Geschichte der Juden in Deutschland
Die Geschichte der Juden in Deutschland ist die einer Minderheit, die je nach Epoche sehr unterschiedlich dokumentiert ist. Juden leben vielleicht seit mehr als 1700 Jahren im heutigen Deutschland. In dieser Zeit erlebten sie sowohl Toleranz als auch antisemitische Gewalt, die im Holocaust am stärksten eskalierte.
Antike, Völkerwanderung und Frankenreich
Über die ältere Geschichte der Juden ist sehr wenig bekannt. Klar ist lediglich, dass Juden bereits unter römischer Herrschaft in den heute deutschen Gebieten lebten, die zum römischen Germanien gehörten. Für einige römische Siedlungen sind im 2. Jahrhundert auch jüdische Gemeinden nachgewiesen. Recht häufig hatten Juden wichtige Ämter in der Verwaltung der rätischen Provinz inne. Es ist möglich, dass nach dem Abzug der Römer und der germanischen Landnahme einige jüdische Siedlungen dort weiterbestanden. Die erste jüdische Gemeinde ist für 321 n. Chr. in Köln erwähnt. Auf der germanischen Seite des Rheines und nördlich der Donau lebten auf germanischem Gebiet dagegen keine Juden, zumindest sind sie in der Antike historisch nicht nachweisbar.
Wie die Juden dagegen nach der Völkerwanderung in die Gebiete rechts des Rheins und nördlich der Donau gelangten, ist weitgehend unerforscht. Erst in den letzten Jahren wird das Material anhand des Zentralarchivs zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland durchforscht. Für das Ostfrankenreich sind jüdische Gemeinden auf ehemals römischen Boden sicher nachweisbar. Ob es in den rheinischen Städten eine durchgehende jüdische Siedlung gab, ist ungewiss. Der erste namentlich bekannte Jude ist der Großkaufmann Isaac am Hof Karls des Großen.
Mittelalter

Im 10./11. Jahrhundert wanderten aus Italien und Südfrankreich Juden als Kaufleute in rheinische Städte ein und erlebten die dortigen jüdischen Gemeinden ihre Blütezeit. Sie erhielten sehr günstige Privilegien durch die ottonische und salische Politik (Kaiser Heinrich IV. (HRR)), um ihre Wirtschaftskraft zu nutzen. Das rheinisch-süddeutsche Gebiet wurde hebräisch Aschkenas genannt. In den Gemeinden Worms, Mainz, Speyer und Regensburg wurden auf hohem Niveau jüdische Studien betrieben. Bekannt ist der Gelehrte Raschi (1040-1105). Die ersten Synagogen entstanden in Köln 1012? bzw. Trier 1066. Um sie herum wuchsen Judenquartiere (Judengasse) weniger aus Zwang als aus praktischen Gründen (Sabbatgebot). Die jüdischen Kaufleute waren in Sippen bis nach Italien und weiter organisiert. Im 12. Jahrhundert betrieben Juden zunehmend das Kreditgeschäft als Folge der christlichen Kritik am Zinsnehmen. Auch jüdische Ackerbürger und Handwerker sind bekannt, die allerdings nicht in die christlichen Zünfte hineinkamen. Das Verhältnis der Juden zum Umfeld war entspannt, einzelne Juden oder ganze Gemeinden hatten Schutzbriefe des Königs.
Dies änderte sich nach den Pogromen gegen jüdische Gemeinden, die während des ersten Kreuzzugs ab 1095 unter Papst Urban II. stattfanden. Die Juden in den rheinischen Städten fanden nur unzureichenden Schutz bei den bischöflichen Stadtherren, z. B. beim Trierer Bischof Egilbert, vor den Kreuzfahrern. Viele zogen den Selbstmord der Zwangstaufe vor. Im 1. Mainzer Reichslandfrieden 1103 wurde Juden unter anderem das Recht eine Waffe zu tragen abgesprochen. Sie wurden dadurch als schutzbedürftige Gruppe zum Personenstand minderen Rechts. Am Ende wurde die Kammerknechtschaft eingeführt, die die Juden geschlossen als unfreie Kammerknechte des Kaisers definierte, zuerst 1236. Dies garantierte ihnen zwar Schutz von Leben und Eigentum sowie eine autonome Gerichtsbarkeit in innerjüdischen Angelegenheiten, auf der anderen Seite war damit der Verlust von persönlicher Freiheit und eine Belastung mit Sondersteuern verbunden. So entstand ein Sonderrecht für eine begrenzte Minderheit. Die Einnahmen aus der Kammerknechtschaft wurden teilweise an Reichsfürsten oder Städte vergeben. Juden lebten in dieser Zeit weniger vom Warenhandel als von kleineren Darlehensgeschäften, aber auch als Ärzte und Techniker. Sie durften christliche Bedienstete und sogar Sklaven halten. Zeitgleich radikalisierte sich die kirchliche Haltung gegenüber den Juden, was zum Beispiel im 4. Laterankonzil 1215 zum Ausdruck kam. Das Konzil schrieb eine Kennzeichnung von Juden vor (Hut/gelber Fleck) und verbot in Folge der kirchlichen Reformbewegungen des 11. Jahrhunderts Christen die Zinsleihe. Der einflussreiche Franziskaner Berthold von Regensburg nahm die Vorstellung der Juden als Gottesmörder in die Predigt auf. Der Schwabenspiegel um 1275 forderte bereits eine striktere Trennung im Alltag, die aber bis 1350 nicht üblich wurde. Ritualmordvorwürfe betrafen Juden erstmals 1234/1235 in Lauda und Fulda. Kaiser Friedrich II. (HRR) bekämpfte die Legenden um Ritualmorde. Parallel kam der Vorwurf von Hostienfrevel auf.

Die Pestpogrome um 1350 markierten einen tiefen Einschnitt. Sie begannen 1348 in der Schweiz unter dem Vorwurf jüdischer Brunnenvergiftung. In 85 von 350 Städten mit jüdischen Einwohnern wurde gemordet, fast überall wurden Juden ausgewiesen. Ihr Untergang brachte vielen materielle Vorteile, allen voran dem Kaiser Karl IV. (HRR). Nur zu schlechteren Bedingungen wurden Juden wieder aufgenommen, weil man letztlich ihrer bedurfte.
Die Feindlichkeit gegenüber jüdischen Geldverleihern führte immer wieder zu Ausschreitungen, deren Opfer hauptsächlich jüdische Einwohner wurden. Jüdische Geschäftsleute hatten in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft eine Sonderrolle, weil das Zinsverbot für sie nicht galt. Für viele verschuldete Personen waren die Schulden erdrückend. Zins und Tilgung in Verbindung mit Neid führten zu Feindlichkeit, die dann zu Unrecht auf die gesamte jüdische Bevölkerung generalisiert wurde und sich in grausamen Judenpogromen entlud.[1] Der Hass auf die Juden übertraf häufig sogar den auf Klerus und Adel.[2] König Wenzel (HRR) führte 1385/1390 eine "Juden-Schuldentilgung" durch, die Städte und Fürsten entlastete. Am Ende mussten viele jüdische Geldleiher aufgeben und wanderten ab. Als Erwerb blieb nur die kleine Pfandleihe und der Trödelhandel. Immer wieder fanden sich Anlässe zu neuen Vertreibungen. Bis 1520 waren Juden weitgehend aus dem deutschen Raum verschwunden. In Frankfurt am Main und Worms wurden Gettos eingerichtet. Die Predigt der Bettelmönche verbreitete antijüdische Vorstellungen, z.B. vom angeblichen Ritualmord am Knaben Simon von Trient. Der Holz- und Buchdruck verbreitete das Bild vom Schwein als Mutter der Juden ("Judensau"). Nach dem Untergang der Regensburger Gemeinde 1519 blieb vielen nur noch das Wanderjudentum bzw. der befristete Aufenthalt in einer Stadt. Neue jüdische Zentren entstanden in Böhmen, Polen und Osteuropa. Unter den Humanisten war allein Johannes Reuchlin ein Verteidiger der Juden, als er im Streit mit Johannes Pfefferkorn die geforderte Verbrennung des Talmud ablehnte.
Eine von Arthur Koestler (Der dreizehnte Stamm) literarisch popularisierte These nimmt an, dass die östlichen Aschkenasim mehrheitlich nicht von den antiken Israeliten abstammten, sondern Nachfahren der Chasaren seien, eines Turkvolks, das im 8. oder 9. Jahrhundert die jüdische Religion annahm. Aufgrund genetischer Studien gilt diese besonders in rechtsextremen Kreisen populäre These jedoch als widerlegt. Zwar ist es möglich, dass infolge der Zerschlagung des Chasarenreichs durch den Kiewer Großfürsten Swjatoslaw I. auch einige chasarische Flüchtlinge Mitteleuropa erreichten, wo sie auf aschkenasische Gemeinschaften trafen, doch muss ihr Anteil sehr gering gewesen sein, da er genetisch nicht nachweisbar ist. Gleichzeitig haben diese Untersuchungen eine starke genetische Verwandtschaft zur heutigen Bevölkerung des Nahen Ostens gezeigt, sodass davon ausgegangen werden muss, dass die mittelalterliche jüdische Bevölkerung in Europa mehrheitlich von den vertriebenen Juden Palästinas abstammte.[3][4]
Frühe Neuzeit
Um 1600 lebten in Deutschland etwa 8000-10000 Juden, davon gut 3000 in Frankfurt am Main. In einer neuen Periode jüdischer Zuwanderung siedelten sie sich in Städten und Gebieten an, aus denen sie vorher vertrieben worden waren. Seit dieser Zeit bis zu ihrer Emanzipation waren die Juden in Landesjudenschaften organisiert, Gesamtverbänden aller Juden eines Herrschaftsgebietes, die die jüdischen Angelegenheiten wie etwa Steuerverteilung und Gerichtsbarkeit autonom verwalteten. Eine Besonderheit bildete die Ansiedlung portugiesischer Juden im handelsbewussten Hamburg (Sephardim). Trotz des judenfeindlichen Martin Luther, der das deutsche Luthertum antisemitisch werden ließ, entspannte sich das Verhältnis etwas. In den katholischen geistlichen Territorien und einigen Reichsstädten ging es den Juden relativ am besten. Auf dem Lande war die kleine Geldleihe an Bauern eine Verdienstquelle, die aber immer wieder zu Vorwürfen von "Judenwucher" führte. In den Städten waren die Zunftbürger oft antisemitisch eingestellt, in Frankfurt kam es 1614 zu Aufstand und Plünderung unter Leitung des Lebkuchenbäckers Vincenz Fettmilch gegen das Getto. Teilweise konnten einige Juden wichtige Positionen an fürstlichen Höfen erreichen. Doch die damit verbundene Sicherheit als Hofjude war keine absolute; insbesondere dann, wenn ein neuer Herrscher den Thron bestieg. So ließ Kurfürst Johann Georg (Brandenburg) am 28. Januar 1578 den ehemaligen jüdischen Hoffinanzier seines Vaters, den Hofjuden und Münzmeister Lippold aus Prag, mit der Axt vierteilen. Die Hinrichtung erfolgte aufgrund einer Anklage wegen Hexerei und Zauberei, welche erhoben worden war, weil Johann Georg trotz intensiven Suchens keine Unregelmäßigkeiten finden konnte.
Erst mit dem Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg wendete sich die Lage der Juden zum Besseren. Seit 1648 waren sie den Landesherren unterstellt, die mit Judenordnungen das Zusammenleben regelten. Zur Rückwanderung in das aufnahmebereite Brandenburg trugen Pogrome in Polen bei. Hoffaktoren wie Süß Oppenheimer in Württemberg wurden an den absolutistischen Höfen üblich. Auch Vertreibungen wie in Wien 1670 und Pogrome kamen noch vor wie in Bamberg 1699. Im zunehmend judenfreundlichen Berlin lebten um 1700 etwa 1000 Juden.
Mit der Aufklärung stellte sich die Frage nach der Integration und Gleichberechtigung der Juden neu, die bisher nur unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet wurden. In Preußen galt unter Friedrich II. begrenzte Toleranz gegenüber den Schutzjuden. Bedeutende Intellektuelle wie Moses Mendelssohn beteiligten sich am geistigen Leben in Deutschland, jüdische Frauen (Rahel Varnhagen) gehörten zum Kern der deutschen Romantik. Für die Juden stellte sich wiederum die Frage der Assimilation an die christliche Umwelt. Der Jurist Christian Wilhelm Dohm verfasste 1781 die Schrift "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden", die allerdings bis zur Krise Preußens wenig zur jüdischen Emanzipation bewirkte. Dagegen setzte Kaiser Joseph II. (HRR) mit dem Toleranzpatent 1782 im Habsburgerreich umfangreiche Erleichterungen in Kraft, die jedoch mit einer antijüdischen Erziehungsabsicht einhergeht.
Noch im 18., teilweise sogar im 19. Jahrhundert, trugen die Juden im deutschen Reich jüdische Familiennamen, welche sie sofort als Juden erkennbar machten. Gewöhnlich trugen sie als Familiennamen den Namen des Vaters; eine Patrynomie wie sie bis in die Neuzeit noch bei manchen slawischen Völkern oder den Isländern üblich war. Als Folge war der Jude aufgrund seines meist doppelt jüdischen Namens, der Kombination aus jüdischem Vornamen und jüdischem Familiennamen, sofort als Jude kenntlich.
Im 18. Jahrhundert wurde in den verschiedenen deutschen Territorien nach und nach per Edikt der Landesfürsten eine Umbenennung veranlasst. Allerdings gaben die Beamten, beispielsweise in Preußen, den Juden exotisch klingende, nur scheinbar deutsche Namen wie Goldberg oder Blumenfeld, sodass die Juden erneut an ihren Namen kenntlich waren.
Napoleonische Zeit und Preußische Reformen (1789-1815)
Die Französische Revolution vollzog 1791 die Emanzipation der Juden und Napoleon I. trug dieses Prinzip mit dem Code civil in die besetzten Staaten hinein. In den Rheinbundstaaten wurden Juden zuerst gleichgestellt, wenn auch unter einigen Einschränkungen. Doch 1808 erließ Napoleon das so genannte "schändliche Dekret", das ihre Freizügikeit aufhob und die Gewerbetätigkeit nur mit einem speziellen Patent zuließ. Mit dem Preußischen Judenedikt von 1812 wurden die in Preußen lebenden Juden Inländer und preußische Staatsbürger. Das Edikt enthielt aber empfindliche Einschränkungen und war z.B. in der Provinz Posen, wo die meisten Juden wohnten, nicht gültig, so dass kein gleiches und einheitliches Recht entstand. Viele Sonderregelungen machten die Gleichstellung in der Restauration wieder zunichte. Die romantische Lehre vom "christlichen Staat", der Friedrich Wilhelm IV. anhing, stellte ihren Status wieder infrage und ließ Juden in Führungspositionen nicht zu.
Vom Wiener Kongress bis zur Reichsgründung (1815-1871)
Auf dem Wiener Kongress wurde im Artikel 16 der Bundesakte den Juden eine Verbesserung in Aussicht gestellt und der Status quo für von! den Bundesstaaten erlassene Gesetze bestätigt. Dies bezog sich nicht auf die französischen Besatzungsregelungen, wofür besonders die Hansestädte sich eingesetzt hatten. Die Rechtslage musste neu geregelt werden und wurde sehr unübersichtlich.
Eine wichtige Schrift Über die Stellung der Bekenner des mosaischen Glaubens in Deutschland steuerte der jüdische Jurist Gabriel Riesser zur Judenemanzipation 1831 bei, die auf eine Debatte in Baden einging. Es ging um das volle Bürgerrecht ohne christliche Taufe als Zugang zur deutschen Nation.
Revolution 1848/1849
In der Frankfurter Paulskirche kam es am 28. August 1848 zu einer Debatte über die Grundrechte und ihre Geltung für Juden, die Moritz Mohl aus Württemberg wegen ihrer "Fremdstämmigkeit" bezweifelt hatte. Der Lauenburger Abgeordnete Gabriel Riesser wies dies mit Erfolg zurück. In die Unruhen der Revolution mischten sich antijüdische Exzesse, so in Prag und Budapest.
Bayern
1816 trat in Bayern das drei Jahre zuvor erlassene Judenedikt in Kraft. Die Juden wurden damit ihren christlichen Landsleuten rechtlich weitgehend gleichgestellt. Das Edikt, das einen Meilenstein in der Geschichte der Assimilation der jüdischen Bayern bildete, verfügte die Aufhebung der jüdischen Gerichtsbarkeit, erlaubte Juden, Grundbesitz zu erwerben und öffnete ihnen den Zugang zu allen Universitäten des Landes. In einem „Matrikelparagraphen“ regelte das Edikt jedoch auch die Erfassung wohnberechtigter Juden mit einem Schutzbrief (Matrikel) in Listen. Da für jeden Ort eine Höchstzahl jüdischer Familien festgelegt wurde, die möglichst noch gesenkt werden sollte, beeinträchtigte die Regelung nicht nur die Freizügigkeit der Juden, sondern auch die Möglichkeiten der Juden, eine Familie zu gründen. Antisemitismus entlud sich 1819 in den Hep-Hep-Unruhen in Würzburg.
Mit dem Heranwachsen der nächsten Generation wurde das Problem Mitte der 1830er Jahre so drängend, dass die jungen Leute Bayern in großen Zahlen verließen; Tausende wanderten in die Vereinigten Staaten aus. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderte wurden die Lebensbedingungen der Juden in Bayern jedoch schrittweise besser: 1848 erhielten sie das aktive und passive Wahlrecht, 1849 wurde mit David Morgenstern erstmals ein jüdischer Abgeordneter in den bayerischen Landtag gewählt. 1850 durften Juden sich erstmals wieder in Nürnberg, von wo sie 1499 vertrieben worden waren, ansiedeln. 1861 schließlich wurde der Matrikel-Paragraph wieder aufgehoben. Nachdem der jüdische Siedlungskern zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Fürther Raum gelegen hatte, zog es im Zuge der Emanzipation und der Urbanisierung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Juden in die Großstadt München. Die vollständige rechtliche Gleichstellung der Juden in Bayern folgte mit dem Inkrafttreten der Verfassung des 1871 gegründeten Deutschen Reiches.[5]
Bevölkerungsstatistik: [6]
Jahr | Juden in Bayern |
---|---|
1813 | ca. 30.000 |
1840 | >4.100 |
1867 | >9.200 |
1900 | >23.700 |
Hansestädte Lübeck, Hamburg, Bremen
Nachdem Lübeck von 1811 bis 1813 zu Frankreich gehört hatte, galt hier wie in den anderen Hansestädten die Emanzipation der Juden. Nach dem Wiener Kongress wurden die dort ansässig gewordenen Juden aus Lübeck wieder vertrieben.
Frankfurt am Main
siehe Frankfurter Judengasse#Das Ende des Gettos
Hannover
Im Königreich Hannover erhielten Juden das Bürgerrecht erst im Jahre 1842 („Gesetz über die Verhältnisse der Juden“).[7]
Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Neustrelitz
Erst 1868 wurde in beiden Mecklenburg auf Druck des Norddeutschen Bundes die Gleichstellung der Juden ohne Ausnahme durchgeführt. Die Freizügigkeit aller Bürger erstreckte sich nun auch auf die alten Hansestädte Wismar und Rostock.
Sachsen
Im Königreich Sachsen blieb die rechtliche Situation der Juden fast ebenso lange ungeklärt wie in Hannover. Erst 1838 erlaubte ein Gesetz, dass Juden sich in den Städten Leipzig und Dresden niederließen. Selbst dort blieben ihre Bürgerrechte eingeschränkt; außerhalb dieser beiden Städte wurden Juden nicht geduldet. 1871 lebten in Sachsen 3 357 Juden (2,5 Mio Einwohner insgesamt).[8]
Württemberg
Im Württemberg, wo von 1498 bis 1805 keine Juden dauerhaft wohnen und arbeiten durften, wurde 1828 ein erstes Judengesetz erlassen. In Ludwigsburg und in Stuttgart entstanden daraufhin jüdische Gemeinden, die mit den großen jüdischen Zentren der Zeit – wie Breslau, Hamburg oder Berlin – jedoch nicht vergleichbar waren. Die bürgerliche Gleichstellung der Juden wurde in Württemberg erst 1864 gesetzlich verankert.[9]
Kaiserreich und Weimarer Republik (1871-1933)
Die Reichsverfassung von 1871 machte alle deutschen Juden zu gleichberechtigten Bürgern. Damit war aber der gesellschaftliche Antisemitismus noch nicht erledigt, besonders in Wirtschaftskrisen kehrte er zurück.
Juden rückten nun in hohe Positionen auf. Bekannt ist der jüdische Bankier Bismarcks, Gerson von Bleichröder. Der Reeder Albert Ballin gehörte zum engen Kreis um Wilhelm II., der später trotzdem antisemitische Ausfälle produzierte. Es gab auch jüdische Gelehrte an Universitäten, wenn auch nur in geringer Zahl als ordentliche Professoren. Der Historiker Heinrich von Treitschke warnte 1879 vor dem jüdischen Einfluss: "Die Juden sind unser Unglück." Die freien Berufe wurden ein Tätigkeitsfeld für akademisch gebildete Juden, während Armee und Justizämter verwehrt blieben. Daneben entwickelte sich ein Mittelstand von kleinen Geschäftsinhabern und Industriellen. Aus den preußischen Ostprovinzen und Osteuropa wanderten viele Juden als Arbeitskräfte in die dynamischen Industriezentren (Berlin, Stettin) ein. Die Zahl der jüdischen Almosenempfänger nahm stark ab.
Die jüdischen Gemeinden blühten auf, viele Synagogen konnten gebaut werden, auch wo lange zuvor keine Juden leben konnten. Unter den jüdischen Verbänden traten entgegengesetzte Richtungen auf, die einerseits für Zuwendung zur modernen Gesellschaft und starke Assimilation eintraten, andererseits die Traditionen des Glaubens zu konservieren suchten. Eine Dachorganisation war der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens ab 1893, der die Assimilation an die deutsche Gesellschaft vertrat. Daneben kam der Zionismus nach Theodor Herzl auf: Zionistische Vereinigung für Deutschland.
Die deutsche Gesellschaft reagierte zunächst nur in geringem Maß mit verstärkter Abwehr, als erste antisemitische Parteien gegründet wurden. Der Berliner Hofprediger Adolf Stoecker betrieb seit 1878 aus christlichem Antijudaismus die Christlich-soziale Partei (Kaiserreich). Daneben kam mit dem Sozialdarwinismus eine neue rassistische Begründung des Antisemitismus (zuerst: Gobineau) auf, die von deutschen Vordenkern wie dem Philosophen Eugen Dühring 1881 aufgegriffen wurde. Im Tivoli-Programm (Forderung: "christliche Obrigkeit und christliche Lehrer") 1892 der Deutschkonservativen Partei ist erstmals eine der großen Parteien auf diese Linie eingeschwenkt. Dahinter steckten tradionell christliche Vorbehalte, aber auch kleinbürgerliche Ängste vor Konkurrenz und Fremden.
Im 1. Weltkrieg kämpften Juden an den Fronten und zahlten einen Blutzoll von 12000 Gefallenen. Nur wenige aber konnten in hohe Offizierspositionen aufrücken. Die Vorbehalte verstärkten sich wieder, was in der Gründung der antisemitischen Deutschen Vaterlandspartei zum Ausdruck kam. 1916 wurde eine "Judenzählung" im Heer durchgeführt, die ihren hohen Einsatz belegte, obwohl das Motiv war, Juden als "Drückeberger" zu entlarven.
Entscheidend wurde die Diffamierung der Juden als Träger der Revolution von 1918/1919, die den deutschen Sieg hintertrieben hätten ("Dolchstoßlegende"). Ebenso wurde ihnen häufig die Russische Revolution 1917 zugeschrieben. Die Antisemiten identifizierten die linken Parteien ("Novemberverbrecher") mit einer "jüdischen Verschwörung" gegen die Mittelmächte. Die erste deutsche Demokratie wurde pauschal als "Judenrepublik" abgetan, obwohl von ihren etwa 200 Reichsministern ganze fünf jüdisch waren.
In rechtsradikalen Kreisen bis zur DNVP wurde Antisemitismus gesellschaftsfähig. Das vielfach gebilligte Attentat auf Walther Rathenau 1922 erhielt Unterstützung mehrerer Terrororganisationen aus dem Untergrund, wie der Organisation Consul und dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund. Das Verbot dieses Schutz- und Trutzbundes führte zur Stärkung der Deutsch-völkischen Freiheitspartei, die mit der NSDAP zusammen bei der Reichstagswahl Mai 1924 6,5 % der Stimmen errang.
Dennoch brachte die Weimarer Republik eine Reihe von Verbesserungen für die Juden. Alle Karrieren und Schulen standen nun im Prinzip offen, die mittelständische Sozialstruktur blieb gleich. Die Gemeinden wurden Körperschaften öffentlichen Rechtes. Berlin wurde zum Zentrum, wo ein Drittel der Juden wohnte. Insgesamt sank ihre Zahl trotz Zuwanderung von Ostjuden aber von gut 615 000 (1910) auf 500 000 (1933). Es gab bekannte Privatbankiers wie die Familie Warburg. Auch in Wissenschaft, Kunst und Literatur leisteten Juden häufig Bedeutendes, was sich nach ihrem Verlust ab 1933 bemerkbar machte. Die politische Orientierung richtete sich auf die DDP und zum Teil auf die SPD, die beide auch jüdische Abgeordnete aufstellten. Bekannte jüdische Intellektuelle, die über das Judentum nachdachten, waren Franz Rosenzweig und Gershom Scholem.
Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945)
Siehe Themenartikel Holocaust
Seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten unter Hitler im Jahre 1933 wurden die Juden in Deutschland immer mehr verfolgt. Der seit langer Zeit bestehende Antisemitismus und Antijudaismus wurde mit Hilfe zahlreicher Verordnungen bis zur weitestmöglichen Vernichtung jüdischen Lebens systematisch umgesetzt. Begründet wurden die judenfeindlichen Maßnahmen vor allem mit Verschwörungstheorien über das Weltjudentum, wie zum Beispiel in den gefälschten Protokollen der Weisen von Zion, und der Überlegenheit der arischen Rasse, die durch die Rassenlehre verbreitet wurde. Schon 1933 verloren viele Juden durch das Berufsbeamtengesetz ihre Stelle, doch bis Ende 1935, als durch das Reichsbürgergesetz sämtliche deutschen Juden ihrer Bürgerrechte beraubt wurden, bot das Frontkämpferprivileg in einigen Fällen noch einen gewissen Schutz. Im November 1938 wurden in der Reichspogromnacht Synagogen und jüdische Geschäfte zerstört und zu deren Boykott aufgerufen. Zahlreiche Juden sahen sich deshalb gezwungen aus ihrem Heimatland zu fliehen oder unterzutauchen. Mit ihrer aggressiven Außenpolitik begannen die Nationalsozialisten 1939 den Zweiten Weltkrieg. Bald wurden die verbliebenen Juden zur so genannten "Endlösung der Judenfrage" erst in Ghettos und später in Konzentrationslager deportiert und systematisch umgebracht oder mussten Zwangsarbeit vollrichten. Der Holocaust, die Ermordung der Juden, betraf nicht nur die in Deutschland lebenden Juden, sondern auch Juden aus anderen europäischen Ländern bzw. in diese Länder geflohene deutsche Juden sowie auch andere Gruppen wie Roma, Sinti und Jenische.
Durch den Sieg der Alliierten und die bedingungslose Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 konnte der Holocaust gestoppt werden; die Überlebenden in den Arbeits- und Vernichtungslagern wurden befreit.
Juden in Deutschland ab 1945
siehe Hauptartikel: Geschichte der Juden (Neuzeit)#Juden in Deutschland nach 1945
Jüdische Zuwanderung seit der Wiedervereinigung
Die Zuwanderung jüdischer Emigranten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ist seit der deutschen Wiedervereinigung stark angestiegen. Seit 2000 sind die Zahlen der jüdischen Zuwanderer wieder rückläufig.
Bis zur Perestroika wurde nur einigen wenigen Juden die Ausreise aus der Sowjetunion gestattet. Um eine Genehmigung zur Ausreise als Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland zu erhalten, mussten die Antragsteller einen Bezug zur deutschen Kultur nachweisen. Sie erreichten Deutschland meistens über das Durchgangslager Friedland.
Nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 9. Januar 1991 wurde das Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (HumHAG) auch auf jüdische Emigranten aus den ehemaligen GUS-Staaten angewandt. [10] In den folgenden Jahren kamen im Schnitt rund 15.000 jüdische Kontingentflüchtlinge pro Jahr nach Deutschland und wurden auf Bundesländer und Landkreise verteilt. So wuchs der Bedarf an jüdischer Infrastruktur (Synagogen, Freizeiteinrichtungen usw.) in vielen Landkreisen.
Seit 2004 muss das Judentum im Pass bescheinigt sein. Zudem werden Grundkenntnisse der deutschen Sprache sowie ein Nachweis über die "eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts" verlangt.[11]
Literatur
- Arno Herzig: Jüdische Geschichte in Deutschland- Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bonn 2005, ISBN 3893316124
- Geschichte der Juden im Mittelalter von der Nordsee bis zu den Südalpen (kommentiertes Kartenwerk), hg. von Alfred Haverkamp (Forschungen zur Geschichte der Juden; Abteilung A: Abhandlungen; Band 14/3; 105 Karten), Hannover 2002, ISBN 3775256237
- Zimmermann, Michael (Hrsg.): Geschichte der Juden im Rheinland und in Westfalen, 1998, ISBN 3170141910
- Eschwege, H.: Die Synagoge in der deutschen Geschichte, 1980
- Andreas Gotzmann u.a. Hg.: Juden, Bürger, Deutsche. Zur Geschichte von Vielfalt und Differenz 1800-1933, Tübingen: J.C.B. Mohr, 2001. ISBN 316-147498-8
- Stefan Schwarz: Die Juden in Bayern im Wandel der Zeiten, Olzog 1980, ISBN 3789271551
- Meno Burg: Geschichte meines Dienstlebens, Erinnerungen eines jüdischen Majors der preußischen Armee, Verlag Teetz, Hentrich & Hentrich, Berlin 1998 [12]
Referenzen
- ↑ Eberhard Büssem, Michael Neher: Arbeitsbuch Geschichte. Neuzeit I. Repetitorium. 16.-18. Jahrhundert
- ↑ "Der Haß auf die Wucherer, der sich in einer Reihe grausamer Judenprogrome, vor allem während der Pestepidimien, und der völligen Vertreibung der Juden aus einigen Städten äußerte, übertraf sogar den auf Klerus und Adel.", siehe Büssem und Neher, a.a.O. Seite 24
- ↑ "In DNA, New Clues to Jewish Roots", New York Times, 14. Mai 2002, Volltext unter [1]
- ↑ 40% der aschkenasischen Juden sind Nachkommen von vier Urmüttern. Newsletter der Botschaft des Staates Israel vom 31. Januar 2006 [2]
- ↑ Franken Jüdisch [3]; Jüdisches Leben in Bayern. Emanzipation auf Raten [4]; Die Koffer sind jetzt ausgepackt! Juden in Bayern nach der Schoa [5]
- ↑ Franken Jüdisch [6]
- ↑ 700 Jahre jüdische Geschichte und Kultur in Hannover [7]
- ↑ Königreich Sachsen [8]; Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon: Isaak Lewin Auerbach [9]
- ↑ Lexikon Geschichte Baden+Württemberg: Juden in B.+W. [10]
- ↑ aufenthaltstitel.de
- ↑ hagalil.com
- ↑ Rezension von Kurt Wernicke auf luise-berlin.de
Siehe auch
- Jüdische Emanzipation
- Antisemitismus bis 1945
- Aschkenasim
- Geschichte der Juden in Ostfriesland
- Geschichte der Juden auf Norderney
- Fettmilch-Aufstand
- Zentralrat der Juden in Deutschland
- Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland
Weblinks
- Juden in Deutschland
- Jüdisches Museum Berlin
- Jüdische Geschichte
- Jüdisches Leben in Deutschland
- Alemannia-Judaica, Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
- Jüdisches Leben in Deutschland von 1914 – 2005. Ein Onlineangebot der Bundeszentrale für politische Bildung und des Deutschen Historischen Museums.
- Judith Kessler: Jüdische Migration aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1990