Burschenschaft
Dieser Artikel befasst sich mit der studentischen Verbindung Burschenschaft weiteres siehe: Burschenschaft (Begriffsklärung).
Eine Burschenschaft (Als Namensteil auch mit "B!" im Schriftverkehr bezeichnet.) ist eine Studentenverbindung, die sich von der Urburschenschaft zu Jena ableitet.
Die Burschenschafts-Bewegung entstand in Deutschland seit 1815, griff dann aber weit über den deutschen Raum hinaus nach Mitteleuropa und zog Gründungen ähnlicher Studentengemeinschaften in Polen, Russland, Ungarn und im Baltikum nach sich. Alle heutigen deutschen Burschenschaftsverbände, besonders die Deutsche Burschenschaft, sehen sich in der Tradition der Urburschenschaft und fühlen sich dem Vaterlands-Prinzip verpflichtet.
Geschichte
Entstehung und Programm
Die Burschenschaften entstanden nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon. Dabei hatten viele Studenten u.a. im Lützowschen Freikorps mitgekämpft. Sie setzten sich danach in der Zeit des Vormärz die Abschaffung der deutschen Kleinstaaterei, die Durchsetzung einer demokratischen Verfassung im Rahmen der Monarchie und die Schaffung eines großdeutschen Reiches zum Ziel.
Die 1815 in Jena gegründete Urburschenschaft bestand aus Gruppen mit nationalen, christlichen und freiheitlichen Ideen. Zu ihren geistigen Wegbereitern gehörten u.a. Ernst Moritz Arndt, "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn und Philosophen wie Johann Gottlieb Fichte.
Sie forderte mit den Werten "Ehre-Freiheit-Vaterland" staatsbürgerliche Verantwortung, ethnische Solidarität und individuelle Freiheitsrechte zugleich ein. Möglich war diese Synthese verschiedener Elemente durch den elitären Ansatz, der in erster Linie die Pflicht des Einzelnen, für das Ganze einzutreten, betonte.
Der vaterländische Gedanke war die wichtigste Idee, für die sich sehr viele Studenten begeistern konnten. Um diese Gesinnung der ganzen Welt mitzuteilen, wurde am 17. Oktober 1817 auf der Wartburg bei Eisenach ein Burschenfest gefeiert, an dem etwa 600 Burschen aus ganz Deutschland teilnahmen.
Das Festdatum war bewusst gewählt, um mit der Reformation Martin Luthers zugleich an den Sieg über Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig zu erinnern. Nach emotionalisierenden Festreden kam es zu einer ungeplanten Bücherverbrennung von Schriften, die als "undeutsch" galten. Verbrannt wurden u.a. Symbole der französischen und der Fürstenherrschaft, der Code Napoleon, und das Buch "Germanomanie" des jüdischen Autors Saul Ascher. Dabei wurde dreifach "Wehe über die Juden!" gerufen.
Diese Bücherverbrennung wurde später unter anderen Vorzeichen von antisemitischen Gruppen und Parteien, vor allem durch die NSDAP kopiert. Vertreter aus der Deutschen Burschenschaft waren 1933 daran führend beteiligt.
Die Versammlung formulierte und beschloss dann gemeinsame Grundsätze und Ziele, um allen deutschen Burschenschaften ein gemeinsames politisches Programm zu geben:
- politische, religiöse und wirtschaftliche Einheit Deutschlands
- Aufhebung der Zollschranken
- Ausbau der Wehrkraft
- Entwicklung der konstitutionellen Monarchie mit vaterländischer Verfassung
- Gleichheit vor dem Gesetz,
- Einführung des Prinzips nulla poene sine lege (Latein: keine Strafe ohne Gesetz)
- Schutz von Freiheit und Eigentum
- Rede- und Pressefreiheit, Freizügigkeit
Das Programm griff also wesentliche liberale Ideen der französischen Revolution auf, obwohl die Burschenschafter diese ablehnten. Sie betteten sie in eine "vaterländische" und "wehrhafte" Monarchie ein.
Die bürgerlichen Rechte finden sich heute in allen europäischen Verfassungen, auch dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, während die Monarchien fast überall abgeschafft wurden.
Im folgenden Jahr kam es an vielen Universitäten zur Gründung von Burschenschaften, die diese Grundsätze vertraten. Diese verstanden sich anfangs nicht als Vielzahl unabhängiger Burschenschaften, sondern als Teil einer einzigen großen Burschenschaft, die die gesamte Studentenschaft umfassen und alle bisher bestehenden Studentenverbindungen ablösen sollte: der "Allgemeinen deutschen Burschenschaft".
Die Vereinigung wurde letztlich nicht erreicht, da einige Verbindungen ihre alten Traditionen festhielten. Die Corps und Landsmannschaften alten Typs bestanden weiter.
Vom Wartburgfest bis zur Paulskirchenversammlung
1819 kam es in vielen deutschen und europäischen Großstädten zu Ausschreitungen von Kleinbürgern und Studenten gegen jüdische Geschäfte und Häuser. Diese sogenannten Hep-Hep-Krawalle reagierten auf die schlechte Wirtschaftslage infolge der raschen Industrialisierung und wurden von vielen Burschenschaftern mitgemacht (siehe auch: Antisemitismus).
Im selben Jahr ermordete der Burschenschafter Karl Ludwig Sand den russischen Agenten August von Kotzebue, dessen Werk "Geschichte des deutschen Reichs" beim Wartburgfest auch verbrannt worden war. Daraufhin erließ die damalige preußische Regierung strenge Verbote jeder studentischen Organisierung an Hochschulen und anderswo. Diese Karlsbader Beschlüsse gingen auf den Einfluss von Fürst Metternich, damals Staatskanzler Österreichs, im Deutschen Bund zurück. Wegen ihnen waren viele Burschenschafter in den nächsten Jahren staatlicher Beobachtung und Verfolgung ausgesetzt.
Auf dem Hambacher Fest 1832 wurden erstmals die Burschenschaftsfarben Schwarz-Rot-Gold (Couleur) verwendet. Sie wurden zum Symbol der Demokratiebewegung in Deutschland und darum später zur Staatsflagge der Weimarer Republik, der Bundesrepublik Deutschland und auch der DDR.
Nach dieser Zusammenkunft wurden die Staatsverbote komplettiert: Alle politischen Vereine und Versammlungen, Fahnen und Abzeichen, Feste und Reden wurden verboten. Ein Spitzelsystem sorgte für Überwachung aller studentischen Aktivitäten.
Nach der Julirevolution in Paris nahm die deutsche Demokratiebewegung wieder zu. Nach und nach wurden die Verbote wieder gelockert. Viele Burschenschafter waren eine treibende Kraft der Revolution von 1848. Infolge der Einrichtung einer Nationalversammlung in der Paulskirche wurden die Karlsbader Verbote endlich aufgehoben.
1859 kam es beim 100. Geburtstag von Friedrich Schiller zu ersten offiziellen Gründungen von Burschenschaften auf dem Gebiet von Österreich-Ungarn. Zuvor hatte Metternich dort ein Koalitionsverbot mit effizienten Unterdrückungsmethoden durchsetzen können.
Burschenschaften im Kaiserreich
Nach der Einigung des Reiches 1871 sahen die Burschenschaften ihr wichtigstes Ziel, den Zusammenschluss der deutschen Länder und Staaten, als erreicht an und zogen sich allmählich aus dem politischen Leben zurück. Aus der revolutionären Bewegung wurde eine staatstragende Organisation, deren Mitglieder - bedingt durch ihre Herkunft aus dem Bürgertum - nun eher eine nationalkonservative Richtung vertraten.
Burschenschaften in der Weimarer Republik
In der Gründungsphase bekannten sich die meisten Burschenschafter zur Weimarer Republik und unterstützten Wahlen zur Nationalversammlung. Bald darauf aber gingen sie auf Distanz zu dem neuen demokratischen Staat: besonders als klar wurde, dass es zu keiner Vereinigung mit Deutsch-Österreich kommen würde. Diese war für sie aufgrund ihrer großdeutschen Tradition ein wichtiges Anliegen.
Demgemäß engagierten sie sich damals besonders im "Grenzland": So bezeichnete man die Gebiete, die Deutschland im Versailler Vertrag verloren hatte. Sie bereisten diese, hielten Kontakt zu dortigen Universitäten und betreuten besonders Studenten, die von dort kamen und an deutschen Universitäten studierten.
Im Flaggenstreit befürworteten sie die schwarz-weiß-rote Fahne als neue Staatsflagge, um die Kontinuität zum wilhelminischen Kaiserreich zu betonen. Die Farben schwarz-rot-gold wollten sie nur als Burschenschaftsfarben gelten lassen.
1920 auf dem Burschentag der Deutschen Burschenschaft (DB) wurde ein Antrag angenommen, alle Juden und alle, die von Juden abstammen oder mit Jüdinnen verheiratet waren, von der Mitgliedschaft auszuschließen. Das führte sofort zu erfolglosen Protesten einiger der Alten Herren, die zum Teil mit Juden verwandt oder verheiratet waren.
Diese rassistische Haltung hatte sich seit ungefähr 1880 immer mehr durchgesetzt. Antisemitismus hatte seitdem besonders in sozialen Krisen stetig Zulauf gewonnen. Die organisierten Studenten folgten diesem gesamtgesellschaftlichen Trend. Aber sie übernahmen auch eine Vorreiterrolle beim Ausschluss der Juden aus öffentlichen Verbänden. Die Mehrheit der im Reichstag vertretenen Parteien folgte dem bis 1933 nicht.
Die DB driftete nun auch sonst politisch nach rechts ab: Sie vertrat ideologisch vor allem den "vaterländischen Gedanken". Seit 1920 durften ihre Mitglieder nicht zugleich in der KPD und SPD sein, seit 1929 auch nicht mehr im Zentrum. Deshalb gingen katholische Verbindungen nun auf Distanz zur DB. Die Katholiken waren im Kaiserreich seit dem Kulturkampf ausgegrenzt und stützten daher jetzt eher die Republik.
Im Kontext der Weltwirtschaftskrise von 1929 nahm der Einfluss des Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund (NSDStB) an fast allen Universitäten - außer der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität - sprunghaft zu. Anders als bei den Linksparteien erlaubte die DB ihren Mitgliedern hier die Doppelmitgliedschaft, da es ideologisch eine große Übereinstimmung gab. Sie erhoffte sich dadurch, Einfluss auf ihre Mitglieder zu behalten, da zu befürchten stand, sonst vom NSDStB überrollt zu werden. Während die aktiven Studenten der DB wenig Berührungsängste zur NS-Ideologie hatten, blieben die "Alten Herren" auf Distanz.
Burschenschaften im Dritten Reich
Adolf Hitlers Machtergreifung wurde von einer Mehrheit der im DB organisierten Burschenschaften begeistert begrüßt. Bald darauf initiierten einige seiner Führer zusammen mit der Hitlerjugend und SA eine öffentliche Bücherverbrennung. Diese knüpfte ausdrücklich an das Wartburgfest von 1817 an und betraf vor allem jüdische Autoren, darunter viele ehemalige Burschenschafter.
Anfangs förderten die Nationalsozialisten die Burschenschaften zum Teil. Seit 1934 setzten sie sie im Rahmen der Gleichschaltung immer stärker unter Druck, um sie wie alle übrigen Studentenverbände dem NS-Studentenbund (NSDStB) einzugliedern. Viele Burschenschaften entzogen sich dem, indem sie sich vorher selbst auflösten. Andere führten ihre Traditionen verdeckt innerhalb der NS-Kameradschaften fort.
In der Folgezeit widersprachen Studentenverbände sowenig wie die Bevölkerung dem Völkermord im Krieg und im Holocaust. Heinrich Heine, bis 1820 selbst Mitglied einer Burschenschaft, sollte Recht behalten:
"Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen."
Burschenschaften heute
Nach 1945 kam es zu Wiedergründungen. Ein Teil der Burschenschaften ist heute in den Korporationsverbänden Deutsche Burschenschaft (DB) und Neue Deutsche Burschenschaft (Neue DB) organisiert.
Die Deutsche Burschenschaft sieht sich in der patriotischen Traditionslinie und vereint Verbindungen aus der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich; Burschenschaften aus Chile haben ein Assoziationsverhältnis mit ihr.
Die heutige DB hat zu ihrer teilweise dunklen Vergangenheit bisher keine überzeugende Abgrenzung vollzogen. Das hat auch die Erneuerung ihres Programms verhindert. Nach wie vor werden Relikte wie ein "Vaterland", das Teile Österreichs und die ehemaligen Ostgebiete umfassen soll, ein "deutsches Volkstum", das hier geborene Kinder von Migranten ausschließt, und andere Positionen vertreten. Dem wird zwar von Mitgliedsburschenschaften der DB widersprochen, diese können sich zur Zeit aber nicht gegen die Gesamtlinie des Verbands durchsetzen.
Bayerns Innenminister Günther Beckstein, selbst Alter Herr einer Studentenverbindung, warnte 2001, "Rechtsextremisten versuchten in akademischen Burschenschaften und über diese an den Hochschulen Einfluss zu gewinnen. Bayern sehe daher nicht weg, wenn Rechtsextremisten Kontakte mit Burschenschaften pflegten oder gar versuchten, akademische Verbindungen zu unterwandern."
Der Verfassungsschutz überwacht gegenwärtig die Danubia München, die Teutonia Regensburg und Frankonia Erlangen und außerhalb Bayerns die Germania Hamburg.
Demgegenüber vertreten Burschenschaften, die anderen Dachverbänden angehören, klar liberalere Programme. Die Neue Deutsche Burschenschaft betont vor allem ihre Verbundenheit mit dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland. Sie wurde durch einige Burschenschaften, die sich nach internen Meinungsverschiedenheiten von der Deutschen Burschenschaft abgespalten haben, gegründet.
Außerhalb der beiden genannten Dachverbände existieren weitere Studentenverbindungen, die sich Burschenschaft nennen: z.B. im Schwarzburgbund, der nur nicht-schlagende Verbindungen aufnimmt, und im Ring katholischer Deutscher Burschenschaften (RKDB). Einige der liberalsten Verbindungen, wie die Burschenschaft Frankonia im Schwarzburgbund zu Marburg bekennen sich zur burschenschaftlichen Tradition.
Daher ist eine pauschale Einordnung aller Burschenschaften als "rechtsradikal" ihrerseits zu überprüfen, als "rechtsextrem" falsch, da dies automatisch zu einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz führte. Diese Ablehnung vertritt heute z.B. die fzs, die man dem politisch linksgerichteten Spektrum studentischer Organisationen zurechnen darf.
Seit 1989 haben auch Esten, Letten, Polen und Ukrainer wieder ein aktives Verbindungsleben aufgenommen.
Namhafte Burschenschafter
Wissenschaft und Wirtschaft
- Konrad Duden (1829-1911), Philologe
- Ernst Heinrich Heinkel (1888-1958), Flugzeugbauer
- Heinrich Hertz (1857-1894), Physiker
- Otto Loewi (1873-1961), Mediziner
- Theodor Mommsen (1817-1903), Historiker
- Franz Oppenheimer (1864-1943), Nationalökonom
- Ferdinand Porsche (1875-1951), Automobilbauer
- Arnold Sommerfeld (1868-1951), Atomphysiker
- Lorenz von Stein (1815-1890), Staatsrechtler und Soziologe
- Max Weber (1864-1920), Soziologe, Nationalökonom und Wirtschaftshistoriker
Kunst, Literatur, Musik
- August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), Germanist und Dichter
- Fritz Reuter (1810-1874), niederdeutscher Schriftsteller
- Theodor Storm (1817-1888), Jurist und Schriftsteller
Politik und Gesellschaft
- Robert Blum (1807–1848)
- Rudolf Breitscheid (1874–1944), sozialdemokratischer Politiker
- Eberhard Diepgen, ehem. regierender Bürgermeister Berlins
- Heinrich Himmler (1900–1945) Reichsführer SS
- Ferdinand Lassalle (1825–1864), Publizist und Arbeiterführer
- Eduard von Simson (1810–1899), Jurist und Politiker
- Friedrich Julius Stahl, Rechtsphilosoph und Politiker
- Gustav Stresemann (1878–1929)
- Horst Wessel (1907–1930) Texter der späteren Parteihymne der NSDAP
Kritik von Zeitzeugen
Heine studierte zwischen 1819 und 1825 Jura in Bonn, Göttingen und Berlin. In seiner Göttinger Studienzeit war er Mitglied einer Burschenschaft. Doch schon 1820 äußerte er sich sehr kritisch über das Wartburgfest und seine Göttinger Erfahrungen (Werke Band 4, Ausgabe Insel-Verlag, S. 415f)
- "... Auf der Wartburg hingegen herrschte jener unbeschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes war als Haß des Fremden und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte, als Bücher zu verbrennen! ... Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen."
- "Im Bierkeller zu Göttingen mußte ich einst bewundern, mit welcher Gründlichkeit meine altdeutschen Freunde die Proskriptionslisten anfertigten, für den Tag, wo sie zur Herrschaft gelangen würden. Wer nur im 7. Glied von einem Franzosen, Juden oder Slawen abstammte, ward zum Exil verurteilt. Wer nur im mindesten etwas gegen Jahn oder überhaupt gegen altdeutsche Lächerlichkeiten geschrieben hatte, konnte sich auf den Tod gefaßt machen..."
Heine sah also schon wenige Jahre nach der Gründung der Urburschenschaft voraus, wohin sich der "Teutomanismus" und sein Pendant, der Juden- und Fremdenhass mit rassistischen Untertönen eines Tages entwickeln würde.
Siehe auch
- Liste verbindungsstudentischer Begriffe, Liste der Dachverbände von Studentenverbindungen
- Rote Burschenschaft, Arminia, Burschenschaft Danubia