die Transformation einer bürgerlichen Gesellschaft, die Herstellung der Volksgemeinschaft durch die Praxis der Gewalt. Hierbei stützte Wildt sich auf Berichte der Ortsgruppen des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, die Erinnerungsberichte deutscher Juden, auf Zeitungsberichte sowie auf Gestapo-Unterlagen. Das Projekt mündete in die Monographie Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung, die 2007 erschien.

Wildts laufendes, auf drei Jahre veranschlagtes Forschungsprojekt widmet sich den sogenannten „Ethnischen Säuberungen“. Er untersucht die gewalttätigen Konflikte in Europa darauf, wo und in welcher Form sich ethnische Morde und Vertreibungen auffinden lassen. Dies tut er vor allem mit Blick auf die Frage, wie ein „biopolitisches“ Konzept des „Volkes“ zur politischen Dominante in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde.

Schriften

  • Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939. Hamburger Edition, Hamburg 2007, ISBN 978-3-936096-74-3.
  • Die Transformation des Ausnahmezustands. Ernst Fraenkels Analyse der NS-Herrschaft und ihre politische Aktualität, in: Jürgen Danyel / Jan-Holger Kirsch / Martin Sabrow (Hg.): Fünfzig Klassiker der Zeitgeschichte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, S. 19–24, ISBN 3-525-36024-X.
  • Biopolitik, ethnische Säuberungen und Volkssouveränität. Eine Skizze. In: Mittelweg 36, Bd. 15, 2006, Heft 6, S. 87–106.
  • Hrsg. mit Ulrike Jureit: Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs. Hamburger Edition, Hamburg 2005, ISBN 978-3-936096-58-3.
  • Goebbels in Berlin. Eindrücke und Urteile von Zeitgenossen aus den Jahren 1926 bis 1932. In: Lutz Hachmeister, Michael Kloft (Hrsg.): Das Goebbels-Experiment. Propaganda und Politik. München 2005, S. 73–84, ISBN 3-421-05879-2.
  • Vertrautes Ressentiment. Der moderne Sozialstaat hat mit dem „Volksgemeinschafts“-Konzept des Nationalsozialismus nichts zu tun. Eine Antwort auf Götz Aly. In: Die Zeit, Nr. 19 vom 4. Mai 2005.
  • „Der Untergang“. Ein Film inszeniert sich als Quelle. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, Jg. 2, 2005, Heft 1, Link.
  • Himmlers Terminkalender aus dem Jahr 1937. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 52, 2004, Nr. 4, S. 671–693.
  • Ernst Fraenkel und Carl Schmitt: Eine ungleiche Beziehung. In: Daniela Münkel, Jutta Schwarzkopf (Hrsg.): Geschichte als Experiment. Festschrift für Adelheid von Saldern. Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37489-7.
  • Hrsg.: Nachrichtendienst, politische Elite, Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS. Hamburger Edition, Hamburg 2003, ISBN 3-930908-84-0.
  • Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes. Hamburger Edition, Hamburg 2002, ISBN 3-930908-75-1 (Inhaltsverzeichnis, PDF; Einleitung, PDF).
  • Gewaltpolitik. Volksgemeinschaft und Judenverfolgung in der deutschen Provinz 1932 bis 1935. In: WerkstattGeschichte 35, 2003, S. 23–44.
  • Hrsg. mit Peter Witte/Martina Voigt/Dieter Pohl/Peter Klein/Christian Gerlach/Christoph Dieckmann/Andrej Angrick: Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42, Hamburg 1999, ISBN 3-7672-1329-X.
  • Ethos der Tat. Claus Graf Schenk Graf von Stauffenberg. In: Ursula Breymayer/Bernd Ulrich/Karin Wieland (Hrsg.): Willensmenschen. Über politische Offiziere. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-596-14438-8.
  • Der Hamburger Gestapo-Chef Bruno Streckenbach. Eine nationalsozialistische Karriere. In: Frank Bajohr/Joachim Szodrzynski (Hrsg.): Hamburg in der NS-Zeit. Ergebnisse neuerer Forschungen. Ergebnisse, Hamburg 1995, ISBN 3-87916-030-9.
  • Die Judenpolitik des SD 1935–1938. Eine Dokumentation. München 1995 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 71), ISBN 3-486-64571-4.
  • Hrsg. mit Christa Fladhammer: Max Brauer im Exil. Briefe und Reden 1933–1946. Christians, Hamburg 1994, ISBN 3-7672-1219-6.
  • Am Beginn der „Konsumgesellschaft“. Mangelerfahrung, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnung in Westdeutschland in den fünfziger Jahren. Hamburg 1994 (zugl. Diss. 1991), ISBN 3-87916-022-8. Neuausg. 1996 u.d.T.: Vom kleinen Wohlstand. Eine Konsumgeschichte der fünfziger Jahre, ISBN 3-596-13133-2.

Einzelnachweise

  1. Generation des Unbedingten, S. 410–415.
  2. Generation des Unbedingten, S. 861.
  3. http://www.his-online.de/cms.asp?ModeMA=6&IDN=216&ID=71&Plugin=12&H='175'&T=0