Hermann Hesse
Hermann Hesse, (* 2. Juli 1877 in Calw, Deutschland; † 9. August 1962 in Montagnola, Schweiz), deutschsprachiger Dichter und Schriftsteller, auch Maler
Leben
Kindheit und Jugend
Hermann Hesse stammte aus einer christlichen Missionarsfamilie, seine Eltern waren beide als Missionare der Basler Mission in Indien tätig, wo Hesses Mutter Marie Gundert 1842 auch geboren worden war. Vater Johannes Hesse wurde 1847 als Sohn eines Arztes in Estland geboren. Im Schwarzwaldstädtchen Calw betrieben sie seit 1873 unter Leitung von Hesses Großvater Hermann Gundert einen Missionarsverlag, als Hermann am 2. Juli 1877 geboren wurde. Die Welt, in der Hermann Hesse seine ersten Lebensjahre verbrachte, war ganz vom Geist des schwäbischen Pietismus geprägt. 1881 zog die Familie für fünf Jahre nach Basel, kehrte dann aber wieder nach Calw zurück. Nach dem erfolgreichen Besuch der Lateinschule in Göppingen kam Hesse 1891 in das evangelisch-theologische Seminar in Maulbronn. Doch hier zeigte sich im März 1892 sein rebellischer Charakter: Hesse flüchtete aus dem Seminar ins Blaue hinein und wurde erst 23 Stunden später auf freiem Feld aufgegriffen.
Nun begann, begleitet von heftigsten Konflikten mit den Eltern, eine Odyssee durch verschiedene Anstalten und Schulen. Hermann Hesse war depressiv und äußerte Selkbstmordgedanken ("...ich möchte hingehen wie das Abendrot...", Brief vom 20. März 1892). Im Mai 1892 kommt es in der Anstalt Bad Boll unter Fürsorge des Theologen und Exorzisten Christoph Blumhardt zu einem Selbstmordversuch. Im Anschluss daran wird Hermann in die Anstalt Stetten im Remstal verlegt, später in die Knabenanstalt nach Basel. Ab Ende 1892 besucht er das Gymnasium in Cannstatt. 1893 besteht er zwar das Einjährigen-Examen in Cannstatt, bricht aber dennoch die Schule ab.
Nachdem er einer Buchhändlerlehre in Esslingen am Neckar nach drei Tagen entlaufen war, begann Hesse im Frühsommer 1894 eine 14 Monate dauernde Mechanikerlehre in einer Turmuhrenfabrik in Calw. Obwohl diese Tätigkeit für ihn denkbar ungeeignet war, zeigte sie ihm doch seinen Weg: Im Oktober 1895 war er bereit, eine neue Buchhändlerlehre in Tübingen anzufangen und ernsthaft zu betreiben. Diese Erfahrungen seiner Jugend wird er später in seinem Roman "Unterm Rad" verarbeiten.
Der Weg zum Schriftsteller
Noch als Buchhändler veröffentlichte Hesse 1899 seinen ersten kleinen Gedichtband "Romantische Lieder" und die Prosasammlung "Eine Stunde hinter Mitternacht". Ab Herbst 1899 arbeitete er in einem angesehenen Antiquariat in Basel. Da seine Eltern engen Kontakt zu Basler Gelehrtenfamilien pflegten, öffnete sich ihm hier ein geistig-künstlerischer Kosmos mit den reichsten Anregungen. 1901 konnte Hesse sich einen großen Traum erfüllen und erstmals nach Italien reisen. In den folgenden Jahren boten sich ihm immer mehr Gelegenheiten, Gedichte und kleine literarische Texte in Zeitschriften zu veröffentlichen. Schließlich brachte ihm der Roman "Peter Camenzind", der erstmals 1903 als Vorabdruck erschien, den Durchbruch: Von nun an konnte Hesse als freier Schriftsteller leben.
Zwischen Bodensee und Indien
Der literarische Ruhm ermöglichte es Hesse, sich zusammen mit seiner ersten Ehefrau Maria Bernoulli in Gaienhofen am Bodensee niederzulassen und dort eine Familie zu gründen. Hier schrieb er seinen zweiten Roman "Unterm Rad", der 1906 erschien. In der Folgezeit verfasste er vor allem Erzählungen und Gedichte. Sein nächster Roman "Gertrud" von 1910 zeigte Hesse allerdings in einer Schaffenskrise - er hatte schwer mit diesem Werk zu kämpfen, in späteren Jahren hat er es als misslungen betrachtet. Auch in seiner Ehe vermehrten sich nun die Dissonanzen und um Abstand zu gewinnen, brach Hesse 1911 zu einer großen Reise nach Ceylon und Indonesien auf. Die erhoffte innere Befreiung fand er dort jedoch nicht. Nach Hesses Rückkehr zog die Familie 1912 nach Bern um, doch auch dieser Ortswechsel konnte die Eheprobleme nicht auflösen, wie Hesse 1914 in seinem Roman "Roßhalde" offenbarte.
Der Erste Weltkrieg
Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 meldete Hesse sich als Freiwilliger bei der deutschen Botschaft, um nicht in den Ruf eines "Vaterlandverräters" zu geraten. Er wurde jedoch für untauglich befunden und der deutschen Botschaft für den Dienst bei der Kriegsgefangenenfürsorge zugewiesen. In diesem Rahmen war Hesse fortan damit beschäftigt, für deutsche Kriegsgefangene Bücher zu sammeln und zu verschicken. Am 3. November 1914 veröffentlichte er in der "Neuen Zürcher Zeitung" den Aufsatz "O Freunde, nicht diese Töne", in dem er an die deutschen Intellektuellen appelliert, nicht in nationalistische Polemik zu verfallen. Was darauf folgte, bezeichnete Hesse später als eine große Wende in seinem Leben: Erstmals fand er sich inmitten einer heftigen politischen Auseinandersetzung wieder, die deutsche Presse attackierte ihn, Haßbriefe gingen bei ihm ein und alte Freunde sagten sich von ihm los. Zustimmung erhielt er weiterhin von seinem Freund Theodor Heuss, aber auch von dem französischen Schriftsteller Romain Rolland, der Hesse im August 1915 besuchte. Diese Konflikte mit der deutschen Öffentlichkeit waren noch nicht abgeklungen, als Hesse am 8. März 1916 durch den Tod seines Vaters in eine noch tiefere Lebenskrise gestürzt wurde. Er musste seinen Dienst bei der Gefangenenfürsorge unterbrechen und sich in psychotherapeutische Behandlung begeben. Die daraus resultierende intensive Beschäftigung mit der Psychoanalyse, durch die Hesse auch Carl Gustav Jung persönlich kennenlernte, führte ihn schließlich zu einer neuen kreativen Höhe: Im September/Oktober 1917 verfaßte Hesse in einem dreiwöchigen Arbeitsrausch seinen Roman "Demian". Das Buch wurde nach Kriegsende 1919 unter dem Pseudonym Emil Sinclair veröffentlicht.
In der Casa Camuzzi
Als Hesse 1919 sein ziviles Leben weiterführen konnte, war seine Ehe zerrüttet. Bei seiner Frau war zwischenzeitlich eine schwere Psychose ausgebrochen, aber auch nach ihrer Heilung sah Hesse keine gemeinsame Zukunft mit Maria. Die Wohnung in Bern wurde aufgelöst, Hesse siedelte allein ins Tessin um, wo er in dem Dorf Montagnola in einem seltsamen, schloßartigen Gebäude, der "Casa Camuzzi", eine Wohnung bezog. Hier nahm er nicht nur seine schriftstellerische Tätigkeit wieder auf, sondern begann auch zu malen, was sich in seiner nächsten großen Erzählung "Klingsors letzter Sommer" von 1920 deutlich niederschlug. 1922 erschien Hesses Indien-Roman "Siddhartha" - hierin kam seine Liebe zur indischen Kultur und zu asiatischen Weisheitslehren zum Ausdruck, die er schon in seinem Elternhaus kennengelernt hatte. - 1923 heiratete Hesse seine Geliebte Ruth Wenger, die Tochter der Schweizer Schriftstellerin Lisa Wenger. Diese Ehe war jedoch von Anfang an zum Scheitern verurteilt und wurde nie richtig vollzogen. Er erhielt in diesem Jahr auch die Schweizer Staatsbürgerschaft. Hesses nächsten größeren Werke, "Kurgast" von 1925 und "Die Nürnberger Reise" von 1927, sind autobiographische Erzählungen mit ironischem Unterton, in denen sich schon der erfolgreichste Roman Hesses ankündigte: "Der Steppenwolf" von 1927. Zu seinem 50. Geburtstag, den er in diesem Jahr feierte, wurde auch die erste Hesse-Biographie von seinem Freund Hugo Ball veröffentlicht. Schon kurz nach dem neuen Erfolgsroman erlebte der einsame Steppenwolf Hesse eine Wende durch die Beziehung zu seiner aus Czernowitz in der Bukowina stammenden späteren dritten Ehefrau Ninon Dolbin, geb. Ausländer. Resultat dieser Wandlung zum dualistischen Miteinander war der Roman "Narziß und Goldmund" von 1930. Im Jahre 1931 verlässt Hesse die Mietwohnung in der Casa Camuzzi und zieht mit seiner Lebensgefährtin Ninon in ein größeres Haus (Casa Hesse) oberhalb von Montagnola, das nach seinen Wünschen erbaut und ihm von seinem Freund H.C. Bodmer dauerhaft zur Verfügung gestellt wird. Dieses Haus ist heute in Privatbesitz und kann derzeit nicht besichtigt werden.
Der Glasperlenspieler
1931 heiratete Hesse zum dritten Mal und zog mit Ninon in ein eigenes Haus am Rande von Montagnola. Er begann mit den Entwürfen zu seinem letzten großen Werk, dem "Glasperlenspiel". 1932 veröffentlichte er als Vorstudie dazu die Erzählung "Die Morgenlandfahrt". Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland beobachtete Hesse mit großer Sorge. Bertolt Brecht und Thomas Mann machten 1933 auf ihren Reisen ins Exil jeweils bei Hesse Station. Hesse versuchte auf seine Weise, der Entwicklung in Deutschland entgegenzusteuern: Er hatte schon seit Jahrzehnten in der deutschen Presse Buchrezensionen publiziert - nun sprach er sich darin verstärkt für jüdische und andere, von den Nationalsozialisten verfolgte Autoren aus. Ab Mitte der Dreißiger Jahre wagte keine deutsche Zeitung mehr, Artikel von Hesse zu veröffentlichen. Hesses geistige Zuflucht vor den politischen Auseinandersetzungen und später vor den Schreckensmeldungen des Zweiten Weltkrieges war die Arbeit an seinem Roman "Das Glasperlenspiel", der 1943 in der Schweiz gedruckt wurde. Nicht zuletzt für dieses großartige Spätwerk wurde ihm 1946 der Nobelpreis für Literatur verliehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging Hesses Kreativität zurück: Er schrieb noch Erzählungen und Gedichte, aber keinen Roman mehr. Er war außerdem in Anspruch genommen durch einen stetigen Strom von Briefen - dies war der Preis dafür, dass er seinen wiedererwachten Ruhm bei einer neuen Generation deutscher Leser miterleben konnte, die sich von dem "weisen Alten" in Montagnola Lebenshilfe und Orientierung erhofften. Hermann Hesse verstarb am 9. August 1962 und wurde auf dem Friedhof von San Abbondio bei Montagnola beigesetzt, auf dem auch Hugo Ball begraben ist.
Rezeption
Die literarische Qualität und Bedeutung der Werke Hermann Hesses war schon zu seinen Lebzeiten umstritten; der Disput hält nach wie vor an. Schriftstellerkollegen wie Thomas Mann oder Hugo Ball schätzten ihn hoch, während andererseits Kurt Tucholsky meinte: "Ich halte Hesse für einen Schriftsteller, dessen Qualitäten als Essayist weitaus größer sind als seine dichterischen Eigenschaften". Alfred Döblin schrieb gar von "langweiliger Limonade". Hesses Frühwerk wurde jedoch von der zeitgenössischen Literaturkritik überwiegend positiv beurteilt.
Die Hesse-Rezeption im Deutschland der beiden Weltkriege war stark durch die Pressekampagnen gegen den Autor in Folge seiner Antikriegs- und antinationalistischen Äusserungen geprägt. Ab 1937 konnten Hesses Werke in Deutschland nur noch unter dem Ladentisch verkauft werden. Die jüngere Generation "entdeckte" Hesse somit zu einem großen Teil erst nach 1945.
Gut zehn Jahre nachdem Hesse der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, schrieb Karlheinz Deschner 1957 in seiner Streitschrift Kitsch, Konvention und Kunst: "Dass Hesse so vernichtend viele völlig niveaulose Verse veröffentlicht hat, ist eine bedauerliche Disziplinlosigkeit, eine literarische Barbarei" und kam auch in Bezug auf die Prosa zu keinem günstigeren Urteil. In den folgenden Jahrzehnten schlossen sich grosse Teile der deutschen Literaturkritik dieser Beurteilung an, Hesse wurde oft als Produzent epigonaler und kitschiger Literatur qualifiziert. Der Beliebtheit seines Werkes im breiten Publikum tat dies keinen Abbruch, vielmehr erlebten die 1960er Jahre einen eigentlichen "Hesse-Boom"; insbesondere "Der Steppenwolf" wurde international zum Bestseller und Hesse zu einem der meistübersetzten und -gelesenen deutschen Autoren. Weltweit wurden über 100 Millionen seiner Bücher verkauft.
Bekannte Werke:
- 1904 - Peter Camenzind ISBN 3518398679
- 1906 - Unterm Rad ISBN 3518365525
- 1910 - Gertrud ISBN 3518373900
- 1919 - Demian ISBN 3518367064
- 1919 - Klein und Wagner ISBN 3518366165
- 1920 - Klingsors letzter Sommer ISBN 345834098X
- 1922 - Siddhartha ISBN 3518366823
- 1927 - Der Steppenwolf ISBN 3518366750
- 1930 - Narziss und Goldmund ISBN 3518398717
- 1932 - Die Morgenlandfahrt ISBN 3518372505
- 1943 - Das Glasperlenspiel ISBN 351841335X
Auszeichnungen:
- 1946 - Nobelpreis für Literatur
- 1946 - Goethepreis der Stadt Frankfurt
- 1950 - Wilhelm-Raabe-Preis
- 1955 - Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Literatur
- Ball, Hugo: Hermann Hesse. Sein Leben und sein Werk. Berlin 1927
- Freedman, Ralph: Hermann Hesse. Autor der Krisis. Eine Biographie. Frankfurt/M. 1977
- Mileck, Joseph: Hermann Hesse. Dichter, Sucher, Bekenner. München 1979
- Pfeifer, Martin: Hesse-Kommentar zu sämtlichen Werken. München 1980
- Zeller, Bernhard, Hermann Hesse in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1963
Weblinks
- HHP - Herman Hesse (Home) Page, von Prof. Günther Gottschalk
- Eintrag HermannHesse im BücherWiki
- Kategorie "Hermann Hesse" bei DMoz.org
- Hermann Hesse in Cannstatt
- Portal der Morgenlandfahrer, von Timo Reith
- Hermann Hesse - Dichter & Bibliomane, von Markus Kolbeck
- http://home.rz-online.de/~dneitzer Dr. Lutz Neitzert (Hörfunkmanuskript "Hippies lesen Hesse")
- www.ub.fu-berlin.de - kommentierte Linksammlung
- http://www.hermann-hesse-sekundaerschrifttum.de - Sekundärliteratur
- http://www.online-literature.com/hesse/ (engl.)