Gymnasiale Oberstufe
Die gymnasiale Oberstufe umfasst die der Sekundarstufe Ⅱ zugerechneten oberen Jahrgangsstufen von Gymnasium, beruflichem Gymnasium (auch: Fachgymnasium) und Gesamtschule und führt von der mittleren Reife (→ Fachoberschulreife/Realschulabschluss) zum Abitur (→ allgemeine Hochschulreife). Auch der schulische Anteil zum Erwerb der Fachhochschulreife oder des Fachabiturs kann in ihr absolviert werden.
Die beiden letzten Jahre der gymnasialen Oberstufe werden in Deutschland nach der Kultusministerkonferenz-Reform vom 7. Juli 1972 auch als Reformierte Oberstufe oder Kollegstufe (letzteres in Bayern) bezeichnet. Sie löste die gymnasiale Oberstufe der Saarbrücker Rahmenvereinbarung von 1960 ab.
In der verkürzten Form des Gymnasiums (→ achtjähriges Gymnasium → G8) umfasst die gymnasiale Oberstufe die Jahrgangsstufen 10 bis 12, in der längeren Form (→ G9) die Jahrgangsstufen 11 bis 13. Sie verfügt über eine einjährige Einführungsphase größtenteils im Klassenverband und die zweijährige Qualifikationsphase (auch: Qualifizierungsphase), die im Kurssystem organisiert wird und an deren Ende eine abschließende Prüfung in vier oder fünf Fächern liegt.
Historische Entwicklung
Erste praktische Versuche mit dem Kurssystem in größerem Rahmen fanden am Gymnasium in Buxtehude statt vor den Toren Hamburgs in den späten 1960er Jahren. Daran nahmen auch Lehrer aus Hamburg selbst teil.
Seit der schrittweise vorgenommenen Einführung ab 1972 hat die Kultusministerkonferenz das Kurssystem mehrfach geändert. Von Anfang an bestanden Unterschiede zwischen den Bundesländern. So wurden die Leistungskurse zunächst dreifach, später doppelt gewichtet in die Bewertung eingebracht. Mathematik und Deutsch konnten teilweise, Geschichte völlig abgewählt werden. In Nordrhein-Westfalen genügte zeitweilig eine Fremdsprache und eine Prüfung in Religion konnte die Naturwissenschaft ersetzen. Die letzten Reformen zielten auf eine Stärkung der breiten Grundbildung und verminderten die Abwahlmöglichkeiten. Die Kritik richtete sich zum Beispiel gegen die Beliebigkeit der Wahlen, gegen die fehlende Rücksicht auf Notwendigkeiten des späteren Studiums oder gegen den Verlust des Klassenverbandes als Sozialisationsinstanz.
Das Kurssystem steht weiter unter starker Kritik. Es gilt als zu kompliziert und kostspielig, weil viele kleine Kurse zustandekommen. Es führt zu viel zu großer Spezialisierung in den Leistungskursen und Vorwegnahme von Universitätsstoff. Es stellt durch fehlende Grundbildung keine wirkliche allgemeine Studierfähigkeit her. Dies äußert sich in hohen Abbrecherquoten der Studierenden und der Notwendigkeit, Schulstoff im Grundstudium nachzuholen.
In allen Bundesländern wird daher die gymnasiale Oberstufe gegenwärtig reformiert. Sie unterscheidet sich inzwischen erheblich vom Ursprungsmodell und treibt immer mehr besondere Eigenarten hervor, die die Vergleichbarkeit der Bundesländer zunehmend in Frage stellen. Genauere Beschreibungen befinden sich beispielsweise im Artikel über das Abitur zum jeweiligen Bundesland:
Phasen
Einführungsphase
In der Einführungsphase vor dem Kurssystem kann noch im Klassenverband unterrichtet werden, besonders wenn sie in der 10. Jahrgangsstufe liegt. Es kann auch eine Mischform aus Klassenunterricht und Kursen bestehen. Lediglich bestimmte Fächer können dann in Kursen gewählt werden; in einigen Bundesländern auch bereits Leistungskurse, um ihre Arbeitsweise kennenzulernen und unter Umständen noch einmal zu wechseln.
Qualifikationsphase
Die Qualifikationsphase (auch: Qualifizierungsphase) wird ausschließlich im Kurssystem unterrichtet. An die Stelle der Klassen treten Kurse in den Fächern, die von allen Schülern der gleichen Jahrgangsstufe angewählt werden können. Die Schüler wählen nach bestimmten Vorgaben aus drei Aufgabenfeldern (sprachlich-künstlerisch, gesellschaftswissenschaftlich und mathematisch-naturwissenschaftlich) zwei (in manchen Bundesländern drei) Leistungskursfächer zu je fünf und etwa acht bis zehn Grundkursfächer zu je zwei oder drei Wochenstunden. Für die Wahl gibt es Mindestverpflichtungen für Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen und Naturwissenschaften. Auch Sportunterricht ist obligatorisch.
Es konnte und kann also nicht alles abgewählt werden, wie manche behaupten. Möglich ist aber eine Schwerpunktbildung nach den individuellen Interessen und Begabungen. Dies dient einer breiteren Ausschöpfung der vorhandenen Begabungsreserven, um eine höhere Qualifikation der Gesellschaft zu erreichen. Es besteht auch kein rechtlicher Zusammenhang zwischen der Wahl von Leistungskursen und den späteren Studienmöglichkeiten. Die erreichte Hochschulzugangsberechtigung ist allgemein. Von den erworbenen Kenntnissen her besteht ein solcher Zusammenhang durchaus: Ohne beispielsweise qualifizierte Mathematikleistungen lassen sich viele Studien nicht erfolgreich durchlaufen.
Innerhalb der Qualifikationsphase findet keine Versetzung statt. Die Schülerinnen und Schüler gelangen automatisch nach dem 11. bzw. 12. Jahrgang in den 12. bzw. 13. Jahrgang. Einige Schülerinnen und Schüler treten aber freiwillig zurück, falls auf Grund von zu vielen Defizitkursen (Kursen mit weniger als fünf Punkten) oder Fehlkursen (Kursen mit null Punkten) die Zulassung zur Abiturprüfung gefährdet sein sollte. Die Qualifikationsphase wird in vier (Kurs-)Halbjahre oder Semester eingeteilt, wobei die Klassenstufe 12 in das erste und zweite Halbjahr und die Klassenstufe 13 in das dritte und vierte Halbjahr eingeteilt werden.
Grund- und Leistungskurse
Grundkurse
Grundkurse (GK) vermitteln grundlegende wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen und führen in grundlegende Sachverhalte und Problemkomplexe eines Faches ein. Sie werden in der Regel zweistündig und dreistündig unterrichtet.
Leistungskurse
Leistungskurse (LK) vermitteln erweiterte Kenntnisse und Einsichten in Inhalte, Theorien und Modelle der entsprechenden Fachwissenschaft. Auf die Fertigkeit im selbstständigen Umgang mit Arbeitsmitteln und -methoden sowie ihrer Übertragung und Reflexion wurde ein besonderer Schwerpunkt gesetzt. Vom Grundsatz her lässt sich vieles auf andere Fächer übertragen. Leistungskurse werden in der Regel fünfstündig unterrichtet.
In vielen Bundesländern sind allerdings die Leistungskurse inzwischen abgeschafft und durch vierstündige Fächer mit erhöhten Anforderungen ersetzt worden. Dafür ist ihre Zahl größer als zwei.
Abiturprüfung und -note
Die Abiturprüfung wird in den beiden Leistungskursen und zwei oder drei, in einem begrenzten Rahmen wählbaren, Grundkursen schriftlich oder mündlich absolviert. Dadurch muss man in den letzten Schuljahren deutliche Schwerpunkte setzen. Die Einzelbestimmungen unterscheiden sich je nach Bundesland. Bis auf Rheinland-Pfalz führen alle Bundesländer inzwischen ein zentrales Abitur durch oder haben es – wie Schleswig-Holstein – zumindest vor.
In die Abiturnote fließen neben 22 Grundkurs-Halbjahresleistungen auch die acht Leistungskursnoten und die vier bis fünf Abiturprüfungsnoten ein. Die Durchschnittsnote hängt also von Leistungen ab, die im Zeitraum von zwei Jahren erbracht werden, und nicht nur von der Abschlussprüfung, die an ihr zu weniger als einem Drittel beteiligt ist.
Leistungsbewertung
In der gymnasialen Oberstufe bilden die Grundlage für die Beurteilung der Schülerleistungen die Klausuren und sonstigen erbrachten Leistungen (Mitarbeit, Hausarbeiten etc.). Das bisherige Notensystem bis zur Mittelstufe mit den Schulnoten 1 bis 6 wird spätestens in der Qualifikationsphase durch ein Punktesystem (0 bis 15 Punkte) ersetzt, das den Noten von 1+ bis 6 entspricht und auf diese Weise detaillierte Zensuren ermöglicht. Die Punkte werden addiert und am Ende in die Durchschnittsnote umgesetzt. Der Sinn des Punktesystems liegt neben größerer Transparenz und Gerechtigkeit vor allem in der möglichen Verwendung der exakten Durchschnittsnote in Zulassungsverfahren der Hochschulen, um juristische Klagen abgewiesener Bewerber zu verhindern. Eine zu frühe Anwendung vor der gymnasialen Oberstufe ist dagegen unzulässig, da Zensuren bis zur 10. Jahrgangsstufe vor allem einen pädagogischen Sinn haben.
Punkte | Note in Worten | Note (mit Tendenz) | Rohpunkte | Notendefinition | Bemerkung |
---|---|---|---|---|---|
15 | sehr gut | 1+ | 95 % | Die Leistungen entsprechen den Anforderungen in besonderem Maße. | |
14 | 1 | 90 % | |||
13 | 1− | 85 % | |||
12 | gut | 2+ | 80 % | Die Leistungen entsprechen den Anforderungen voll. | |
11 | 2 | 75 % | |||
10 | 2− | 70 % | |||
9 | befriedigend | 3+ | 65 % | Die Leistungen entsprechen den Anforderungen im Allgemeinen. | |
8 | 3 | 60 % | |||
7 | 3− | 55 % | |||
6 | ausreichend | 4+ | 50 % | Die Leistungen weisen zwar Mängel auf, entsprechen aber im Ganzen noch den Anforderungen. | |
5 | 4 | 45 % | |||
4 | schwach ausreichend1 | 4− | 40 % | Die Leistungen weisen Mängel auf und entsprechen den Anforderungen nur noch mit Einschränkungen.1 | defizitärer Bereich |
3 | mangelhaft | 5+ | 33 % | Die Leistungen entsprechen den Anforderungen nicht, lassen jedoch erkennen, dass die notwendigen Grundkenntnisse vorhanden sind und die Mängel in absehbarer Zeit behoben werden können. | |
2 | 5 | 27 % | |||
1 | 5− | 20 % | |||
0 | ungenügend | 6 | 0 % | Die Leistungen entsprechen den Anforderungen nicht und selbst die Grundkenntnisse sind so lückenhaft, dass die Mängel in absehbarer Zeit nicht behoben werden können. | nicht belegt |
1 = Entgegen der offiziellen Definition der Note „schwach ausreichend“ gilt ein Kurs mit dieser Benotung nicht als bestanden; die Leistungen entsprechen den Anforderungen nicht.
Quelle: [1]
Die Abiturprüfung ist bestanden, wenn mindestens die Durchschnittsnote 4,0 erreicht wird. Dazu werden in jedem Kurs fünf Punkte benötigt. Kursnoten unter fünf Punkten können durch mehr Notenpunkte in anderen Kursen ausgeglichen werden, doch: Je nach Bundesland darf nur eine begrenzte Zahl an sogenannten Unterkursen (Kurse mit einem bis vier Punkten) in die Gesamtqualifikation eingebracht werden. Je nach Bundesland liegt die Höchstzahl bei vier bis sechs im Grundkursbereich sowie bei zwei im Leistungskursbereich. Ein Kurs mit null Punkten („ungenügend“) gilt als „nicht belegt“ und kann nicht eingebracht werden.
Die Punkte, die in den Kurshalbjahren gesammelt werden, werden zu der Gesamtqualifikation zusammengerechnet. Aus dieser Gesamtpunktezahl wird eine Durchschnittsnote errechnet. Per Konvention ist festgelegt, dass der Schnitt dabei nicht besser als 1,0 sein kann, auch wenn rechnerisch die 15 Punkte 0,66 entsprächen.
Für die Umrechnung in eine Durchschnittsnote werden die erreichten Punkte durch die Anzahl der Wertungen dividiert. Beim Abitur sind dies 168 und beim Fachabitur 57. Um anschließend die Durchschnittsnote zu errechnen geht man davon aus, dass eine glatte 2 der Note 2,0 entspricht, eine glatte 1 der Note 1,0 usw. Eine 1+ entspricht dann einer 0,66. Um eine solche Note zu erzielen zieht man die errechnete Durchschnittspunktzahl von 5,66 ab. Daraus ergibt sich folgende Formel:
bzw. für das Fachabitur:
Die Note wird nach der ersten Stelle nach dem Komma abgeschnitten. Es wird nicht gerundet. 0,9; 0,8; 0,7 und 0,6 entsprechen 1,0.
Durchschnittsnote im Abitur
Die Durchschnittsnote im Abitur ergibt sich durch die Punktzahl der Gesamtqualifikation:
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Die gymnasiale Oberstufe in anderen Ländern
Schweiz
- Hauptartikel: Oberstufenschule
In der Schweiz entspricht die deutsche gymnasiale Oberstufe der dortigen Oberstufenschule, meist einfach nur als Oberstufe bezeichnet. Sie wird nach der Primarschule besucht und wird normalerweise in zwei oder drei Schulen, abhängig vom Niveau, aufgeteilt. Die Bezeichnungen dieser Schulen unterscheiden sich von Kanton zu Kanton. Nach Abschluss der Oberstufenschule ist das Schulobligatorium (Schulpflicht) beendet. Die Oberstufenschule wird von Schülerinnen und Schülern normalerweise vom 11. bis zum 15. Lebensjahr besucht. Die Verweildauer beträgt in der Oberstufenschule – je nach Kanton – drei bis vier Jahre.
Liechtenstein
- Hauptartikel: Liechtensteinisches Gymnasium
Das Liechtensteinische Gymnasium in Liechtenstein ist mit der deutschen gymnasialen Oberstufe gleich zu setzen. Sie umfasst vier Jahre (Klassen 9–12). Die Klassen werden OS1, OS2, OS3 und OS4 bezeichnet. Die Gesamtzahl der Stunden in der Oberstufe beträgt 140. Die Schülerinnen und Schüler werden pro Schuljahr in 35 Stunden in der Woche unterrichtet. Es werden fünf verschiedene Profile angeboten. Pro Profil gibt es mindestens zwei Profilfächer, von denen eines mit einer deutlich höheren Wochenstundenzahl unterrichtet wird. Der Unterricht setzt sich aus einer Reihe von Grundlagenfächern, die für alle Schülerinnen und Schüler gleich sind (in OS1 und OS2 29, in OS3 und OS4 26 Wochenstunden), zusammen; aus mehreren Profilfächern, abhängig vom gewählten Profil (sechs bzw. fünf Wochenstunden) sowie aus Wahlpflichtkursen in den Stufen OS3 und OS4, die der Spezialisierung durch die Profile entgegenwirken soll (vier Wochenstunden). Für alle Schülerinnen und Schüler ist die Belegung mehrerer Grundlagenfächer Pflicht. Einige Fächer werden nur in einzelnen Klassenstufen unterrichtet.
Siehe auch
Weblinks
- Abiturbroschüre mit Punktetabelle für die Abiturnote
- Kultusministerkonferenz-Reform vom 7. Juli 1972
- ↑ Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe und der Abiturprüfung. (pdf) Beschluss der KMK vom 07.07.1972 i. d. F. vom 16.03.2023. Kultusministerkonferenz, 16. März 2023, S. 29, abgerufen am 25. Mai 2023.