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Edmund Weiskopf

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Edmund Weiskopf oder Weißkopf[1], auch Ödön Virág (* 22. November oder 1. Dezember 1911 in Budapest; † unbekannt), war ein österreichisch-ungarischer Fußballer, der den Großteil seiner Karriere in Frankreich gespielt hat und – als Edmond Weiskopf, genannt Virage[2] – auch in der französischen Nationalelf eingesetzt wurde.

Vereinslaufbahn

Die Biographie dieses Außenstürmers ist mit diversen Fragezeichen zu versehen, wie sich bereits an den unterschiedlichen Namensschreibweisen und Geburtsdaten[3] ablesen lässt; dabei war Edmond Weiskopf ja kein Nobody, sondern brachte es zu nationalen Ehren und sogar internationalen Einsätzen. Sie ist gleichzeitig ein anschauliches Beispiel für die Karriere eines jüdischen Fußballers in den 1930er und 1940er Jahren, deren einzelne Stationen stark von der politischen Situation in Mitteleuropa bestimmt waren und Freiwilligkeit oder Zwang eines Ortswechsels teilweise nicht unterscheidbar erscheinen lassen.

Vor dem Zweiten Weltkrieg

Kurz vor deren Ende im ungarischen Teil der k.u.k.-Monarchie geboren, spielte er unter dem Namen Viràg Ödön in den 1920ern bei Sondyi Budapest und brachte es zu einer nicht näher spezifizierbaren Anzahl von Jugendländerspielen für den jungen ungarischen Fußballverband.[4] Anfang der 1930er[5] wechselte er nach Wien zum seinerzeit sehr erfolgreichen jüdischen Klub SC Hakoah Wien. Dort hat er, als Edmund Weißkopf, bis Saisonende 1934 gespielt, unter anderem an der Seite von Friedrich Donnenfeld.

Gründe und genauer Zeitpunkt seines anschließenden Wechsels nach Frankreich liegen wiederum im Dunklen. Der um 1934 noch hauptsächlich latente Antisemitismus in Österreich könnte Weiskopfs Entscheidung ebenso beeinflusst haben wie einfache sportliche Gründe: Sein Karriereende bei den Kriauern verbrachte er nämlich hauptsächlich auf der Bank als Ersatzspieler für Reich, der ihn von seiner Stammposition verdrängen konnte.[6] Zudem könnte die Tatsache, dass westlich des Rheins seit 1932 mit dem Fußballspielen auch Geld zu verdienen war und es zahlreiche Österreicher und Ungarn in die Division 1 zog,[7] so dass er möglicherweise auch einfach dem „Zug der Zeit“ gefolgt ist, eine Rolle gespielt haben. Von 1934 bis 1936[8] stand er beim FC Sète unter Vertrag, der in der Saison 1933/34 gerade den Doublé (Meisterschaft und Pokalsieg in der selben Spielzeit) gewonnen hatte. Eine Wiederholung dieser Erfolge gelang den Südfranzosen in den folgenden beiden Jahren nicht, so dass Weiskopf zunächst noch ohne Titel blieb; immerhin gehörten die Sètois mit den Ligaplatzierungen Vier und Sieben sowie dem Erreichen des Pokalviertelfinals 1935 aber zu den dominierenden Teams im französischen Fußball.

1936 wechselte er zu Olympique Marseille, und gleich in seiner ersten Saison wurde er mit dieser Mannschaft Landesmeister. Er brachte es zwar in den 30 Ligabegegnungen nur auf 13 Einsätze, weil der Klub über sieben hochkarätige Angreifer verfügte, aber dennoch galt er auf der Linksaußenposition als Stammspieler,[9] zumal er auch 13 Treffer erzielt hatte.[10] 1937/38 wurde Marseille immerhin Vizemeister, und Weiskopf stand diesmal in zwölf Punktspielen (fünf Tore) auf dem Platz.[11] In dieser Spielzeit gehörte auch sein ehemaliger Hakoahner Mitspieler Donnenfeld zum Kader der Provençalen, aber beide kamen bei dem krönenden Saisonabschluss nicht zum Einsatz, als Olympique im Endspiel um die Coupe de France mit 2:1 nach Verlängerung gegen den FC Metz obsiegte.[12]

Dafür hatten die Lothringer offensichtlich Gefallen an Weiskopfs Spielkünsten gefunden, denn zur Saison 1938/39 holte Metz ihn aus Marseille, das mit Ben Barek zeitgleich einen zusätzlichen und sehr erfolgreichen Offensivmann verpflichtet hatte. Mit dem FC Metz langte es zwar nur zu einem Mittelplatz in der Division 1, aber in diesem Jahr wurde der inzwischen eingebürgerte Budapester zum französischen A-Nationalspieler (siehe unten), was den Pokalsieger und Ligadritten von 1939 auf den Linksaußen aufmerksam werden ließ.

Während Krieg und Besetzung

Der Racing Club de Paris war nicht nur wegen seiner Spielstärke ein attraktiver Klub für Edmond Weiskopf – wie er sich nun nannte[13] –, sondern in diesem Team standen während der Saison 1939/40 mit „Rodolphe“ Hiden, „Auguste“ Jordan und „Henri“ Hiltl gleich drei österreichische sowie mit Gyula Mate auch ein ungarischer Spieler, die gleichfalls inzwischen französische Nationalspieler waren. Außerdem galt Racing aufgrund des Einflusses seines Präsidenten Lévy als „judenfreundlicher Klub“.[14] Diese Spielzeit stand aber nicht nur in Frankreich unter dem Zeichen des heraufziehenden Zweiten Weltkriegs. Bereits im September 1939 führte die französische Generalmobilmachung dazu, dass bei zahlreichen Vereinen nur noch Rumpfmannschaften zur Verfügung standen; ein geordneter Ligabetrieb war nicht mehr möglich, so dass die Liga dreigeteilt wurde. Angesichts des deutschen Einmarsches ab Mai 1940 – Paris selbst wurde am 14. Juni besetzt – erlaubte aber selbst diese Maßnahme keinen regulären Meisterschaftsverlauf mehr: Racing beispielsweise konnte von 18 Spielen der Nordstaffel nur noch neun austragen. Der Pokalwettbewerb hingegen wurde mit dem Finale am 5. Mai 1940 im allerdings nicht ausverkauften Prinzenparkstadion (nur noch 25.970 zahlende Zuschauer)[15] noch vollständig abgewickelt. Und in diesem Endspiel stand Edmund Weiskopf im Angriff des Racing Club, der gegen Olympique Marseille mit 2:1 gewann. Diese Begegnung brachte zugleich ein Wiedersehen mit Friedrich Donnenfeld, der für OM auf der Linksaußen-Position stürmte.[16]

Sechs Wochen nach diesem sportlichen Triumph, am 14. Juni, besetzte die Wehrmacht Paris. Es ist zu vermuten, dass Weiskopf sich zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Hauptstadt abgesetzt hatte; im Waffenstillstandsabkommen vom 22. Juni blieb der Südosten des Landes unbesetzt, so dass die Verfolgungsgefahr für einen Juden mit französischer Staatsbürgerschaft hier zunächst geringer war. Sportlich nahm ihn der Endspielgegner von Anfang Mai, Olympique Marseille, mit offenen Armen auf[17] und Weiskopf gelang hier im Sommer 1941 noch einmal ein allerdings nur regionaler Titelgewinn, denn OM beendete die Saison als Meister der Südstaffel, wozu er bei neun Einsätzen zwei Treffer beisteuerte.[18] Zu einem Endspiel gegen den Nord-Meister Red Star Paris kam es nicht mehr, und ohnehin wäre dessen Sieger kein anerkannter Landesmeister gewesen – die „Kriegsmeisterschaften“ 1940 bis 1945 zählen nicht als offizielle Titel. Auch 1941/42 war er (unter dem Namen Virage) noch bei Marseille und erzielte in 13 Spielen vier Tore.[19]

Ab Sommer 1942 verliert sich der Weg Weiskopfs: er soll nach Marseille beim FC Annecy gespielt haben, bei dem er möglicherweise bis 1944 blieb[20] – oder zu dem er erst 1946, also nach Kriegsende, kam.[21]
Nach einer anderen Quelle spielte er von 1942 bis 1945 wieder bei Racing Paris, was alleine aufgrund seiner Biographie wenig wahrscheinlich ist, zumal in der Saison 1943/44 in ganz Frankreich – sowohl im besetzten wie im „freien“ Teil]] – aufgrund der sportpolitischen Zielsetzung des Vichy-Regimes, den Professionalismus im Sport abzuschaffen, überhaupt keine Vereins-, sondern nur regionale Auswahlmannschaften antraten. Außerdem ist für die Saison 1944/45 nachgewiesen,[22] dass Edmond Weiskopf für Red Star acht Erstligaspiele bestritt und dabei vier Tore erzielte. Nach der Befreiung des Landes spielte er bei diesem Klub erneut mit Donnenfeld in einer Mannschaft; als Red Star Ende Mai 1946 das französische Pokalendspiel mit 2:4 gegen Lille OSC verlor, stand aber keiner von beiden in der Elf der Audoniens.[23]
Selbst für die wieder friedlichere Zeit danach ist nicht eindeutig, wo bzw. ob Weiskopf überhaupt noch Fußball spielte. Dass er ab 1947 noch für Stade Français seine Stiefel schnürte,[24] erweckt angesichts seines fortgeschrittenen Alters, der auch vorher schon nur noch gelegentlichen Einsätze sowie der Tatsache, dass Stade Français sich gerade in dieser Zeit eher durch teure Einkäufe personell verstärkte, um endlich einmal Meister zu werden, gewisse Zweifel. Gesichert ist allerdings, dass Edmond Weiskopf ab der Saison 1948/49 kein einziges Spiel mehr in einer professionellen französischen Liga bestritt.[25]

Was für diese Jahre bleibt, ist das Bild eines Menschen, der sich nirgendwo lange aufhielt und dessen Spuren sich möglicherweise auch deshalb so schwer verfolgen lassen, weil er kein Interesse daran haben konnte. Ebensowenig ist über das weitere Leben Weiskopfs etwas bekannt.

Stationen

  • Sondyi Budapest
  • Hakoah Wien (spätestens Anfang 1932 - mindestens September 1933)
  • FC Sète (1934-1936)
  • Olympique de Marseille (1936-1938)
  • Football Club de Metz (1938/39)
  • Racing Club de Paris (1939/40)
  • erneut bei Olympique de Marseille (1940-1942)
  • Football Club d'Annecy (1942-1944; evtl. erst ab 1946?)
  • Red Star Olympique (1944-1946)
  • Stade Français Paris (ab 1947?)

Der Nationalspieler

Am 16. März 1939 bestritt der inzwischen in Frankreich eingebürgerte Edmond Weiskopf im Pariser Prinzenpark ein A-Länderspiel für die Équipe tricolore – und das ausgerechnet gegen sein Heimatland, dessen Farben er als Jugendlicher selbst noch getragen hatte. Er spielte in einer Elf, die an diesem Tag dem Vizeweltmeister von 1938 Paroli zu bieten vermochte (Endstand: 2:2), und auf seiner gewohnten Linksaußenposition[26]. Aber er fand an diesem Tag zu seinen Sturmkollegen – die Reihe Aston-Ben Barek-Courtois-Heisserer war das Beste, was Frankreich in diesen Jahren aufzubieten hatte – keine Bindung und war persönlich „gegen seine ehemaligen Landsleute so nervös, dass ihm praktisch alles misslang, was er anfing, und seine internationale Karriere somit gleich wieder beendet war“.[27]

Palmarès

Literatur

  • Marc Barreaud: Dictionnaire des footballeurs étrangers du championnat professionnel français (1932-1997). L'Harmattan, Paris 1998 ISBN 2-7384-6608-7
  • Hubert Beaudet: Le Championnat et ses champions. 70 ans de Football en France. Alan Sutton, Saint-Cyr-sur-Loire 2002 ISBN 2-84253-762-9
  • Hubert Beaudet: La Coupe de France. Ses vainqueurs, ses surprises. Alan Sutton, Saint-Cyr-sur-Loire 2003 ISBN 2-84253-958-3
  • Denis Chaumier: Les Bleus. Tous les joueurs de l'équipe de France de 1904 à nos jours. Larousse, o.O. 2004 ISBN 2-03-505420-6
  • Gérard Ejnès/L'Équipe: La belle histoire. L'équipe de France de football. L'Équipe, Issy-les-Moulineaux 2004 ISBN 2-951-96053-0
  • Sophie Guillet/François Laforge: Le guide français et international du football éd. 2007. Vecchi, Paris 2006 ISBN 2-7328-6842-6
  • Roman Horak/Wolfgang Maderthaner: Internationalität - Migration, in: Mehr als ein Spiel - Fußball und populare Kulturen im Wien der Moderne. Löcker, Wien 1997, ISBN 3-85409-276-8

Referenzen

  1. Schreibweise der zeitgenössischen österreichischen Sport- und Tageszeitungen
  2. Bei Ejnès, S. 378, tatsächlich mit Endungs-e! Virage bedeutet auf Französisch Kurve, Wende, Drehung, und möglicherweise hat der Autor hierbei eine fußballerische Eigenschaft des Flügelstürmers im Hinterkopf gehabt. Allerdings wird Weiskopf auch auf der Homepage von Olympique Marseille unter diesem Pseudonym geführt; siehe z.B. http://www.om-passion.com/joueursutilises_saison_1940.html
  3. Chaumier, Ejnès und der französische Fußballverband nennen den 22. Oktober, Barreaud den 1. November als Weiskopfs Geburtsdatum
  4. Siehe http://www.rsssf.com/miscellaneous/hongfran-recintlp.html und Chaumier, S. 313
  5. Seine erstes Tor als Professional erzielte er am 14. Februar 1931 im Cupachtelfinalspiel gegen Cricketer; vergleiche Reichspost, 15. Februar 1932, S.5: Das Tor der Kriauer erzielte Weißkopf ...
  6. Vgl. Reichspost, 8. April 1934, S. 18, und weitere folgende Ausgaben.
  7. Vgl. zu den Zahlen ausländischer Profis in Frankreich diese Zusammenstellung
  8. Barreaud, S. 47
  9. Beaudet 2002, S. 191
  10. Guillet/Laforge, S. 138; http://www.om-passion.com/joueursutilises_saison_1936.html
  11. Guillet/Laforge, S. 139; http://www.om-passion.com/joueursutilises_saison_1937.html
  12. Aufstellung bei Beaudet 2003, S. 193, und Guillet/Laforge, S. 313
  13. Zusätzlich zum romanisierten Vornamen tauchte auch die Zusatzbezeichnung „genannt Virag“ in dieser Zeit auf (vgl. Ejnès, S. 378).
  14. Vgl. das Kapitel zum RC Paris in Dietrich Schulze-Marmeling (Hg.): Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball. Die Werkstatt, Göttingen 2003
  15. Zwei Jahre zuvor entrichteten dort noch über 33.000 Besucher ihren Obolus, und dem Finale 1939 im größeren Stade Yves-du-Manoir hatten sogar über 52.000 Zuschauer beigewohnt (Guillet/Laforge, S. 313f.)
  16. Beaudet 2003, S. 193
  17. Laut Guillet/Laforge, S. 142, gehörte dieser Wechsel zu den spektakulärsten Transfers in der Division 1 dieser Saison
  18. http://www.om-passion.com/joueursutilises_saison_1940.html
  19. http://www.om-passion.com/joueursutilises_saison_1941.html
  20. Barreaud, S. 166
  21. So die FFF auf Weiskopfs Datenblatt; allerdings sind die Verbandsangaben nur mit Vorsicht zu genießen, da sie selbst zu sehr viel renommierteren Nationalspielern gerade hinsichtlich der Vereinszugehörigkeiten d.ö. Fehler enthalten.
  22. Barreaud, S. 166
  23. Beaudet 2003, S. 194; Guillet/Laforge, S. 315
  24. Einzige Quelle für diese Station Weiskopfs ist wiederum die Seite der FFF.
  25. Stéphane Boisson/Raoul Vian erwähnen ihn in ihrer akribischen Arbeit Il était une fois le Championnat de France de Football. Tous les joueurs de la première division de 1948/49 à 2003/04. (Neofoot, Saint-Thibault o.J.) nicht.
  26. Ejnès, S. 308
  27. Chaumier, S. 313

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