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Werner Schiffauer

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Werner Schiffauer (* 6. Dezember 1951 in Lichtenfels, Bayern) ist ein deutscher Ethnologe und Publizist. Er lehrt Vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder

Laufbahn

Nach dem Abitur 1971 nahm Schiffauer 1973 das Doppelstudium Diplompädagogik und Ethnologie an der FU Berlin auf. 1976 bis 1977 folgte ein Studienaufenthalt in Ankara an der Dil ve Tarih Çografya Fakültesi. 1980 folgte das Diplom im Fach Erziehungswissenschaft mit der Arbeit: „Die kulturelle Situation türkischer Jugendlicher und das Problem der Jugenddelinquenz“. 1987 wurde er promoviert mit der Dissertation über das „Weltbild und Selbstverständnis der Bauern von Subay - Eine Ethnographie“ im Fach Ethnologie an der FU Berlin. 1991 erfolgte die Habilitation im Fach Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie. 2004 erhielt Schiffauer den „Falaturi Friedenspreis für Dialog und Toleranz” der „Gesellschaft muslimischer Sozial- und Geisteswissenschaftler e.V.“.

Standpunkte

Schiffauer postuliert u.a, dass erst die zweite Generation der eingewanderten Muslime Sympathien für die hierarchische und im Grunde an westlichen Maßstäben geschulte Lesart des Koran gehabt habe. Er unterstützt weiterhin die von Christian Ströbele aufgebrachten Forderung nach einem muslimischen Feiertag. Schiffauer ist gegen ein Verbot islamistischer Gemeinden, da dadurch die offene Diskussionen unter den Diaspora-Muslimen verhindert werde - und damit letztlich ihre Integration in die westliche Gesellschaft; der Islamismus etwa der türkischen Milli Görüs-Gemeinde sei als amorpher kultureller Ausdruck eines religiösen Konservativismus zu betrachten. Er warnt auch davor, auf islamistische Gruppen panisch zu reagieren, denn dort gebe es eine doppelte Öffentlichkeit: Nach außen radikal, nach innen nicht; dies sei mit den Grünen in ihrer Frühphase vergleichbar. Schiffauer geht auch davon aus, dass im Sinne eines „klammheimlichen kulturellen Rassismus“ der Antisemitismus von einem Antiislamismus abgelöst werde, dies dadurch, dass, im Sinne eines jüdisch-christlichen Erbes, der Gedanke von der Leitkultur auch auf Europa übertragen werde.

„Schiffauer schlug vor, die muslimischen Organisationen zu betrachten wie etwa die jüdische Gemeinde in den USA: fraktioniert in Liberale, Orthodoxe und Ultraorthodoxe, beschäftigt mit einem dauerhaften Reformkampf. Der Nachwuchs bemühe sich, die Alten zu ihrem Recht kommen zu lassen und gleichzeitig die Gemeinde an die Erfordernisse der Mehrheitsgesellschaft zu gewöhnen - ‚ähnlich wie heute die PDS oder die Grünen Anfang der Achtzigerjahre‘“. (Ulrike Winkelmann [1])

In seiner ethnologische Fallstudie „Die Gottesmänner“ beschreibt Schiffauer detailliert die Geschichte der Gemeinde von Cemaleddin Kaplan, dem Vater des islamischen Fundamentalisten Metin Kaplan. Zitat: „Es sind nicht die immer wieder angeführten Modernisierungsverlierer, Ausgegrenzten und Unterprivilegierten, die zu Kaplan finden - im Gegenteil. In manchem erinnert seine Klientel an die Studenten hierzulande, die sich in den Siebzigerjahren zu den marxistisch-leninistischen Splittergruppen hingezogen fühlten.“

Kritik

Die Islamwissenschaftlerin Spuler-Stegemann:

„Man kann aber die islamistischen Gruppen nicht mit den Grünen oder Linken vergleichen. Etwa die türkische Milli Görüs, die größte islamistische Gemeinschaft in Deutschland, hat streng gefügte Hierarchien. Es mag dort an der Basis grummeln, aber an der undemokratischen Struktur und an der menschenrechtsfeindlichen Haltung der Spitze ändert sich dadurch nichts. Die Islamisten mit den Grünen und der PDS zu vergleichen, führt in die Irre.“ [2]

Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer und der Journalist Eberhard Seidel:

„Wenn der Zentralrat der Muslime, die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs und Werner Schiffauer dennoch behaupten, die Gewalttaten mit antiislamischem Hintergrund hätten zugenommen und die antisemitischen gar ersetzt, wäre es höchste Zeit, die Belege vorzulegen, um wirksame Strategien gegen die neue Herausforderung zu entwickeln. Solange diese fehlen, kann von einer Ablösung des Antisemitismus durch einen "Antiislamismus", besser einer Islamfeindlichkeit, keine Rede sein. Es seit denn, man betrachtet, wie Schiffauer, bereits das repressive Vorgehen des Staats gegen Organisationen wie Hisb ut-Tahrir oder dem Kalifatstaat, die zum Judenhass und -mord aufriefen, als Islamfeindlichkeit.“ [3]

Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban:

„Problematisch ist allerdings, wenn er mit irreführenden Begriffen und einer undifferenzierten Betrachtung der islamistischen Gemeinden allgemein gegen ein Verbot islamistischer Organisationen plädiert. [...] So erwähnt Schiffauer nicht den Antisemitismus von Hizb-ut Tahrir, der zu ihrem Verbot führte. Statt dessen spricht er verharmlosend vom "antiisraelischen Diskurs". [...] Und den antiwestlichen Diskurs von Hizb-ut Tahrir beschränkt er dann auf einen "radikalen antiamerikanischen" Diskurs, was zu dem sich in Deutschland verbreitenden Antiamerikanismus passt. [...] Schiffauer setzt die Islamisten und die Islamreformer gleich. Doch das sind zwei Paar Schuhe. [...] Beide Strömungen, die islamistische und die reformistische, stellen zwei verschiedene Arten der Auseinandersetzung mit der Moderne dar. Die Islamisten übernehmen westliche totalitäre Ideologien und reproduzieren sie islamisch. Die Islamreformer versuchen ihre Tradition zu reformieren, um zur Demokratie zu gelangen. [...] Auch wenn Werner Schiffauer sich der deutschen Seite zuwendet, ist seine Darstellung tendenziös. Es ist die Rede von einer "christlich-abendländlichen Wertegemeinschaft", die die Verantwortung für den Holocaust, den Kolonialismus, den Imperialismus und den Rassismus trägt und trotzdem von den Muslimen "moralische Bekenntnisse" abverlangt. [...] Schiffauer argumentiert ebenso kulturalistisch wie die Islamisten, die den Westen als verdorben, ungerecht und amoralisch betrachten. [...] Der Wunsch, dass der Islamismus "aus den islamischen Gemeinden heraus überwunden wird", ist lobenswert. Aber zu glauben, dass er sich ohne Einmischung von außen vollziehen kann, ist illusorisch. Der Islamismus hat sich in den letzten zwanzig Jahren ständig ausgebreitet und seine Überwindung war innerhalb des organisierten Islams nie ein Thema.“ [4]

Fußnoten

  1. TAZ: Das Grundgesetz ist für Rasterfahndung ungeeignet (3.11.2003)
  2. TAZ: Die liberalen Muslime müssen Flagge zeigen (22.11.2003)
  3. TAZ: Kein Vergleich (20.01.2004)
  4. TAZ: Den Dialog nie gesucht Eine Erwiderung auf Werner Schiffauer (08.02.2003)

Publikationen

  • 1983 Die Gewalt der Ehre, Suhrkamp, Frankfurt am Main
  • 1983 Kulturelle Charakteristika als Bedingungen interkultureller Kommunikation - Die türkische Minderheit. Gutachten für die Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher (RAA), Essen; Weinheim und Basel 1986
  • 1987 Die Bauern von Subay - Das Leben in einem türkischen Dorf, Klett-Cotta, Stuttgart
  • 1991 Die Migranten aus Subay - Türken in Deutschland: Eine Ethnographie, Klett-Cotta, Stuttgart
  • 1997 Fremde in der Stadt - Zehn Essays zu Kultur und Differenz, Suhrkamp, Frankfurt am Main, ISBN 3-518-39199-2
  • 2000 Die Gottesmänner - Türkische Islamisten in Deutschland. Suhrkamp, Frankfurt am Main, zahlr. Abb. ISBN 3-518-39577-7
  • 2002 Migration und kulturelle Differenz. Studie für das Büro der Ausländerbeauftragten des Senats von Berlin, Berlin
  • 1993 Hrsg: Familie und Alltagskultur. Facetten urbanen Lebens in der Türkei, Frankfurt am Main (Reihe Notizen, Schriftenreihe des Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie Frankfurt, Bd. 41
  • 1989 Hrsg. mit Christian Giordano, Heinz Schilling, Gisela Welz und Maritta Zimmermann: Kultur - anthropologisch. Eine Festschrift für Ina-Maria Greverus, Frankfurt am Main (Reihe Notizen, Schriftenreihe des Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie Frankfurt, Bd. 30, ISBN 3-923992-28-9
  • 2002 Hrsg. mit Gerd Baumann, Riva Kastoryano, und Steven Vertovec: Staat, Schule, Ethnizität, Münster, Waxmann, ISBN 3-8309-1155-6
  • 2004 Hrsg. mit Gerd Baumann, Riva Kastoryano, und Steven Vertovec: Civil Enculturation. Nation-State, School and Ethnic Difference in four European Countries, Berghahn
  • 2006 Berking, Helmuth (Hrsg.): Die Macht des Lokalen in einer Welt ohne Grenzen, mit Beiträgen von Ulrich Beck, Schiffauer u.a. Campus, Frankfurt am Main, ISBN 3-593-37997-X

Literatur

  • Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 2005. Band III, Schi-Z. München 2005.
  • Vorlage:PND

Interviews

Artikel