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Antijudaismus im Neuen Testament

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Dieser Artikel befasst sich mit einer besonderen Form von Judenfeindlichkeit. Dort findet man andere Formen und eine Übersicht über verwandte Themen.


Antijudaismus (griechisch-lateinisch: "prinzipiell gegen Juden") nennt man die Ablehnung, Anfeindung und Verfolgung von Angehörigen des Judentums durch Christen, Kirchen, christliche Staaten und Regierungen.

Diese Judenfeindschaft entstand mit dem Christentum seit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n. Chr. Sie wurde seit der "konstantinischen Wende" zum Grundbestand christlicher Theologie. Sie bestimmte - von räumlich und zeitlich begrenzten toleranten Perioden abgesehen - den Umgang christlicher Mehrheiten mit jüdischen Minderheiten in weiten Teilen Europas bis in die Gegenwart hinein.

Der Antijudaismus war und ist religiös und sozialpsychologisch, aber auch politisch motiviert. Er prägte die Volksfrömmigkeit mit Dämonisierungen von "verstockten" Juden als "Gottesmördern", "Brunnenvergiftern", "Kindesmördern" sowie Feindbildern von "reichen", "geizigen", "listigen", "verschlagenen" jüdischen Ausbeutern.

Diese Zerrbilder entwickelten sich mit der Ghettoisierung jüdischer Gemeinden und Tabuisierung bestimmter Berufe für Christen im Mittelalter. Sie wurden von den Kirchen propagiert, durchgesetzt und oft im Kontext von Missständen, Pest oder Kreuzzügen aktiviert. Ob religiöse, politische oder soziale Ursachen dabei Vorrang hatten, ist umstritten.

Antijudaismus äußerte sich in Zwangstaufen, Verketzerung, Ausgrenzung, Stigmatisierung, Hassausbrüchen, ungeplanten Massakern bis hin zu organisiertem Massenmord in Pogromen. Bisweilen ging er bis zur Vertreibung aller Juden aus einer Stadt oder Region.

Erst die Aufklärung und die französische Revolution drängten den kirchlichen Einfluss auf Volksglauben, Kultur und Gesellschaft zurück. Doch die antijüdischen Stereotypen des Mittelalters ließen sich nicht einfach aufklären. Das aufstrebende Bürgertum übernahm einen Großteil davon.

So wanderten sie in den Antisemitismus der Neuzeit ein. Religiöse Motive traten dabei zurück oder wandelten ihre Bedeutung. Sie wurden nun rassistisch begründet und verschärft, bis sie in den staatlich organisierten industriellen Massenmord am europäischen Judentum mündeten.

Die meisten deutschen Nazis und ihre Helfer waren nominell getaufte Christen. Die Kirchen kooperierten mit ihnen und setzten ihnen kaum Widerstand entgegen. Sie lieferten zusätzliche Gründe für den Judenmord, die ihre Mitglieder lähmten, sich ihm zu widersetzen. Insofern sind beide Formen von Judenfeindlichkeit zwar nicht gleichsetzbar, aber auch nicht trennbar: Sie sind historisch eng verwandt, beeinflussten und bedingten einander (Raul Hilberg).

Erst nach dem Holocaust setzte die Aufarbeitung auch des christlichen Antijudaismus ein. Kritik daran und Überwindung seiner Verhaltensmuster wurde durch den jüdisch-christlichen Dialog gefördert und dauert bis heute an.

Religiöse Ursprünge: Antijudaismus im Neuen Testament

Antijudaismus ist ein spezifisch christliches Phänomen. Er ist schon im Neuen Testament (NT) zu finden, das im 2. Jahrhundert n. Chr. entstand.

  • Das Markusevangelium begründete die spätere Theorie vom "Gottesmord" und der "Verwerfung" Gesamtisraels als Volk Gottes (Mk. 12, 9).
  • Das Matthäusevangelium stellte die jüdische Partei der Pharisäer als Feinde Jesu und der Christen dar und verzerrt so ihr historisches Bild, obwohl Jesus ihnen nahe stand. Dort findet man auch die "Selbstverfluchung" , die Christen später an Juden vollstreckten: "Sein Blut komme über uns und unsere Nachkommen!" (Mt. 27, 25).
  • Das Johannesevangelium sieht "die" Juden als Vertreter der alten, von Satan beherrschten Welt, die Christus ablehnt und die er besiegt: "Ihr habt den Teufel zum Vater...Der ist ein Mörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit...Weil ich aber die Wahrheit sage, glaubt ihr mir nicht...weil ihr nicht von Gott seid." (Jh. 8, 44ff) Dasselbe Evangelium hält gleichwohl fest: "Das Heil kommt von den Juden!" (Jh. 4, 22)
  • Für Paulus hat Christus den Heilsweg der Tora beendet (Röm. 11, 4), so dass nur noch der Glaube an ihn zum Heil führt (Gal. 3, 13f). Das verstand christliche Exegese als Ablösung des Judentums durch die Kirche. (...Heute übersetzt man Röm. 11, 4: "Christus ist das Ziel (telos) des Gesetzes". Gerade Paulus bekräftigte daher die endgültige Erwählung Israels (Röm. 11, 2), an die er alle Christen bleibend erinnerte. Er verstand das Evangelium als Einbeziehung der Völker in den Abrahambund und verpflichtete die Christen auf künftige Erlösung ganz Israels: Röm. 9-11...wird später in einen Teil "kirchliche Aufarbeitung" verschoben). Paulus erklärt 1.Thess. 2,15 zudem, dass die Juden Jesus, die Propheten und nun auch die christliche Gemeiende verfolgten. Während das erste kaum haltbar ist, so ist die Verfolgung der urchristlichen Gemeinde durch Paulus' eigene Vita (Apg. 5-9) sowie durch das Achtzehnbittgebet gedeckt.
  • Die Apostelgeschichte unterschied zwar historisch korrekt Sadduzäer als Verfolger und Pharisäer als Fürsprecher der Urchristen (Apg. 5, 17ff), periodisierte aber die Missionsgeschichte und legte so ebenfalls Israels Ablösung durch die universale Kirche nahe. - Die Missionspredigt des Stefanus etwa polemisierte (Apg. 7, 51ff): "Ihr Halsstarrigen, mit verstockten Herzen und tauben Ohren, ihr widerstrebt allezeit dem heiligen Geist, wie eure Väter, so auch ihr. Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? ..." Ähnlich scharf hatte Jesus selber im Anschluss an die Gerichtspropheten seine Mitjuden kritisiert (Beleg).
  • Die Johannesoffenbarung sah Christen als wahre Juden gegenüber der "Satanssynagoge" und legte deren Zwangsbekehrung nahe (Apk. 3, 9): "Siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, daß ich dich geliebt habe." Andererseits erwartete sie das "neue Jerusalem" als Gottesstadt vom Himmel her und bestätigte damit jüdische Prophetie und Apokalyptik (Beleg).

Diese grobe Übersicht zeigt schon, dass "Judenfeindlichkeit" kein generelles Kennzeichen urchristlicher Theologie war. Ihre Verzerrungen sind vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu sehen und theologisch zu relativieren (s.u.). Entscheidend für den späteren gesamtkirchlichen Antijudaismus wurden aber die miteinander verknüpften Theorien,

- dass das "Alte" Testament überholt oder kein gültiges Wort Gottes mehr sei

- dass der Tod des Messias Jesus Christus von allen Juden aller Zeiten verschuldet war

- dass Israel deshalb nicht mehr das auserwählte Gottesvolk, sondern Gottes Bund mit ihm auf die Kirche übergegangen sei.

(Fortsetzung folgt...)

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