Hartwig von Hundt-Radowsky
Hartwig von Hundt-Radowsky (*15. Mai 1780 in Schlieven bei Parchim gest. 15. August 1835 in Burgdorf (Schweiz)) war ein deutscher Vordenker des Antisemitismus.
Nur wenige Wochen nach den antijüdischen Hep-Hep-Unruhen, im November 1819, wurde die Hetzschrift ‚Der Judenspiegel’ von Hartwig von Hundt-Radowsky veröffentlicht. Dieses unrühmliche "Hauptwerk" Hundt-Radowskys stellt ein außergewöhnliches Beispiel frühen "rassistischen" Gedankengutes dar. Es verbindet rassisch-völkische Argumentationslinien sowie "klassische" religiöse Stereotype in einer irritierenden Bildgewalt.
Der als ‚Hartwig von Hundt-Radowsky’ bekannt gewordene Autor wurde als Joachim Hartwig Hundt geboren. Im Laufe seines Lebens fügte er den Beinamen Radowsky hinzu und schmückte den entstandenen Namen gelegentlich mit einem Adelsprädikat aus.
Hartwig von Hundt-Radowsky war 39 Jahre alt, als er den ‚Judenspiegel’ erstveröffentlichte. Zu diesem Zeitpunkt konnte er bereits auf ein bewegtes Leben zurückblicken: Der als zweite Sohn eines mecklenburgischen Gutsbesitzers geborene Hartwig Hundt bezog seine Schulbildung durch Hauslehrer und das Gymnasium der Stadt Parchim und arbeitete anschließend auf verschiedenen Gütern seines Vaters. Im Alter von 22 Jahren heiratete er eine Pastorentochter; kurze Zeit später, im Jahr 1805, geriet das von ihm verwaltete Gut Goldberg in finanzielle Schwierigkeiten und fiel schließlich in die Hände der Gläubiger. Hartwig Hundt begann daraufhin ein Jurastudium an der Universität in Helmstedt, um schließlich die Stelle eines Hof- und Landgerichtadvokaten in Parchim anzunehmen. Bereits in der Zeit seines Studiums begann er zu schreiben. Seine juristische Tätigkeit vermochte Hundt nicht lange zu fesseln, es zog ihn aus der Kleinstadt südöstlich von Schwerin nach Berlin und zur Schriftstellerei. Elf Jahre nach seiner Eheschließung verließ er seine Familie und siedelte nach Berlin um.
Beeinflusst von der Idee des Deutsch-Nationalismus scheint sich Hundts latenter Judenhass hier manifestiert zu haben und auch sein Franzosenhass trat zu diesem Zeitpunkt deutlich zu Tage: Mit ‚Harfe und Speer’ veröffentlicht Hundt 1815 einen Band antinapoleonischer Kriegslyrik.
1817 siedelte Hundt-Radowsky von Berlin nach Sachsen über, er kritisiert in der folgenden Zeit die preußische Zensur und äußerte sich in einer Flugschrift zur Ermordung August von Kotzebues. Der Angriff auf den Schriftsteller, der von Metternich zum Anlass für das Vorgehen gegen nationale und liberale Agitatoren genommen wurde und im September 1819 zur Annahme der Karlsbader Beschlüsse führte, bildete den Auftakt zur Demagogenverfolgung der Restaurationszeit.
Hundt-Radowsky, der befürchten musste, wegen seiner Veröffentlichungen verfolgt zu werden, floh nach Schwarzburg-Sondershausen, wo er neben zwei weiteren Flugschriften den ‚Judenspiegel’ veröffentlichen ließ. Der Verleger Bernhard Friedrich Voigt, der das Pamphlet herausgab, traf zweierlei Vorsichtsmaßnahmen um die Verfolgung Hundt-Radowskys zu verhindern: er veröffentlichte den Text unter dem Pseudonym Christian Schlagehart und gab als Publikationsort Würzburg an, den Ort, von dem die Hep-Hep-Unruhen erst wenige Wochen zuvor ihren Anfang genommen hatten. Es ist zu vermuten, dass es sich weder bei der Wahl des Pseudonyms noch bei dem fingierten Publikationsort um Zufälle handelte.
Innerhalb weniger Wochen wurden 10000 Exemplare des ‚Judenspiegels’ verkauft, 1821 erschien in Reutlingen ein Nachdruck und auch Ulm legte eine gekürzte Version des ‚Judenspiegels’ auf. Wien wurde 1848 der Publikationsort der letzten Neuauflage, veröffentlicht unter dem Titel ‚Die Naturgeschichte der Juden’. Rainer Erb und Werner Bergmann sehen in dieser Modernisierung des Titels einen Hinweis auf die Bestrebung zum Ende des Vormärz eine Verwissenschaftlichung der antijüdischen Ungleichheitskonstruktion, das heißt eine pseudowissenschaftlichen Begründung rassistischen Gedankenguts, zu erreichen.
Heinrich Graetz beschreibt, dass die durch die Karlsbader Beschlüsse allgegenwärtige Zensur erst auf Antrag einiger Juden die Schriften Hundt-Radowskys verbot und konfiszierte. Obwohl in großen Teilen der deutschen Territorialstaaten verboten - Bayern und Preußen indizierten die Schrift wegen der Störung des konfessionellen Friedens - scheint ‚Der Judenspiegel’ weit verbreitet gewesen zu sein. Offenbar konnte das Pamphlet in Buchhandlungen erworben werden, obwohl es bereits der Zensur zum Opfer gefallen war.
In Württemberg, wo eine gesetzlich verankerte Pressefreiheit bestand, gab es keine Möglichkeit gegen diskreditierende, antijüdische Pamphlete vorzugehen. In den württembergischen Orten Cannstatt und Reutlingen wurden sowohl die Neuauflagen des 'Judenspiegels' als auch die späteren antijüdischen Schriften Hundt-Radowskys veröffentlicht.
Um der Demagogenverfolgung zu entgehen, flüchtet Hundt-Radowsky 45-Jährig in die Schweiz. Die letzten zehn Jahre seines Lebens waren geprägt von Verfolgung und Ausweisung, in Burgdorf im Kanton Bern starb Hartwig von Hundt-Radowsky „in seiner geistigen Produktivität gänzlich gelähmt, auch körperlich herabgewürdigt“ am 15. August 1835. „Zum Bettler herabgesunken und sehr elend“ hatte er die letzte Zeit seines Lebens verbracht (wörtl. nach Fasel).
Quellen
- von Hundt-Radowsky: Blüten des Lebens Berlin 1807
- Ders. Harfe und Speer Berlin & Leipzig 1815
- Ders. Kotzbues Ermordung Berlin 1819
- Ders. Ueber die große preußische Verschwörung. Germanien 1819
- Ders. Judenspiegel. Ein Schand- und Sittengemälde alter und neuer Zeit Reutlingen 1821
Literatur
- Benz, Wolfgang & Bergmann, Werner: Antisemitismus - Vorgeschichte eines Völkermords? In: dies., (Hg.): Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus Bonn 1997.
- Erb, Rainer/Bergmann, Werner: Die Nachtseite der Judenemanzipation: Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780-1860 Berlin 1989.
- Fasel, Peter: Vordenker des Holocaust In: Die Zeit. Ausgabe 5/2004.
- Graetz, Heinrich: Geschichte der Juden. Von den ältesten Zeiten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts 1853-1875 In: Digitale Bibliothek 44. CD-Rom. Berlin 2002.
- Hentges, Gudrun: Schattenseiten der Aufklärung. Die Darstellung von Juden und "Wilden" in philosophischen Schriften des 18. und 19. Jahrhunderts Schwalbach 1999 (siehe Veranstaltung)
- Hortzitz, Nicoline: "Früh-Antisemitismus" in Deutschland (1789-1871/72): strukturelle Untersuchungen zu Wortschatz, Text und Argumentation Tübingen 1988
- Rohrbacher, Stefan: Gewalt im Biedermeier. Antijüdische Ausschreitungen in Vormärz und Revolution (1815-1848/49) Frankfurt/New York 1993
Veranstaltung
- Gudrun Hentges Antisemitismus in der Philosophie des Deutschen Idealismus Vortrag, Univers. Köln, Hörsaal 13 (18. 01. 07, 19 h)
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Hundt, Joachim Hartwig |
ALTERNATIVNAMEN | Hundt-Radowsky, Hartwig von |
KURZBESCHREIBUNG | Antisemit |
GEBURTSDATUM | 15. Mai 1780 |
GEBURTSORT | Schlieven bei Parchim |
STERBEDATUM | 15. August 1835 |
STERBEORT | Burgdorf BE (Schweiz) |